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Archiv "Lehre aus der Clofibrat-Affäre: Partnerschaft statt Gegnerschaft" (29.03.1979)

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Spektrum der Woche Aufsätze -Notizen

und Abschirmung von der Außen- welt, liegt jenseits der Therapie, die solches nicht vermag. Die Bereit- schaft des Menschen, sich in Frei- heit zu einer Änderung seines Selbst, seines Soseins, zu entschlie- ßen, sein Leben zu transzendieren, kann nur seinem „Willen zum Geist"

entspringen. Das „therapeutische Bündnis" enthält, wenn es ernst ge- meint ist, unbewußt diese Bereit- schaft.

Diese Übertragungen von Mensch zu Mensch, in denen eine Wand- lung, eine Verwandlung erfahren wird, werden sich letztlich dem Pro- zeß der Analyse entziehen. Sie be- dürfen der Analyse nicht. Beide – Patient und Therapeut – werden er- faßt davon. Gewiß, solche Augen- blicke – und es sind „Augenblicke"

nur – sind selten genug, Sternstun- den allemal, doch sie geschehen im- mer wieder und nur dann, wenn sie nicht erwartet, und schon gar nicht

„vorgesehen" sind. Hier gibt es kei- ne endgültigen Lösungen mehr, hier gibt es „nur den betrachtenden und leidenden Geist".

Für Gottfried Benn, abgestoßen von Klages' Antithese von Leben und Geist, ist das eine „ungeheure Er- kenntnis". Er möchte sie konse- quent, „unbeirrbar, fanatisch, aber auch gleichmütig" vertreten, denn nur sie schaffe den Dualismus zwi- schen einem transzendenten Leben und Verwirklichungsleben, beide sind unausgleichbar „Geist verwirk- lichen – unmöglich, wie Wärme zu- rückentwickeln."

Der leidende Geist steht jenseits der Idee vom verwirklichten Leben, er durchbricht, transzendiert sie. Eine solche philosophische Selbstwer- dung des Menschen aus der Bezie- hung von Mensch zu Mensch, ist das eine Utopie?

Gewiß – hier stehen wir an der Schwelle uralter Sehnsüchte des Menschen, Hoffnungen, selten er- füllt, in Bereichen, wo Ehrfurcht und Demut, wo Verantwortung und wo Liebe beheimatet sind, Erfahrungen in der Seele, die keine Psychologie mehr begreift. Gottfried Benns

Aspekte der Psychotherapie

Wunsch, ein Kloster zu gründen, wird hier verständlich. „Nur Mön- che, echte, sind des ‚Lebens' wert".

Diese Sehnsucht nach dem trans- zendenten Leben ist es, die die Be- ziehungslosigkeit des Menschen aufheben kann. Sie fordert den gan- zen Mut, sich in einer Ich-Du-Bezie- hung erschüttern zu lassen. Hier verstehen wir Martin Buber, wenn er in den Beziehungen des Menschen seine Erfahrungen als ein Geschöpf Gottes versteht, Erfahrungen des Schöpfungswerkes, in das der Mensch durch die Beziehung zu sei- nem Schöpfer einbezogen ist. Wo solche transzendentalen Erfahrun- gen in den Beziehungen des Men- schen verlorengehen, entschwindet aus dem Leben der Sinn, den sol- ches Geschehen begleitet.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Hans G. Preuss Facharzt für Psychiatrie – Psychotherapie – Schäftlarner Weg 36 8026 Ebenhausen/Isartal

ZITAT

Interventionismus ohne Ende?

„Um die verhängnisvollen Ergebnisse des Kosten- dämpfungsgesetzes zu mil- dern, wird der Staat immer neue Eingriffe in den Ge- sundheitsbetrieb vorneh- men. Er wird die Tätigkeit der Ärzte immer stärker kon- trollieren und reglementie- ren und immer neue Vor- schriften erlassen, Kommis- sionen einsetzen und Gut- achter aufbieten, um das Sy- stem vor dem finanziellen Zusammenbruch zu bewah- ren. Der staatliche Gesund- heitsdienst englischen Mu- sters wäre der traurige Schlußpunkt einer solchen Entwicklung."

Heinrich Rieker in „Rheini- scher Merkur"

FORUM

Lehre aus der Clofibrat-Affäre

Zu dem Kommentar in Heft 8/1979, Seite 473 f.

