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DMP – Sieg der Bürokratie über ärztlichen Sachverstand

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Berufspolitik

Ärzteblatt Sachsen 12/2003 531

Noch ein Kreuz und noch eine Unterschrift, dann ist es geschafft: Ein weiterer Diabetiker hat sich im neuen Versorgungsprogramm ein- geschrieben. Nun, so hofft er, wird die Be- handlung per Gesetz besser, die langfristigen Folgen seiner Krankheit eher erkannt. Fehl- anzeige! Sein Einschreibebogen kommt, wie bei 80 Prozent der Anträge in Sachsen, an den Arzt zurück. Fehlerhaft ausgefüllt, lautet die Diagnose. Lag es am Arzt oder am Patienten?

Weder noch, denn in ganz Deutschland liegt die Fehlerquote für die Aufnahmeanträge

„Disease Management Programm Diabetes Typ 2“, kurz DMP, im Durchschnitt bei 85 Prozent. Also, der Fehler liegt im System.

DMP oder auch Chronikerprogramme sollen die flächendeckende medizinische Versorgung von chronisch Kranken auf einem einheitli- chen Niveau sichern, so der gute Ansatz. Doch das Bundesgesundheitsministerium hat durch ein Eilverfahren ohne Testphase eine Büro- kratie ins Rollen gebracht, welche auch die Reduzierung von medizinischen Leistungen zur Folge haben wird.

„Im Koordinierungsausschuss zur Erarbeitung der DMP-Verträge war bereits 2002 klar, dass es ohne eine Prüf- oder Testphase schief gehen würde, doch die Krankenkassen und die Politik haben die Einführung der Chroniker- programme gegen den ärztlichen Rat einge- führt. Das war mir zuviel, ich bin deshalb da- mals aus dem Koordinierungsausschuss aus- getreten“. Leicht resigniert betrachtet Prof.

Dr. Jan Schulze, selbst Diabetologe und zu- gleich Präsident der Sächsischen Landesärz- tekammer, den Scherbenhaufen: „Ärzte und Patienten laufen jetzt Sturm gegen die Pro- gramme. Keiner ist mehr bereit, sich an dem bürokratischen Wahnsinn weiter zu beteiligen, zumal sich die Versorgung für einen Diabe- tiker in Sachsen durch das Chronikerprogramm verschlechtert.“ Gerade das wurde von den Krankenkassen bisher immer vehement zu- rückgewiesen. Doch der Alltag sieht anders aus. Nach den vorher geltenden sächsischen Diabetes-Leitlinien konnten auch langfristige Folgen, zum Beispiel die Schädigung der Nie- re, durch frühe Mikroalbumin-Bestimmung er- kannt werden. Im neuen Chronikerprogramm fehlen solche Untersuchungen. Die erfolgrei- che Leitlinien-Vereinbarung wurde von den Krankenkassen (außer Techniker Krankenkas- se) Anfang 2003 gekündigt. Die Folgen für Patienten sind abzusehen.

Auch der Internist Dr. Stephan Mager kommt zu dem Schluss: „Eigentlich gibt es nichts, was am DMP gut ist.“ Er hatte sich am Chro- nikerprogramm beteiligt, „um die gute säch- sische kooperative Diabetikerbetreuung zu retten“. Aber die perfide Bürokratie macht je- den sinnvollen Ansatz zunichte. „Unplausible Fragestellungen führen zu Fehlern. Patienten müssen nach jeder Korrektur den Bogen noch einmal unterschreiben, auch wenn nur ein Kreuz vergessen wurde. Das versteht keiner!“

Andere nennen den Vorgang etwas milder arztfeindlich und patientenunfreundlich.

Viele Hausärzte werfen nun das Handtuch.

Der Sächsische Hausärzteverband, ursprüng- lich vehementer Verfechter der Chronikerpro- gramme, ist ebenfalls auf die Barrikaden ge- gangen. Wegen der Bürokratie fehlt die Zeit für die eigentliche Behandlung der Patienten.

Und die Ärzte sehen es nicht mehr ein, dass sie Unterschriften für die Krankenkassen ein- treiben.

