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Archiv "Orthesenbehandlung bei akuten und chronischen Erkrankungen der Hals- und Lendenwirbelsäule" (01.11.2013)

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ÜBERSICHTSARBEIT

Orthesenbehandlung bei akuten und

chronischen Erkrankungen der Hals- und Lendenwirbelsäule

Kourosh Zarghooni, Frank Beyer, Jan Siewe, Peer Eysel

ZUSAMMENFASSUNG

Hintergrund: Orthesen sind äußere Hilfsmittel, die häufig zur Behandlung von Schmerzen und Krankheitszuständen an der Wirbelsäule, wie zum Beispiel Lumbago, Schleuder- trauma oder Bandscheibenvorfällen, eingesetzt werden.

Ziel dieser Übersichtsarbeit ist es, die Effektivität und die Komplikationen der Orthesenbehandlung bei typischen Krankheitsbildern sowie nach Operationen an der Wirbel- säule zu bewerten. Die orthetische Behandlung von Frak- turen und Fehlstellungen soll hier nicht evaluiert werden.

Methoden: Es handelt sich um eine Übersichtsarbeit auf Grundlage einer selektiven Literaturrecherche in der Da- tenbank Medline unter Berücksichtigung kontrollierter Studien, systematischer Reviews und Empfehlungen der Fachgesellschaften.

Ergebnisse: Insgesamt konnten drei systematische Re- views und vier kontrollierte Studien identifiziert werden.

Bislang existieren nur sehr wenige kontrollierte Studien, welche die Effektivität einer Orthesenbehandlung mit an- deren konservativen Therapiemodalitäten und der operati- ven Therapie vergleichen. Keine hinreichende Evidenz konnte für den Einsatz von Orthesen postoperativ, bei der lumbalen Radikulopathie und beim Schleudertrauma der Halswirbelsäule gefunden werden. Eine Studie zeigte, dass eine kurzfristige Immobilisation bei zervikaler Radikulopa- thie wirksam ist. Beim nichtspezifischen Kreuzschmerz wird eine Orthesenbehandlung nicht empfohlen. Mögliche Komplikationen bei zervikalen Orthesen sind Druckschä- den an der Haut und Dysphagien bei zervikalen Orthesen.

Schlussfolgerungen: Da bislang keine hinreichende Evi- denz für den Einsatz von Orthesen nach Eingriffen an der Wirbelsäule und bei Schmerzzuständen an der Hals- und Lendenwirbelsäule besteht, sollte die Anwendung nur nach individueller Prüfung der Indikation erfolgen.

►Zitierweise

Zarghooni K, Beyer F, Siewe J, Eysel P: The orthotic treatment of acute and chronic disease of the cervical and lumbar spine. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(44):

737–42. DOI: 10.3238/arztebl.2013.0737

O

rthesen sind Medizinprodukte, die in Deutsch- land zu den verordnungspflichtigen Hilfsmitteln zählen (1). Im Hilfsmittelverzeichnis werden sie defi- niert als funktionssichernde, körperumschließende oder körperanliegende Hilfsmittel. Durch physikalische oder mechanische Eigenschaften sollen konstruktiv eine oder mehrere der nachfolgenden Effekte erzielt wer- den: stabilisieren, immobilisieren, mobilisieren, entlas- ten, korrigieren, retinieren, fixieren, redressieren und ausgefallene Körperfunktionen ersetzen (1). Neben den nach Maß angefertigten Orthesen sind konfektionierte und vorgefertigte Orthesen, die in einem Baukastensys- tem angepasst werden, erhältlich. Eng verknüpft mit den Orthesen sind die Bandagen, die lediglich aus elas- tischen oder mit festen textilen Materialien gefertigt werden. Im rückwärtigen Anteil von Bandagen und Or- thesen können Pelotten eingearbeitet werden. Diese sollen eine komprimierende und massierende Wirkung auf die Weichteile ausüben, um Verspannungen der Muskulatur zu lösen und Schmerzen zu vermindern.

