A1148 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 22⏐⏐29. Mai 2009
B R I E F E
KOSTEN UND NUTZEN
Hämatologen und Onkologen verlan- gen, dass der Zu- gang zu Innovatio- nen Patienten wei- terhin offenstehen soll (DÄ 16/2009:
„DGHO-Frühjahrstagung: Die Versorgung Krebskranker muss noch besser werden“
von Sabine Rieser).
Innovation in der Medizin
Innovation ist häufig teuer. Ob Inno- vation auch eine bessere Therapie bedeutet, muss in Studien geprüft werden. Auf der Jahrestagung der DGHO wird die Prüfung der Kosten- Nutzen-Relation nach der Zulassung neuer Medikamente gefordert. Diese Forderung ist zu unterstützen. Aller- dings stellt sich die Frage, aufgrund welcher Daten die Kosten-Nutzen- Analyse erfolgen soll? Zur Zulas- sung eingereicht werden von der Pharmaindustrie mit hohem Kosten- aufwand entwickelte Medikamente.
Diese sollen natürlich die Entwick- lungskosten erwirtschaften und darü- ber hinaus einen ordentlichen Ge- winn abwerfen. Das ist berechtigtes Interesse der Pharmaindustrie. Ge- nauso berechtigt ist das Interesse der Gesellschaft, die für die Gesund- heitsleistungen zur Verfügung ste- henden Mittel möglichst kostenef- fektiv einzusetzen. Hierfür reicht ei- ne Kosten-Nutzen-Analyse aufgrund vorhandener Daten nicht immer aus.
Vielmehr sind Studien erforderlich, die neben der therapeutischen Wir- kung auch eine Kosten-Nutzen-Ana- lyse als primäre Studienziele mit ein- beziehen und die gegebenenfalls auch prüfen, ob eine billigere Thera- pie nicht genauso effektiv oder ef- fektiver sein kann. Letztere Fra-
gestellung ist nicht im Interesse der Pharmaindustrie. Deshalb kann man auch nicht von ihr verlangen, derarti- ge Studien durchzuführen . . . Es ist unumgänglich, dass derartige Studi- en mit innovativen Medikamenten durchgeführt werden, welche nicht von der Pharmaindustrie geplant und finanziert werden, sondern von den Kostenträgern im Gesundheitswe- sen. Dazu gibt es leider im Moment in Deutschland keine Ansätze. Das sollte sich ändern.
Prof. Dr. med. A. Scharl,Chefarzt, Klinikum St. Marien, Frauenklinik und Brustzentrum, Mariahilfbergweg 7, 92224 Amberg
UNBESTECHLICHE ÄRZTE
Eine Ärzteinitiative beschäftigt sich mit der Einflussnahme der Pharmaindustrie (DÄ 15/2009: „Unbe- stechliche Ärztinnen und Ärzte: ,Mein Es- sen zahl’ ich selbst‘“ von Ulrike Hempel).
Mit dem Bade ausgeschüttet
Die Mezis-Initiative ist insgesamt begrüßenswert. Leider scheint es mir aber, dass einmal mehr das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird. War- um? Der sogenannte medizinische Fortschritt ist unterm Strich fast aus- schließlich den kommerziell agieren- den Kräften der Pharma- und Medi- zintechnikindustrie zu verdanken.
Die Rolle der Ärzteschaft als Innova- tor ist recht gering. Der medizinische Zeitgeist versucht unter dem Schlag- wort „evidenzbasierte Medizin“ das Einfrieren auf dem Stand von vor- gestern. Die Kassen sind leer, die Politik verschließt die Augen vor den Realitäten. Da ist es recht einfach,
gegen die Industrie aufzubegehren.
Natürlich gibt es Kritik an der Indus- trie. Sind die Preise gerechtfertigt?
Gibt es eine Einflussnahme, die über die Information hinausgeht? Hier be- darf es Transparenz, richtig. Vorbild- lich sind die Industriepartner aller- dings in ihrem Patientenfokus: Bei genauem Hinsehen stellen wir fest, dass fast alle erfolgreichen Produkte zu einer Verbesserung der Lebenssi- tuation der Patienten führen . . . Wir brauchen eine starke, forschungsba- sierte Industrie, die mit den Heilbe- rufen kooperiert. Immer mehr aufge- klärte Patienten identifizieren fort- schrittsfeindliche Ärzte, die eben nicht das Bestmögliche kennen und beherrschen . . .