Ganz anders die Krankenkassen selbst. Vor allem die Gesetzlichen Krankenkassen spre- chen immer noch vom Erfolg der Chroniker- programme. Warum? Eben weil sie für jeden eingeschriebenen Diabetiker in Sachsen Geld aus dem Risikostrukturausgleich (Ausgleich unter gesetzlichen Krankenkassen) erhalten.

Es geht um Millionen. Nun könnte man den- ken, die Gesetzlichen Krankenkassen sind um die Gesundheit ihrer Versicherten bemüht, doch gerade dieses Beispiel bezeugt das Ge- genteil. Den Unmut und Ärger der Patienten und Ärzte spüren die Mitarbeiter der Daten- erfassungsstelle für das Chronikerprogramm tagtäglich, denn die Betroffenen wenden sich mit ihrem Frust dahin, anstatt die Politik in die Pflicht zu nehmen.

Das Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung hat sich die Chronikerpro- gramme auf die Fahnen geschrieben, um in Wirklichkeit Kosten zu sparen, und nicht um allein die Gesundheitsversorgung von chro- nisch Kranken zu verbessern. Grundsätzlich ist jeder Arzt vom positiven Anliegen einer einheitlichen Versorgung chronisch Kranker in Deutschland überzeugt, doch muss dies auf dem aktuellen wissenschaftlichen Niveau erfolgen. Aber gerade an der Wissenschaft- lichkeit mangelt es den Programmen. An run- den Tischen, ohne fachliche ärztliche Kompe-

tenz, hat sich die Bürokratie den ungeprüften Wust an Formularen ausgedacht. Das Problem ist in Berlin bekannt, doch die Ursache sucht man nicht im eigenen Haus. Ein Schuldiger ist schnell gefunden: Das Bundesversiche- rungsaufsichtsamt (BVA), oder besser dessen Präsident, Herr Rainer Daubenbüchel. Dieser muss nach Prüfung die Chronikerprogramme freigeben, erst dann kann danach behandelt werden, erst dann fließt Geld aus dem Risiko- strukturausgleich. Das Bundesgesundheitsmi- nisterium hatte Herrn Daubenbüchel wegen der hohen Fehlerquote schon mal einbestellt, doch ohne Erfolg. Bisher sind nur in zwei Bundesländern Chronikerprogramme zuge- lassen. Warum nur so wenige nach fast einem Jahr, könnte man sich fragen. Die Antwort ist einfach: Das Bundesversicherungsaufsichts- amt hält sich ans Gesetz. Und das Gesetz steht offensichtlich im Widerspruch zum All- tag einer guten medizinischen Betreuung, zum Beispiel von Diabetikern in Sachsen bis zum Jahr 2002.

Doch wie geht es nun weiter? Hinter ver- schlossenen Türen wird impulsiv debattiert.

Auch das Sächsische Sozialministerium hat sich mittlerweile in die Diskussion einge- bracht. Bisher ohne Erfolg. Von Erleichterun- gen beim Ausfüllen der Bögen ist die Rede, von Fristverlängerungen für Korrekturen. Die Ärzte wollen ihrem Unmut mit einem Form- brief gegenüber der Politik Luft machen.

Doch erst einmal kann man ja mit dem Ausfüllen der Bögen so lange warten, bis die Krankenkassen eine Lösung zum Abbau der Bürokratie vorschlagen. Denn diese sind am Zug. Ohne Bögen kein Geld. Für Patienten hätte das erst einmal keine gravierenden Fol- gen, denn schreiben sie sich nicht in das Chro- nikerprogramm ein, werden sie behandelt wie eh und je.

Und die medizinischen Inhalten der Chroniker- programme können bis dahin dem tatsächli- chen medizinischen Standard angepasst wer- den. In sogenannten Anpassungsregelungen wäre dies ab 2004 möglich. Dann hätte der Feldversuch am lebenden Objekt ja doch einen Sinn gehabt. Mal abgesehen von dem Porzel- lan, das zerschlagen wurde, und der einge- büßten Akzeptanz der Chronikerprogramme bei Patienten und Ärzten.

DMP – Sieg der Bürokratie

über ärztlichen Sachverstand

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