„Man darf sich nicht auf
Fundamental positionen verkämpfen“
Der KBV-Vorstandskandidat über die Notwendigkeit, fachärztliche Interessen zu bündeln, das Verhältnis zwischen Haus- und Fachärzten und die Bedeutung der Selbstverwaltung
D
r. med. Andreas Gassen stellt sich zur Wahl. Am 28. Febru- ar wird die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesverei- nigung (KBV), deren stellvertreten- der Vorsitzender er ist, darüber ent- scheiden, wer als neues Mitglied in den KBV-Vorstand aufrückt. Des- sen Vorsitzender, Dr. med. Andreas Köhler, der im Vorstand fachärztli- che Interessen vertritt, hatte Mitte Januar aus gesundheitlichen Grün- den seinen Rücktritt angekündigt.Nur wenig später sprachen sich die Repräsentanten der Fachärzte in der Vertreterversammlung für Gassen als Kandidat für die Köhler-Nach- folge aus. Schon während Köhlers Krankheit im November und De- zember letzten Jahres war der Or- thopäde aus Düsseldorf Sprecher eines Fachärztegremiums, das KBV-Vorstand Dipl.-Med. Regina Feldmann unterstützen sollte.
Sollte Gassen Ende Februar ge- wählt werden, wechselt er in ein Haus, das in den letzten Monaten von Konflikten geprägt war. „Es ist ja ein offenes Geheimnis, dass das Arbeitsverhältnis der KBV-Vor- stände untereinander nicht das al- lerbeste war“, meint Gassen. „Wir müssen einen Neuanfang starten.“
Wichtig ist ihm, dass man sich als Vorstand zur Körperschaft bekennt.
Gassen hat vor kurzem eine Denk-
schrift mitunterzeichnet, die die jüngsten Auseinandersetzungen zwischen Haus- und Fachärzten im KBV-Vorstand und in der Vertreter- versammlung als „zutiefst destruk- tiv“ kritisiert. Die KBV und die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) seien die einzigen Organi- sationen, die für die Gesamtheit der ambulant tätigen Hausärzte, Fach- ärzte und Psychotherapeuten spre- chen könnten, heißt es darin. Eine Trennung von Sachverhalten in
„rein hausärztlich“ und „rein fach- ärztlich“ sei in Strukturfragen nicht möglich. Mit einem sol- chen Trennungsantrag war ein Teil der hausärztlichen Mitglieder in der KBV- Vertreterversammlung An- fang November geschei- tert. In der Folge sprachen sich auch zahlreiche ärztli- che Körperschaften und Ver- bände für eine einheitliche Vertretung der Haus- und Fachärzte unter dem Dach von KBV und KVen aus, dar - unter Medi, der Hartmann-
bund und der Berufsverband Deut- scher Internisten. Sie alle fürchten bei einer gespaltenen Ärzteschaft um deren politische Schlagkraft.
Dennoch hat die Forderung nach ei- ner Trennung der Bereiche, die in erster Linie aus dem Deutschen Hausärzteverband stammt, Eingang in den Koalitionsvertrag von Union und SPD gefunden. Nach deren Vorstellungen sollen die Vertreter- versammlungen von KBV und KVen künftig zu gleichen Teilen aus Haus- und Fachärzten bestehen,
die jeweils eigenständig über ihre Belange entscheiden.
Diesen Ansatz hält Gassen für nicht zielführend. „Wir
müssen innerhalb der Kör- perschaft zu einem vernünf- tigen Interessenausgleich finden und mit einer KBV- Linie Gesundheitspolitik ma- chen, die Haus- und Fachärz- ten nützt.“ Zumal er im All- tag keinen strukturellen Kon- flikt zwischen den Fachgrup-
DAS GESPRÄCH
mit Dr. med. Andreas Gassen, Vorsitzender des Spitzenverbandes Fachärzte Deutschlands
Foto: Georg J. Lopata
Verbindlich im Ton: Andreas Gassen (51) ist berufspolitisch sowohl in seinem Verband als auch in der KBV aktiv. Der Orthopäde praktiziert seit 1996 in einer Gemeinschaftspraxis in Düsseldorf.
P O L I T I K
Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 111|
Heft 7|
14. Februar 2014 A 253 pen erkennen könne. Haus- undFachärzte arbeiteten in der Regel gut zusammen, was die Voraussetzung für eine gute und koordinierte Pa- tientenversorgung sei. Auch inner- halb des KBV-Vorstandes gilt es jetzt nach Ansicht von Gassen, eine Kon- senslinie zu suchen: „Man darf sich nicht auf irgendwelche Fundamen- talpositionen verkämpfen.“ Grund- sätzlich gelte für KV- und KBV-Vor- stände, dass man in einem Amt in ei- ner Körperschaft nun einmal nicht eins zu eins die Berufspolitik seines Verbandes umsetzen könne.
