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Archiv "Schwangerschafts-Konfliktberatung bei der „Notlagen-Indikation“" (24.02.1977)

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Ratsuchender und Berater ge- schlossen werden, das nunmehr nach Zurücklassung aller vorder- gründigen Motivationen die best- mögliche Endlösung zu finden zum Ziele hat. Auf diesem Wege wird es der Betroffenen dann möglich, ihre wahren Motive, Ambivalenzen, Wün- sche und Interessenkollisionen mit sich selbst, mit dem Partner, mit der Familie, dem Beruf und der Gesell- schaft klarer zu sehen. Erst danach wird sie fähig sein, Handlungsalter- nativen zu entdecken und die ver- schiedenen Konfliktlösungsmög- lichkeiten ernsthaft gegeneinander abzuwägen.

Wie sehen nun solche Konfliktkon- stellationen aus?

Mögliche Konfliktsituationen

Schwangerschaftskonflikte sind gleich wie menschliche Konflikte so tausendfältig in ihren Konstella- tionsmöglichkeiten, daß ihre syste- matische und kasuistische Erfas- sung immer hinter der Wirklichkeit zurückbleiben muß. Die im folgen- den dargebotene Gliederung kann deshalb nur ein bescheidenes Ge- rüst sein, das von dem in der

Schwangerschaftskonfli ktberatu ng tätig werdenden Arzt und Psycholo- gen mit lebendiger Erfahrung gefüllt werden muß. Die in diesem Teil an- gebotenen Beratungsvorschläge im Sinne der flankierenden Maßnah- men schließen selbstverständlich die Alternativlösung damit nicht aus.

Die Schwangerschaftskonflikte kann man in vier Problembereiche aufteilen:

> persönliche Konflikte D partnerschaftliche Konflikte

> familiäre Konflikte 1> soziale Konflikte

Die folgende Übersicht für Konflikt- möglichkeiten ist ohne Anspruch auf Vollständigkeit, sie ist nicht als Indikationstabelle für Interruptionen gedacht, sondern gibt nur einige An- haltspu nkte.

A. Persönliche Probleme jugendlicher Schwangerer

O Jugendliche Schwangere mit psychophysischer Reifungsinterfe- renz und daraus resultierende Unfä- higkeit zur Übernahme der Mutter- rolle

O Unfähigkeit zur Übernahme der Mutterrolle und entsprechend Ver- antwortung durch Identitätskrisen der jugendlichen Schwangeren (männliche Daseinsthematik, Ho- mosexualität usw.)

0 Jugendliche Schwangere mit Angst vor Verstoß gegen überkom- mene Moral- und Wertvorstellungen (Angst vor Freunden, Eltern, Nach- barn: „diese Schande kann ich mei- nen Eltern nicht antun ... ") O Jugendliche Schwangere mit Angst vor Verhinderung oder Unter- brechung einer geplanten Berufs- ausbildung. Angst vor sozialem Ab- stieg (siehe dazu auch die Broschü- re des Bundesministeriums für Ju- gend, Familie und Gesundheit „Hil- fen für die Schwangere, die Mutter und das Kind" sowie: „Jede werden-

de Mutter hat ein Recht auf Hilfen"

von der Bundeszentrale für gesund- heitliche Aufklärung)

0 Häufiger Partnerwechsel Die besondere Situation der jugend- lichen Schwangeren erfordert einen kurzen Kommentar: Unter dieser Rubrik wären zunächst einmal ju- gendliche Schwangere anzuführen, deren Schwangerschaftskonflikt psychophysischer Natur ist.

Die biologische Akzeleration ist ein bekanntes Phänomen: Die Zahl der 13-, 14-15jährigen, die die rein bio- logische Voraussetzung für eine Konzeption besitzen, nimmt zu. Vom somatisch-medizinischen Stand- punkt her gesehen, bestehen keine gewichtigen Einwände gegen das Austragen einer Schwangerschaft.