Partnerschaft statt

Gegnerschaft

Oberstes Ziel der Arbeit des Bun- desgesundheitsamtes (BGA) ist der Gesundheits- und Verbraucher- schutz.

Die Verbesserung der Arzneimittel- sicherheit dient genauso dem Wohl der Patienten wie die Tätigkeit des Arztes. Das Bundesgesundheitsamt steht dabei nicht in Gegnerschaft zu den Ärzten, sondern an ihrer Seite.

Wir halten es für falsch, Gegner- schaft aufzubauen, wo Partner- schaft ausgebaut werden sollte.

Ärztekammern und ärztliche Vereine werfen in den letzten Wochen dem Bundesgesundheitsamt zum Teil mit überraschender und nicht gerade kollegialer Polemik vor (s. zum Bei- spiel DEUTSCHES ÄRZTEBLATT vom 22. Februar 1979, Seite 473 bis 474), die Öffentlichkeit vor der Ärzte- schaft informiert zu haben, wenn neue Untersuchungsergebnisse zu einer Neubewertung von Nutzen oder Risiko bestimmter Arzneimittel und zu Entscheidungen des Bun- desgesundheitsamtes im Interesse der Arzneimittelsicherheit führten.

Dabei wird vor allem Bezug genom- men auf die biguanidhaltigen oralen Antidiabetika (Phenformin und Bu- formin) und auf Clofibrat.

Der Vorwurf, die Öffentlichkeit vor der Ärzteschaft informiert zu haben, ist natürlich in dieser Form schon deshalb abwegig, weil die Ärzte- schaft auch Teil der Öffentlichkeit ist, also spätestens gleichzeitig mit ihr informiert wurde. Richtig kann die Klage nur darin bestehen, daß Ärzte nicht vor der allgemeinen Öf- fentlichkeit informiert wurden. >

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 13 vom 29. März 1979 891

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Clofibrat-Affäre

Wie aber könnte dies überhaupt er- möglicht werden? Eine förmliche Unterrichtung durch das Bundesge- sundheitsamt kann frühestens dann erfolgen, wenn eine abschließende Beurteilung vorliegt und eine Ent- scheidung getroffen ist. Diese muß nach geltendem Recht sofort und zuerst den Herstellern der betreffen- den Arzneimittel zugestellt werden.

Damit sind Entscheidung und Be- gründung aber auch schon öffent- lich, da die Hersteller diese beliebig weitergeben können und dies auch tun. Im Falle Clofibrat wurden die Arzneimittelkommissionen der Heil- berufe an demselben Tage infor- miert, an dem das Bundesgesund- heitsamt die an die Hersteller ge- richteten Widerrufbescheide zur Post gegeben hatte. Erst am folgen- den Tag wurde die Presse durch ei- ne schriftliche Mitteilung unterrich- tet. Wir wissen, daß Hersteller eini- gen Presseorganen den Widerrufbe- scheid umgehend weitergegeben haben. Er lag diesen schon vor, be- vor unsere Pressemeldung bei ihnen einging.

Viele Ärzte werden fragen, warum informiert das Bundesgesundheits- amt überhaupt die allgemeine Öf- fentlichkeit und beschränkt sich nicht auf die Fach- und Standes- presse? Einem derartigen Wunsch kann das Bundesgesundheitsamt grundsätzlich nicht nachkommen.

Das Bundesgesundheitsamt ist wie jede andere Behörde zur Auskunft gegenüber der Presse verpflichtet.

Durch die Beteiligung der Arzneimit- telkommissionen der Heilberufe, der Industrieverbände, vieler Hersteller- firmen und von Fall zu Fall auch unabhängiger Sachverständiger aus Wissenschaft und Praxis bei den An- hörungen vor einer Entscheidung sind die Medien auch bei strikter Diskretion des Bundesgesundheits- amtes darüber im Bilde, daß ein Ent- scheidungsprozeß abläuft, und drängen das Bundesgesundheits- amt um Auskunft. Wenn die Ent- scheidung getroffen und den Her- stellern verkündet ist, können wir uns diesem Verlangen nicht mehr entziehen. Es wäre abwegig anzu- nehmen, von da an ließe sich etwas geheim- und verborgen halten, wäh-

rend Fach- und Standesorgane mit unterschiedlichsten Erscheinungs- daten berichten.

