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Archiv "Kunsttherapie" (11.04.1991)

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DEUTSCHES ARZTEBLATT

Kunsttherapie

mig eia unsttherapie ist ein noch

ug A' junger Bereich psychothe- rapeutischer Praxis. Seine Ursprünge liegen in zwei Feldern, die ihrem Wesen nach sehr verwandt, aber auch sehr wider- sprüchlich sein können: der Kunst und der Therapie. Dieser Beruf weckt Neugier und Interesse sowohl bei Medizinern und Psychotherapeu- ten als auch bei Künstlern. Fragen entstehen zur Wirksamkeit und Indi- kation von Kunsttherapie. Auf einige soll hier eingegangen werden.

Die Hypothese, daß Kunst ge- sund machen kann, besteht schon seit der Antike. Man schrieb den bil- denden Künsten, um die es hier geht, magische Kräfte bei der Heilung von psychischen und physischen Schmer- zen zu. Schamanen und Medizin- männer praktizierten rituelle Hand- lungen mit figürlichen Skulpturen oder Wodoo-Gestalten, um die ge- störte Ordnung der Natur wieder- herzustellen. Der Patient blieb wäh- rend der Zeremonien passiv.

Ende des 18. Jahrhunderts wur- den im Zuge der Aufklärung von fortschrittlichen Psychiatern soge-

Kunsttherapie ist ein relativ neues Gebiet therapeutischen Arbeitens.

Die Erfahrungen künstlerischer Prozesse und der Kunst werden mit den Strukturen und Prämissen der Psychotherapie in Verbindung ge- bracht. Daraus erwachsen für den Patienten und den Therapeuten.

besondere Kommunikationsmög- lichkeiten, die sich über den Dialog mit dem Dritten, dem künstleri- schen Werk, auszeichnen.

nannte Malateliers eingerichtet, um psychisch kranke Menschen mit Ma- len und Werken zu aktivieren und um dem offensichtlichen Gestal- tungsdrang der vorwiegend chro- nisch Kranken Raum zu geben. Das Interesse an den bildnerischen Pro- dukten psychisch Kranker wuchs;

Ende des 19. Jahrhunderts schrieben der französische Psychiater M. Si- mon und sein italienischer Kollege C. Lombroso über den Stil und die Bedeutungen der künstlerischen Produktionen: „In diesen Bildern zeichnen die Patienten ihr Unglück, die Leiden, die zu erdulden sie ge- zwungen waren. Die Wahl des Mo- tivs wird von der Krankheit ange- regt." Es ging ihnen um die diagno- stische Verwertbarkeit der künstleri- schen Produkte.

1922 veröffentlichte der Psychia- ter und Kunsthistoriker Hans Prinz- horn sein berühmtes Buch über die

„Bildnerei der Geisteskranken". Er hatte in ganz Europa die Produktio- nen von Geisteskranken gesammelt, die heute in einer Sammlung in Hei-

delberg zu sehen sind. Ihn interes- sierte aber eher der ästhetisch-for- male als der diagnostische Aspekt dieser Werke, obwohl schon zu die- ser Zeit Freud und Jung über die Kunst als Träger von unbewußten Motiven geschrieben haben. Jedoch wurde trotz allen Interesses seitens der Psychiatrie und der Psychoanaly- se an der Kunst bis dahin das künst- lerische Arbeiten nicht therapeu- tisch genutzt. Zwar hatte Jung seine Patienten malen, zeichnen und mo- dellieren lassen, um mit dieser Tech- nik der „aktiven Imagination" unbe- wußte Inhalte bewußtseinsfähig ma- chen zu können, aber auch er um- ging wie Freud die Frage nach der künstlerischen Arbeitsweise und dem Formniveau in der Kunst.

