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Bericht und Meinung
72. Jahrgang/Heft 14 3. April 1975
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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Ärztliche Mitteilungen
Herausgeber: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung
Falsches Rezept
gegen die „Kostenexplosion"
Ambulante Vor- und Nachbehandlung im Krankenhaus ist weder billiger noch besser
Alarmrufe über eine „Kostenexplosion" im Gesundheitswesen ver- unsichern zur Zeit die Öffentlichkeit. Es wäre beinahe über- raschend, wenn im Schatten dieser Verunsicherung nicht auch schon lange abgegriffene Ideen zur Umorganisation unseres Ge- sundheitswesens aus der Mottenkiste geholt und dem erstaunten
Publikum als Heilmittel in der Not angepriesen würden.
So geht das jetzt mit dem Vorschlag, den Krankenhäusern als Institution — was ihnen zur Zeit versagt ist — eine vorstationäre Diagnostik und nachstationäre Behandlung der Patienten zu er- möglichen. Wunderdinge werden versprochen, wenn man nur end- lich diese schon lange fällige sogenannte Reform verwirklichen würde. Aber leider, so wird der nicht eingeweihte Zeitgenosse so- dann belehrt, sei diese „Reform" bislang am eigensüchtigen Ver- halten der Ärzte gescheitert.
Wie wenig wirklich an Vorteilen, was vor allem aber an Nachteilen bei der ambulanten Behandlung durch die Institution Krankenhaus zu erwarten wäre, sei nachfolgend untersucht.
Empfehlungsvereinbarung der Kassen und Krankenhäuser?
Seit Mai 1974 steht eine Empfehlungsvereinbarung zwischen den Bundesverbänden der Krankenkassen und der Deutschen Kran- kenhausgesellschaft zur Diskussion. Sie soll den Krankenhäusern ermöglichen, zur stationären Versorgung eingewiesene Patienten zunächst bis zu sieben Tagen zur Klärung der Notwendigkeit und zur Vorbereitung einer stationären Behandlung ambulant zu be- treuen. Nach der Krankenhausentlassung soll das Krankenhaus berechtigt sein, für die Dauer von 14 Tagen alle zur Sicherung des stationären Behandlungserfolgs notwendigen Behandlungs- und Überwachungsmaßnahmen zu erbringen. Diese Empfehlungsver- einbarung ist bisher übrigens nur vom Bundesverband der Orts-
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 14 vom 3. April 1975 937
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Bericht und Meinung
Ambulante Vor- und Nachbehandlung
krankenkassen formell gebilligt worden. Die Deutsche Kranken- hausgesellschaft hat sich zunächst nur für Modellversuche ausge- sprochen.
Die ambulante Behandlung durch die Institution Krankenhaus wäre im Falle ihrer Realisierung nach übereinstimmender Meinung der hiervon betroffenen ärztlichen Or- ganisationen weder für die Patien- ten sinnvoll, noch trüge sie zur Kostenentlastung bei. Die vorge- schlagene Regelung würde im Ge- genteil nachhaltige negative Wir- kungen auf das bestehende Ge- sundheitswesen haben. Abgesehen davon ist die vorgesehene Verla- gerung von Aufgaben aus dem Be- reich der niedergelassenen Ärzte ins Krankenhaus nach unserer Rechtsordnung nicht zu realisieren.
Weltweiter überproportionaler Kostenanstieg
An der Behauptung einer „Kosten- explosion" ist richtig, daß seit Jahren schon die Ausgaben für das Lebensgut „Gesundheit" schneller ansteigen als die allgemeine Ko- stenentwicklung. Das hat viele Gründe: Dazu gehören die ständi- ge Zunahme medizinisch-wissen- schaftlicher Erkenntnisse; die Ent- wicklung immer wieder neuer, im- mer komplizierterer und dadurch auch immer teurerer Geräte; die damit wachsenden Möglichkeiten kranken Menschen zu helfen; die angestiegene Lebenserwartung des Menschen und damit die Zu- nahme behandlungsbedürftiger Pa- tienten mit behandlungsfähigen Krankheiten; die sich nach und nach durchsetzenden Vorsorgeun- tersuchungen zur Krankheitsfrüher- kennung; schließlich das gestiege- ne Anspruchsniveau der Patienten, die heute von einem modernen Ge- sundheitswesen quantitativ und qualitativ mehr verlangen als etwa in den Nachkriegsjahren vor einem Vierteljahrhundert.
Der überproportionale Kostenan- stieg im Gesundheitswesen ist kei- ne bundesdeutsche Besonderheit, sondern eine weltweite Erschei-
nung. Denn selbstverständlich ha- ben die vorstehend skizzierten Ko- stenfaktoren einen mehr oder min- der starken Einfluß in allen Län- dern.