Die psychische und geistige Reife jedoch befindet sich noch auf einer Stufe, die diese jungen Schwange- ren nicht befähigt, die Mutterrolle zu übernehmen, geschweige denn die dieser Rolle innewohnende Verant- wortung zu begreifen. Wille konnte schon vor einiger Zeit nachweisen, daß die Kinder von Müttern aus die-

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 8 vom 24. Februar 1977 517

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Schwangerschafts

-

Konfliktberatung bei der „Notlagen

-

Indikation"

ser Altersklasse eine erhöhte Säug- lingssterblichkeit aufweisen.

Beratungsvorschlag

a) Hat das zu erwartende Kind die Chance, von verständigen Eltern der jugendlichen Schwangeren aufge- nommen zu werden, so kann der Konflikt auf diesem Wege gelöst werden, wenngleich auch dann die Rolle dieser jungen Mutter nicht un- problematisch weiterverläuft, da sie ja dann in der Sozialisation ihres Kindes nicht die Mutterrolle spielt.

b) Wird die jugendliche Mutter von ihrer Familie abgelehnt oder davon- gejagt, zeigt selber aber eine positi- ve Einstellung zur Schwangerschaft, so kann die spätere Adoption des Kindes erwogen werden.

Die offerierten Vorschläge a) und b) können jedoch nur gelingen, wenn die jugendliche Schwangere aus einem sozial einigermaßen in- tegren Milieu stammt.

c) Entstammt die jugendliche Schwangere hingegen einem disso- zialen Milieu oder besteht sogar be- gründeter Verdacht auf erblich im- plizite psychische Deviationen (Kernneurosen — Psychopathie — De- bilität), so kann die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch u. U. die bessere Konfliktlösung sein.

B. Persönliche Probleme von Schwangeren aller Altersklassen

Die ledige, geschiedene oder verwit- wete Schwangere

C) Konflikt Kind — Beruf (wirtschaft- liche Existenz)

O Konflikt zwischen Liebe und Ver- nunft (Vater des Kindes verheiratet) O Einschränkung der Heiratsmög- lichkeit mit unehelichem Kind C) Konflikt mit bestehenden gesell- schaftlichen Moralvorstellungen

C) Bejahung von Partnerschaft und eigener Sexualität ohne Bereitschaft zur Mutterschaft aus egoistischen Gründen

Die verheiratete Frau

C) Überforderungssyndrom infolge Doppelbelastung durch Beruf und Familie

C) Versagenshaltung bei Krankhei- ten und psychovegetativen Störun- gen, die aber nicht die Anforderun- gen der medizinischen Indikation erfüllen

C) Identitäts- und Reifungskrisen C) Angst vor schwangerschaftsbe- dingten körperlichen und seelischen Veränderungen

C) Angst vor Mißbildungen C) Außereheliche Schwängerung

C. Partnerschaftliche Probleme C) zerrüttete Ehe (Entfremdung, Trunksucht, eheliche Untreue) C) Reifungskrisen („Mutter-Sohn"- - „Vater-Tochter"-Verhältnis — Pri- märe Frigidität — Homosexualität) daraus resultierend: Unfähigkeit zur Übernahme der Vater- oder Mutter- rolle; repressives Verhalten des Partners mit Forderung der Abtrei- bung; sehr hohes Alter des Kindes- vaters.

Ein größerer Altersunterschied zwi- schen den beiden Partnern muß in bestimmten Fällen nicht unbedingt als negative Konstellation bewertet werden. In der Beratung muß mit beiden Partnern die Gewißheit erar- beitet werden können, daß beide diesen Altersunterschied während der Zeitspanne, in der das Kind her- anwächst, durchhalten können.

