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is zum 30. Juni muss die Vor- schlagsliste vorliegen, die al- le zulasten der ge- setzlichen Kranken- kassen erstattungsfähigen Arzneimittel verzeichnet.So steht es in §33a, den die rot-grüne Regierungskoali-
tion im Rahmen der Gesundheits- reform 2000 in das Sozialgesetzbuch V eingefügt hat. Seit Mai letzten Jahres erarbeitet eine neunköpfige Kommissi- on, bestehend aus drei Ärzten, zwei Pharmakologen, einem Biometriker und je einem Vertreter der Phytothe- rapie, der Anthroposophie und der Homöopathie, die Vorschläge.
Die Freude über das Projekt, das un- ter dem ehemaligen Bundesgesund- heitsminister Horst Seehofer (CSU) in einem Debakel endete, ist geteilt. Das Bundesgesundheitsministerium und die Kassen versprechen sich davon eine qualitativ hochwertigere und wirt- schaftlichere Arzneimittelversorgung.
Die Positivliste soll nach dem Willen des Gesetzgebers nur noch Präparate enthalten, die für eine „zweckmäßige, ausreichende und notwendige Behand- lung“ geeignet sind und einen „mehr als geringfügigen therapeutischen Nut- zen“ aufweisen. In der Ärzteschaft ge- hen die Ansichten über die Liste aus- einander. Die Arzneimittelkommission sieht darin ein Instrument, das – flan- kiert von praxisnahen Leitlinien – eine rationale Arzneitherapie eher fördern kann. Die Kassenärztliche Bundes- vereinigung ist von ihrer ehemals ablehnenden Haltung abgerückt. Sie verspricht sich von der Medikamen- tenliste mehr Verordnungssicherheit und weniger Diskussionen über Wunschverordnungen von Patienten.
Vehement gegen die Liste hat sich vor
allem der Berufsverband der Allgemeinärzte aus- gesprochen, weil er dar- in eine Ein- schränkung der Therapie- freiheit sieht. Ein- sparungen durch die Medikamenten- liste verspricht sich kaum noch jemand.
Die Befürchtungen gehen eher dahin, dass teure Substitutionseffekte ein- treten.
Das ist ein beliebtes Argument vor allem der mittelständischen Pharmaun- ternehmen. Sie laufen Sturm gegen die Liste, weil sie Umsatzeinbrüche be- fürchten. Noch ist jedoch keine Gefahr im Verzug. Der Bundesrat muss der Positivliste zustimmen. Dort hat die Opposition die Mehrheit, die sich nach dem Scheitern des Seehofer-Projekts bekehrt hat und jede Form der Listen- Medizin ablehnt.
Festbetragsregelung in der Schublade
Eingriffe in den Arzneimittelmarkt sind ein undankbares Geschäft. So sind die Kassen mit ihren Festbeträgen vor Ge- richt ebenso gescheitert wie der Bun- desausschuss der Ärzte und Kranken- kassen mit den Arzneimittel-Richtlini- en. Für die Kassen sind die Festbeträge ein wichtiges Instrument der Preis- steuerung, weil sie Erstattungsgrenzen für bestimmte Arzneimittel festlegen.
Verschiedene Gerichte hatten aufgrund von Klagen mehrerer Pharmafirmen geurteilt, dass das bisherige Verfahren, nach dem der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen die Fest- betragsgruppen bildet und die Spitzen- verbände der Krankenkassen über de- ren Höhe befinden, gegen europäisches
Kartellrecht verstößt. Daneben ent- schied das Bundessozialgericht, die Festbetragsfestsetzung könne nur per Gesetz oder Verordnung ergehen. Der Entwurf für ein Festbetragsneuord- nungsgesetz, das die Festbetragsrege- lung rechtlich einwandfrei gestalten sollte, liegt seit über einem Jahr in der Schublade. Offenbar wartet das Bun- desgesundheitsministerium, sehr zum Unmut der Krankenkassen, bis das Bundesverfassungsgericht über die Rechtmäßigkeit der bisherigen Rege- lung entschieden hat. Das könnte in diesem Jahr der Fall sein.
Ähnlich ist die Lage bei den Arznei- mittel-Richtlinien. Eine Neufassung liegt seit zwei Jahren auf Eis. Hier sind die Gerichte ebenfalls der Auffassung, P O L I T I K
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A12 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 1–2½½8. Januar 2001
Gesetzesvorhaben
❃Reform des Rechtes der Gesetzlichen Krankenversicherung/Organi- sationsreform
Der Bundestag hat die Bun- desregierung beauftragt, bis Mitte 2001 die Reformbe- dürftigkeit des Risikostruk- turausgleichs zwischen den Krankenkassen zu prüfen. Ein Zwischenbericht der vom BMG beauftragten Sachverständigen- gruppe liegt bereits vor. Dort heißt es, Großschadensrisiken und das Dau- erfinanzrisiko zur Betreuung chronisch Kranker müssten in einen Sonderrisikoaus- gleich einbezogen werden. Bis Frühjahr soll der Abschlussbericht fertig ein.
