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Archiv "Die ersten tausend Patienten in Andende (Lambarene)" (14.06.1990)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT DIZINCESCHICHTE

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U

ber die nach der An- kunft Albert Schweit- zers in Lambarene im April 1913 auf ihn zukom- menden Schwierigkeiten und Hindernisse ist vielfach be- richtet worden. Vieles hat er sich trotz einer Ausbildung in Tropenmedizin in Paris

„nicht so schlimm vorge- stellt".

Erstaunt war er über die Häufigkeit von Lungenent- zündung und von Herzkrank- heiten. Er hat diese Leiden natürlich von Europa her ge- kannt, nicht aber die doch viel größere Bösartigkeit in den Tropen. Auch den Lei- stenbruch hat er in Straßburg bei dem Chirurgen Madelung kennengelernt.

Großer Zulauf von Patienten mit Hernien Neu aber war für ihn die riesige Anzahl und deren Grundlage, eine allgemeine Bindegewebsschwäche (die übrigens bis heute ursächlich ungeklärt ist). Sind es rassi- sche Gegebenheiten, Beson- derheiten des Klimas oder der Ernährung? Unter dem großen Zulauf von Hernien- (Bruch)Trägern fanden sich gar oft schmerzgequälte Pa- tienten, häufig von weither auf Urwaldpfaden oder im Einbaum auf dem Fluß kom- mend, deren Bruch einge- klemmt, „inkarzeriert", war.

So war Schweitzer schon un- verzüglich nach seiner An- kunft zu chirurgischer Arbeit gezwungen.

Ich möchte aber hier nur von ambulanten Kranken, das heißt solchen erzählen, die zur Sprechstunde bei dem neuen Arzt erschienen sind.

Ich bewundere daran zweier- lei: zum einen, daß er schon sieben Wochen nach der An- kunft mit seinen 70 Kisten in Lambarene mit der Führung eines Krankenjournals begin- nen konnte. Zum zweiten fin- de ich bestaunenswert, mit welcher Sorgfalt er zum Na- men das Alter und die Her- kunft des Kranken notiert hat. Viele von uns wissen, wie vertrackt diese exotischen

Namen für einen Neuling klingen und wie selten die dortigen Urwäldler ihr eige- nes Alter kennen. Es ist ihnen auch gar nicht wichtig.

Die Führung von Kran- kenjournalen hat er bei sei- nen vielen anderweitigen Vorbereitungen zu Hause schon vorbedacht und dafür Stöße von rückseitig unbe- druckten Papieren, Werbe- schriften, Formblättern, Fa- milienanzeigen (darunter sei- ne eigene Hochzeitsnachricht vom Juni 1912), ja sogar seine offenbar in großer Anzahl ge- druckte Promotionsurkunde nach Afrika mitgebracht.

Wenn es einmal besonders ei- lig zuging, dann hat er sogar mitten zwischen die gedruck- ten Zeilen seine ärztlichen Notizen eingetragen. Es gibt Seiten, auf denen man zwi- schen den lateinischen Tex- ten und dem Namen des Kai- sers Wilhelm und des Rektors Madelung Schweitzers Be- funde, Diagnose und Thera- pie finden kann.

Die Aufzeichnungen be- ginnen mit einem Samstag, dem 7. Juni. Bis dahin waren beide, seine Frau und er, mit den allerdringendsten An- fangsarbeiten, Öffnung und Auspacken der Kisten, Ein- ordnung der Medikamente und Instrumente von früh bis zur Nacht vollauf in An- spruch genommen.