D. Familiäre Probleme

C) Pathologische Familienstruktu- ren im Sinne von H. E. Richter: Die

angstneurotische Familie, die para- noide Familie, die hysterische Familie

C) Starke Inanspruchnahme durch körperlich oder geistig behinderte Kinder

O Enttäuschung über Mißerfolge in der Erziehung früherer Kinder. Ver- unsicherung oder Entfremdung in der Mutter-Kind-Beziehung durch ideologische Umwelteinflüsse O Angst vor Ablehnung von seiten der älteren Kinder bei Nachkömm- lingen

C) Schicksalhafte Ereignisse in der Familie, schwere Krankheit oder Tod des Ehepartners, Versorgung sie- cher Eltern

C) Zu rasche Aufeinanderfolge von Geburten

E. Soziale Probleme

O Wohnungsnot

C) Arbeitslosigkeit (nicht abge- schlossene Berufsausbildung) C) Großfamilie mit niederem Ein- kommen

G Verschuldung C) Kriminalität

II> Um jeden Irrtum zu vermeiden, sei noch einmal darauf hingewiesen, daß die vorstehende beispielhafte Übersicht keine Indikationsliste der sogenannten Notlagenindikation, sondern lediglich den Versuch einer Synopsis der einzelnen Konfliktbe- reiche darstellt. Ein Rezept, eine Handlungs- oder gar eine Entschei- dungsnorm für jeden Einzelfall zu liefern ist weder möglich noch im Sinne des Gesetzgebers.

Um die Mehrschichtigkeit und Schwierigkeit der Schwanger- schaftskonfliktberatung anzudeu- ten, seien noch einige Fallschilde- rungen angeführt.

518 Heft 8 vom 24. Februar

1977 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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steigert die Herzleistung und die Hirndurchblutung

ökonomisiert den gestörten zerebralen Stoffwechsel

erhöht die psychische und physische Leistungsfähigkeit

Klinische Objektivierung der Card-Hydergin®-Wirkung

In einer kontrollierten Studie wurden Wirkung und Verträglich- keit von Card-Hydergin an 75 Patienten mit zerebraler Auf- brauchkrankheit und Herzinsuffi- zienz geprüft. Unter der Therapie kam es zu einer eindeutigen und statistisch signifikanten Besse- rung sowohl der kardialen als auch der zerebralen Beschwerden.

Nach Liebhart, M.: Die Behandlung zere- braler Aufbraucherkrankungen mit Card- Hydergin 5 . Med. Welt 27 (1976),2341.

Schlafstörung Kopfschmerz Schwindel Ohrensausen Herzklopfen Kurzatmigkeit Nykturie verminderte Belastbarkeit Ödeme Einflußstauung

n=75 60 50 40 30 20 10 Ausprägungsquotient

vor Behandlung > nach Card-Hydergin

0 Zusammensetzung 1 teilbare Tablette enthält: 0.133 mg Acetyldigoxin (Sandolanid"), 0,333 mg Dihydroergocorninmethan- sulfonat. 0,333 mg Dihydroergocristin- methansulfonat, 0,333 mg Dihydroergo- kryptinmethansulfonat, (entsprechend 1 mg Hydergin").

EI Indikationen Zerebrovaskuläre Insuffi- zienz bei gleichzeitiger latenter oder manifester Herzinsuffizienz.

lir" Dosierung Der Glykosidanteil von Card- Hydergin ist so gewählt. daß bei Vorliegen einer manifesten Herzinsuffizienz eine Volldigitalisierung möglich ist.

Die mittlere Dosierung beträgt bis zur Kompensation: 3mal täglich 2 Tabletten;

Erhaltungsbehandlung: täglich 2-4 Tabletten, meistgebrauchte Dosis: 3mal täglich 1 Tablette.

In der Dauertherapie sollte der Patient regelmäßig überwacht und seine Erhal- tungsdosis dem Bedarf angepaßt werden, denn nur durch individuelle Dosierung läßt sich ein optimaler Behandlungseffekt erzielen.