❃Gesetz zur Rechtsangleichung in der GKV Aufhebung der bislang getrennten Rechtskreise Ost und West innerhalb der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung bis Ende 2001; Angleichung der Beitragsbemessungsgrenzen, Zuzahlungs- und Här- tefallregelungen.
❃Pflege-Qualitätssicherungsgesetz/
Änderung des Heimgesetzes
Das Bundeskabinett hat zu beiden Gesetzen einen Beschluss gefasst. Die Federführung des Pflege- Qualitätssicherungsgesetzes liegt beim BMG. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist für die Änderung des Heimgesetzes zuständig. Ziele: Sicherung, Weiterentwicklung und Prüfung der Pflegequalität; Verbesserung der Pfle- gesituation Demenzkranker; Verbesserung der Zu- sammenarbeit zwischen Heimaufsicht, Medizini- schem Dienst der Krankenkassen (MDK), Pflegekas- sen und Sozialhilfeträger; Stärkung der Rechte von
Arzneimittel
Ordnung muss sein
Mitte 2001 soll es so weit sein. Die Positivliste für Arzneimittel
soll den Medikamenten-Markt übersichtlicher gestalten.
Z
um elektronischen Arztausweis als einer der ersten spezifizierten Health Professional Cards (HPC) und zur Erprobung einer Sicherheitsin- frastruktur für das Gesundheitswesen starten im nächsten Jahr mehrere Mo- dellvorhaben, an denen sich auch sechs Landesärztekammern beteiligen.Zu den fortgeschrittenen Projekten gehören CHIN (Community Health In-
tegrated Network) in Westfalen-Lippe und das Pilotprojekt ArztCard „PAC BaWü“ der Landesärztekammer Ba- den-Württemberg. Ein anderes Beispiel ist die Fortführung des HCP-(Health Care Professionals-)Protokolls in Bay- ern. Dort geht es in einem Modellvorha- ben von KV und Ärztekammer um den gerichteten elektronischen Nachrich- tenaustausch (der Empfänger muss be- kannt sein) zwischen dezentral organi- sierten und heterogen ausgestatteten Teilnehmern auf Basis des elektroni- schen Arztausweises. Über die Einbin- dung des VCS-Kommunikationsmoduls vom Verband Deutscher Arztpraxis- Softwarehersteller (VCS steht für VDAP Communications Standard) ist das Projekt so weit, dass 2001 der offene Testbetrieb beginnen kann. Die betei- ligten Ärzte können dann aus der Kar- teikarte ihres Praxiscomputers einen elektronischen Arztbrief oder andere Dokumente sicher – verschlüsselt und elektronisch signiert – versenden.
Auf die Standardisierung von medi- zinischen Inhalten zielt die Weiter- entwicklung des elektronischen Arzt- briefs. Hier wird daran gearbeitet, die im ambulanten Sektor verwendete BDT-Schnittstelle (Behandlungsdaten- träger) und den im Krankenhaus gebräuchlichen Kommunikationsstan- dard HL 7 in den internetbasierten XML-Standard zu überführen. Mit dem langfristigen Umstieg auf XML kann auch der Anschluss an internationale Entwicklungen sichergestellt werden.
Weitere zentrale Arbeitsfelder der Te- lematik in 2001 sind das elektronische Rezept, die elektronische Patientenakte und die Weiterentwicklung der Kranken- versichertenkarte. Eine wichtige Rolle spielt hierbei das Aktionsforum Telema- tik im Gesundheitswesen (ATG), das seit seiner Gründung (1999) Empfehlungen zur Entwicklung sektorübergreifender Telematiklösungen für das Gesundheits- wesen erarbeitet. Heike E. Krüger-Brand
dass der Ausschluss von Arzneimit- teln aus der Verordnungsfähigkeit zulasten der Gesetzlichen Kranken- versicherung gegen europäisches Kar- tellrecht verstößt und allein dem Ge- setz- oder Verordnungsgeber vorbe- halten ist. Bis der Bundesgerichtshof in der Hauptsache endgültig ent- scheidet, so fürchtet der Bundesaus- schuss, können Jahre vergehen.