Es kommt hinzu, daß in der Regel die allgemeine Öffentlichkeit — und der Fall Clofibrat ist dafür ein klassi- sches Beispiel — schon erhebliche Zeit vor Beginn des Entscheidungs- prozesses im Bundesgesundheits- amt in mehr oder weniger zutreffen- der Weise durch die Presse über mögliche Arzneimittelrisiken unter- richet ist. Die Spekulationen schie- ßen so lange ins Kraut, bis den Me- dien eine offizielle Stellungnahme des Bundesgesundheitsamtes vor- liegt. Das Bundesgesundheitsamt hält es deshalb gegenüber Patienten und Verbrauchern für seine Pflicht, diesen Spekulationen möglichst rasch entgegenzutreten. Von ihnen gehen Gefahr und Beunruhigung für die Patienten aus und nicht von den sachlich informierenden Mitteilun- gen des Bundesgesundheitsamtes, die im allgemeinen den Zusatz ent- halten haben, die Patienten mögen die ihnen gegebene Verordnung nicht ändern, sondern in Ruhe ihren Arzt aufsuchen, um ihren Therapie- plan umstellen zu lassen.

Die Schärfe der gegen das Bundes- gesundheitsamt geführten Polemik läßt gelegentlich vermuten, daß nicht nur die Informationspolitik an- gegriffen wird, sondern auch die Sachentscheidungen auf wenig Ver- ständnis stoßen. Der Grund kann darin liegen, daß der einzelne Arzt die Begründung der BGA-Entschei- dungen anhand seiner Erfahrungen nicht nachvollziehen kann. Dies ist zweifellos eine Erschwernis für die Akzeptanz von Entscheidungen des BGA, mit der aber alle an der Ver- besserung der Arzneimittelsicher- heit beteiligten Partner — Ärzte, Apo- theker, Patienten, Hersteller, Me- dien, BGA und andere Behörden — werden leben müssen.

Der Zusammenhang von uner- wünschten Ereignissen, die u. U. in der Maske unabhängiger Neuer- krankungen und/oder in langen zeitlichen Abständen von einer Arz- neimittelgabe auftreten, mit eben der Einnahme dieser Arzneimittel,

kann immer häufiger im Einzelfall gar nicht mehr wahrgenommen wer- den, sondern nur mit den neuen und zunehmend entwickelten und verfei- nerten Methoden der modernen Bio- metrie und Epidemiologie aufge- deckt und wahrscheinlich gemacht werden. So ist es zu erklären, daß wir alle immer wieder überrascht werden von der Neubewertung, die auch Nutzen und Risiko „altbewähr- ter" Arzneimittel heute gelegentlich erfahren. Dagegen aufzubegehren hieße den Gewinn an Erkenntnis mißachten, der im Interesse des „nil nocere" Ärzten und Patienten zugu- te kommt.

Alle Beteiligten haben aus den Vor- gängen der jüngsten Vergangenheit gelernt. Während manche Kommen- tatoren noch ihre Polemiken ver- breiten, haben die konstruktiven Ge- spräche zwischen dem BGA und den Kammern der Heilberufe begonnen und erste Ergebnisse darüber gezei- tigt, wie auf allen Seiten der In- formationsfluß verbessert werden kann. In den nächsten Wochen wird darüber sicher in der Standes- und Fachpresse berichtet werden. Wich- tiger als alle Informationen über Ent- scheidungen, die das BGA im Inter- esse der Arzneimittelsicherheit hat treffen müssen, ist eine frühzeitige Unterrichtung der Heilberufe durch wissenschaftliche Artikel in der Standespresse, die das kritische Be- wußtsein schärfen gegenüber Arz- neimitteln, die im Bundesgesund- heitsamt zur Diskussion stehen.

Vielleicht müssen wir insgesamt ein wenig mehr kritische Distanz schaf- fen zu Arzneimitteln und dem, was von ihnen erwartet werden kann.

Ich darf abschließend noch einmal betonen, daß mein Beitrag an dieser Stelle nicht der Rechtfertigung die- nen soll, sondern den Versuch dar- stellt, von der Gegnerschaft zur Partnerschaft zurückzufinden.

Prof. Dr. Georges Fülgraff Präsident des

Bundesgesundheitsamtes Thielallee 88-92

1000 Berlin 33

• Schlußbemerkung auf der folgen- den Seite

892 Heft 13 vom 29. März 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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