Erst in den vierziger Jahren war die Geburtsstunde des Begriffes

„Kunsttherapie", als in den USA freier künstlerischer Ausdruck als therapeutisches Instrument einge- setzt wurde. Die Wurzeln der Theo- rie sehen noch heute die meisten Kunsttherapeuten in der Psychoana- lyse, jedoch haben sich seit den An- fängen zwei Hauptströmungen her- ausgebildet.

1. Analytisch orientierte Kunsttherapie

Die analytisch orientierte Kunst- therapie, wie sie anfangs entstand, geht von der Annahme aus, daß der spontane freie künstlerische Aus- druck eine symbolische Sprache re- präsentiert, die eine unmittelbarere Kommunikation mit dem Unbewuß- ten ermöglicht als die verbale Spra- che; visuelle Symbole entgehen dem Mechanismus der Zensur eher als der verbale Ausdruck. In der Ab- sicht, mehr über den symbolischen Bedeutungsgehalt zu erfahren, wird der Patient dazu aufgefordert, frei über das Produkt zu assoziieren.

Dieser Weg, bildnerisches Gestalten als symbolische Kommunikation zum Unbewußten einzusetzen, wird häu- figer als Sprungbrett zur verbalen Psychotherapie gesehen. Was in den

USA „Analytisch orientierte Kunst- therapie"

genannt wird, ist in der BRD mit der Gestaltungstherapie vergleichbar.

Karin Dannecker

Dt. Ärztebi. 88, Heft 15, 11. April 1991 (61) A-1277

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Dienst am Kranken:

Kunsttherapie

ancher Leser wird stutzen. Was ist Kunsttherapie? Gemeint ist, daß Pa- tienten zu künstlerischem Gestalten angeregt werden. Aber warum nennt man das

„Therapie"? Die Bezeichnung ist hier gewiß nicht im gleichen Sinne zu verstehen wie bei Pharmakotherapie, Strahlentherapie, Psycho- therapie oder. Hydrotherapie. Jedoch ist es sinn- voll, von Kunsttherapie zu sprechen; denn The- rapie (griechisch) heißt dienen oder Dienst.

Kunsttherapie ist ohne Zweifel Dienst am Kran- ken. In psychiatrischen Krankenhäusern und Kli- niken, vereinzelt auch in anderen medizinischen Bereichen, ist Kunsttherapie inzwischen unent- behrlich geworden.

Der Kunsttherapie liegt die Erfahrung zu- grunde, daß es oft nicht genügt, Krankheit zu- rückzubilden (Therapie im engeren Sinne), son- dern zugleich Gesundes zu wecken und zu för- dern ist (Therapie im weiteren Sinne). Und was wäre hierfür mehr geeignet als die „schönen Künste" — bei all dem Unschönen (auch ästhe-

tisch gesehen), was Krankheit und medizinische Behandlung mit sich bringen. Viele Kranke ent- decken in der Kunsttherapie erstmalig ihre ge- stalterischen Fähigkeiten. Malen, Zeichnen, Mo- dellieren usw. werden zu Heilmitteln. Entspre- chendes gilt übrigens auch von der Musik; Mu- siktherapie ist bereits ein Hochschulstudium.

Die psychiatrischen Erfahrungen in der Kunsttherapie sind inzwischen sehr umfangreich geworden und können anderen Fächern zugute kommen. In den letzten Jahren gab es mehrere Tagungen zur Kunsttherapie, kürzlich noch (im Oktober 1990) einen Kongreß in Münster.