Sollte Gassen in den KBV-Vor- stand gewählt werden, kann er zei- gen, wie ernst es ihm mit dieser Überzeugung ist. Denn er ist selbst verbandspolitisch aktiv: Seit vergan- genem Oktober ist er Präsident des Berufsverbands der Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie und bereits seit März letzten Jahres Vor- sitzender des Spitzenverbands Fach- ärzte Deutschlands (SpiFa). Hervor- gegangen aus der sogenannten Pots- damer Runde bündelt der Verband seit Juli 2012 die politischen Interes- sen von 18 Berufsverbänden, die et- wa 70 000 Fachärztinnen und Fach- ärzte repräsentieren. „Dieser Spit- zenverband war lange überfällig“, meint Gassen. Im Gegensatz zum Deutschen Hausärzteverband, der sich deutlich wahrnehmbar als Ver- tretung der Hausärzte habe positio- nieren können, sei das den Fachärz- ten nie gelungen. Gassen verweist auf die Gemeinschaft Fachärztli- cher Berufsverbände, die es nicht geschafft habe, die Partikularin - teressen ihrer Mitgliedsverbände zu bündeln.
Dass das nicht einfach ist, weiß auch Gassen. Bei den Fachärzten gebe es eine breite Spreizung. „Wir versammeln alle, vom Humange- netiker bis zum Dermatologen. Die haben natürlich unterschiedliche Interessen und Tätigkeitsschwer- punkte.“ Deshalb könne man nur dann als Verband erfolgreich sein, wenn man sein Tätigkeitsfeld limi- tiere. Der SpiFa mische sich bei- spielsweise nicht in Honorarange- legenheiten ein. Dafür gebe es die Berufsverbände. Wo aber liegen in einem derart heterogenen Verband die gemeinsamen Interessen? „Ein
ganz wesentlicher Punkt ist bei- spielsweise die Freiberuflichkeit.
Sie ist für das Selbstverständnis der Ärzteschaft zentral und ein Kernthema, hinter dem sich alle Ärzte versammeln können“, betont Gassen. Nach der klassischen Defi- nition erbringen Angehörige freier Berufe Dienstleistungen höherer Art und sind Fachfremden gegen- über nicht weisungsgebunden. Das müsse man zunehmend ordnungs- politischen Ansätzen der Politik entgegenhalten, meint der Fach- arztvertreter.
Eine weitere gemeinsame Forde- rung der Fachärzte sei die nach fai- ren Wettbewerbsbedingungen zwi- schen Niedergelassenen und Kran- kenhäusern. Wenn die Politik den Krankenhäusern vermehrt ermögli- che, an der ambulanten Versorgung teilzunehmen, müssten sich die nie- dergelassenen Ärzte dazu positio- nieren. Dasselbe gelte für Forde- rungen nach einer besseren sektor- übergreifenden Versorgung. „Grund- sätzlich ist das Aufbrechen der Sek-
torengrenzen wichtig“, sagt Gas- sen. Denn wegen des demografi- schen Wandels nehme der Versor- gungsbedarf in der Bevölkerung in den kommenden Jahren zu, parallel dazu steige die Alterskurve der Ärz- te. Zudem lege die nachfolgende Ärztegeneration mehr Wert auf eine ausgeglichene Bilanz von Arbeit und Freizeit. „Das heißt, die Res- source Arzt wird knapper. Da ist die logische Konsequenz, dass wir sek- torübergreifend arbeiten müssen“, sagt Gassen.
Warum geht es dann auf diesem Gebiet nicht voran? Gassen erklärt das mit Verlustängsten, „zum Teil begründet, zum Teil unbegründet“.
Vorbehalte hingen auch mit der Ho- norierung zusammen. „Wir haben es nicht geschafft, im ambulanten Bereich eine wirkliche Kalkulati- onssicherheit herzustellen.“ Von festen Preisen sei man trotz der Ho- norarreformen der letzten Jahre im- mer noch weit entfernt.
Aktuell betrifft die Fachärzte aber vor allem die von Union und SPD angestoßene Diskussion um zu lange Wartezeiten. So sieht der Koalitionsvertrag unter anderem vor, das sich gesetzlich Kranken- versicherte, die länger als vier Wo- chen auf einen Termin beim Fach- arzt warten müssen, im Kranken- haus behandeln lassen können – zu- lasten des jeweiligen KV-Budgets.
Muss man womöglich ein Primär- arztsystem einführen, um dieses Problem zu lösen? „Das Problem der Wartezeiten ist in der Realität viel kleiner, als es empfunden wird“, sagt Gassen. „Trotzdem müssen wir es konstruktiv lösen.“
Die Lösung könnte seiner Ansicht nach eine qualifizierte Überweisung sein, die auf einer Befund- und Dia - gnoseerhebung des Hausarztes ba- siert. Dann könnten die Fachärzte nachvollziehen, dass ein Termin dringlich sei. „Sollte man sich dar - auf einigen, muss man dem Haus- arzt diesen Aufwand aber auch ex- tra vergüten.“ Eines sei jedoch klar:
„Es wird nicht möglich sein, dass jeder Patient zu jeder Zeit seinen Wunschtermin bei seinem Wunsch- arzt bekommt. Denn die ärztliche Arbeitszeit ist endlich.“
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Heike Korzilius Zwei Dachverbände vertreten fachärztliche Interessen: