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Archiv "Lassen sich Gesundheitsgüter gerecht verteilen?" (12.06.1992)

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Lassen sich Gesundheitsgüter gerecht verteilen?

Wenn die Ressourcen im Ge- sundheitswesen knapp sind, muß überlegt werden, wie die knappen Gü- ter verteilt werden sollen. Das ist gera- de in diesen Tagen, wo wieder über Kostendämpfung debattiert wird, kei- ne akademische Frage. Und so war auch das wissenschaftliche Symposi- um „Verteilungsgerechtigkeit im Ge- sundheitswesen" (vom 7. bis 9. Mai 1992 in Hannover) keine vom Alltag abgehobene akademische Veranstal- tung, wenn auch Wissenschaftler aus den Bereichen Medizin, Ökonomie, Soziologie, Jurisprudenz und Philoso- phie die Tagung bestritten.

Ressourcenknappheit wurde hier am Beispiel der Transplantationsme- dizin erörtert. In der Tat, die Ressour- ce Nierentransplantat beispielsweise ist knapp, nach welchen Kriterien (In- dikationen) also soll sie „verteilt" wer- den? Doch das Schwergewicht der Wirtschaftswissenschaftler bei dieser Tagung und die aktuelle Situation führten in Hannover unwillkürlich zu einer Erweiterung der Fragestellung über die medizinische Indikation hin- aus. Wie werden bei knappen finan- ziellen Ressourcen die Mittel verteilt, wem kommen sie bei welcher Krank- heit zugute? Man wolle, so Prof. Dr.

Christoph Fuchs, Köln, bescheidene Handreichungen entwickeln, um in ethischen Konfliktsituationen ent- scheiden zu können. Fuchs selbst nannte solche Kriterien:

• bestmögliche Versorgung des Patienten

• gleiche Versorgung für alle

• Effizienz des Ressourcenein- satzes

• Beachtung des Solidarprin- zips

• Berücksichtigung des Ge- meinwohls

• Autonomie des Patienten

• Verantwortung und Mitver- antwortung des einzelnen.

Schnell erkennt man freilich, daß nicht alle Kriterien gleichzeitig und gleich gut angewandt werden können, ja, es sind „Situationen vor- stellbar, wo unterschiedliche Rechts-

güter wie Forschungsfreiheit und Menschenwürde, wo die Frage der Spitzenversorgung für wenige auf Kosten der Basisversorgung für viele, wo die Selbstbeteiligung des einzel- nen dem Solidarprinzip unvertretbar gegenüberstehen" (Fuchs).

Der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Klaus-Dieter Henke, Han- nover, machte auf die ökonomische Grundaussage aufmerksam, daß bei knappen Ressourcen Prioritäten be- gründet und neu gesetzt werden müßten. Er setzte sich, getreu den Prinzipien seines Faches, dafür ein,

„die begrenzten Mittel so lange um- zuschichten, bis sie den gleichen Grenzertrag haben", und emp- fahl Kosten-Nutzen-Analysen. Diese würden im Gesundheitswesen weit größere Bedeutung gewinnen als bis- her. Eine von ihm beispielhaft zitier- te britische „League Table der Ko- sten eines gewonnenen, zusätzlich qualitätskorrigierten Lebensjahres"

ließ seine ärztlichen Zuhörer aufhor- chen, denn danach rangiert, ökono- misch gesehen, der Rat des Hausarz- tes, das Rauchen einzustellen, um ein Vielfaches höher als beispiels- weise eine Herztransplantation oder die Hämodialyse im Krankenhaus.

Der Geschäftsführer des AOK-Bun- desverbandes, Dr. Franz-Josef Oldi- ges, ergänzte mit einem Hinweis aus der deutschen Praxis: Im Rahmen der Selbstverwaltung von Kassen und Kassenärzten finde ständig Ko- sten-Nutzen-Analyse statt. Ganz ak- tuell sei das Bestreben, technische Leistungen zugunsten des Hausarzt- prinzips abzubauen. Das verspreche einen hohen Gesundheitseffekt im Vergleich „zur High Tech-Medizin, die vielleicht jemanden zwei bis drei Jahre noch am Leben erhält". Oldi- ges zu Ehren muß freilich auch er- wähnt werden, daß er sich an ande- rer Stelle dafür einsetzte, auch teu- ren medizinischen Fortschritt jedem Patienten, der seiner wirklich bedarf, zugute kommen zu lassen.

Den Ärzten im Publikum war bei solchen Kosten-Nutzen-Erwä-

gungen sichtlich nicht wohl. Prof. Dr.