Hier stellt eine erfahrene und engagierte Kunsttherapeutin ihre Arbeit einer breiteren ärztlichen Leserschaft vor.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. Rainer Tölle Direktor der Klinik für Psychiatrie der Universität Münster

Albert-Schweitzer-Straße 11 W-4400 Münster

2. Kunsttherapie in erweitertem Sinn

Die „Kunsttherapie" besinnt sich auf die therapeutischen Werte, die in der Kunst per se enthalten sind. In Erweiterung des Freudschen Verständnisses von der Kunst, ähn- lich dem Traum als einem Königs- weg zum Unbewußten, werden Kon- zepte der Ich-Psychologie und Ob- jektbeziehungstheorie bei der Theo- riebildung herangezogen. Der künst- lerische Prozeß bedingt, daß sich der Künstler Zutritt zu seinem unbewuß- tem Material verschafft. Er versteht es jedoch, während seiner Arbeit diese inhaltlichen Motive mit den Gegebenheiten der künstlerischen Medien zu einer formalen Aussage zu bringen.

Die für künstlerische (und the- rapeutische) Absichten notwendige Regression findet über die Arbeit mit dem künstlerischen Material die Brücke zur Realität. Man könnte auch von einer Interaktion verschie-

dener psychischer Bewußtseinsebe- nen sprechen, die beim kreativen Gestalten zum Tragen kommen: un- bewußte, vorbewußte und wirklich- keitsorientierte Strukturen der Psy- che werden miteinander verbunden und zum Ausdruck gebracht.

Das Ergebnis dieses Prozesses wird in der künstlerischen Form sichtbar. Inhalt und Form stehen in einer Wechselbeziehung, die das künstlerische Niveau ausmachen. In- neres Erleben und äußere Bedingun- gen wurden auf künstlerisch-symbo- lische Weise miteinander verknüpft.

Die Fähigkeit zur Symbolbildung ist eine der Grundvoraussetzungen für psychische Entwicklung. Das Schei- tern einer gesunden Entwicklung zeigt sich letztendlich darin, daß die Symbolisierungsfähigkeit einge- schränkt oder nicht mehr vorhanden ist. Physische oder psychische Krank- heiten und ihr symptomhafter Cha- rakter sind die Folge.

Kunsttherapeuten, die die Pa- tienten zur Produktion von künstleri-

schen Arbeiten ermutigen, unter- stützen die Entwicklung der Symbo- lisierungsfähigkeit; diese Fähigkeit bildet die Grundlage vieler wichtiger Ich-Funktionen. Das Vorsprachliche des künstlerischen Symbols kann in lebensgeschichtlich sehr frühe Zei- ten führen, wo für die Phantasien und Erfahrungen noch keine Worte vorhanden waren. Über das Gestal- ten mit der Farbe, dem Ton oder an- deren Medien können solche Erleb- nisse nach außen transportiert, „ver- äußert" werden.

Damit werden sie zu sichtbaren und kommunizierbaren Inhalten, die sowohl der Patient als auch der The- rapeut in dieser Objektivierung oft als überraschende neue Einsicht an- nehmen können; für den Patienten tritt aber auch eine räumliche Di- stanz und damit vielleicht eine Er- leichterung ein. Diese Tatsache, daß in der Kunsttherapie in der Bezie- hung zwischen dem Therapeuten und dem Patienten ein solch wichti- ges Drittes, das künstlerische Pro- A-1278 (62) Dt. Ärztebl. 88, Heft 15, 11. April 1991

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Zu den Abbildungen: io (oben) Ein para- noid-schizophrener Patient, Anfang dreißig, gestaltete diese beiden Werke. Zu der Zeichnung aus Pastellkreide meinte er, in dem kleinen Ufo über den Häusern wären die Außerirdischen, die die Bewohner der Stadt beobachteten. Die Angst vor diesem Ausgeliefert-Sein kommt nicht nur in dem fliegenden Objekt zum Ausdruck; auch die Fenster der Häuser wirken wie Augen, die furchtsam die Umgebung beobachten. © (links) Die Skulptur, zuerst ohne bestimmtes Ziel aus Holzresten zusammengeklebt, wur- de zum „Totenschiff", auf dem nachts die wüsten Monster mit Messern umhergei- stern, während am Tag alles noch ruhig sei.