Ein „Erfolgsprojekt“ gab es. Im Herbst letzten Jahres hat die Negativli- ste alle Hürden genommen und trat am 29. November in Kraft. Sie verzeichnet unwirtschaftliche Arzneimittel, die nicht zulasten der Krankenkassen ver- ordnet werden dürfen. Die Liste wurde um mehr als 400 Arzneistoffe oder Zu- bereitungen erweitert. Heike Korzilius
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Pflegebedürftigen und Heimbewohnern; erweiterte Prüfrechte für den MDK.
Das Gesetzespaket soll durch ein Gesetz zur Ver- besserung der Leistungen für Demenzkranke ergänzt werden (Federführung: BMG).
❃Datenschutz/-transparenz in der GKV Regelungen zur Erhebung von Abrechnungs- und Leistungsdaten innerhalb der Gesetzlichen Kranken- versicherung (GKV). Ziele: bessere Steuerung ge- sundheitlicher, politischer und wirtschaftlicher Auf- gaben; Verhinderung von Abrechnungsmanipulatio- nen und mehr Transparenz für Patienten durch ein verständliches Behandlungsprotokoll. Bisher noch keine Vorarbeiten zu einem Gesetzentwurf.
❃Reform des Medizinstudiums
Das BMG will im Frühjahr 2001 einen Entwurf für eine 9. Novelle zur Änderung der Approbationsordnung (AppO) für Ärzte vorlegen – voraussichtlich in der Fas- sung, wie sie im Oktober 1988 vom Bundesrat abge- lehnt wurde. Ziele: Praxisgerechtere Gestaltung des Medizinstudiums und Verzahnung des vorklinischen mit dem klinischen Abschnitt des Studiums; Entrüm- pelung des Gegenstandskatalogs, Verringerung der Studentenzahlen und neue Schwerpunktsetzung. Die Konsensgespräche des BMG mit den Kulturressorts der Länder sollen im Frühjahr 2001 fortgesetzt und zu einer „konsensualen“ Entscheidung führen. Beabsich- tigte Schlussentscheidung zur AppO im Herbst 2001.
❃Neukodifizierung von Rehabilitations- und Behindertenrecht im SGB IX
Ziel: Systematische Zusammenstellung des Rehabili- tations- und Schwerbehindertenrechts, um die selbstständige und eigenverantwortliche Lebens- führung und Gleichstellung von Menschen mit Be- hinderungen und von Rehabilitanden zu fördern.
Schwerpunkte: Verbesserung im Bereich der Re- habilitation; zeitnahe, unbürokratische und rasche Klärung der Zuständigkeiten; mehr Leistungstrans-
parenz und besserer Zugang zu den Leistungen (un- abhängig vom Leistungsträger); Aufbau gemeinsa- mer Service-Stellen der Rehabilitationsträger zur verbindlichen Beratung über die infrage kommen- den Sozialleistungen in allen Landkreisen und kreis- freien Städten; Einbeziehung der Sozialhilfeträger in den Kreis der Rehaträger. Geschätzte Zusatzausgaben allein für die GKV: rund 500 Millionen DM jährlich.
Stand der Arbeiten: Vorlage eines Referentenent- wurfs durch das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zur Neukodifizierung des SGB IX.
❃Arzneimittel/Negativliste
Der Bundesrat hat Ende Oktober 2000 der vom BMG vorgelegten Arzneimittel-Negativliste zugestimmt.
Damit dürfen voraussichtlich ab Mitte 2001 rund 400 Arzneistoffe und -wirkstoffkombinationen nicht mehr zulasten der GKV verordnet werden.
❃Krankenpflege
Novellierung des Krankenpflegegesetzes noch in dieser Legislaturperiode. Mit definierten Mindest- standards soll die Qualifikation verbessert werden.
❃Sozialversicherungs-Änderungsgesetz Künftig soll einmalig gezahltes Arbeitsentgelt wie beispielsweise Urlaubs- und Weihnachtsgeld auf das Arbeitslosen- und Krankengeld angerechnet wer- den, wenn es zu Sozialversicherungsbeiträgen her- angezogen wird. Der Bundesrat beschloss den Ge- setzentwurf der Bundesregierung. Infolge der geän- derten Bemessung des Krankengeldes werden die GKV-Ausgaben steigen, und zwar bis zum Jahres- ende 2000 um rund 1,5 Milliarden DM; ab 2001 jähr- liche Mehrausgaben in Höhe von 0,8 Milliarden DM.
❃Gesetz zur Reform der Renten bei verminderter Erwerbsfähigkeit
Der Bundestag hat das Gesetz am 16. November ge- billigt, der Bundesrat am 1. Dezember 2000 zuge- stimmt. Dr. rer. pol. Harald Clade
Datenaustausch
Standards setzen
Die einheitliche Telematik-Plattform rückt näher.
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