Aufgrund der hohen Prävalenz von Wirbelsäulener- krankungen werden Orthesen im klinischen Alltag häu- fig verordnet. Etwa 3–7 % der Bevölkerung leidet an chronischer Lumbago (2). Daher werden vor allem lumbale Orthesen und Bandagen zur Therapie sowie primären und sekundären Prävention eingesetzt (3). Ei- ne systematische Erhebung der Verordnungshäufigkeit von Wirbelsäulenorthesen und -bandagen ist bisher nicht erfolgt. Eine Anfrage bei der Barmer Ersatzkasse ergab, dass die Zahl erstatteter Orthesen und Bandagen im Jahr 2011 um 45 % auf 97 425 zugenommen hat (2009: 67 211 und 2010: 72 633; persönliche Mittei- lung, Pressestelle Barmer vom 25. 6. 2012). Folglich stellt sich die Frage, für welche Indikationen an der Wirbelsäule der Nachweis einer Wirksamkeit von Or- thesen und Bandagen belegt ist.

In der vorliegenden Übersicht sollen zunächst die biomechanischen Grundlagen der Behandlung mit Orthesen und Bandagen an der Wirbelsäule darge- stellt werden. Anschließend wird ein Überblick über die klinischen Ergebnisse aus kontrollierten klini- schen Studien und Reviews gegeben, um Empfeh- lungen für die Indikation der Orthesentherapie bei den häufigsten akuten und chronischen Erkrankun- gen der Hals- und Lendenwirbelsäule zu geben. Auf-

Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Uniklinik Köln:

Dr. med. Zarghooni, Dr. med. Beyer, Dr. med. Siewe, Prof. Dr. med. Eysel Zentrum für Klinische Studien, Uniklinik Köln: Dr. med. Zarghooni, Dr. med. Beyer, Dr. med. Siewe

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grund des Umfanges werden die orthetischen Be- handlungen von Deformitäten (Skoliosen; Kypho- sen), Frakturen, frakturgefährdeten Wirbelsäulentu- moren und der Brustwirbelsäule in dieser Über- sichtsarbeit nicht dargestellt.

Biomechanische Aspekte

Die erwünschten Ziele einer Orthesenbehandlung sind die Korrektur einer bestehenden Deformität oder Ver- meidung einer Progression durch das Drei-Punkt-Prin- zip (hierbei wirken zwei meist gleichgerichtete Kräfte einem Wiederlager entgegen), eine Stabilisierung und Immobilisierung schwacher oder geschädigter Wirbel- säulensegmente, eine Reduktion der axialen Lastauf- nahme betroffener Wirbelsäulenabschnitte und eine Kontrolle der Bewegung (4, 5). Indikationsabhängig werden verschiedene funktionelle Aspekte einer Orthe-

se betont. Sekundäre Effekte der Orthesenbehandlung, die postuliert werden, sind eine Massage der Weichtei- le, eine Erwärmung und ein Placeboeffekt (5). Die Or- these soll den Patienten ermahnen, eine exzessive Be- weglichkeit zu verhindern sowie durch taktile Reize die Körperhaltung verbessern (6). Die Orthese soll den Pa- tienten unterstützen, die ergotherapeutischen Vorgaben zu erfüllen oder soll zumindest dazu beitragen, den Be- wegungsablauf zu verlangsamen (4).

Eine weitere Hypothese ist die Erhöhung des in- traabdominellen Druckes, die zu einer Verminderung des Kraftaufwandes der lumbalen Muskulatur bei Auf- richtung führen soll (6). Die Hypothese, dass hierdurch die Belastung der Muskulatur und die axiale Belastung der Lendenwirbelsäule reduziert wird, konnte in einem systematischen Review nicht belegt werden (6, 7). So- wohl weiche als auch rigide Lumbalorthesen führen nachweislich zu einer signifikanten Bewegungslimitie- rung der Flexion-Extension und der lateralen Beugung.

Eine signifikante Verminderung der Rotation, die auch als Risikofaktor für Rückenschmerzen betrachtet wird, konnte nicht nachgewiesen werden (6). Aufgrund der teilweise widersprüchlichen Ergebnisse biomecha- nischer Studien kann zum jetzigen Zeitpunkt keine abschließende Beurteilung des Wirkmechanismus der Orthesen erfolgen (6).