Wegen einer erhöhten Glykosidempfindlich- keit ist bei Patienten mit chronischem Cor pulmonale, Koronarinsuffizienz, Elektrolytstörungen, Leber- oder Nieren- insuffizienz die Dosis zu reduzieren und dem klinischen Bild anzupassen.

Ih Nebenwirkungen Bei Patienten mit erhöhter Empfindlichkeit gegen Digitalis oder bei Überdosierung kann es zu Übelkeit und Erbrechen, Appetitlosigkeit und sehr selten — vornehmlich bei älteren Arterio- sklerotikern — zu Verwirrtheitszuständen, Aphasie und Wahrnehmungsstörungen (incl.

Chromatopsie) kommen.

Sehr selten treten allergische Reaktionen auf.

Am Herzen können bei Überdosierung Störungen von Herzfrequenz, Reizleitung und Rhythmus (Bigeminie) sowie EKG-Verände- rungen (Senkung der ST-Strecke, prätermi- nale T-Negativität) beobachtet werden.

El Kontraindikationen Ventrikuläre Tachy- kardie, totaler AV-Block und AV-Block 2. Grades, exzessive Sinusbradykardie (vor allem in Kombination mit Adams-Stokes- Anfällen).

Bei AV-Reizleitungsstörungen, schwerer Bradykardie, Hyperkalzämie und bei Kalium- mangelzuständen ist besondere Vorsicht geboten. Da Calcium die Empfindlichkeit gegen Herzglykoside erhöht, sollte es bei digitalisierten Patienten möglichst nicht intra- venös angewandt werden. Gegebenenfalls ist sehr langsam zu injizieren.

5 Hinweise Patienten, die mit herzglyko- sidhaltigen Präparaten wie Card-Hydergin be- handelt werden, sollten hohe orale Calcium- dosen nur mit Vorsicht erhalten. Gleiches gilt für hohe Dosen von Psychopharmaka (incl.

Lithiumpräparaten) und Sympathikomimetika (Herzrhythmusstörungen).

lig Handelsformen Originalpackungen zu 50 und 100 Tabletten DM 27,90 und 50,05, Anstaltspackung.

Alle Angaben nach dem Stand bei Drucklegung, November 1976.

SANDOZ

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Schwangerschafts-Konfliktberatung bei der „Notlagen-Indikation"

Fallbeispiele

Fall I

Eine 39jährige Frau vom Lande wird we- gen ihrer 18. Schwangerschaft vorstellig.

Sie wurde von ihrem Hausarzt mit dem Vermerk „medizinische Indikation?"

überwiesen. Die gynäkologische Unter- suchung ergab eine gesunde Schwan- gerschaft in der 9. Woche, ansonsten ein gesundes Genitale. Trotz 18 Schwanger- schaften hatte die Frau keine Krampf- adern an ihren Beinen und keine Anzei- chen eines Deszensus! Sie war über- haupt körperlich gesund und machte psychisch einen ruhigen und gefaßten Eindruck. Als wir uns nach der Untersu- chung unterhielten, zeigte sie mir stolz Bilder von ihren 14 Kindern. Drei der 17 vorausgegangenen Schwangerschaften waren durch eine spontane Fehlgeburt beendet worden. Es bestand nicht der geringste Zweifel daran, daß Frau X. ihre 14 Kinder nach bestem Können und nach besten Kräften versorgte und erzog, wo- von sie mit sichtbarer Freude erzählte.

Nach einer Weile sagte ich Ihr: „Wissen Sie, es fällt mir auf, daß Sie in den 15 Minuten, die wir jetzt hier miteinander sprechen, nie ihren Mann erwähnten, was ist mit dem?" Sie senkte den Kopf, ihr Gesichtsausdruck wurde ernst und traurig, und schließlich kamen die Trä- nen. Nun erfuhr ich, daß der Ehemann sich schon seit geraumer Zeit auf dem stattlichen Kindergeld zur Ruhe gesetzt hatte und trank. Das war also das Pro- blem: mit allen wirtschaftlichen und er- zieherischen Sorgen war sie allein gelas- sen. Und das negative Arbeitsvorbild des Vaters hatte entsprechende Abswirkun- gen auf den Sozialisationsprozeß einiger Kinder, was auch diese einfache Frau wahrnahm. Das war also der Grund, warum sie nicht mehr die seelische Spannkraft für eine 18. Schwangerschaft und ein 15. Kind aufbringen konnte, warum die Formel „wo 14 satt werden, da wird auch das 15. satt . " nicht aufging.