Der Betrachter bekommt ein Gefühl davon, wie der Patient in den langen Stunden.

schlafloser Nächte von solchen Vorstellun- gen gequält wird. Dieser Patient äußerte häufig sein Erstaunen über die direkten Bot- schaften, die in seinen künstlerischen Arbei- ten lagen und von den Mitpatienten und Therapeuten wahrgenommen wurden.

dukt, entsteht, hat kein Pendant in der verbalen Psychotherapie. Mitt- lerweile arbeiten Kunsttherapeuten mit Menschen aller Altersgruppen mit verschiedensten Störungen und Behinderungen.

Kreativitätsübertragung, Symbolisierung

Bei seiner Tätigkeit ist es die primäre Aufgabe des Kunstthera- peuten, den Patienten produktiv zu machen. Dazu gehört ein entspre- chendes Setting, das zu künstlerisch kreativer Arbeit anregt. Im Idealfall ist dies eine Umgebung, die dem künstlerischen Ambiente ähnelt, also eine Art Atelier. Die Materialien sind das Handwerkszeug des Kunst- therapeuten. Kompetenz im Umgang mit ihnen ist die wichtigste Grund- voraussetzung. Hier wird deutlich, weshalb ein Kunsttherapeut auch Künstler sein muß. Es geht nicht nur um die sachgerechte Anwendung der Medien, sondern er muß den künst- lerischen Prozeß aus der eigenen Er- fahrung kennen und Bezug nehmen können zur Kunstgeschichte, Sym- boltheorien, um wirklich den Äuße- rungen und Bedürfnissen des Patien- ten adäquat begegnen zu können.

Dann entsteht die zur Beziehung notwendige „Kreativitätsübertra- gung".

Der Kunsttherapeut nimmt aber gleichzeitig wahr, daß die künstleri- schen Aktivitäten des Patienten in Analogie zu psychodynamischen Prozessen stehen, er muß sie erken- nen und in entsprechende Interven- tionen umsetzen können. Dabei kommt dann wieder sein Künstler- Ich zum Tragen. Er reicht einen an- deren Pinsel oder ein größeres Blatt, zeichnet vielleicht eine Grundlinie unter eine schwebende Figur, je nachdem, ob der Patient bereit dazu ist, eine solche Intervention als An- stoß und Unterstützung für seine Entwicklung anzunehmen. Ziel ist es, im Rahmen seiner physischen und psychischen Fähigkeiten dem Patienten zu einer größtmöglichen Expressivität zu verhelfen und damit seine Symbolisierungsmöglichkeiten zu erweitern.

Der Kunsttherapeut verwendet die Kunst sowohl zur Diagnose als auch zur Behandlung, ist gewisser- maßen Künstler und Psychothe- rapeut in einer Person. Während sei- ner Ausbildung lernt der Kunstthe- rapeut, diese beiden Bereiche Kunst und Psychotherapie zu modifizieren und in Verbindung zu bringen. In der BRD werden solche Ausbildun- gen an verschiedenen Hochschulen, Fachhochschulen und Instituten an- geboten, die zumeist als Zusatz- oder Ergänzungsstudiengänge oder be- rufsbegleitend eingerichtet sind.

Literatur

1. Dreifuß-Kattan, E.: Praxis der Klinischen Kunsttherapie, Huber Verlag Bern, Stutt- gart, Toronto, 1986

2. Prinzhorn, H.: Bildnerei der Geisteskran- ken, Springer Verlag Heidelberg, Berlin, 1922

3. 'Ulman, E.; Kramer, E.; Kwiatkowska, H.:

Art Therapy in the United States; Univ.

Park Press, Craftsbury VT 05827 USA, 1977

Anschrift der Verfasserin:

Karin Dannecker MA, ATR Gastdozentin für Kunsttherapie Hochschule der Künste Berlin Mierendorffstraße 30

W-1000 Berlin 10

Dt. Ärztebl. 88, Heft 15, 11. April 1991 (65) A-1279

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