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Archiv "Brief aus Belgien: Nach bekanntem Muster: Ärzte-„Streik“" (17.01.1980)

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AUS EUROPA

Brief aus Belgien

Fünfzehn Jahre lang hat die Wir- kung des ersten großen Streiks von Ärzten in Europa, des belgi- schen Ärztestreiks von 1964, ange- halten. Jetzt läuft er in zweiter Auf- lage — zum Teil über die gleichen Themen und zum Teil auch mit den gleichen Protagonisten.

Seit dem 21. Dezember 1979 also ist wieder ein beachtlicher Teil der ärztlichen Praxen in Belgien ge- schlossen. Die „Conföderation des Chambres Syndicales des Mö- decins" unter dem Vorsitz von Dr.

Andre Wynen — Verband und Vor- sitzender waren auch 1964 schon die Hauptakteure — setzt sich ge- gen ein Regierungsprogramm zur Wehr, mit dem, zum Teil zu Lasten der Ärzte, im Jahr 1980 fünfzehn Milliarden belgische Francs einge- spart werden sollen. Das Muster des „Streiks" ist seit 1964 erprobt

— die Anführungsstriche um dieses Wort sollen besagen, daß zumin- dest der Versuch gemacht wird, die notwendige Patientenversor- gung nicht zu beeinträchtigen. Die Ärzteorganisationen haben dafür gesorgt, daß in den Krankenhäu- sern umfangreiche Bereitschafts- dienste zur Verfügung stehen, die die ambulante Versorgung zu ei- nem erheblichen Teil übernehmen können. Dieses System kann in Belgien deswegen einigermaßen funktionieren, weil ein erheblicher Teil der Krankenhausärzte in ei- nem freiberuflichen Verhältnis mit dem Krankenhaus verbunden ist:

die ambulant tätigen Ärzte können deshalb ihre Tätigkeit in gewissen Grenzen einfach verlagern; der

„Streik" ist also weitgehend eine Verlegung des Behandlungsortes aus der privaten Praxis in das Ge- bäude des Krankenhauses. Übri- gens lag der „Streik"-Beginn zu einer Zeit, wo solche Verlagerung ohnehin erforderlich war: zu Be-

ginn der Weihnachts- und Neu- jahrsfeiertage nämlich, für die ein ausgedehnter Bereitschaftsdienst ohnehin organisiert werden mußte.

Trotzdem bleibt es nicht bei Unbe- quemlichkeiten: Die staatliche Rettungsorganisation „900", be- nannt nach der in Belgien einheit- lichen Notrufnummer am Telefon, muß nach zehn Tagen beginnen, Anrufe nach Dringlichkeit zu sor- tieren, und den stationären Be- handlungsmöglichkeiten droht die Erschöpfung, weil den Ärzten in den Krankenhäusern geraten wor- den ist, Patienten in stationärer Behandlung erst bei vollständiger Heilung zu entlassen, weil ihre am- bulante Weiterbehandlung ja nicht sichergestellt ist.

Die Vorgeschichte der Auseinan- dersetzung ist ein allmähliches Aufschaukeln von gegenseitigen Widerständen zwischen Regie- rung und organisierter Ärzte- schaft, aus dem es schließlich kei- nen Ausweg mehr gab. Das Regie- rungsprogramm sah unter ande- rem vor, daß das 1964 ausgehan- delte, komplizierte, aber ausgewo- gene Vertragssystem in einer Wei- se verändert werden sollte, die die Verhandlungsposition der Ärz- te beachtlich schwächen würde.

Die fällige Honoraranpassung an die Geldwertentwicklung sollte schlicht und einfach wegfallen (in- zwischen ist sie, allerdings mit Einschränkungen, doch erfolgt).

Andere Sparmaßnahmen bestan- den in der Erhöhung oder Neuein- führung von Kostenbeteiligungen der Patienten — die Ärzte wenden sich dagegen, weil sie, trotz frühe- rer Zusicherungen, an den immer- hin sechs Monate währenden vor- bereitenden Verhandlungen mit Krankenkassen und Sozialpart-

nern überhaupt nicht beteiligt worden sind.