An der Halswirbelsäule werden weiche Zervikalban- dagen (Abbildung 1a) und feste Orthesen (Abbildung 1b) eingesetzt. Die weichen Zervikalbandagen haben erwartungsgemäß wenig Einfluss auf die Beweglich- keit der Halswirbelsäule (4).

Die Ruhigstellung der Halswirbelsäule ist durch die geringen Kontaktflächen der Orthese am Occiput, an der Mandibula und am Schlüsselbein sowie die be- grenzte Möglichkeit der Kompression der Halsweich- teile erschwert. Folglich ergibt sich eine gewisse Be- weglichkeit der Halswirbelsäule beim Kauvorgang und bei Bewegung der Schulter (8). Eine feste Philadelphia- Krawatte erlaubt noch eine erhebliche Restbeweglich- keit von 29 % für die Flexion und Extension, 44 % für die Rotation und 66 % für die Seitneigung (4).

Klinische Indikationen Schleudertrauma

In Deutschland ist pro Jahr mit etwa 200 000 Be- schleunigungsverletzungen an der Halswirbelsäule zu rechnen (9). Als klinische Leitsymptome können Nackenschmerzen (88–100 %) und Kopfschmerzen (54–66 %) festgehalten werden (9). Nach Ausschluss einer knöchernen Verletzung wird häufig eine wei- che Zervikal bandage verordnet. In einem systemati- schen Review wurde die Effektivität verschiedener konservativer Therapiemodalitäten an den primären Parametern Schmerz, dem Globaleffekt und der Teil- nahme an Aktivitäten des täglichen Lebens gemessen (9). In fünf der elf eingeschlossenen Studien wurde eine Ruhigstellung mit Zervikalbandagen gegenüber einem aktiv-mobilisierenden Therapieregime vergli- chen (9). Die Mobilisierung war in vier Studien der Ruhigstellung überlegen (10–13). In einer Studie Abbildung 1:

Zervikale Orthesen

a) Weiche, anatomisch geformte Zervikalbandage b) Philadelphia-Krawatte

b

a

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war kein Unterschied feststellbar (14). Die Autoren des systematischen Reviews folgerten aufgrund der geringen methodischen Qualität der eingeschlosse- nen Studien, dass tendenziell die aktive Intervention wirksamer ist als eine Ruhigstellung.

Zervikale Radikulopathie

Die zervikale Radikulopathie entsteht häufig auf dem Boden degenerativer Prozesse (zum Beispiel Bandscheibenvorfall, Spondylarthrose) und ist cha- rakterisiert durch Nackenschmerzen mit dermatom- bezogener Ausstrahlung in die obere Extremität.

Grundsätzlich wird bei akuter Symptomatik und feh- lender Operationsindikation (keine höhergradige Pa- rese) zunächst ein konservativer Therapieversuch mit Analgetika und Ruhigstellung oder Physiothera- pie unternommen. Bei 80–90 % der Patienten zeigt sich innerhalb von 3–6 Monaten ein positiver Effekt (15, 16).

In einer dreiarmigen prospektiv-randomisierten Studie (RCT) wurde bei Patienten mit einer akut auf- getretenen und neurologisch gesicherten zervikalen Radikulopathie die Ruhigstellung mittels semi-rigi- der Orthese, mit Physiotherapie und der alleinigen Einnahme von Analgetika verglichen (n = 207, Be- schwerdedauer < 1 Monat, VAS und Neck-Disabili- ty-Index) (17). Nach sechs Wochen war eine Überle- genheit der Ruhigstellung mit einer semi-rigiden Or- these und der Physiotherapie (zweimal pro Woche) gegenüber alleiniger Einnahme von Analgetika fest- zustellen. Nach sechs Monaten zeigten sich zwi- schen den Gruppen keine signifikanten Unterschie- de. Die Autoren empfahlen eine Ruhigstellung auf- grund der niedrigeren Kosten im Vergleich zur Phy- siotherapie. Außer dieser Studie existieren keine hochwertigen Studien zur Bewertung der Immobili- sation im Vergleich zu anderen konservativen Thera- pieformen. Die Frage, ob auch Patienten mit akuten Zervikobrachialgien ohne neurologische Einschrän- kungen von einer Ruhigstellung profitieren, ist wei- terhin offen.

