MEDIZIN
Postoperative Komplikationen
Seit 25 Jahren habe ich mit der Vor- und Nachsorge viel zu tun ge- habt und die Fortbildung auf den einschlägigen Kongressen lebhaft verfolgt. Alle zwei bis drei Jahre er- lebten wir neue Operationssysteme, die voller Hoffnung auf ein besseres Verfahren eingeführt wurden: zu- nächst die dorsalen Spondylodesen, später die ventrodorsalen Eingriffe.
Bei allen bisher geübten Methoden ist es in einem meßbaren Prozentsatz meiner Patienten zu einer Pseud- arthrosenrate gekommen, was in der Regel ein großes Unglück bedeutet.
Falls die Patienten noch Mut und die psychische Kraft hatten, kam es zu einer Reoperation. Oft genug versag- te der Mut, so daß nicht weiter ope- riert werden konnte; eine Haltung der Patienten, die man bei der Schwere des Eingriffs durchaus ver- stehen kann, weil nicht nur die Phy- sis, sondern auch die Psyche in ho- hem Maße mitbetroffen ist.
Um die Komplikation einer Pseudarthrose zu vermeiden oder zu verringern, sollte nicht nur den wech- selnden Instrumentarien vertraut werden, sondern auch für etwa ein halbes bis ein Jahr postoperativ ein starres Rumpfmieder getragen wer- den. Die Operateure unterliegen ei- nem Irrtum, wenn sie glauben den Eltern eine Erleichterung zu geben, wenn die Kinder kein Mieder mehr tragen müssen. Dieses ist lediglich ei- ne Verlockung, um den Schritt zur Spondylodese zu erleichtern, aber nicht, um das Operationsergebnis in seinem Risiko der Pseudarthrose mit den multiplen Ausrissen und Brü- chen der Systeme zu verringern.
Auch die gepriesene multisegmenta- le Verankerung ist sowohl am Kno- chen als auch im System selber aus-
DISKUSSION
Zu dem Beitrag von Privatdozent Dr. med.
Christof Hopf et al.
in Heft 43/1993
gerissen. Zu jeder Versteifungsope- ration gehört die Ruhigstellung, bis der Knochen einigermaßen zusam- mengewachsen ist, nicht nur bei der Tibiafraktur, sondern auch bei der Spondylodsese. Ein vorzeitiges Mobi- lisieren ist nicht angebracht und kann erst nach klinischer und röntgenlo- gisch nachgewiesener Festigkeit be- gonnen werden.
Dr. med. Gerhard Haustedt Orthopäde
Süderhofenden 12 24937 Flensburg
Schlußwort
Wir danken Herrn Dr. Haustedt, der auf einen wichtigen Punkt im in- terdisziplinären Behandlungskon- zept einer neuromuskulären Skoliose hingewiesen hat. Die psychische Be- lastung einer solchen Operation ist selbstverständlich immens, insbeson- dere, wenn es im weiteren Verlauf zu postoperativen Komplikationen kommt. Der Kollege Haustedt gibt in seinem Schreiben an, daß er in den letzten 25 Jahren die Entwicklung im Bereich der Wirbelsäulenchirurgie sorgsam verfolgt habe. Sicherlich war bei den zunächst verwendeten Ope- rationsmethoden wie dem Harring- ton-Verfahren eine entsprechende Miederversorgung notwendig. Die in den letzten zehn Jahren entwickelten
multisegmentalen Operationsverfah- ren weisen jedoch eine wesentlich höhere Stabilität als die früher ver- wendeten Methoden auf. Dies ist in zahlreichen Untersuchungen nachge- wiesen worden.
Aufgrund der erheblich verbes- serten Stabilität ist es zu einer deutli- chen Reduktion der früher häufiger zu beobachtenden Pseudarthrosenra- te gekommen Aus diesem Grunde kann nach einer nunmehrigen Erfah- rung von über zehn Jahren mit eini- gen der modernen Operationsverfah- ren eine orthesenfreie Nachbehand- lung empfohlen werden. Abwegig ist der Gedanke, daß mit der Möglich- keit der orthesenfreien Nachbehand- lung den Eltern der Schritt zur Spon- dylodese schmackhaft gemacht wer- den soll. Mit Ausnahme der in unse- rem Artikel angesprochenen Indika- tion zur operativen Behandlung von neuromuskulären Skoliosen haben sich die Indikationsgrenzen für die operative Behandlung der anderen Skoliosen in den letzten Jahren nicht wesentlich verschoben. Der Schluß, daß die multisegmentalen Operati- onsverfahren eine Verlockung dar- stellten, die den Schritt zur Spondy- lodese erleichtern, ist somit sicher- lich falsch.
Das Versagen einer Instrumen- tation ist bei einer erheblichen oder sehr ausgeprägten Deformierung häufiger als bei Patienten, die post- operativ einen nahezu physiologi- schen Wirbelsäulenaufbau aufwei- sen. Unser Anliegen in dem kritisier- ten Artikel war das Aufzeigen von neuen Behandlungswegen bei Pa- tienten, bei denen eine sichere Pro- gredienz der Skoliose zu erwarten ist.
Nur die frühzeitige Indikationsstel- lung und die zeitige Versorgung die- ser Patientengruppe kann zusammen mit der Anwendung von multiseg- mentalen Opertationsverfahren eine Reduktion der von Herrn Dr. Hau- stedt beschriebenen Problematik zur Folge haben.
Für die Verfassen
PD Dr. med. Christof Hopf Leitender Oberarzt der Orthopädischen
Universitätsklinik Mainz Langenbeckstraße 1 55101 Mainz
Indikation zur Operation bei kongenitalen und
neuromuskulären Skoliosen
A-1826 (62) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 25/26, 27. Juni 1994