tionalstaaten zu überlassen. Was zu- nächst positiv nach „Liberalismus statt Zentralismus“ klingt, hat nur einen ein- zigen Zweck: den Nationalstaaten die Möglichkeit zu eröffnen, das EuGH-Ur- teil zu umgehen. Nach vorne von Ge- sundheitsschutz, Innovation und besse- ren Arbeitsbedingungen reden, im Hin- tergrund Druck auf die EU-Kommission
ausüben, die Arbeitszeitrichtlinie 93/104 aufzuweichen – das ist hinterhältig.
Die zuständige EU-Kommissarin Anna Diamantopoulou hat bereits an- gekündigt, dem Richterspruch auch weiterhin nicht folgen zu wollen, son- dern die maßgebliche EU-Arbeitszeit- richtlinie 93/104 zu ändern: Die Mit- gliedsstaaten sollen demnächst selbst entscheiden können, ob sie Bereit- schaftsdienste als Arbeitszeit werten.
Das Gerichtsurteil habe große Proble- me ausgelöst. Wenn es akzeptiert wür- de, würden allein in Deutschland zu- sätzlich 15 000 neue Ärzte benötigt, meint die für Arbeit und Soziales zu- ständige Kommissarin. Das Urteil dro- he somit, die Gesundheitssicherungssy- steme der Mitgliedsstaaten zu unter- graben. Daneben sei die Umsetzung zu teuer.
Aber stellt das SIMAP-Urteil die EU-Mitgliedsstaaten wirklich vor große Probleme? Sind es nicht vielmehr ein- zelne Regierungen und die EU-Kom- mission, die unwillig scheinen, neue Ideen zu entwickeln und neue Prioritä- ten zu setzen?
In Deutschland wurden jahrelang Arbeitszeiten von 24 bis 36 Stunden
„am Stück“ von der Bundesregierung und den Aufsichtsbehörden bagatelli- siert oder ignoriert. Erst nach dem Jä- ger-Urteil wurde unter Zwang und mit einer mysteriösen zweijährigen Über- gangsfrist für Tarifverträge reagiert – in der Hoffnung, dass in zwei Jahren die zugrunde liegende europäische Arbeits- zeitrichtlinie geändert sein wird. Die EU-Kommission hat auf eine 2001 ein- gereichte Klage bis heute nicht mehr als die Vergabe eines Aktenzeichens zu-
stande gebracht, kritische Anfragen werden nichtssagend beantwortet. Den gleichen Stil pflegen das Bundesmini- sterium für Wirtschaft und Arbeit sowie das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung. Bundestagsab- geordnete zeigen sich desinteressiert oder überfordert. Der Ausschuss für Gesundheit des Bundestages fühlt sich nicht zuständig. Der Petitionsausschuss schafft es nicht, mehr als Eingangsbe- stätigungen zu verschicken. Zuständig oder gar verantwortlich sind immer an- dere.
Recht nach Kassenlage, der Rechts- staat als Einbahnstraße. Ein Staat, der peinlich genau die Einhaltung von Bau- ordnungen, Vorschriften und Gesetzen verlangt, fühlt sich selbst daran nicht ge- bunden – eine beunruhigende Entwick- lung. Hans-Peter Doepner P O L I T I K
Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 713. Februar 2004 AA389
Das „Ingolstädter Modell“
Kürzer arbeiten, weniger verdienen
In Zeiten des Ärztemangels liegt die Vermu- tung nahe, dass jene Krankenhäuser, die den Ärzten bereits jetzt humane Arbeitszeiten bie- ten, keine Probleme haben, ihre ärztlichen Stel- len adäquat zu besetzen. Weit gefehlt: Er habe im Gegenteil das Problem, dass sich die Ärzte teilweise andere Arbeitgeber suchten, sagte Heribert Fastenmeier, Geschäftsleiter des Kran- kenhauszweckverbandes Ingolstadt, am 19.
Januar beim Euroforum-Krankenhaus-Kon- gress in München.
Das oft lobend erwähnte „Ingolstädter Mo- dell“ basiert auf der Idee, die täglichen Regel- arbeitszeiten der Ärzte zu verlängern, um die nächtlichen Bereitschaftsdienste verkürzen zu können. Damit einher geht eine Verlänge- rung der Service- und Betriebszeiten auf den
Stationen (jetzt: werk- tags von 7 Uhr bis 18 Uhr). Dies sei auch aus wirtschaftlichen Grün- den notwendig, betont
Fastenmeier: Um die unter DRG-Bedingungen notwendigen Verweildauerkürzungen erzie- len zu können, müsse die Arbeitszeit am Pati- enten verlängert werden. Der Bereitschafts- dienst dauert von 22 Uhr bis 7 Uhr und zählt in vollem Umfang zur Arbeitszeit. Um die ärztliche Arbeitskraft nicht in den weniger arbeitsintensiven Nächten zu „vergeuden“, gibt es in Ingolstadt fächerübergreifende Be- reitschaftsdienste, sodass nachts weniger Ärzte im Krankenhaus sind als früher. So ist beispielsweise ein Arzt allein für die orthopä- dische und die unfallchirurgische Abteilung zuständig. Dies sei haftungsrechtlich durch- aus nicht ungefährlich, räumt der Geschäfts- leiter ein. Obwohl die Bereitschaftsdienste voll auf die Arbeitszeit angerechnet werden, ist die Vergütung deutlich geringer als zur Re- gelarbeitszeit.
Da der einzelne Arzt im „Ingolstädter Mo- dell“ wesentlich weniger und zudem kürzere Bereitschaftsdienste ableistet als in anderen Krankenhäusern, verdient er auch erheblich weniger. Ärzte, die früher 12 000 bis 14 000 Euro brutto im Jahr mit ihren Diensten ver- dient hätten, kämen jetzt auf etwa 6 000 bis 8 000 Euro, rechnet Fastenmeier vor. Mit den so eingesparten Finanzmitteln könne man die zusätzlichen Ärzte bezahlen, die notwen- dig sind, um das Modell umzusetzen. Aller- dings sind nicht alle Ärzte bereit, diese Ge- haltseinbußen hinzunehmen. Sie suchen sich einen anderen Arbeitgeber. Fastenmeier hofft, die Abgänge langfristig mit Ärztinnen und Ärzten kompensieren zu können, denen humane Arbeitsbedingungen und mehr Frei- zeit wichtiger sind als der höhere Verdienst.
Jens Flintrop Unveränderte Dienst-
pläne: Nur in wenigen Krankenhäusern wur- den die Arbeitszeiten an die Vorgaben aus Luxemburg angepasst.
Foto:Peter Wirtz