Unter den Arzneimitteln will ich nur jene erwähnen, die auch jetzt noch in Ver- wendung oder wenigstens be- kannt sind, so zum Bei- spiel Novocain, Theobromin, Adrenalin, Chloralhydrat, Morphin. Es gibt ein Heft, in das Albert Schweitzer mehr denn 20 Seiten aufgezeichnet hat, was er 1913 nach Afrika mitnehmen wollte. Da findet sich zum Beispiel Aspirin Bayer, gleich daneben notiert

Albert Schweitzer 1913/14 er aber Azetyl-Salicylsäure 0,5 g. Also hat den Doktor schon damals beschäftigt, was heute in jeder Tageszeitung breitgetreten wird, nämlich die vergleichsweise Verwen- dung eines pharmazeutischen Präparates und dessen meist billigere rein chemische Sub- stanz. Im ganzen umfaßt sei- ne Liste etwa 100 verschiede- ne Tabletten, Pillen, Lösun- gen, Pulver, Salben, Narkose- und Beruhigungsmittel. Ge- gen den überaus häufigen Durchfall, besonders bei Kin- dern, hat Schweitzer das Wis- muth verwendet, teils das Subnitrat, teils als Subgallat.

Betrachten wir nun die Diagnosen im Journal von 1913, so liest man besonders häufig die Angabe: „Mal ä la poitrine" („Brustschmerz").

Das war, wie mir scheint, eine Sammelbezeichnung, und zwar gewiß überwiegend die eigene Angabe der ankom- menden Patienten. Der Arzt unterschied recht genau zwi- schen Erkrankungen der obe- ren Luftwege und einer Lun- genentzündung oder der Be- teiligung des Rippenfells. Ge-

nau wie auch heute viele Eu- ropäer war Schweitzer an- fangs sehr erstaunt, daß gera- de in heißen Regionen die so- genannten Erkältungen sehr oft vorkommen. Er sah aber als Arzt recht deutlich, daß es sich — genau wie bei uns — überwiegend um keimbeding- te Ansteckungen und nicht um echte Kältewirkungen handelt.

Die Tuberkulose an Lun- ge, Rippenfell, an Knochen und anderen Organen findet man oft in den Aufzeichnun- gen. Diese Krankheit ist (im Gegensatz zu Europa) in son- nenheißen Gegenden heute noch so häufig und gefährlich wie vor 75 Jahren.

Unterlassen will ich, ge- naue Zahlenangaben über die Kranken des Jahres 1913 zu machen. Ich möchte auch ver- meiden, Listen aufzustellen.

Erst recht falsch wäre es, Pro- zentzahlen zu nennen, denn die meisten Kranken haben mehrere Leiden gleichzeitig zum Anlaß genommen, den Arzt in Lambarene aufzusu- chen. Geschwüre hatten fast alle, Würmer ebensooft, durch die sie blutarm gewor- den waren. Kam dann ein Malariaanfall hinzu, so war es Zeit, sich zum Doktorhaus in Andende auf den Weg zu ma- chen.

Geschlechtskrankheiten am häufigsten genannt Überschauen wir die er- sten tausend der damaligen Eintragungen, so sind die Ge- schlechtskrankheiten Syphilis und Gonorrhoe in vielerlei Formen und Folgeerschei- nungen als Diagnose im Jour- nal am häufigsten genannt.

Es bedrückte Schweitzer sehr, daß zum einen die mei- sten Patienten schon jahre- lang von diesen Leiden ge- plagt waren und zum anderen ein sicher und rasch wirksa- mes Heilmittel nicht vorhan- den war. Arsen gegen die Lues war damals überall ge- bräuchlich, auch in Lambare- ne, gegen den Tripper Jod in verschiedener Verbindung.

Keine dieser Behandlungen

Die ersten tausend Patienten in Andende (Lambarene)

Albert Schweitzers Krankenjournale von 1913/1914

Hermann Mai

Dt. Ärztebl. 87, Heft 24, 14. Juni 1990 (39) A-1959

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HMG-CoA- Reduktase Hemmung

hat befriedigende Ergebnisse erzielt. Das heute schnell und anhaltend heilende Penizillin befindet sich bekanntlich erst seit 1945 in unserem Arznei- schatz. Nur im Roman von Karl Rolf Seufert wird es von Albert Schweitzer schon 30 Jahre vor der Entdeckung verwendet!