Rudolf Pichlmayr, Hannover, vertrat den typisch ärztlichen Standpunkt,

„der individuelle Gesichtspunkt muß genau so Gültigkeit haben wie die allgemeinen Kosten-Nutzen-Erwä- gungen". Pichlmayr behandelte denn auch das Ressourcen-Problem bei der Transplantation, insbesondere der Nierentransplantation, nur am Rande unter finanziellen Gesichts- punkten. Er sieht den Mangel an Spenderorganen als beschränkende Ressource. „Die Kosten einer Or- gantransplantation", so Pichlmayr ergänzend, „stellen glücklicherweise in unserem Lande derzeit keine di- rekte Begrenzung dar." Pichlmayr ließ allerdings durchblicken, daß es dennoch finanzielle Grenzen gebe, da die (an sich zwar hohen) Trans- plantationspauschalen „in aller Re- gel keineswegs optimal sind".

Indikationsregeln

Die in Hannover vertretenen Transplanteure erläuterten für die Nieren-, Leber- und Knochentrans- plantation eindrucksvoll, wie sich zu- nehmend Indikationsregeln heraus- bilden, die zu relativ gezielten Indi- kationen führen, und sie stellten dar, daß bei Beachtung solcher Indikati- onsregeln die Erfolgschance signifi- kant steigt. Indikationseingrenzun- gen sieht Pichlmayr bei Patienten mit schlechter Prognose. Einschrän- kungen moralischer Art, wie zum Beispiel bei Erkrankungen durch Selbstschädigung (solches wurde im Publikum vertreten), lehnte Pichl- mayr als unärztlich ab.

Transplantationen werden heute in Deutschland anstandslos bezahlt

— trotz der Forderung nach Bei- tragssatzstabilität. Das Thema be- grenzte finanzielle Ressourcen könnte sich freilich dann neu stellen, wenn sich die Transplantationszah- len erheblich erhöhen. Prof. Dr. Mi- chael Manns, Hannover, rechnete beispielsweise vor, daß „mit einer Bedarfszahl von 6-7000 Lebertrans- plantationen im Jahr in Deutschland gerechnet werden muß". Nur zum Vergleich: Derzeit gibt es etwa 450 Lebertransplantationen. Begrenzt wird das Volumen gerade bei den Dt. Ärztebl. 89, Heft 24, 12. Juni 1992 (25) A1-2181

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Lebertransplantationen heute noch durch die relativ geringe Zahl an Transplantaten, nicht durch die fi- nanziellen Ressourcen. NJ

Ökonomische Bewertung

Über Entscheidungen aus der Sicht des Ökonomen sprach Prof.

Dr. J.- Mattbias Graf von der Schu- lenburg vom Institut für Versiche- rungsbetriebslehre an der Universi- tät Hannover. Er räumte ein, daß die ökonomischen Bewertungen häufig kritisiert werden. Das liege daran, daß den Wirtschaftswissenschaftlern vorgeworfen werde, sie würden sich ausschließlich mit monetären Krite- rien beschäftigen. Diese müßten selbstverständlich, wenn es um das Leben von Menschen geht, in den Hintergrund treten. Doch da die zur Verfügung stehenden Mittel für das Gesundheitswesen nicht unbegrenzt seien, müsse der Ökonom Wirt- schaftlichkeitsprüfungen vorneh- men.

Der Wirtschaftswissenschaftler beginne zunächst mit einer Kosten- analyse. Folgende Kostenarten müß- ten dabei berücksichtigt werden:

..,.. Personalkosten

.... Ausgaben für Medikamente und Blutkonserven

.... Ausgaben für Verbrauchsma- terial

.... Ausgaben für Laboruntersu- chungen und Röntgenaufnahmen

.... Ausgaben für die Behandlung von Nebenwirkungen

.... Komplementäre Ausgaben, zum Beispiel Warte- und Wegzeiten.

Ebenso wie die Ausgaben könne auch der Nutzen in rein monetären Komponenten gemessen werden.

Der direkte Nutzen sei definiert durch den Wegfall bisher erforderli- cher Therapiemaßnahmen, was von der Schulenburg am Beispiel der Nierentransplantation erläuterte.

Als Kosten für die Heimdialyse eines Patienten seien 45 000 DM pro Jahr ermittelt worden. Eine Zentrumsdia- lyse koste 60 000 DM pro Jahr und eine Kliniksdialyse sogar 90 000 DM jährlich. Demgegenüber würden nur 40 000 DM für eine Nierentrans- plantation angegeben (an anderer Stelle wurden in Hannover aller-

dings auch Transplantationskosten von 150 000 DM und mehr genannt).