Fazit: Welches Kind ist dasjenige, das zuviel ist? das 3., das 7. oder das 11.

? Nicht in der vordergründigen, in die Augen springende Arithmetik liegt in den meisten Fällen von Schwanger- schaftskonflikten das psychosoziale Pro- blem. In der überwiegenden Zahl derarti- ger Fälle sind es Partnerschaftskonflikte, die mit einem Verlust an Geborgenheit für die schwangere Frau einhergehen.

Der Schwangerschaftskonflikt spielt sich im Falle 1 in der Partnerschaft ab.

Fall II

Eine 34jährige Frau erwartet ihr 2. Kind.

Während sie sich das erste Kind vor fünf Jahren gewünscht hatte, ist dieses Mal die Situation ganz anders. Sie berichtet von sich selber: „Tiefe Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit überfiel mich, als ich

feststellte, daß ich wieder schwanger war. Zuerst wollte ich in meiner ersten Verzweiflung ins Ausland fahren, um die Schwangerschaft dort abtreiben zu las- sen. Nach schweren und tränenreichen Auseinandersetzungen mit mir selber rang ich mich zu dem Entschluß durch, das Kind zur Welt zu bringen. Während ich in meiner ersten Schwangerschaft stolz war, Mutter zu werden, verkroch ich mich diesmal vor den Leuten, besonders von dem Zeitpunkt an, seitdem man mir ansah, daß ich schwanger war. Als mein Leib immer unförmiger wurde, packte mich ein unbändiger Haß auf das Wesen, das in mir wuchs. Ich wollte einfach nicht meinen Körper und auch mich selbst nicht wieder dazu hergeben, Geburtsma- schine zu sein. Ich fühlte mich furchtbar gedemütigt und haßte den Staat, der mich zwang, dieses Kind bekommen und großziehen zu müssen. Diesen Haß ver- spüre ich heute (nach acht Jahren) noch manchmal ..."

In aller Kürze: Frau X. war von Anfang ihrer geschlechtlichen Beziehung an or- gastisch impotent (primäre Anorgasmie) und ist es heute noch. Aber erst im 13.

Jahr ihrer Ehe trat so etwas wie ein Lei- densdruck in dieser Hinsicht bei ihr auf.

Der Ehemann ist im erweiterten Sinne auch frigide, denn er nimmt die sexuelle Frigidität seiner Frau gar nicht wahr, fand und findet seine Frau so völlig in Ordnung und trachtet in keiner Weise nach einer Änderung. Er lebt für sich isoliert sein eigenes Leben als gehobe- ner Beamter; die Belange und Sorgen seiner Frau nimmt er am Rande mit Höf- lichkeit zur Kenntnis. Sie leben beide mehr aneinander vorbei als miteinander.

Das eheliche Leben ist mit bürgerlichen Augen betrachtet intakt, und dennoch fehlt in dieser unauffälligen Famie eine echte tragende Partnerschaft und Nest- wärme, in die ein Kind hineingeboren werden sollte. Das Kind, gegen das sich Frau X. so leidenschaftlich gewehrt hatte, war ein Mädchen und wurde mit- tels Kaiserschnitt geboren. Es wurde nicht gestillt, lernte verspätet sitzen, ge- hen und sprechen, stottert zeitweilig und war bisher immer wieder von Enuresis geplagt, was ihm wiederum Strafen ein- brachte.

