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ie französische Regierung hat- te im November 1995 eine Re- form der Sozialversicherung beschlossen, die 18. seit ihrer Gründung im Jahr 1945. Die Sozial- versicherung schreibt seit Jahren rote Zahlen. Im letzten Jahr verzeichnete sie ein Defizit von rund 64,5 Milliar- den Francs, wobei die Krankenversi- cherung ein Minus von 36,5 Milliarden Francs auswies. Mit der Reform sollte verhindert werden, daß das Defizit in diesem Jahr 17 Milliarden Francs übersteigt. Die Rechnungskommissi- on im Gesundheitsministeri-um schätzt jedoch inzwi- schen den Fehlbetrag für 1996 auf rund 56,5 Milliar- den Francs. Die Entwick- lung der Gesundheitskosten läßt sich offenbar nicht vom
„grünen Tisch“ aus beurtei- len. Bei den Berechnungen sind anscheinend weder die demographische Entwick- lung noch die hohe Arbeits- losenquote genügend be- rücksichtigt worden.
Mittlerweile wird den Ärzten ein Teil der Schuld an der Misere angelastet.
Sie verschreiben zu viele, zu teure Medikamente, setzen unnötige Laboruntersu- chungen an, haben kein Ko- stenbewußtsein, lauten eini- ge der Vorwürfe. Deshalb soll ihre Tätigkeit stärker kontrolliert werden. Zu- nächst erhielt das Parlament per Verfassungsänderung das Recht, Einnahmen und Ausgaben von Sozial- und
Krankenversicherung zu prüfen sowie jährlich die Höhe der Gesundheits- ausgaben anzupassen. Kritiker sehen darin einen ersten Schritt hin zur Ver- staatlichung des Gesundheitswesens.
Die Ärzteverbände haben be- reits zu Beginn des Jahres gegen eine Ausweitung der Kontrollmaßnahmen protestiert. Die in der Reform festge- legten Regelungen für die ärztliche Tätigkeit seien mit dem Prinzip der freien Berufsausübung unvereinbar.
Ein Teil der Ärzte hat sich deshalb nach Angaben der französischen
Nachrichtenagentur afp am 17. Okto- ber an einem landesweiten Streik be- teiligt, zu dem alle großen Gewerk- schaften aus Protest gegen die Spar- politik der Regierung aufgerufen hat- ten. In den öffentlichen Krankenhäu- sern waren nur Notdienste und die Betreuung von Stationspatienten ge- währleistet. Die Aktion wurde von zahlreichen ärztlichen Standesvertre- tungen unterstützt.
Die für das Jahr 1997 festge- schriebene Steigerungsrate der Ge- sundheitsausgaben von 1,3 Prozent kann nach Ansicht von Fachleuten nicht eingehalten werden. Nun soll bei den Ärzten der Rotstift angesetzt und die Honorierung bestimmter Leistun- gen gekürzt werden. Halten sich die Ärzte nicht an die vorgeschriebene Steigerungsrate, riskieren sie emp- findliche Strafen. Dasselbe gilt, wenn sie zu viele und zu teure Medikamente verschreiben. Die Arzneimittelabtei- lung im Gesundheitsministerium plant, eine Liste von Generika zu er- stellen, die statt teurer Medikamente verschrieben werden können. Der Anteil von Generika an allen verkauf- ten Medikamenten lag bislang bei fünf Prozent, wobei sie zwischen 30 und 50 Prozent billiger sind. Auch wird überlegt, den Apothe- kern zu erlauben, ärztlich verordnete teure Arzneimit- tel durch gleichwertige Ge- nerika zu ersetzen.
Zum Krach zwischen Ärzten und Regierung kam es, weil die Ärzte eine ein- malige Ergänzungsabgabe leisten sollen. Für Kas- senärzte mit einem durch- schnittlichen Monatsein- kommen von 12 000 Francs wird dieser Beitrag am En- de des Jahres zwischen 5 000 und 6 000 Francs lie- gen. Die Entrüstung der Ärzte ist verständlich: Nach der Statistik behandelt ein Arzt täglich sieben Patien- ten. Pro Patient erhält er ein Honorar von 110 Francs.
Nach Abzug aller Nebenko- sten bleiben ihm zwischen 6 000 und 10 000 Francs monatlich, das sind umge- rechnet rund 2 000 bis 3 300 DM. Joseph Hermann A-2854 (38) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 44, 1. November 1996
T H E M E N D E R Z E I T BLICK INS AUSLAND
Reform der Sozialversicherung
Frankreichs Ärzte rufen zum Streik auf
Die Pläne der französischen Regierung zur Reform der Sozialversicherung stoßen bei vielen Ärzten auf heftige Kritik. Damit verbunden sind neben einer stärkeren Kontrolle ärztlicher Berufsausübung auch Einschnitte in die Honorierung ärztli- cher Leistungen. Deshalb haben sich viele Ärzte am 17. Oktober dem Streikaufruf der Gewerkschaften gegen die Sparpolitik der Regierung Juppe´ angeschlossen.
Dem landesweiten Ausstand am 17. Oktober schlossen sich neben Angestellten des öffentlichen Dienstes auch viele Ärzte an. Grafik: afp/Le Monde
Landesweite Demonstrationen
Zahl der Demonstranten:
lweniger als 10 000