Überraschenderweise aber sind auch zwei Maßnahmen wieder im Regierungsprogramm aufge- taucht, die schon 1964 geplant wa- ren, dann aber in der Einigungs- verhandlung, wie man glaubte endgültig, in der Versenkung ver- schwunden waren. Das eine ist die Einführung eines „Gesundheits- buches", das jeder Versicherte be- sitzen und in das der behandelnde Arzt alle diagnostischen und the- rapeutischen Maßnahmen eintra- gen soll. Nach ärztlicher Auffas- sung ist ein solches Dokument mit den Prinzipien der ärztlichen Schweigepflicht unvereinbar. Das zweite ist die geplante Vorschrift, daß jeder Belgier bei einem Haus- arzt eingeschrieben sein und daß fachärztliche Behandlung nur noch auf allgemein- bzw. haus- ärztliche Überweisung erlaubt sein soll. Dies halten die Ärzte für nicht vereinbar mit dem Prinzip der freien Arztwahl.

Anfang Januar waren die Fronten rettungslos verhärtet — in den bel- gischen Zeitungen wurde bereits darüber gerätselt, welcher der Kontrahenten das Gesicht verlie- ren wird; daß einen dieses Schick- sal treffen muß, schien schon un- vermeidlich. Die Schuld an dieser verfahrenen Situation muß aller- dings wohl der Regierung angela- stet werden. Sie hatte zwar kurz vor Jahresende die Spitzen der Ärzteschaft, vor allem Dr. Andre Wynen (nebenbei Generalsekretär des Weltärztebundes, früher Präsi- dent des Ständigen Ausschusses der Ärzte in der EG, nach wie vor aktiver Chirurg und Besitzer eines Krankenhauses der Regelversor- gung für den Bereich von Water- loo — also nicht irgend jemand!) zu Verhandlungen eingeladen. Aber zu dieser Konferenz erschien we- der der Sozial- noch der Gesund- heitsminister, obwohl sie die Ein- ladenden waren — beide ließen sich durch ihre Kabinettschefs vertreten. Dies empfand Dr. Wy- nen als Brüskierung. Und selbst der nicht so kampfesfreudige und

Nach bekanntem Muster:

Ärzte-„Streik"

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 3 vom 17. Januar 1980 107

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Ärzte-„Streik" in Belgien

kampferprobte Vorsitzende des Allgemeinärzteverbandes schloß sich Dr. Wynen an, als der den Besprechungssaal unter Protest verließ.

Am Beginn der zweiten Januarwo- che, Redaktionsschluß dieses DA- Heftes, war noch keine Lösung in Sicht. Im Gegenteil: die Situation verschärfte sich — paradoxerweise insbesondere wegen des Honorar- erhöhungs-Erlasses, der die gel- tenden Vertragstarife entgegen der früheren Stop-Ankündigung nun doch um 5,2 Prozent anhob.

Eine Reihe von technischen Lei- stungen aber im Bereich der klini- schen Biologie, der Nuklearmedi- zin, der Radiologie und der Ortho- pädie wurden nicht erhöht, zum Teil sogar gekürzt — dies auch bei der Hämodialyse, der Onkologie und der Labormedizin. Die Kür- zungen betragen bis zu 25 Pro- zent. Dies nun hat die Kranken- hausträger aufgebracht: Die mei- sten belgischen Spitäler werden nämlich als Belegkrankenhäuser geführt, und ihre Finanzierung hängt weitgehend von den ärztli- chen Honoraren gerade für diese Art der Leistungen ab, die sie in einem Honorarpool vereinnah- men. Dr. Wynens Verband hat an- gekündigt, daß in zahlreichen Krankenhäusern deswegen Not- fall- und Intensivstationen ge- schlossen werden müssen und Personal entlassen werden muß.

Hinsichtlich des Ausgangs dieser Auseinandersetzung wagt noch niemand eine Prognose. Die Posi- tion der Ärzte steht und fällt natür- lich mit dem Ausmaß der Beteili- gung an den Kampfmaßnahmen;

hierbei ist ein Gefälle zwischen den flämischen und den walloni- schen Provinzen Belgiens festzu- stellen. Es scheint, daß die Regie- rung auf ein Auseinanderbrechen der Fronten spekuliert — dann al- lerdings hätte sie den sprach- raumübergreifenden Allgemein- ärzteverband nicht auch vor den Kopf stoßen dürfen. Immerhin hat der Sozialminister neue Verhand-