Bei Patienten mit chronischer Radikulopathie (mehr als drei Monate, im Median 21 Monate) konn- ten Persson et al. in einer dreiarmigen RCT nach vier Monaten eine Überlegenheit der chirurgischen Thera- pie im Vergleich zur Physiotherapie und der Behand- lung mit einer rigiden Orthese (drei Monate Trage- dauer) gemessen am Schmerz und den neurologi- schen Defiziten feststellen (18). Keine signifikanten Unterschiede bestanden nach vier Monaten zwischen den konservativen Behandlungsarmen und nach ei- nem Jahr zwischen allen Behandlungsgruppen.

Akute und chronische Lumbago

Lumbale und lumbosakrale Orthesen werden häufig zur Behandlung akuter und chronischer Schmerzzu- stände sowie in der Prävention verwendet. Vorrangige Behandlungsziele sind eine schnellere Mobilisation und Verbesserung der Beschwerdesymptomatik. Ein Cochrane Review aus dem Jahr 2001 zum Einsatz lum-

baler Orthesen und Bandagen zur Prävention und The- rapie von Lumbago analysierte 13 kontrollierte Studien (5). Nur vier Studien waren von guter methodischer Qualität. Häufig fehlten Angaben zur angewendeten Orthese und zur Compliance der Patienten. Die Auto- ren stellten fest, dass es keine starke Evidenz (Level 1) gibt, die für oder gegen eine Effektivität lumbaler Or- thesen in der Prävention oder Therapie der Lumbago spricht. Eine moderate Evidenz (Level 2) spricht gegen eine Effektivität der Lumbalorthesen bei der primären Prävention. Für die sekundäre Prävention existiert bis- her keine Evidenz (Grad 4). Für die Effektivität bei Therapie der Lumbago zeigen die Studien kontroverse Ergebnisse. Eine geringe Evidenz (Grad 3) spricht da- für, dass einige rigide Orthesen gegenüber Bandagen effektiver sind. Insgesamt kommen die Autoren des Re- views zu dem Ergebnis, dass lumbale Orthesen zur Pri- märprävention und zur Behandlung des lumbalen Rü- ckenschmerzes nicht geeignet sind. Im aktuellen Coch- rane Review von 2008 kamen die Autoren zu einem ähnlichen Ergebnis und folgerten daraus, dass weitere hochqualitative randomisierte kontrollierte Studien zur Beurteilung der Effektivität der Orthesen notwendig seien (19).

In der Nationalen Versorgungsleitlinie Kreuz- schmerz (20) wird empfohlen, Orthesen nicht zur Be- handlung des akuten oder chronischen nichtspezifi- schen Kreuzschmerzes einzusetzen (Empfehlungsgrad A). Für diese Empfehlung wurden in einer Evidenzana- lyse Daten aus zehn von insgesamt 54 identifizierten Studien begutachtet. Hiervon konnte in vier Studien mit mäßiger und einer Studie mit guter methodischer Qualität keine positive Wirksamkeit der Orthesen we- der im Vergleich mit anderen nichtmedikamentösen Behandlungsmethoden noch im Vergleich zu keiner Intervention gezeigt werden. Fünf Studien, die einen positiven Effekt der Orthesen nachwiesen, waren von mäßiger methodischer Qualität, so dass die Studien mit einem negativen Ergebnis hochwertiger eingestuft wur- den.

Spondylodiszitis

Eine weitere Indikation zur Orthesenbehandlung be- steht bei der konservativen Therapie der Spondylodis- zitis, wenn keine höhergradigen Wirbelkörperdestruk- tionen und keine dringliche Operationsindikation vor- liegen (21). Thorakolumbal und lumbal kann durch ein stabiles Polyethylenmieder nach Maß eine Ruhigstel- lung der betroffenen Wirbelsäulensegmente und durch Reklination eine Entlastung der vorderen Wirbelsäu- lenabschnitte erzielt werden (22). Zusammen mit der Antibiotikatherapie empfehlen die meisten Autoren ei- ne Behandlungsdauer mit einem festen Korsett für 6–10 Wochen (23, 24).

