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ine inakzeptable Informati- onspolitik im Zusammen- hang mit dem Rückruf des Cholesterin-Senkers Lipobay hat der Staatssekretär im Bun- desministerium für Gesund- heit, Klaus Theo Schröder, dem Bayer-Konzern vorge- worfen. Bereits am 15. Juni ha-be Bayer eine Studie vorgele- gen, die den Verdacht nahe legte, dass Cerivastatin ein höheres Rhabdomyolyse-Risi- ko birgt als andere Statine. Die Firma habe die Studie jedoch erst am 10. August der Auf- sichtsbehörde, dem Bundesin- stitut für Arzneimittel und Me-
dizinprodukte (BfArM), zuge- leitet. Die Behörden hätten sich im Fall Lipobay nichts vorzuwerfen, betonte Schrö- der. In Übereinstimmung mit den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union seien nach dem Stand der jeweils verfügbaren Informationen kontinuierlich ausrei- chende risikosenkende Maßnahmen ergriffen worden. Zuletzt habe man am 28. Juni die gleichzeitige Gabe von Gemfibrozil als Kon- traindikation in die Produktinformation aufgenommen. Nach Angaben des Leiters des BfArM, Harald Schweim, hat man sich zudem auf europäischer Ebe- ne im Juni entschlossen, eine Risikoanalyse der gesamten Stoffgruppe der Statine anzu- fertigen.
Einem Bericht des BfArM zufolge liegen der Behörde 91 Verdachtsfälle von Rhab- domyolyse unter Cerivastatin- Medikation vor. Sieben Pati- enten sind gestorben. In drei Fällen hält das BfArM einen ursächlichen Zusammenhang mit der Einnahme von Ceriva-
statin für möglich. Weltweit werden 52 Todesfälle mit der Einnahme des Lipid-Senkers in Verbindung gebracht. Wie Staatssekretär Schröder mit- teilte, will das Ministerium jetzt die Regelungen zur Arz- neimittelsicherheit überprü- fen. Auf den Prüfstand sollen unter anderem die Melde- pflicht im Rahmen des ärztli- chen Berufsrechts und die Re- geln zur Selbstverpflichtung der Wirtschaft.
Bayer hat unterdessen die Kritik an seiner Informations- politik zurückgewiesen. Fe- derführend bei der europawei- ten Zulassung von Lipobay sei die britische Zulassungsbehör- de gewesen. Diese habe man umgehend über die Studie vom 15. Juni informiert.
Inzwischen hat der Münch- ner Anwalt Michael Witti an-
gekündigt, auch Deutsche in die US-Sammelklage gegen den Bayer-Konzern einzube- ziehen, obwohl diese zunächst keinen Rechtsanspruch hät- ten. „Wir werden verhindern, dass deutsche Geschädigte im Fall von Schadensersatzzah- lungen gegenüber Amerika- nern diskriminiert werden“, sagte Witti vor der Presse in Berlin. Sein US-amerikani- scher Kollege Ed Fagan sprach vom möglicherweise größten Schadensersatzfall in der Pharma-Geschichte. Er forderte gleichzeitig ein von Bayer finanziertes medi- zinisches Überwachungspro- gramm für Patienten, die das Präparat eingenommen ha- ben. Zur Anzahl der Kläger und zur möglichen Verfah- rensdauer wollten sich die An- wälte nicht äußern.
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A2140 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 34–35½½½½27. August 2001
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ach Informationen des„Spiegels“ will die SPD nach der Bundestagswahl die freie Arztwahl für
Kassenpatienten be- grenzen. Kassen- patienten, die auf dieses Recht ver- zichteten, sollen ge- ringere Beiträge zur Gesetzlichen Kran- kenversicherung be- zahlen. Wer sich da- gegen weiterhin sei- nen Arzt frei aussu- chen wolle, müsse wie bisher den vollen Beitrag zahlen. Ein Sprecher des Bun- desgesundheitsmini-
steriums nannte den Bericht
„rein spekulativ“. Die SPD- Spitze will dem Bericht zufol- ge ihr Konzept zur Gesund-
heitsreform möglichst schon zum Parteitag Mitte Novem- ber vorlegen. Die Einzelhei- ten des Vorschlags werden demnach derzeit von einer Ex- pertenrunde um SPD-Gene- ralsekretär Franz Müntefe- ring, Kanzleramtschef Frank- Walter Steinmeier, Bundes- gesundheitsministerin Ulla Schmidt und dem rheinland- pfälzischen Sozialminister Florian Gerster erarbeitet.
Die SPD-Experten wollten mit ihrem Konzept die „kar- tellartigen Strukturen“ im Ge- sundheitswesen ablösen, be- richtet das Magazin unter Berufung auf ein von Gerster vor- bereitetes Papier.
Der Ministeriums- sprecher sagte ledig- lich, Schmidt spre- che mit verschiede- nen Akteuren dar- über, wie es mit der Gesundheitspolitik weitergehen solle.
Sollte es tatsäch- lich zur Einführung eines Hausarztmo- dells kommen, könn- te sich der Streit zwi- schen Allgemeinärzten und Internisten darüber, wer der geeignetere Hausarzt ist, wei- ter verschärfen.
Arztzahlen
Rekordniveau in Bayern
Junge Ärzte suchen vermehrt nach Alternativen.
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ehr als 60 000 Ärztinnen und Ärzte sind inzwischen bei der Bayerischen Landesärztekammer als Mitglieder re- gistriert. Sie ist damit nach wie vor die mitgliederstärkste Ärztekammer bundesweit. Ihr Präsident, Dr. med. H. Hell- mut Koch, weist im Zusammenhang mit den immer noch steigenden Arztzahlen darauf hin, dass zunehmend junge Ärzte auf alternative Berufsfelder ausweichen. Möglichkei- ten bieten unter anderem der öffentliche Gesundheitsdienst, Bundeswehr sowie Wirtschaft und Industrie (dazu auch DÄ, Heft 21/2001). Angehende Ärzte wechseln außerdem häufi- ger ins Ausland. Koch verfolgt diese Entwicklung mit Sorge und warnt vor Engpässen.Cerivastatin
Behörde zu spät informiert
Bundesgesundheitsministerium kritisiert Bayer.
Klaus Theo Schröder erläutert die Haltung der Bundesregierung.
Links: Harald Schweim, Leiter des BfArM
Florian Gerster, Sozialminister in Rheinland-Pfalz
Hausarztmodell
SPD will freie Arztwahl einschränken
Bundesgesundheits- ministerium nennt Spiegel- Bericht „rein spekulativ“.
Foto: dpa Foto: dpa