• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Großer Lauschangriff: Wanzen im Wartezimmer" (23.07.2004)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Großer Lauschangriff: Wanzen im Wartezimmer" (23.07.2004)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

P

arteiübergreifender Konsens lässt sich im politischen Berlin äußerst selten herstellen. Ungewollt ist dies nun ausgerechnet der sonst eher unauf- fälligen Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) gelungen. Kein gutes Haar ließen Regierungsfraktionen und Opposition an den Plänen der Ministe- rin, die akustische Wohnraumüberwa- chung – den Großen Lauschangriff – im Bedarfsfall auch auf bisher geschützte Berufsgruppen (darunter Ärzte) auszu- dehnen. „So geht es nicht“, beschied kurz und knapp der Grünen-Politiker Christian Ströbele und gab damit den Tenor der Reaktionen wieder. SPD- Partei- und Fraktionschef Franz Münte- fering stoppte vorerst die Pläne der Ju- stizministerin und empfahl seinen Ab- geordneten, den Entwurf nicht weiter zu verfolgen.

Heftige Reaktionen der betroffenen Berufsverbände

Mitausschlaggebend für das vorzeitige Aus dürften die teils heftigen Reaktio- nen der betroffenen Berufsverbände gewesen sein. So forderte der Länder- ausschuss der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung (KBV), den Entwurf zurückzunehmen und „nach einer Kom- plettüberarbeitung neu vorzulegen“.

Darauf darf man gespannt sein, wird doch Bundesinnenminister Otto Schily als „Ghostwriter“ hinter dem umstritte- nen Papier vermutet. Und dieser hat sich im Kampf gegen den internationa- len Terrorismus mit Beharrlichkeit schon einige Kompetenzerweiterungen des Staates ertrotzt. Vor einer „Salami- Taktik“ warnt deshalb der Vorsitzende des Marburger Bundes, Dr. med. Frank Ulrich Montgomery. Schrittweise wer- de es zu einer unerträglichen Aufwei-

chung grundsätzlicher Bürgerrechte kommen.

Tatsächlich sind Funkwanzen im Mi- niformat – von Ermittlern gern in Ta- schenrechnern oder Kugelschreibern ver- steckt – in Deutschland seit Jahrzehn- ten im Einsatz. War dies jedoch lange nur zur Gefahrenabwehr möglich, wenn durch das Abhören etwa ein Mord ver- hindert werden könnte, lauscht der Staat seit 1998 auch, um Straftaten auf- zuklären. Nach langem Zögern stimmte die damals oppositionelle SPD einer dafür notwendigen Einschränkung der im Grundrecht garantierten „Unver- letzlichkeit der Wohnung“ zu.

Die Sozialdemokraten setz- ten allerdings durch, dass zu- mindest Berufsgeheimnisträger aus der staatlichen „Verwan- zung“ ausgenommen wurden.

Genau diese Ausnahmere- gelung kassierte SPD-Mini- sterin Zypries in ihrem En- de Juni vorgelegten 48-seiti- gen Referentenentwurf, der dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt. Nach ihrem Willen sollen neben Ärzten auch Psychologen, Drogenberater, Journalisten und Steuerbera- ter belauscht werden können.

Sogar Beichtstühle und An- waltskanzleien wären dem Entwurf zufolge unter be- stimmten Umständen nicht

mehr vor Wanzen sicher. Zypries: „Im Kampf gegen Terror und schwerste Kri- minalität brauchen wir die akustische Wohnraumüberwachung.“

Gesetzt den Fall, islamistische Terro- risten vertrauten sich tatsächlich einem Arzt oder (eigentlich nicht vorstellbar) einem Priester an, dürfte sich mit der Einbeziehung von Berufsgeheimnisträ- gern eine für die Justiz absurde Situati-

on ergeben. Denkbar wäre, dass bei- spielsweise ein Arzt vor Gericht von sei- nem Aussageverweigerungsrecht Ge- brauch machen könnte, dieser aber un- ter Umständen zuvor ausführlich ab- gehört wurde. Noch gravierender aller- dings ist: Mit der schwammigen Formu- lierung, dass Abhörmaßnahmen dann möglich sein sollen, wenn „unabweisba- re Bedürfnisse einer wirksamen Straf- verfolgung“ dies erforderten, würde Er- mittlungsbehörden quasi eine Blanko- vollmacht zum Mithören erteilt.

Ärzte fürchten um Patientenvertrauen

Für Kritiker läuft der Zypries-Vorstoß klar einem Urteil des Bundesverfas- sungsgerichtes entgegen, welches die ge- setzlichen Neuregelungen erst nötig ge- macht hat. Karlsruhe hatte am 3. März entschieden, dass die 1998 vorgenomme- ne Grundgesetzänderung selbst zwar nicht verfassungswidrig ist, der Staat aber dennoch beim Abhören von Wohnräu-

men seine verfassungsmäßigen Befugnis- se überschreite. Die Richter forderten, dass der Gesetzgeber dem Großen Lauschangriff durch eine Neugestaltung engere Grenzen ziehen müsse. Kernbe- reiche privater Lebensgestaltung müss- ten stärker geschützt werden. Künftig, so die Vorgabe der Verfassungshüter, dürfe der Staat nur noch in Fällen schwerer und schwerster Kriminalität tätig werden.