In der Bundesrepublik wurde die Öffentlichkeit alarmiert, nachdem eine Planungsgruppe des CDU-So- zialministers von Rheinland-Pfalz, Dr. Heinrich Geißler, vorausschätz- te, schon 1978 werde die gesetzli- che Krankenversicherung einen Jahresumsatz von 93,2 Milliarden DM haben, gegenüber 43,4 Milliar- den im Jahre 1973 und 9,5 Milliar- den in 1960. Das Bundesarbeitsmi- nisterium schätzte in der „Sozialbi- lanz 1974" für das Jahr 1978 weni- ger, aber doch auch 82,8 Milliar- den. Unbestreitbar ist weiterhin, daß die Krankenkassenbeiträge nicht nur in ihrer absoluten Höhe mit dem Ansteigen der Löhne und Gehälter sowie der Beitragsbe- messungsgrenze anwachsen wer- den, sondern auch, in einem gewis- sen Umfang, relativ durch Anheben des Beitragsprozentsatzes, den Ar- beitnehmer und Arbeitgeber an die Kassen zu zahlen haben.
Das Krankenhaus ist
die teuerste Behandlungsstätte Insofern sollten sich alle Beteilig- ten durchaus Sorgen um die weite- re Entwicklung machen. Allerdings sollte dabei auch differenzierter vorgegangen werden. Denn die Ko- stenentwicklung im Gesundheits- wesen ist keineswegs einheitlich bei den einzelnen Ausgabearten.
So schätzt zum Beispiel das Bun- desarbeitsministerium, daß die Ho- norare für die ambulante ärztliche Behandlung von 1973 bis 1978, also in fünf Jahren, um 56,9 Prozent steigen werden, für die Kranken- häuser dagegen um 136,4 Prozent.
In der „Geißler-Studie" werden die Zuwachsraten für die Ärzte auf 85,2 und für die Krankenhäuser auf 152,3 Prozent geschätzt. Egal, wel- cher der beiden Vorausrechnungen man mehr glauben will, es steht fest: Das Krankenhaus hat die höchsten Kostenzuwachsraten im Gesundheitswesen. Die Kranken- hauspflege wurde inzwischen, ab-
solut gesehen, auch der wichtigste Ausgabenposten in der Rechnung der Krankenkassen. Die Arzthono- rare sollen nach der Rechnung der Bundesregierung bis 1978 auf 13,6 Milliarden, die Kosten allein der Krankenkassen für Anstaltsbehand- lung dagegen auf 27,1 Milliarden DM ansteigen (vgl. zum Beispiel Zeitschrift „Die Ortskrankenkasse"
1975 Nr. 4, Seite 125 und 136).
Der Krankenhauspflegesatz für die stationäre Behandlung stieg von 1960 im Bundesdurchschnitt mit 18,50 DM auf 135 DM im Jahre 1974, und zwar nach der Neube- rechnung auf Grund der Bundes- pflegesatzverordnung. Bereits heu- te gibt es in Hannover einen Spit- zenpflegesatz von 450 DM pro Tag (vgl. Niedersächsisches Ärzteblatt 1975 Nr. 2, Seite 33). Bis 1978 wird sich der Pflegesatz im Bundes- durchschnitt auf mindestens 250 bis 300 DM einpendeln. Für 1985 prognostizierte das angesehene Prognos-Institut in Basel einen Pflegesatz von 620 DM pro Tag!
Die hohen Kosten im Krankenhaus sind nur zu einem Teil berechtigt:
Insoweit, als das Krankenhaus in der Lage sein muß, in Erfüllung seiner Aufgaben seinen stationären Patienten alle Leistungen nach dem jeweiligen Stand der Medizin anzubieten. Dafür muß das notwen- dige qualifizierte Personal vorhan- den sein, müssen die notwendigen Einrichtungen und Ausstattungen vorgehalten werden. Aber unser Krankenhauswesen ist derzeit zu undifferenziert und damit insge- samt zu aufwendig. Nicht jedes Krankenhaus benötigt beispiels- weise alle Apparate, die zur Zeit vorhanden sind (und teilweise in Abstellräumen herumstehen). Das Management vieler Krankenhäuser liegt im argen. Kostenbewußtsein und Wirtschaftlichkeit werden zu- meist noch klein geschrieben. Vor allem bietet das Prinzip der Vollko- stendeckung durch staatliche In- vestitionshilfen und vollpauscha- lierte Pflegesätze kaum Regulative gegen die in jeder Administration vorhandenen Ausgabenwünsche.
• Fortsetzung auf Seite 946
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