Dr. med. Arnd Grosch,Königshalde 11, 71336 Waiblingen
Ohne Unterstützung Fortbildung kaum möglich
Zur Initiative einiger Kollegen gegen die von der Pharmaindustrie unter- stützten wissenschaftlichen Veranstal- tungen möchte ich wie folgt Stellung nehmen: Seit der Gründung der Verei- nigung Deutsch-Ausländischer Ärzte in Berlin e.V. vor 18 Jahren und der Vereinigung iranischer Ärzte in Ber- lin e.V. finden bei uns regelmäßig wissenschaftliche Fortbildungen mit kompetenten Referenten aus der Kli- nik und der Praxis statt. Im Rahmen der Fortbildungsordnung (FBO) der Ärztekammer werden die Neutralität eingehalten und die Fortbildungen auch von der Ärztekammer Berlin zertifiziert. Solche Fortbildungen werden nicht nur in Deutschland, son- dern weltweit von der Pharmaindus- trie unterstützt. Eine Beeinflussung von der Pharmaindustrie findet bei unseren Veranstaltungen nicht statt und wird von uns auch nicht toleriert.
Beiträge im Deutschen Ärzteblatt sollen zur Diskussion anregen. Deshalb freut sich die Redaktion über jeden Leserbrief. Wir müssen aus der Vielzahl der Zuschriften aber auswählen und uns Kürzungen vorbehalten. Leserbriefe geben die Meinung des Autors, nicht die der Redaktion wieder. E-Mails richten Sie bitte an leserbriefe@aerzteblatt.de, Briefe an das Deutsche Ärzteblatt, Ottostraße 12, 50859 Köln.
Das Leser-Forum
Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 22⏐⏐29. Mai 2009 A1149
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In einer Zeit, in der wir unsere Fort- bildung auch nachweisen müssen, wäre dies ohne die Unterstützung der Pharmaindustrie nur schwer möglich.
Ich denke, wir Ärzte sind mündig ge- nug und können uns auch bei eventu- ell tendenziellen Fortbildungen unser eigenes Bild machen . . .
Dr. med. Ahad M. Fahimi,1. Vorsitzender der Vereinigung Deutsch-Ausländischer Ärzte in Berlin e.V., Bergmannstraße 5, 10961 Berlin
REHABILITATION
Der Patient muss in die Therapieent- scheidungen einbe- zogen werden (DÄ 15/2009: „Medizini- sche Rehabilitation:
Damit Reha-Erfolge nicht verpuffen“ von Birgit Hibbeler).
Zur Motivation der Patienten
. . . In der Tat sollten ambulant und stationär durchgeführte Rehabilitati- onsverfahren einen Beweis der Nach- haltigkeit erbringen können. Dies kann nur sinnvoll geschehen, wenn Patienten in die Therapieentschei- dungen mit einbezogen werden . . . Allerdings widerspreche ich der ex- klusiven Behauptung, dass auch die beste Rehabilitationsbehandlung nutzlos sei, wenn die Patienten nicht motiviert seien. Als ob Veränderun- gen des Gesundheitsstatus nur und ausschließlich von der Motivation des Patienten abhängen würden und innerhalb eines Rehabilitationsver- fahrens nicht auch andere ärztliche und therapeutische Leistungen er- bracht werden würden, die gleichsam integraler Bestandteil der Rehabilita- tion sind. Beispiel: die medikamen- töse Einstellung eines Patienten mit erhöhtem pulmonal-arteriellen Druck nach Pneumonektomie bei einem Bronchialkarzinom. Weiteres Bei- spiel: die Behandlung von Schmer- zen und Mundtrockenheit bei Muko- sitis nach Bestrahlung im Kopf- Hals-Bereich. Oder die logopädische Therapie von laryngektomierten Patienten. Gehen wir doch an dieser Stelle davon aus, dass die Kontrolle von belastenden Symptomen bei Pa- tienten ein Grundmaß an Motivation
voraussetzen kann. Natürlich kann man sagen, die Compliance eines Pa- tienten im Allgemeinen sei das Maß des Erfolgs in der Medizin. Und er könne ja auch die Tabletten nicht ein- nehmen. Aber unterstellen wir ein- mal, dass ein schmerzgeplagter Pati- ent sein Symptom auch beseitigt be- kommen möchte oder der Patient mit Dyspnoe und deutlich herabgesetzter körperlicher Leistungsfähigkeit diese auch verbessern will. Gerade das sind aber auch Aufgaben der Rehabilitati- on. Was in dem Artikel von Frau Dr.
