Die chirurgische Behandlung der chronischen Obstipation
Martin Reifferscheid
Aus der Abteilung Chirurgie
(Leiter: Professor Dr. med. Martin Reifferscheid) Medizinische Fakultät der
Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen
Unter den Kolonerkrankungen nimmt die zur Krankheit geworde- ne chronische Obstipation heute eine definierte Stellung ein.
Morphologische und funktionelle Nachweisverfahren erlauben die Abgrenzung von konservativer und operativer Indikationsstel- lung. Ein engmaschiges, stufenweise anzuwendendes Untersu- chungsrastersystem dient der Aufklärung der zugrundeliegenden Ursachen. Die neuzeitliche Operationstaktik und -technik bietet ein breites Verfahrensspektrum und erlaubt mit minimalem Risiko ein graduiertes Vorgehen. Während in einem Fall die Analsphink- tereinkerbung genügt, muß im anderen Fall die Kolektomie vorge- nommen werden. Immer ist heute die Kontinenzerhaltung möglich.
1. Allgemeines
Die Obstipation ist ein Symptom vieler darmeigener und auch darmferner Befunde. Je nach Dauer und Schwere kann sie zur selbständigen Krankheit werden.
Der häufigste Grund hierfür ist die Möglichkeit ihrer Selbstbehand- lung. Sie ist es, die den immensen Laxantienkonsum ausmacht. Für ihn wurden in der Bundesrepublik Deutschland allein im Jahre 1982 etwa 280 Millionen DM ausgege- ben.
Ziel der nachfolgenden Darstel- lung ist es, diesen Schädigungs- mechanismus aufzuhellen, die hieraus resultierende Notwendig- keit chirurgischer Abhilfe zu be- gründen, deren Verfahrenswege zu beschreiben und die Heilaus- sichten aufzuzeigen.
Wenn wir von chronischer Obsti- pation sprechen, müssen wir zwei Grundformen unterscheiden (Ta- belle 1), die organische auf der ei- nen und die funktionelle auf der anderen Seite. Dies schließt nicht
aus, daß bei unsachgemäßer Mo- notherapie mit Drastika aus der funktionellen eine organische Ob- stipation wird.
Allein schon deshalb ist es bei je- der länger anhaltenden Verstop- fung unumgänglich, ihrer Genese nachzugehen, d. h. zu klären, ob
durch die ungezielte Laxan- tieneinnahme nicht inzwischen aus einer primär funktionellen Obstipation ein irreparables La- xantienkolon geworden ist, oder
() ob eine primär organische Ob- stipation vorliegt, deren morpho- logische Charakteristik als solche bislang nicht erkannt und ursäch- lich nicht lokalisiert wurde.
2. Diagnostik
Wenn eine reparable funktionelle Frühform der Obstipation anzu- nehmen ist, und bei ihr die sach- gemäße konservative Therapie nicht in vollem Umfange er- schöpft wurde, gehört es bereits
zur Diagnostik, diese noch einmal nachzuholen, das bedeutet: Be- wegungstherapie, Gewichtsre- duktion, ballastreiche Kost, medi- kamentöse Anregung der Darmtä- tigkeit mit Pflanzenfaser- oder Quellmitteln sowie Elektrolytinfu- sionen und Gaben von Aldoste- ronantagonisten.
Führt dies nicht zum Erfolg, ist stufenweise eine weitergehende Diagnostik anzuschließen, wozu als erstes der Nachweis oder Aus- schluß aller in Frage kommenden
darmfernen Obstipationsursa- chen (Tabelle 1, Bb) gehört. Ergibt sich hierfür kein Anhaltspunkt, muß nach organischen Ursachen im Darm selbst gesucht werden, d. h. neben der Magen-Darm-Pas- sage (MDP) muß im Kolonkon- trasteinlauf (KKE) unter Dihydro- ergotamin-, Prostigmin-, Spasmo- lytika-, Prostaglandin-, Cholecy- stokinin- und Serotoningaben die Form und Lage des Rektokolons und seine Reaktivität auf die ent- sprechenden Pharmaka in den einzelnen Segmenten analysiert werden.
Dazu gehört auch das Defäko- gramm. Ebenso gehört hierzu die Transitzeitmessung, ferner die Ganglienzellmorphologie und -hi- stochemie in der Analhaut, in der Rektum- und Kolonschleimhaut und der Sphinktermuskulatur und auch die Manometrie und Myogra- phie des Schließmuskelorgans;
denn allein mit diesem komple- xen diagnostischen Raster ist zu erkennen, ob man es mit einer pri- mär funktionellen Form zu tun hat, die inzwischen zu einer orga- nischen geworden ist, oder ob nicht überhaupt eine primär orga- nische Form vorliegt.