Fazit: Aktualisierung einer Identitätskri- se bei primärer sexueller Frigidität, die ursprünglich durch tiefgreifende Konflik- te zwischen dem Über-Ich und den Trieb- ansprüchen entstanden war. Die Schwangerschaft wurde als reine Pflicht- erfüllung erlebt.

Die Ursachen für den Schwanger- schaftskonflikt liegen im Falle II in der Persönlichkeitsstruktur. Die so- ziale Umwelt ist an der Genese des aktuellen Konfliktes unbeteiligt.

Fall III schildert das Ergebnis einer Schwangerschaftskonfliktberatung,

wie es von der Ratsuchenden selber protokolliert wurde:

Fall III

„Ich bekomme ein Kind . . Vor einer Woche war ich bei meinem Frauenarzt.

Er bestätigte mir, ich sei schwanger. Ich bin geschieden, habe aus dieser Ehe fünf Kinder und wurde von meinem Mann über Nacht verlassen. Ich habe eine ganze Zeit alleine gelebt und muß geste- hen, daß die fünf Kinder nicht aus Liebe und nicht mit Liebe gezeugt wurden, sondern eigentlich mehr aus Pflichterfül- lung oder weil man Kinder bekommen sollte, wenn man heiratet. Vor etwa 11/2 Jahren lernte ich einen Mann kennen, den ich über alles liebe, und mit dem ich mich bis auf Kleinigkeiten durchaus ver- stehe. Dieser Mann hat drei Kinder und ist verheiratet. Wir haben in dieser Zeit unseres Beisammenseins nicht nur schöne, sondern auch schwierige Zeiten erlebt. Wegen einer Gallenblasenopera- tion im letzten Sommer setzte ich mit der Pille aus und wurde schwanger. Ich hatte das Einnehmen irgendwie immer wieder auf den folgenden Monat verschoben.

Warum? Ich verschob auch den Arztbe- such, der nach Ausbleiben der Periode erfolgen sollte. Erst beim zweiten Aus- bleiben der Periode ging ich zum Frau- enarzt. Jetzt stehe ich vor einem großen Problem: Ich bin geschieden, habe fünf Kinder und bin wieder schwanger. Der Vater des Kindes ist verheiratet und hat selber drei Kinder. Was soll ich jetzt tun?

Ich hatte ein langes Gespräch mit mei- nem Arzt. Er meinte u. a., wenn man der Meinung ist, zusammenzugehören, sich zu lieben, den beiderseitigen Vorsatz hat, zu heiraten, sollte das Kind zur Welt kommen. Seelisch leidet eine Frau oft sehr darunter, wenn in einem solchen Falle die Schwangerschaft unterbrochen würde. Mich hat dieses Gespräch sehr beeindruckt. Ich habe lange darüber nachgedacht.

Für mich gibt es folgende Probleme:

Kann ich es überhaupt verantworten, daß dieser Mann sich von seinen drei Kindern trennt, die er über alles liebt. Gibt das nicht irgendwann Probleme für ihn?

Wird der Mann die Trennung von seinen Kindern auf die Dauer ertragen? Ich habe mit meinem Bekannten über diese Pro- bleme gesprochen. Grundsätzlich möchte er das Kind von uns beiden ha- ben, aber in seinem Lande dauert eine Scheidung etwas länger als bei uns, und so käme das Kind unehelich zur Welt. Da hat er Bedenken. Für mich ist das Ganze mit einer fürchterlichen Tragik verbun- den. Ich liebe diesen Mann über alles, erlebte eine Schwangerschaft das erste Mal in Liebe und bekäme ein Kind mit Liebe. Das darf aber nicht sein. Welche Ironie des Schicksals. Ich werde dieses Kind also nicht zur Welt bringen, weil die äußeren Umstände dagegen sprechen.

Ich bin 35 Jahre und scheinbar immer noch nicht erwachsen. Wie konnte ich

520 Heft 8 vom 24. Februar 1977 DEUTSCHES ARZTEBLATT

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annehmen, daß zwei Menschen mit so vielen Problemen neu anfangen können.