Hibbeler durchscheint, ist, dass im- mer noch sehr häufig so getan wird, als ob von der Akutmedizin genesene Patienten erfolgreich ihr Leben um- krempeln könnten, um durch verän- derte Verhaltensweisen (nicht zu rau- chen, sich gesund zu ernähren, regel- mäßig Sport zu treiben etc.) langfris- tig, weil besonders durch den Reha- bilitationsaufenthalt motiviert, ferne Endziele der Überlebensverlänge- rung oder verbesserten Lebensqua- lität im allgemeinen und damit diffu- sen Sinne erreicht werden könnten.
Das mag auf viele Patienten zutref- fen, lässt aber vollkommen außer Acht, dass Tumorpatienten mit schlechter Prognose (quod vitam) auch von einer Rehabilitation profi- tieren können, ohne beispielsweise längerfristig motiviert nikotinabsti- nent zu sein. Nämlich dann, wenn sie hier und jetzt schmerzfrei sind, wieder essen oder sprechen können.
Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. (USA) Andreas S. Lübbe, MZG-Westfalen, Cecilienklinik, Lindenstraße 26, 33175 Bad Lippspringe
KRANKENHÄUSER
Nach einer Studie arbeiten private Kli- niken bei gleicher Qualität wirtschaftli- cher als öffentliche (DÄ 10/2009: „Stu- die zu Klinikträger- schaft: BÄK zweifelt an Überlegenheit der Privaten“).
Nicht überlegen
Die Marketingabteilungen der priva- ten Klinikketten scheinen nicht nur die Politik, sondern auch medienwil- de „Wissenschaftler“ eingenebelt zu
haben. Da bei den „Privaten“ Rendi- temaximierung zugunsten von Ak- tionären das Hauptziel ist, werden wichtige Nebenziele, wie diejenigen der Ergebnisqualität der Behandlung und der Mitarbeiterzufriedenheit, lei- den müssen. Wenn wir als katholi- sche Einrichtungen positive Bilanz- ergebnisse „verdienen“, um damit den Menschen dienen zu können, al- so Renditemaximierung nicht unser Ziel ist, können die „Privaten“ uns nicht überlegen sein.
Peter Tischmann,Geschäftsführer, St. Clemens Hospitale Sterkrade gGmbH, Wilhelmstraße 34, 46145 Oberhausen
PROSTATAKARZINOM
Zwei Studien kom- men zu unterschied- lichen Ergebnissen hinsichtlich der Ver- minderung der Mor- talität bei den getes- teten Männern (DÄ 15/2009: „Der PSA-Test eignet sich der- zeit nicht zum Screening“ von Rüdiger Meyer und Vera Zylka-Menhorn).
Unhaltbare Position
Mit einigem Erstaunen nehme ich die Position der Deutschen Gesell- schaft für Urologie zur Kenntnis, nach der nach wie vor auf PSA- Screening nicht verzichtet werden könne. Ich frage mich, auf welche Beweise hier noch gewartet wird an- gesichts der aktuellen Studienlage, die neuerlich eindrucksvoll zeigt, in welchem Umfang gescreent und therapiert werden muss, um statis- tisch auch nur einen einzigen Todes- fall durch das Prostatakarzinom zu verhindern? 1 410 Männer, die sich einer Prozedur unterziehen müssen, die sie in der Lebensqualität nachhal- tig einschränkt, in der Sorge, krebs- krank zu sein, die den anberaumten Vorsorgeterminen mit Bange und Sorge entgegensehen, die sich schmerzhaften Punktionen unterzie- hen müssen, am Ende mit der Diag- nose Prostatakarzinom konfrontiert sind – immerhin sind es 48 –, die dann jedoch keinen Tag länger, nur gewiss gesundheitlich in vielen Aspekten sehr eingeschränkt leben (z. B. Archives of Internal Medicine