P O L I T I K

A

A2080 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 3023. Juli 2004

Großer Lauschangriff

Wanzen im Wartezimmer

Ein Entwurf von Bundesjustizministerin Zypries, bei Verdacht auf Straftaten auch Ärzte und Patienten zu belauschen, ist vorerst gestoppt. Ärzte fordern eine Komplettüberarbeitung.

Auch Arztpraxen sollten abgehört werden. Einstweilen scheinen die Pläne vom Tisch zu sein: Das Justizministe- rium kündigte Korrekturen an.

Foto:dpa

(2)

Das Karlsruher Urteil war von FDP- Politikern erstritten worden. Unter ih- nen war die ehemalige Bundesjustizmi- nisterin Sabine Leutheusser-Schnarren- berger, die wegen der Einführung der

„akustischen Wohnraumüberwachung“

von ihrem Amt zurückgetreten war.

Auch der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum war unter den Klägern.

Er kündigte bereits eine erneute Ver- fassungsklage an, wenn die Pläne nicht gründlich korrigiert würden.

Der Referentenentwurf führe das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ad absurdum, heißt es in der Resolu- tion des KBV-Länderausschusses. „Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist unabding- bar und absolut im Interesse der Patien- ten zu schützen.“ Der stellvertretende Vorsitzende des NAV-Virchow-Bundes, Prof. Dr. med. Rainer Rix, kritisierte:

„Frau Zypries hat den konstruktiven Geist des Karlsruher Urteils nicht ver- standen.“ Der Vertrauensschutz im Arzt-Patienten-Verhältnis sei ein ele- mentarer Bereich der privaten Lebens- gestaltung und daher durch das Grund- gesetz besonders geschützt. Für den Vorsitzenden des Hartmannbundes, Dr.

med. Hans Jürgen Thomas, sind ärztli- che Sprechzimmer eine absolute Tabu- zone. Diesen Status müssten sie ohne Abstriche behalten. Auch der Deutsche Journalisten-Verband nannte die Plä- ne „völlig inakzeptabel“. Bundesvorsit- zender Michael Konken: „Der prakti- sche Wegfall des Informantenschutzes macht die Pressefreiheit in Deutschland zu Makulatur.“ Der Bundesverband der Freien Berufe warnte: Berufsge- heimnisträger Abhörmaßnahmen aus- zusetzen „unterminiert das Vertrauens- verhältnis zu ihren Patienten und Man- danten“. Sogar die Katholische Kirche schaltete sich in die Debatte ein und kritisierte die Pläne als einen Versuch, in die Beichtstühle zu blicken.

Aufgeschreckt vom breiten Wider- stand gegen die missglückte Reform, lenkte Justizministerin Zypries schließ- lich ein. Der vorliegende Referenten- entwurf sei nicht die Fassung, „über die das Bundeskabinett abstimmen wird“.

Sie habe von Anfang an gesagt, dass sie alle Fragen zum Großen Lauschangriff

„konsensual“ lösen wolle. Mit kleineren Korrekturen wird dies allerdings nicht

gelingen. Samir Rabbata

P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 3023. Juli 2004 AA2081

Pflegeversicherung

Koalition sucht Kompromiss

Die Grünen wollen klaren Fahrplan für weitere Reformen.

E

s herrschte mal wieder Durchein- ander in der Regierungskoalition.

Diesmal waren die Konsensgesprä- che zur Reform der Pflegeversicherung Anfang Juli der Auslöser. In kleiner Runde hatten sich Bundesgesundheits- ministerin Ulla Schmidt (SPD), SPD- Fraktionsvize Gudrun Schaich-Walch und Grünen-Politikerin Petra Selg samt einiger Fraktionsexperten getroffen, um über die Reform der Pflegeversiche- rung zu verhandeln. So weit, so gut. Im Ergebnis allerdings wurden die Ge- spräche recht unterschiedlich beurteilt.

Waren Schmidt und Schaich-Walch zu- nächst sicher, eine Einigung erzielt zu haben, erhielten sie von Reinhard Bü- tikofer, dem Parteichef der Grünen, ei- nen Dämpfer. Man habe durchaus noch Gesprächsbedarf, trat der auf die Har- monie-Bremse.

Vorerst nur kleine Reform

Dabei hat die gerade mal zehn Jahre al- te Pflegeversicherung gleich mehrfa- chen Reformbedarf. Neben der maro- den Einnahmesituation – allein für dieses Jahr wird ein Minus von bis zu 900 Millionen Euro erwartet – und unzureichenden Pflegeleistungen vor allem für Demenzkranke drängt ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes.

Darin hatten die Richter verlangt, Kin- der erziehende Beitragszahler gegen- über kinderlosen Beitragszahlern bis Ende 2004 finanziell zu entlasten (dazu auch der Titelbeitrag in diesem Heft).

Handlungsbedarf besteht – darin sind sich alle einig. Am Reform-Fahrplan aber scheiden sich die Geister. Erst wenn klar sei, wann was für die Besserstellung von Demenzkranken in der Pflege gere- gelt werde, habe man eine Lösung, so Bütikofer. Zudem müsse auch bei der ambulanten Hilfe nachgebessert wer-

den. Im Rahmen eines Entschließungs- antrages oder eines Gesetzentwurfes sollen deswegen parallel zu der vorrangi- gen Umsetzung des Urteils die weiteren Reformschritte eindeutig benannt wer- den. „Wir brauchen einen klaren Zeit- plan und mögliche Finanzierungswege für Leistungsverbesserungen“, so Petra Selg. Allein für die von den Grünen an- visierte zusätzliche Pflegezeit von einer halben Stunde für Demenzkranke ver- anschlagt sie einen finanziellen Mehr- bedarf von etwa 750 Millionen Euro.

Während die Grünen das Reform- tempo forcieren wollen, ist man bei den Sozialdemokraten hingegen bemüht, konkrete Angaben zur weiteren Umge- staltung der Pflegeversicherung zu ver- meiden. Erst einmal gelte es, die Karls- ruher Vorgaben umzusetzen. In dem Entschließungsantrag will Schaich- Walch lediglich den Willen für weite- re Reformschritte bekunden. Über die konkrete Ausgestaltung könne man ab 2005 verhandeln. „Dann wird man auch die Finanzlage der Pflegeversicherung abschätzen können“, erklärte sie ge- genüber dem Deutschen Ärzteblatt.

Einig waren sich die Verhandlungs- partner zumindest, dass das Gesund- heitsministerium in der Sommerpause einen Referentenentwurf zur Urteils- umsetzung erarbeiten soll. Anfang Sep- tember soll dieser dann von den Frak- tionen beraten und – wenn möglich – noch in die erste Lesung gehen.

Während die Konzepte beider Par- teien für grundlegende Reformen der Pflegeversicherung noch schwammig sind, zeichnet sich für die vorrangige Entlastung der Kindererziehenden in- des ein möglicher Kompromiss ab.

Demnach sollen Kinderlose, die älter als 23 Jahre sind, ab 2005 einen höheren Pflegesatz zahlen. Dieser würde dann von derzeit 0,85 auf 1,1 Prozent des Bruttoeinkommens steigen. Obwohl die Grünen ursprünglich nur die Bezie- her von Kindergeld besser stellen woll- ten, könne man damit „einigermaßen leben“, erklärt Selg.

Längerfristig aber müssen vor allem die Einnahmen in der Pflegeversiche- rung steigen, mahnen Experten. Denn bis 2007 sind die in der Anfangszeit ge- sammelten Rücklagen verbraucht. Spä- testens dann ist wieder Zeit für Re- formgespräche. Timo Blöß

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Im „Ecospace“ ist der Kreislauf vollkommen: Klei- ne Garnelen fressen Algen und Bakterien; die Bakterien ernähren sich von den Aus- scheidungen der Garnelen und

Dem- nach sollte man darauf ach- ten, daß es sich um jurierte Ausstellungen handelt, wenn man mit dem Kauf kostbarer Antiquitäten gleichzeitig auch eine gewisse Sicherheit

„Die Entscheidung, Ärzte und andere zeugnisverweigerungsberechtigte Berufsgruppen von Abhörmaßnahmen auszunehmen, ist ein klares Votum für die Bürgerrechte und damit insbesondere

B islang war es nicht mehr als eine Annahme, jetzt darf es als sicher gelten: In die- ser Legislaturperiode wird es für die Kassenärzte keine Verpflich- tung zur Verschlüsselung

Dennoch gibt es Fachleute, die es eher für realistisch halten, daß die Beiträge zur Krankenversiche- rung wieder steigen werden.. Von den sechs Milliarden DM an Mehreinnahmen

Jetzt gibt es solche Pfähle aber auch mit einem Motorantrieb, und man kann sie vom Fahrzeug aus durch einen Funkbefehl umlegen oder aufrichten..

Betroffen von der Negativ- liste fühlen sich 60 bis 70 Prozent bei den Mitteln gegen Erkältungskrank- heiten, 22 Prozent bei Ab- führmitteln und 15 Prozent bei Reisetabletten..

Während die Konzepte beider Par- teien für grundlegende Reformen der Pflegeversicherung noch schwammig sind, zeichnet sich für die vorrangige Entlastung der Kindererziehenden in-