Fazit: Der Schwangerschaftskonflikt liegt im Falle III in erster Linie in den sozialen Umweltschwierigkeiten, in zweiter Linie auch in einer retardierten Reifung der Persönlichkeit der Schwangeren.

Fall IV

Eine 16jährige Primanerin wird schwan- ger. Ihr Geliebter, von dem sie das Kind empfangen hat, legte vor Jahresfrist seine Gesellenprüfung im gleichen Handwerk ab, in dem der Vater des Mäd- chens tätig ist. Die beiden lieben sich, und der Vater der Schwangeren brauchte nur den Freund seiner Tochter in sein Geschäft hineinzunehmen, dann wäre eine für das junge Paar beglücken- de Lösung des Problems zustande ge- kommen. Der Vater aber hatte ehrgeizige Pläne mit seiner Tochter: Sie sollte einen Akademiker heiraten. Ehe sich die Toch- ter versah, ließ ihr Vater sie mit Hilfe einer Hebamme ins Flugzeug verfrach- ten, um im Ausland eine Interruptio durchführen zu lassen. Dasselbe Drama spielte sich in einem Zeitraum von zwei Jahren zweimal ab.

Fazit: Die junge idealistische Schwange- re war beide Male gewillt, ihr Kind auszu- tragen, mit Schlägen und brutaler Gewalt wurde sie zum Schwangerschaftsab- bruch gezwungen. Die Genese des Schwangerschaftskonfliktes spielt sich in ihrer Umwelt, in der bürgerlichen Dop- pelmoral ab. Hier wird die Ohnmacht von Kind-Eltern-Beziehungen, aber auch die Ohnmacht von echten Gefühlen gegen- über der Doppelmoral repressiver Bür- gerlichkeit deutlich. Die Auswirkungen auf ihren Gemütszustand waren verhee- rend, sie wurde für einen langen Zeit- raum depressiv, und ihr Verhältnis zu ihren Eltern ist heute völlig zerbrochen.

Es ist müßig, noch zu erwähnen, daß die Schwangerschaft beide Male hätte aus- getragen werden können.

Fall V

Ein junger Ehemann (24 Jahre) kommt zur Beratungsstelle. Er befindet sich in großer Aufregung, denn er erlebt die be- ginnende Schwangerschaft seiner Frau mit großer Angst und Abwehr. Er hat sich einen umfangreichen Katalog von Kom- plikationsmöglichkeiten in der Schwan- gerschaft und unter der Geburt aufno- tiert. Seine Angst ist nicht gespielt, und er beteuert, daß er sich selbst aufgeben müsse, wenn seine Frau das Kind bekä- me. Man erkennt sehr bald, daß alle diese vorgeschobenen Befürchtungen Ratio- nalisierungsversuche einer viel tiefer sit- zenden Angst sind, nämlich in seiner Frau die Bezugsperson (Mutter) zu ver- lieren. Seine Angst vor diesem Objekt- verlust, seine Abwehr gegen die Über- nahme der Vaterrolle signalisieren eine tiefsitzende Reifungsstörung der Per-

sönlichkeit und führen zu einem ernst- haften Interessenkonflikt. Die Einstel- lung der Frau zu ihrer Schwangerschaft wird ambivalent, da sie weder das Kind noch ihren Mann (großen Jungen) verlie- ren möchte. Wird das Kind geboren, so wird mit Sicherheit aufgrund der ödipa- len Situation eine Rivalität zwischen dem unreifen Vater und dem Sprößling ent- stehen, die sich auf die Entwicklung und Sozialisation des Kindes sehr negativ auswirken kann. Die Frau hat dann zwei Kinder und keinen Mann, der ihr Gebor- genheit schenkt; sie wird mit allen anfal- lenden Problemen mehr oder weniger al- leine gelassen sein und in ihrer postpar- talen Partnerbeziehung regredieren.