Überaus häufig finden wir im Journal die Angabe „Maux de tete" (Kopfweh). Darüber klagten nicht selten Asthma- tiker, öfter die Träger von Brüchen, auch Kranke mit Hirnhautentzündung, und die Lungenkranken geben Kopf- schmerzen als Hauptbe- schwerden an. Weit an der Spitze dieser Patienten ste- hen die an Malaria Erkrank- ten, kaum weniger oft solche, die derart häufig in Schweit- zers Konsultation erschienen, daß er nur noch die Abkür- zung M. 4. S. einträgt. Nur dem ersten dieser Schwer- kranken ordnet er die volle Bezeichnung „Maladie du Sommeil" (Schlafkrankheit) zu. Sogar ein vierjähriges Kind war daran erkrankt. Die große Zahl von Schlafkran- ken hat zusammen mit den durch Beriberi Gelähmten bald zu einer Überfüllung sei- nes frühen Spitals geführt.

Malaria mit Chinin erfolgreich behandelt Schweitzers an die franzö- sische Kolonialregierung ge- richtete Bitte um Hilfe wurde erfüllt, und zwar durch den Bau einer Baracke am gegen- überliegenden Ufer des Ogo- we. Diese war in gewisser Weise ein Vorläufer des heu- tigen Regierungsspitals auf der Insel. Die andere Geißel jener Jahre, die Malaria, hat Schweitzer erfolgreich behan- deln können mit Chinin, von dem er einen reichlichen Vorrat mitgebracht hatte.

Was lehrt uns das Kran- kenjournal von 1913 noch?

Überraschend finde ich die große Zahl von Augenkran- ken, Blinden, vom sogenann- ten grauen und vom grünen Star (Glaukom) betroffenen Patienten. Er notiert viele an

Blenorrhoe Erkrankte, be- sonders auch Neugeborene.

Lange Operationen bei Elephantiasen Auch Ohrenkranke er- wähnt das Journal nicht sel- ten, doch sind deren Leiden weniger bedrohlich als die tropischen Augenkrank- heiten. Besondere Bedeutung

— das lehren schon die Eintra- gungen der ersten Zeit — hat- te die Lepra. Diese Kranken kamen in großer Zahl zum Doktor, die meisten schon lange leidend, ungepflegt, verstümmelt, hilfsbedürftig.

Bis zum Bau des Lepradorfes hat es noch 40 Jahre gedau- ert. Markanter noch hat sich die Therapie geändert. Da- mals war das Chaulmoogra- 01 das einzig bekannte Medi- kament, schmerzhaft und wir- kungslos dazu. Heute ist bei richtigem Vorgehen, das heißt frühzeitigem Beginn und hinreichender Geduld, echte Heilung möglich.

Doch zurück zum Journal von 1913! Keine Überra- schung ist Elephantiasis in den täglichen Eintragungen.

Wir kennen diese schlimmen Erlebnisse Schweitzers aus seinen späteren Schilderun- gen über die sehr schwierigen und zeitraubenden (sechs Stunden!) Operationen, für die er vermutlich in Straßburg keine Ausbildung oder auch nur Vorkenntnis erwerben hat können. Auch über Kno- chenmarkseiterungen (Osteo- myelitis) finden sich Angaben im Journal, jenes sehr gefähr- liche, oft tödliche Ereignis.

Erwähnt werden als Besucher der Sprechstunden vielfach Anfallskranke, teilweise Ge- lähmte, Patienten mit fri- schem oder länger zurücklie- gendem Schlaganfall und an- deren Gehirnschäden.

In diesem Zusammenhang muß auch Schweitzers Ent- setzen Erwähnung finden über den Alkoholkonsum.

Die ersten Erfahrungen hat er bekanntlich schon bei dem Kapitän des Ogowedampfers Alembe auf der allerersten Anfahrt nach Lambarene ge-

Denan: Zusammensetzung: 1 Filmtablette Denan enthält 10 mg Simvastatin bzw. 20 mg Simvastatin.