lungen angeboten. gn

NACHRICHTEN

Vorsorgeaufwendungen verfassungswidrig besteuert

Die derzeitige steuerliche Behand- lung der Vorsorgeaufwendungen der Selbständigen, insbesondere der Angehörigen der Freien Beru- fe, ist mit den Anforderungen des Gleichheitssatzes des Artikels 3 des Grundgesetzes nicht zu ver- einbaren und damit verfassungs- widrig. Zu diesem Ergebnis kommt der Kölner Staatsrechtler Professor Dr. Karl-Heinrich Friauf in einem Rechtsgutachten, das er im Auftrag des Bundesverbandes der Freien Berufe (BFB) erstattet hat. Danach ergeben sich keine sachgerechten Unterscheidungs- merkmale oder Gesichtspunkte, die eine unterschiedliche steuerli- che Behandlung der Vorsorgeauf- wendungen von Selbständigen im Vergleich zu Arbeitnehmern oder Beamten rechtfertigen. Somit sei das Gebot der Steuergerechtigkeit nach Maßgabe der Erfordernisse sozialer Gleichheit verletzt.

Der Gutachter kommt zu der Schlußfolgerung, der Gesetzgeber sei zu einer Korrektur des Verfas- sungsverstoßes verpflichtet, um eine Gleichstellung aller Gruppen der Erwerbstätigen herbeizufüh- ren. Sollte sich der Gesetzgeber nicht insgesamt für ein neues Sy- stem der Besteuerung von Vorsor- geaufwendungen entschließen, so müsse die Lösung zumindest dar- in bestehen, den Angehörigen der freien Berufe über den derzeitigen Sonderausgaben-Höchstbetrag hinaus Steuerfreiheit für einen fik- tiven Arbeitgeberbeitrag in voller Höhe des für Arbeitnehmer mögli- chen Betrages zuzubilligen. Au- ßerdem müsse die Bildung einer den Pensionsrückstellungen nach

§ 6a EStG entsprechenden steuer- freien Rücklage für die eigene Al- tersversorgung des Selbständigen zugelassen werden. Dabei kön- ne der Gesetzgeber gegen eine mißbräuchliche Ausnutzung der Rücklagemöglichkeit angemesse- ne Obergrenzen in Abhängigkeit von den jeweils steuerbaren Ein-

künften und vom Versorgungsbe- darf vorsehen.

Darüber hinaus aber müsse der Gesetzgeber im Steuerrecht auch dem besonderen Versorgungsbe- darf der Angehörigen der freien Berufe Rechnung tragen. Diese seien gezwungen, durch überpro- portionale Aufwendungen selbst der zu erwartenden Geldentwer- tung und der Entwicklung der Durchschnittseinkommen Rech- nung zu tragen. Allenfalls für sol- che Fälle, in denen Selbständige in ihrem Unternehmen durch stille Reserven eine steuerbegünstig- te Altersversorgung vornehmen, könne eine andere Lösung gefun- den werden.

Professor Friauf belegt die Folgen der unterschiedlichen Besteue- rung anhand der Auswirkungen ei- ner für einen Arbeitnehmer (mit Rentenversicherung und betriebli- cher Altersversorgung) und einen Selbständigen gleich hohen Ver- sorgung von 75 Prozent des letz- ten Einkommens mit 60prozenti- ger Witwenversorgung. Danach verbleiben nach der Steuergesetz- gebung 1979 (1980) von je 48 000 DM ein Nettoeinkommen nach Steuern und Vorsorgeaufwendun- gen von 34 200 DM (33 950) für den Arbeitnehmer und von nur 20 123 DM (19 873) für den Selb- ständigen. Als besonders bela- stend sieht der Kölner Rechtswis- senschaftler die Tatsache an, daß für die Selbständigen eine Mög- lichkeit der steuerbägünstigten Al- tersversorgung nach dem Gesetz über die betriebliche Altersversor- gung nicht zugelassen ist. asa/DÄ

Roth: Selbständigenpolitik ist Aufgabe der Linken

Einstimmig hat der Berliner SPD- Bundesparteitag einen Antrag für

„die freie und solidarische Selb- ständigenpolitik" verabschiedet.

In dem vom SPD-Parteivorstand erstmals zu diesem Bereich einge- brachten Leitantrag werden die Bedeutung der Selbständigen für

108 Heft 3 vom 17. Januar 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Referenzen

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