Wird die Schwangerschaft abgebrochen, so erleidet sie sicherlich erheblichen seelischen Schaden.

Fazit: Die Konfliktquellen liegen in bei- den Persönlichkeiten und der daraus re- sultierenden partnerschaftlichen Bezie- hungs- und Verhaltensstörung. Die Um- welt ist an diesem Schwangerschafts- konflikt völlig unbeteiligt.

Fall V macht sehr deutlich, wie schwierig ein Schwangerschafts- konflikt strukturiert sein kann. Weit- hin überfordert ist hier die normale

Schwangerschaftskonfliktberatung.

Hier können nur psychiatrisch-psy- chotherapeutische Maßnahmen wei- terhelfen.

Tief verwurzelte neurotische oder psychopathische Störungen bei ei- nem oder beiden Partnern erfordern im Hinblick auf den prospektiven Le- bensanspruch des zu erwartenden Kindes zumindest, daß in der Beur- teilung von Schwangerschaftskon- flikten neben dem Konflikt „Leben gegen Leben" auch der Gesichts- punkt „Leben gegen Menschlichkeit des Lebens" ernstgenommen wer- den muß.

Zusammenfassung

Die allgemeine Struktur des Schwangerschaftskonfliktes läßt zwei Formen von Interessenkollisio- nen erkennen: einmal irreale Ängste der Frau, die aus einer unbewußten Ablehnung der Schwangerschaft oder einer ambivalenten Einstellung zu ihr resultieren, zum anderen die reale Furcht vor Mehrbelastungen;

gesundheitlichen Schäden oder so- zialen und ethisch-moralischen Schwierigkeiten.

Die hieraus sich formierenden Kon- flikte können bei der Schwangeren akute, panikartige Angstzustände auslösen, bei der die in den Vorder- grund manövrierten Motive oft nicht die wichtigsten Hinweise für die ei- gentliche Konfliktkonstellation dar- stellen. Vielmehr können in vielen Fällen nach einem behutsamen Auf- fangen der ersten Panik hinter dem intensiven Drang der Frau zur Inter- ruptio ambivalente Grundhaltungen zur Schwangerschaft aufgedeckt werden. Deren Aufarbeitung vermag den betreffenden Schwangeren oft Entscheidungshilfe zur Fortführung der Schwangerschaft zu liefern. — Daß trotz des so erreichten Bekennt- nisses zu diesem Kind dann die äu- ßeren, gesellschaftlichen Umstände derart erdrückend sein können und eine Realisierung des Kinderwun- sches dennoch nicht erlauben, zei- gen Fall III und IV.

Das Ziel der Konfliktberatung in der Schwangerschaft muß die Befähi- gung der Ratsuchenden zu einer konstruktiven Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten zu dieser Schwangerschaft, mit dem eigenen Verhalten zur Umwelt in dieser Si- tuation und umgekehrt mit dem Ver- halten der Umwelt zu ihr anstreben.

Konfliktberatung erschöpft sich nicht in Informationsvermittlung, sondern versucht mittels Reflexion von Erkenntnissen, Einsichten, Kon- frontationen und Projekten eine Ver- stehensarbeit am Selbst. Auf diesem Wege kann Verhalten, können Ein- stellungen verändert, und so etwas wie eine Selbstwertregulation er- reicht werden. Letztere verbessert für die Beratene die Chance für eine konfliktfreiere und weniger mit Schuldgefühlen besetzte Entschei- dung. Ebenso wie eine Schwangere im weiteren Verlaufe der Schwan- gerschaft begleitet wird, muß auch einer Frau nach einem Schwanger- schaftsabbruch das Recht auf eine begleitende Beratung nach einer In- terruptio zuerkannt werden.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Herwig Poettgen Facharzt für Frauenkrankheiten

— Psychotherapie — Ubierstraße 6, 5160 Düren

DEUTSCHES ARZTEBLATT

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