Die zervikale Spondylodiszitis wird häufig operativ behandelt. Sollte der Patient für eine konservative The- rapie in Frage kommen, empfiehlt sich eine Ruhigstel- lung mit einer rigiden Orthese (21).

Zur selten und heterogen auftretenden Spondylodis- zitis fehlen bislang Daten aus kontrollierten Studien.

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Postoperative Orthesenbehandlung

In einer internationalen Fragebogenstudie antworteten 61 % der Wirbelsäulenchirurgen, dass sie bei Operatio- nen an der Halswirbelsäule und 49 %, dass sie bei Ope- rationen an der Lendenwirbelsäule eine Orthese für ei- nen Zeitraum zwischen einer und acht Wochen verord- nen (25). Als Hauptgrund wurde eine Einschränkung der Aktivität der Patienten durch eine Orthesebehand- lung angegeben.

Bislang existieren keine Daten aus kontrollierten Studien zur Effektivität von Orthesen nach stabilitätser- haltenden Eingriffen wie Dekompressionen und Band- scheibenoperationen an der Lendenwirbelsäule. Es be- steht auch kein Konsensus über die notwendige Rigidi- tät der Orthese, den Orthesentyp und die Behandlungs- dauer. Nach Ermessen des Operateurs wird in unserer Klinik nach mehrsegmentalen Dekompressionen und bei drohender Instabilität ein Überbrückungsmieder nach Hohmann (Abbildung 2) (4) für die ersten sechs Wochen postoperativ verordnet.

Bei lumbalen Spondylodesen mit winkelstabiler Schrauben-Stab-Instrumentierung können abhängig von der zugrundeliegenden Erkrankung nach zwei Jah- ren Fusionsraten zwischen 46 % und 100 % erreicht werden (26). Der Einsatz von Orthesen wird hier kon- trovers diskutiert (27).

In einer RCT wurde die Wertigkeit der postoperati- ven Korsettbehandlung nach lumbaler Spondylodese mit einem posterioren Schrauben-Stab-System und au- tologer Beckenkammspananlage bei degenerativen Er- krankungen der Lendenwirbelsäule untersucht (28).

Die Patienten in der Interventionsgruppe (n = 46) wur- den aufgefordert, ein stabiles Korsett nach Maß für ei- nen Zeitraum von acht Wochen postoperativ 24-stündig (außer zur Körperpflege und bei Untersuchungen) zu tragen und anschließend für weitere vier Wochen abzu- trainieren. Die Patienten in der Kontrollgruppe (n = 44) wurden ohne Orthese mobilisiert. Nach einem Zeit- raum von zwei Jahren zeigten sich zwischen den beiden Gruppen keine signifikanten Unterschiede in den gemessenen klinischen Parametern (Dallas Pain

Questionnaire und SF-36), in der Rate der postopera - tiven Komplikationen und Revisionen. Diese Studie konnte keinen Vorteil oder Nachteil für die Verwen- dung eines Korsetts nach lumbaler Spondylodese nach- weisen.

Der häufige postoperative Einsatz von Orthesen an der Halswirbelsäule lässt sich möglicherweise durch die hohe Mobilität dieses Wirbelsäulenabschnittes und dem häufigen Einsatz von fusionierenden Operations- techniken erklären. Fusionen werden überwiegend ohne Plattenosteosynthese mittels intervertebraler Im- plantate durchgeführt. Durch die Orthese soll die Beweglichkeit und die Belastung des operierten Seg- mentes vermindert und folglich die Fusionsrate verbes- sert werden. Mit dem Einsatz moderner alloplastischer Cages aus Kunstoff (Polyetheretherketon) oder Titan anstelle von Knochenmaterial als intervertebraler Platzhalter ist die Notwendigkeit der postoperativen Ruhigstellung bei fehlender Evidenz fraglich. In einer prospektiv-randomisierten Pilotsudie profitierten Pa- tienten in den ersten sechs Wochen nach Fusion mit einem intervertebralen Cage gemessen am Neck-Dis- ability-Index und durch eine Schmerzreduktion von einer Ruhigstellung (29).