Anwendungsgebiete: Zur Senkung erhöhten Cho- lesterins bei Patienten mit primärer Hypercholesterinä- mie bei ungenügender Wirkung von Diät und anderen nicht pharmakologischen Maßnahmen. Gegen- anzeigen: Überempfindlichkeit gegenüber einem Be- standteil dieses Arzneimittels. Aktive Lebererkrankun- gen, Cholestase oder persistierende Erhöhung der Se- rum-Transaminasen unklarer Genese. Myopathie, Schwangerschaft und Stillzeit. Hinweis: Mangels aus- reichender Erfahrungen wird die Anwendung bei Kin- dern nicht empfohlen. Nebenwirkungen: Gele- gentlich kann es nach Denan zu Nebenwirkungen kommen, die in der Regel leicht und vorübergehend sind. Die am häufigsten beobachteten Nebenwirkun- gen sind: Bauchschmerzen, Verstopfung, Blähungen und Übelkeit. Weniger häufig wurden beobachtet: Mü- digkeit, Sodbrennen, Verdauungsstörungen, Kopf- schmerzen, Schlaflosigkeit, Durchfall, Hautausschlag, selten Myopathie. Vorsicht ist geboten bei Leberfunk- tionsstörungen, bedingt durch Alkoholgenuß oder frü- here Lebererkrankungen. In seltenen Einzelfällen wurde ein vorübergehender Blutdruckabfall beobachtet, ein ursächlicher Zusammenhang mit einer Behandlung mit Denan ist nicht gesichert. Geringgradige, in der Regel vorübergehende Erhöhungen der Transaminasen sind möglich. Selten wurde eine deutliche (über das Dreifa- che der Norm) und länger anhaltende Erhöhung dieser Parameter beobachtet. Es wird empfohlen die Transa- minasen vor Therapiebeginn, während des ersten Be- handlungsjahres alle 4-6 Wochen, danach in geeigne- ten Intervallen zu bestimmen. Vorübergehende, leichte Erhöhungen des skelettmuskulären Anteils der CK sind möglich. Über Myopathien mit diffusen Muskelschmer- zen und -schwäche und CK-Anstieg bis auf das Zehnfa- che der Norm wurde in seltenen Einzelfällen berichtet.

Bei ausgeprägter CK-Erhöhung sollte die Behandlung unterbrochen werden. Bei lovastatin, einem nahe ver- wandten HMG-CoA-Reduktase-Hemmer, wurde ein er- höhtes Myopathierisiko bei gleichzeitiger Gabe von Im- munsuppressiva, einschließlich Ciclosporin, Fibraten und Nicotinsäure (in lipidsenkender Dosierung) beob- achtet. Dabei wurde über schwere Rhabdomyolysen mit sekundärem akutem Nierenversagen berichtet. Kli- nische Daten geben keinen Hinweis auf eine nachteili- ge Wirkung von Simvastatin auf die Linse des mensch- lichen Auges. Da bei einer bestimmten Untersuchung am Hund vereinzelt Linsentrübungen beobachtet wur- den, sollte vor oder kurz nach Behandlungsbeginn mit Denan eine augenärztliche Untersuchung durchgeführt werden, die in geeigneten Abständen zu wiederholen ist. Dosierungsanleitung: Vor und während der Be- handlung mit Denan sollte eine cholesterinsenkende Diät eingehalten werden. Die empfohlene Anfangsdo- sierung beträgt täglich 10 mg Simvastatin am Abend.

Dosisanpassung anhand der Cholesterinwerte in Inter- vallen von 4 oder mehr Wochen bis zu einer Tages- höchstdosis von 40 mg Simvastatin in abendlicher Ein- malgabe. Weitere Details s. Gebrauchs- bzw.

Fachinformation. Wechselwirkungen: Cumarinde- rivate: Die Prothrombinzeit kann verlängert werden u.

sollte vor und nach Therapiebeginn mit Denan, bei Sta- bilisierung dann in üblichen Intervallen kontrolliert wer- den. Digoxin: Eine leichte Erhöhung der Digoxinkon- zentration wurde beobachtet. Hinweis: Die gleichzeiti- ge Gabe von Denan und lmmunsuppressiva, insbeson- dere Ciclosporin, sollte nur nach sorgfältiger Nutzen/