Für die Transplantation ergebe sich also ein Nutzen, "und das Entschei- dungsproblem ist so gut wie gelöst, wenn man von der Annahme aus- geht, daß die Ergebnisse der Nieren- transplantation mindestens so gut sind wie die der Dialyse". Als indi- rekter Nutzen sei die zusätzliche Ar- beitskraft des Patienten zu berück- sichtigen, die aus der Verkürzung der Krankheit und der Verlängerung des Lebens ermöglicht werde.

Bei der Kosten-Wirksamkeits- Analyse wird, so von der Schulen- burg, nicht berücksichtigt, daß die Qualität eines hinzugewonnenen Le- bensjahres durchaus unterschiedlich ist, denn der Sinn der modernen Me- dizin sei schließlich nicht die Le- bensverlängerung um jeden Preis.

Die Lebensqualität müsse deshalb ebenfalls verzeichnet werden.

Kriterium Lebensqualität

Über die Problematik des Be- griffs Lebensqualität referierte Dr.

Monika Bullinger vom Institut für Medizinische Psychologie der Uni- versität München. Die sogenannte gesundheitsbezogene Lebensqualität sei nicht direkt beobachtbar, son- dern ein psychologisches Konstrukt, das sich nach Definition seiner Be- standteile und deren Umsetzung in meßbare Komponenten erfassen las- se. "Die gesundheitsbezogene Le- bensqualität kann operational defi- niert werden als das Befinden und die Funktionsfähigkeit in psychi- scher, körperlicher und sozialer Hin- sicht, wie sie vom Patienten selbst, aber auch von externen Beobachtern beurteilt wird."

Bisher seien jedoch noch keine zuverlässigen Aussagen zu machen.

Es fehlten methodisch saubere pro- spektive Studien, in denen eine grö- ßere Gruppe von Patienten unter- sucht werde. "Damit ist auch eine Aussage über die Grenzen der Le- bensqualitätserfassung gemacht: Der im Rahmen der Verteilungsgerech- tigkeit immanente ethische Konflikt kann nicht durch Einführung des Konstrukts Lebensqualität bewältigt werden."

A1-2182 (26) Dt. Ärztebl. 89, Heft 24, 12. Juni 1992

Doch eine Lösung, wie eine grö- ßere Verteilungsgerechtigkeit herzu- stellen sei, hatten auch die Philoso- phen nicht anzubieten. Prof. Dr.

phil. Hartmut Kliemt (Universität Duisburg) spricht dem Arzt aller- dings jegliche Kompetenz zur Organ- vergabe ab. "Denn der Arzt besitzt zwar eine erhöhte Kompetenz zur Entscheidung von medizinischen Sachfragen, jedoch nicht eine über- legene moralische Wertungskompe- tenz." Das Vertrauensverhältnis zwi- schen Mediziner und Patient sei in hohem Maße dadurch gekennzeich- net, daß der Patient im Arzt einen Anwalt seiner eigenen Entscheidun- gen sieht. Zwinge man den Arzt nun in Konfliktentscheidungen, so werde dieses Vertrauensverhältnis entwe- der getäuscht oder unterlaufen.

"Aus alledem ergeben sich zwingend starke Gründe, im Bemühen um eine gerechte Allokation knapper Res- sourcen in der Transplantationsme- dizin primär nicht auf die personale Gerechtigkeit des Arztes, sondern auf die Gerechtigkeit bindender und allgemeiner Regeln abzustellen, die von Ärzten nur anzuwenden sind."

Kliemt schlägt vor, in Spender- organen nicht politisch verfügbares Gemeineigentum, sondern eher ein

"Clubgut" mit privatvertraglichen Zugangs- und vor allem Ausschluß- optionen zu sehen. "Die heutige Pra- xis, auch jene in den Genuß von Spenderorganen kommen zu lassen, die sich nicht selbst zur Organspende bereit erklärt haben, kommt einer Einladung zum Trittbrettfahren gleich und würde als unfair verwor- fen werden." Doch diese Vorschläge qes Philosophen wurden bei den Arzten als wenig praktikabel und vor allem ethisch fragwürdig abgelehnt.

An einem Umdenken kämen wir jedoch auf Dauer nicht vorbei, be- tonte Kliemt. Bisher hätte Gesund- heit immer als das höchste Gut ge- golten. Doch es sei gesellschaftlich nicht tragbar, Lebenserhaltung allen anderen Werten vorzuordnen, und

"keine Gesellschaft verhält sich de facto in dieser Weise". Kli

Das Symposium wurde veranstaltet von den Akade- mien für Ethik in der Medizin (Göttingen), der Wissen- schaften und der Literatur (Mainz) sowie der Deut- schen Stiftung Organtransplantation (Neu-lsenburg).

Die Vorträge und Diskussionsbeiträge, die weit über das hier Referierte hinausgehen, werden demnächst in einer Anthologie veröffentlicht.

Referenzen

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