DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
DAS INTERVIEW KURZBERICHTE
Häußler: Im Rahmen des Anstiegs
der Grundlohnsumme, wenn . . .
Frage: Wir stehen vor einer ent- scheidenden Sitzung der Konzer- tierten Aktion. Welche Vorschläge werden die Ärzte machen, um die Kostendämpfung im Gesundheits- wesen endlich voranzutreiben?
Häußler: Ich werde darauf drän- gen, daß wir der Bundesregierung einen gewissen Zeitraum lassen, um wirklich echte Strukturrefor- men — Zulassung zum Studium und Zulassung zum Kassenarzt;
aber dazu gehört weiter auch et- wa die Sanierung der Rentenver- sicherung — noch in dieser Legis- laturperiode fertig zu bringen.
Denn was bisher an Kostendämp- fung praktiziert wurde, war nur eine Dämpfung des Symptoms, nicht eine Beseitigung der Ursa- chen. Diese Ursachen müssen jetzt angegangen werden. Dafür werden wir, wie ich hoffe, auch die Zustimmung der anderen Heil- berufe gewinnen können. Wir sind weiterhin zu Opfern in unserem Honorarsektor bereit, wenn uns die Gewähr gegeben wird, daß dann wirklich eine kausale und nicht symptomatische Therapie eingeleitet wird.
Frage: Sie sind also auch bereit, über eine Nullrunde bei den Arzt- honoraren zu reden, die ja erneut in der Diskussion ist?
Häußler: Sie ist in der Diskussion, aber wohl nicht im den Sinne, daß überhaupt keine Aufbesserung erfolgt, sondern daß eine Anhe- bung der kassenärztlichen Hono- rare nur im Rahmen des Anstiegs der Grundlohnsumme bei gleich- bleibenden Beitragssätzen akzep- tiert wird. Darüber läßt sich reden,
wenn die von mir skizzierten Vor- aussetzungen erfüllt werden.
Aus einem Interview für den Deutsch- landfunk; die Fragen stellte Axel Brower- Rabinowitsch
Vilmar: Die bloße Kostenorientierung lähmt medizinischen Fortschritt
Die ausschließlich haushalts- und finanzpolitisch motivierte Kosten- dämpfungspolitik im Gesund- heitswesen und die einseitig quotenorientierte Begrenzung der einzelnen Ausgabenblöcke der gesetzlichen Krankenversi- cherung lähmen den medizini- schen Fortschritt und führen zum Kollaps des Versorgungssystems.
Das stellte Dr. Karsten Vilmar, der Präsident der Bundesärztekam- mer, bei einem vom Bundesar- beitsministerium in Bonn veran- stalteten Symposium über „Ord- nungspolitische Alternativen der Gesundheitspolitik" fest. Wenn die Gesundheitspolitik nicht schon bald in einer inhumanen und unsozialen Politik der ständi- gen Gängelung enden solle, soll- ten jetzt die überfälligen Kurs- änderungen im sozialen Bereich mit vereinten Kräften eingeleitet werden. Ein erster Fortschritt sei es, so Dr. Vilmar, daß sowohl die Bundesregierung als auch die Vertragspartner der Ärzte seit Jahresbeginn gemeinsame An- strengungen unternähmen, auch medizinische Orientierungsdaten zu erarbeiten.
Auch die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen habe in der Herbstrunde 1984 erklärt, mit mit- telfristigen Perspektiven und der Setzung von Prioritäten dafür zu sorgen, daß die medizinische Ent- wicklung, die sich am medizinisch Wünschbaren messen lassen müsse, mit dem finanziell Mach- baren besser in Einklang zu brin- gen ist. Vilmar appellierte an die zuständigen Bundesressorts, daß die schon weit gediehenen Arbei- ten der Experten des Wissen- schaftlichen Instituts der Orts- krankenkassen und des Zentralin- stituts der Kassenärzte bei der Entwicklung von „positiven Ge- sundheitszielen" für die gestalte-
rische Gesundheitspolitik nach- haltig zu unterstützen.
Unter diesen Voraussetzungen und der Notwendigkeit, das frei- heitliche Gesundheitssicherungs- system auch in Zukunft zu erhal- ten, müsse es allen Beteiligten des Gesundheitswesens (Lei- stungsträgern wie Versicherten) gelingen, eine Einigung über die- jenigen solidarisch finanzierten Leistungen zu erzielen, die zum Kernangebot einer gesetzlichen Krankenversicherung gehören müßten. Es sollte möglich sein, so Vilmar, abzugrenzen, was darüber hinaus noch versicherbar und in- dividuell gestaltbar sein könnte (auch über ein aufgelockertes An- gebot der Krankenkassen, etwa über Wahltarife und begrenzte Kostenerstattungsmöglichkeiten), und was jeder einzelne selbst zah- len müßte.
Bei Arzneimitteln könnte die pro- zentuale Direktbeteiligung an Stelle der relativ unmerklichen Rezeptblattgebühr von zwei Mark eine kostenbewußtere und pflegli- chere Inanspruchnahme seitens der Versicherten fördern. Beim Zahnersatz, bei Komfortleistun- gen im Krankenhaus, Heil- und Hilfsmitteln und Kuren seien so- zial tragbare und durch Höchst- beträge begrenzte Selbstbeteili- gungen erprobenswert, um eine wirksame Kosten- und Ausgaben- begrenzung zu erzielen.
Beispiele aus der Privatversiche- rung und der Sozialversicherung im benachbarten Ausland (Schweiz, Frankreich, Schweden) belegten, daß dies durchaus von den sozialversicherten Patienten akzeptiert werde, wenn damit die kollektiv finanzierten Beiträge entlastet würden. Versicherungs- fremde Leistungen sollten über- steuernd gedeckt oder refinan- ziert werden, nicht versicherungs- fähige Leistungen des täglichen
Lebens hingegen sollten aus dem Solidarschutz völlig ausgeklam- mert und die Eigenverantwortung des einzelnen zurückverlagert werden. HC Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 12 vom 20. März 1985 (23) 807