Risiko-Abwägung erfolgen. Denan sollte außer mit Gal- lensäure-lonenaustauschern (z.B. Colestyramin) nicht mit anderen lipidsenkenden Arzneimitteln kombiniert werden. Packungsgrößen/Preise: Denan 10 mg , 30er Packung, N2, DM 81,10; 100er Packung, N3 DM 249,85; Denan 20 mg, 30er Packung, N2 DM 123,25; 100er Packung, N3 DM 379,70. Dr. Karl Thomae GmbH, Chemisch-pharmazeutische Fabrik, Biberach an der Riss. Stand: Juni 1990. M 8

Thomae

A-1960 (40) Dt. Ärztebl. 87, Heft 24, 14. Juni 1990

(3)

Ein Patient Albert Schweitzers mit Elephantiasis des Skrotums rechts nach der Operation, die schwierig und zeitraubend war macht, wobei die zum Betrieb

des Bootes erforderliche Holzmenge oft nur mit reich- licher Belohnung in Form von Schnaps zu erhalten war. Die gleiche Sorge spiegelt auch das Journal wider Immer wieder kommen mehr oder weniger schwer durch Alko- hol geschädigte Patienten zu ihm. Einem 50jährigen erlegt er die Mahnung „Alkohol entsagen" auf, so steht es wörtlich da. Einmal liest man sogar, ein 40jähriger „poteur"

(Säufer) verbrauche täglich einen Liter! Freilich habe ich nichts finden können, was auf die Art des Getränkes hin- weist. Schnaps in dieser Men- ge erträgt kein Mensch lange.

Immerhin findet sich eines Tages der Eintrag: Alkohol- vergiftung (Intoxikation).

Was aber soll wohl die Be- merkung im Journal bedeu- ten: „Mal de dos alcool?" Do- sierung (dose)? Gibt es Rük- kenschmerzen durch Alko- hol?

Auch der Tabak hat Schweitzers Sorge um seine Patienten hervorgerufen. Ei- ne 40jährige Obstipierte nennt er „fumeuse", was wohl auf mehr hinweist als auf Be- nutzung des uns allen be- kannten kleinen selbst gefer- tigten Pfeifleins. Was aber er- hofft sich der Doktor von der Therapie mit Chinin beim Al- kohol-Abusus? Auch die fila- riose Loa-Loa ist ihm damals bereits begegnet.

Ungemein viele tiefe Geschwüre

Ganz schrecklich hat Schweitzer die ungemein vie- len Geschwüre empfunden.

Das wissen wir aus seinen späteren Briefen. In den Auf- zeichnungen von 1913 werden ganz sachlich die sehr vielen, tief eingefressenen (phagedä- nischen) Haut- und Weich- teildefekte erwähnt, die viel Geduld vom Kranken wie vom Arzt fordern, zumal sol- che Geschwüre bei Erwachse- nen wie Kindern oft in Viel- zahl vorhanden sind. Neben Auswaschen mit Kaliumper- manganat und Methylviolett

gab es als Behandlung nur Jod. Neben den täglichen Verletzungen verursacht auch der Sandfloh Eiterun- gen an Händen und Füßen;

denn die Ei-Ablage unter den Nägeln hat allzuleicht eine Infektion zur Folge. Nur wenn eine solche ausgeblie- ben war, hat der Doktor ei- nen Okldusiwerband emp-

fohlen, das heißt einen mit Öl gefüllten Fingerling.

Aus der Fülle der damali- gen Eintragungen will ich jetzt nur noch einige wenige erwähnen. Ein Kranker war, wie er behauptet, „mordue par un milpad" (gebissen von einem Tausendfüßler). Wahr- scheinlich war das nicht so.

Ich habe manchen Tausend- füßler in die Hand genom- men, betrachtet, und bin nie gebissen oder geätzt worden.

Eher ist zu vermuten, daß der Patient die vom Doktor ent- deckte beidseitige Lungen- entzündung auf eine Untat dieses Insekts zurückgeführt hatte Ähnliches ist vielleicht auch bei einer 50jährigen Frau anzunehmen, die einen

„plaie ä la suite d'un coup de fusil il y a dix ans" (Geschwür infolge eines Gewehrschusses vor zehn Jahren) vorzeigt. In- teressant sind auch die wie- derholt eingetragenen Dia- gnosen „histerie de fetiche"

(krankhafte Angst vor einem Fetisch).