Eine multizentrische RCT mit einer Nachbeobach- tungsdauer von 24 Monaten kam zu dem Ergebnis, dass eine Zervikalorthese nach einer monosegmentalen ante- rioren Fusion mit Plattenosteosynthese nicht notwendig ist (30). Durch die Zervikalstütze konnte weder das kli- nische Ergebnis gemessen am Neck-Disability- Index, dem SF-36, und der Numerischen Rating Skala (NRS) noch die radiologische Fusionsrate verbessert werden.

Komplikationen der Orthesenbehandlung

Häufig bestehen seitens des behandelnden Arztes und der Patienten Bedenken, dass durch das längerfristige Tragen einer Orthese die rumpfstabilisierende Musku- latur geschwächt wird. Untersuchungen hierzu zeigen kontroverse Daten, die teilweise eine Kräftigung der Muskulatur (31, 32), eine Kraftminderung (33) bezie- hungsweise keine Unterschiede zeigen (34). Eine Un- Abbildung 2:

Individuell nach Maß angefertigtes Hohmann-Über - brückungsmieder

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Durch übermäßigen Druck der Orthese auf die Haut und exponierte anatomische Strukturen können Ulzera entstehen. Daher sollte der Einsatz von Orthesen auf Patienten beschränkt werden, die entsprechende Schmerzreize empfinden und darauf adäquat reagieren können.

Abhängig von der Tragedauer rigider zervikaler Or- thesen können bei 6,8 % der Patienten Druckulzera am Unterkiefer und am Occiput auftreten (36, 37). Zervi- kale Orthesen können Dysphagien, durch eine Einen- gung des Pharynx, Veränderungen des Schluckaktes (38) und die ungewohnt aufrechte Kopfhaltung beim Essen, auslösen.

Es gilt deswegen generell die Empfehlung, dass eine Orthesenbehandlung ärztlich angeordnet und über- wacht werden sollte. Angestrebt werden eine möglichst kurze Behandlungsdauer und eine frühzeitige Mobili- sation des Patienten.

KERNAUSSAGEN

Orthesen führen an der Hals- und Lendenwirbelsäule zu einer signifikanten Bewegungseinschränkung, je- doch nicht zu einer vollständigen Ruhigstellung des be- handelten Wirbelsäulenabschnittes.

Es gibt keine Evidenz dafür, dass eine Behandlung mit einer Orthese bei der zervikalen Radikulopathie, dem Schleudertrauma oder nach Operationen an der Wirbel- säule Vorteile bringt.

Eine Behandlung des nichtspezifischen Rückenschmer- zes mit Orthesen kann gemäß Nationaler Versorgungs- leitlinie nicht empfohlen werden.

Die Dauer der Orthesenbehandlung und die passge- rechte Anlage sollten ärztlich kontrolliert werden, da durch eine nichtordnungsgemäße Anwendung von Or- thesen die Wirksamkeit beeinträchtigt werden kann und Komplikationen auftreten können.

Trotz des weit verbreiteten klinischen Einsatzes von Or- thesen fehlen für viele Indikationen an der Wirbelsäule hochwertige kontrollierte Studien, die eine Effektivität nachweisen.

Interessenkonflikt

Dr. Zarghooni und Prof. Eysel erhielten Gelder für ein von ihnen initiiertes Forschungsvorhaben von der Bauerfeind AG in Zeulenroda-Triebes.

Dr. Beyer und Dr. Siewe erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Manuskriptdaten

eingereicht: 26. 11. 2012, revidierte Fassung angenommen: 12. 8. 2013

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Anschrift für die Verfasser Dr. med. Kourosh Zarghooni

Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie Uniklinik Köln

Kerpener Straße 62 50937 Köln

kourosh.zarghooni@uk-koeln.de

Zitierweise

Zarghooni K, Beyer F, Siewe J, Eysel P: The orthotic treatment of acute and chronic disease of the cervical and lumbar spine. Dtsch Arztebl Int 2013;

110(44): 737–42. DOI: 10.3238/arztebl.2013.0737

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