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Archiv "Aquaristik: Die Natur im Wartezimmer" (29.09.2000)

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A2544 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 39½½½½29. September 2000

H

inter Kristallglas läuft ein ewiger Stummfilm.

Die Darsteller tragen Schuppen in den Farben des Regenbogens. Sie heißen Symphysodon aequifasciatus, Brachydanio rerio oder Cheirodon axelrodi. Die un- endliche Geschichte läuft in 2,4 Millionen Wohnungen zwischen Aurich und Altöt- ting – und in zahlreichen Arztpraxen, um wartende Pa- tienten zu unterhalten und zu beruhigen.

In Deutschland gibt es dreimal so viele Zierfische wie Deutsche. Menschen mühen sich, ein Stück Natur zu kopieren und zu reprodu- zieren – unverändert, seit Le- ben aus dem Wasser stieg.

Der Goldfisch im Kugelglas, im 18. Jahrhundert aus China nach Europa importiert, ist passé wie die Zeiten, als Rö- mer Teiche anlegten und Muränen mit Sklaven fütter- ten. Einst brachten Matrosen von ihren Reisen mit Wind- jammern ein paar Fischchen mit; nur die zähesten überleb- ten den Transport in Wasser- fässern. Als 1936 in der brasi- lianisch-peruanischen Grenz- region der Neonfisch ent- deckt wurde, löste dies welt- weit Interesse an der Unter- wasserfauna aus.

Das Flugzeug veränderte auch den Mikrokosmos hin- ter Glas. Heute dauert es nur Stunden, bis Skalare und Dis- kus aus den Weichwasser- strömen Südamerikas und Drückerfische aus den Koral- lenriffen Asiens als Luft- fracht in Europa landen. Die hohe Sterberate unter den Zwangsevakuierten ist gesun- ken, denn die Passage in Pla- stikbeuteln und wärmedäm- mendem Styropor ist relativ

ungefährlich. Dennoch: Gift in Flüssen und Meeren hat viele Fische so geschädigt, dass sie ihren Bestimmungs- ort nur sterbend oder mit ge- schlossenen Kiemen errei- chen. Jede Brandrodung macht Urwaldbäche zu rei- ßenden Flüssen und engt den Lebensraum ihrer Bewohner weiter ein; jedes Verklappen von Dünnsäure ist tödlich für die bunten Schwärme; jede Havarie eines Öltankers löscht Leben unter Wasser aus.

Die Hoffnung liegt im Hobby. 20 000 Deutsche pfle- gen es halb wissenschaftlich und halb gesellig in mehr als

500 Vereinen. Längst werden sogar die empfindlichsten und begehrtesten der 25 000 Arten der Kiemenatmer in Gefangenschaft nachgezüch- tet und tropische Pflanzen kultiviert. Niedere Tiere aus den Korallenriffen werden in synthetisch hergestelltem Salzwasser ebenso vermehrt wie einige Seewasserfische.

Rings um die Zierfische boomt eine Industrie. An- spruchsvolle Aquarianer ge- ben im Jahr leicht 1 000 DM für Hege und Futter aus. Mit Technik und Elektronik ko- pieren sie die lädierte Natur.

Sie leiten keimfreies Osmose- wasser in ihre Unterwasser- gärten und manipulieren das Element, das bei gewöhnli-

cher Temperatur geruch- und geschmacklos ist, zu Eis erstarrt und siedet, bis es so weich ist wie das leicht hu- minsaure Wasser des Orinoko oder so hart wie das des Mala- wisees. Regler halten die Temperatur konstant; Koh- lensäure aus Stahlflaschen sorgt dafür, dass Nymphea lo- tus oder Aponogeton mada- gascariensis wachsen wie im Urwaldbiotop.

Ein perfektes Aquarium ist ein funktionierender Mikrokos- mos. Aqua-

risten

bestätigen Oscar Wilde: Voll- kommen sei nur, was ohne Anstrengung geschieht. Die Natur im Wohn- oder Warte- zimmer ist beherrschbar ge- worden. Im Gewirr der Pum- pen und Ausströmer, Ther- mostate und Abschäumer hat der Zufall keine Chance mehr. Die Branche von Dupla bis Tetra, von Dennerle bis Eheim und BioPlast macht gi- gantische Umsätze – so laut- los wie der Schwarze Piranha jagt. Wenn der Markt nicht umkippt wie gepuffertes Was- ser, hält der Aufschwung. Vie- le Firmen haben das Rad

nicht neu erfunden, aber kräf- tig in die Speichen gegriffen.

„Entwicklungen fußen oft auf Beobachtungen und Erkennt- nissen von Hobbyisten“, weiß Horst Ksienzyk, Chef des Un- ternehmens BioPlast in Erk- rath, der sich als Anwalt der oft als Frevler an der Natur gescholtenen Aquarianer ver- steht. „Ohne Aquaristik“, sagt er, „wären einige Arten längst ausgestorben.“

Im 40-Liter-Aquarium mit Stabheizer und Glühlampe gibt es manchmal Bedingun- gen wie in der Natur. Weil ei- ne Pfütze schneller ver- schmutzt als ein See, rät Ex- perte Ksienzyk zur „größe- ren, perfekten Einheit“. Das geht schnell ins Geld: 5 000 DM für ein ausgeklügeltes, großes Süß- und 15 000 DM für ein weitgehend wartungs- freies Meerwasseraquarium sind eher Regel als Ausnah- me.

Die Pflege des Hobbys ko- stet mehr Zeit als Geld: Pflan- zen müssen gekürzt und aus- gedünnt, Filter gereinigt, Kohlensäureflaschen nachge- füllt und Mulm abgesaugt werden. Horst Ksienzyk: „Vor allem Aquarien in Praxen müssen pflegeleicht sein, um Ärzte und ihre Helferinnen nicht nach den Sprechstun- den zu belasten.“ Ein Ende der Prozedur am offenen Bek- ken verheißt ein Aquarium, das die amerikanische Welt- raumbehörde NASA als Ne- benprodukt ihrer Forschung entwickelt hat. Es ist, weil völlig von der Luft abgeschot- tet, vollkommen wartungs- frei. Im „Ecospace“ ist der Kreislauf vollkommen: Klei- ne Garnelen fressen Algen und Bakterien; die Bakterien ernähren sich von den Aus- scheidungen der Garnelen und setzen Nährstoffe für die Algen frei; die Algen produ- zieren unter Lichteinwirkung ausreichend Sauerstoff für das System. Hans-Werner Loose

Aquaristik

Die Natur im Wartezimmer

In Deutschland gibt es dreimal so viele Zierfi- sche wie Deutsche.

Feuilleton

Foto: Sepp Spiegl

Der Geschäftsführer von Bioplast Horst Ksienzyk (rechts) und sein Mitarbeiter Jürgen Meuche erläu- tern, wie ein perfektes Aquarium eingerichtet wird.

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