Eine 40jährige Frau kommt mit vereiterten Eck- zähnen; Schweitzer will diese entfernen, doch die Patientin

lehnt diese Behandlung ab und wünscht statt dessen ein Medikament, 1913 im Ur- wald!

Ein weiterer Eintrag lau- tet: „Ballon sur tete par l'homme?" (Schwellung am Kopf durch den Mann?). Ei- ne Therapieangabe fehlt. Ist ein Ballon nur eine Beule oder ein Bluterguß am Kopf

der Armen, und womöglich der eigene Mann der Täter?

Par l'homme, nicht par un homme, heißt es im Journal!

Jetzt kommen drei Eintra- gungen von hoher und höch- ster Bedeutung: Die erste — von Schweitzer selbst zwei- fach unterstrichen — lautet, daß vom 5. bis 9. November 1913 geschlossen sei; Begrün- dung: „Installation de la mai- son." Ich vermute, daß es sich um die Eröffnung der ersten Krankenhütte handelt und er in diesen Tagen keine Kon- sultationen abhalten konnte.

Jetzt aber die einschnei- dende Eintragung vom Um- fang einer halben Seite des Journals, vom docteur in gro- ßen Buchstaben ausgeführt:

„Samedi le 5 Sept. 14: Arrive l'administrateur chef de N'Djole, M. Wedel, avec l'administrateur de Lambare- ne, M. Cortot." Ich übersetze den weiteren Text Schweit- zers: Sie geben mir bekannt, daß mir die Ausübung der Medizin untersagt sei, auch deren Anschein. Lediglich das Recht zur Behandlung von Weißen bleibe mir. Dar- unter kommt, ebenfalls groß

geschrieben, das Sela! der Psalmen!

Am 19. November endlich folgt der wiederum groß ge- schriebene und dick unterstri- chene erleichterte Eintrag, es sei ihm nach der Anordnung des Gouverneurs die Aus- übung der Medizin wieder ge- stattet. So tief einschneidend diese Pause für den rastlos ar- beitenden Arzt gewesen war, so dürfen wir, glaube ich, die Schwerpunkte doch anders setzen.

Die damals mit Waffenge- walt erzwungene Pause hat den Gefangenen zwar schwer bedrückt, jedoch nicht einge- schränkt — im Gegenteil! Jetzt sind andere seiner Hochbega- bungen zum Tragen gekom- men, die Religionsphiloso- phie und die Musik. Fast wa- ge ich von einem gewissen Glück zu sprechen, ange- sichts der ihm möglich gewor- denen schöpferischen Pause.

Es entstanden sehr bedeuten- de Teile seiner später vollen- deten Werke. Ebenso hat er die Gelegenheit — längst er- sehnt, aber durch die ermü- dende Tagesarbeit immer wieder verhindert — bekom- men, auf dem Tropenklavier seine Finger ausgiebig zu üben für die späteren Kon- zerte, deren Erträge dann wieder zurück in das Spital nach Lambarene geflossen sind, beim Wiederaufbau von 1924 und beim Abzahlen der Schulden (infolge des Krie- ges).

Die Aufzeichnungen über die ersten tausend ambulan- ten Patienten Schweitzers in Andende sind auf jeden Fall Zeugnisse einer Pionierarbeit unter allerschwersten Bedin- gungen. Wir können sie nicht mit der ärztlichen und pflege- rischen Tätigkeit in dem spä- ter stromaufwärts erbauten Spital, mit weiteren Helfern in guten Häusern, verglei- chen.

Nach einem Vortrag anläßlich des Albert-Schweitzer-Tages am 28. Mai 1989 in Bern.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. Dr. Hermann Mai Sentruper Straße 199 4400 Münster A-1962 (42) Dt. Ärztebl. 87, Heft 24, 14. Juni 1990

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