3. Sekundär organische Obstipation (Laxantienkolon) Dafür, daß eine primär funktionel- le Obstipation auf die Dauer durch den Laxantienabusus dekompen- sieren und auf diese Weise sekun- där zu einer organischen Form werden kann, gibt es genügend
Chronische Obstipation
Beispiele. Darauf wurde wieder- holt hingewiesen (3, 5). Wir haben in den letzten zwölf Jahren 25 sol- cher Patienten, bei denen im Durchschnitt über zehn Jahre al- lein mit steigenden Laxansdosen therapiert wurde, zur Operation zugewiesen bekommen. Wann solche primär funktionellen Obsti- pationsformen infolge der De- kompensation konservativ inkura- bel geworden sind, läßt sich heute relativ genau bestimmen. Die Kri- terien für die Irreparabilität sind neben der Erschöpfung aller be- währten konservativen Therapie- möglichkeiten, die Dauer und In- tensität des Laxantiengebrauchs,
Darstellung 1:
Subtotale Kolek- tomie mit Zöko- rektostomie
die extremen Stuhlintervalle, die Einlaufbedürftigkeit, der klinische Bauchbefund und die nachweis- lichen morphologischen Verände- rungen der Kolonwand. Ihre Sub- strate sind die Ganglienzelldege- neration, die Epithelmembranlä- sion, die Haustrenabflachung, die kolitische Schleimhautschumme- rung und die konsekutive, mega- kolische Formvarianz des Kolon- reliefs. Bei solch schwersten Be- funden ist dann ein normaler Stuhltransport und eine geregelte Stuhlentleerung nur noch mit Re- sektion dieses definitiv funktions-
unfähig gewordenen Kolons zu erreichen.
3.1 Operative Behandlung
Da sich mit der früher vorgenom- menen partiellen, linksseitigen Segmentresektion die Stuhlent- leerung nur sehr vorübergehend normalisieren ließ, nehmen wir heute grundsätzlich die Kolek- tomie vor. Aufgrund der Morpho- logie wissen wir, daß die Wandver- änderungen, die den Transport behindern auch das rechte Kolon nicht aussparen. Um aber die Re- sorptionsleistung des Ileums nicht
zu gefährden, erhalten wir an der Aachener Klinik immer die Ileozö- kalklappe und anastomosieren deshalb das Zökum in End-zu- End-Form mit dem Rektosigma (Darstellung 1).
Der Eingriff wird einzeitig ohne protektives Stoma ausgeführt und bedeutet für den Patienten kein Risiko. Von unseren 25 so operier- ten Kranken mit einer zehnjähri- gen Laxantienvorgeschichte und einer 14tägigen Stuhlgangspause haben wir postoperativ keinen verloren. Wenige Wochen nach
dem Eingriff hatten 23 der Ope- rierten einen regulären Stuhlent- leerungsmechanismus.
Bleibt diesem Eingriff — was vor der Ära der Funktionsuntersu- chung des Anorektalsphinkters
Chronische,
habituelle Obstipation A) Funktionelle Obstipation
(anfangs hypertones, später atonisches amotiles Kolon)
B) Organische Obstipation (Folgesymptom
morphologischer Befunde):
a) Darmbefunde:
Morphologische Veränderungen im Anus, Rektum und Kolon
G
Analbefunde Analachalasie (ASA) Analfissur,Hämorrhoiden, Fistel Analer Hirschsprung Analstenose
® Rektum- und Kolonbefunde Hirschsprung Neurodysplasie Megarektum und -kolon
Dolichokolon Malrotation Blindsacksyndrom Entzündungs- und Tumorstenosen b) Darmferne Befunde
Endokrine und Stoffwechsel- störungen C) Neurologische
(zerebrale) Fehlsteuerungen
® Toxische Einflüsse Tabelle 1
vorkam — der Heilerfolg versagt, oder kommt es zum Rezidiv, so liegt dies daran, daß die der Ope- ration zugrunde liegende latente, organische Obstipationsursache — meist eine Analspinkterachalasie
— übersehen wurde. Dies traf auf 1540 (58) Heft 19 vom 11. Mai 1984 81. Jahrgang Ausgabe A
Darstellung 2:
Sphinktereinker- bung, hohe Sphinkteraus- schneidung
Darstellung 3:
Hohe Sphinkter- exzision zwei unserer 25 kolektomierten
Patienten zu. Mit der von der Sphinktermorphologie und -funk- tion abhängig zu machenden Sphinkterotomie in Form der Ein- kerbung (Darstellung 2) oder der hohen streifenförmigen Exzision (Darstellung 3) ist das vermeint- liche Rezidiv dann rasch zu behe- ben.
Inkomplette Operationsresultate können aber auch die Folge einer durch die antibiotische Darmvor- bereitung bedingten Dysbakterie sein, die ihrerseits postoperativ zur Entstehung einer Analfissur und auf diesem Wege zur reflekto- rischen Analsphinkterachalasie führt. Sie läßt sich leicht mit Fis- surektomie und partieller Einker- bung des Pektenbandes, d. h. des unteren Sphinkterrandes beseiti- gen. Unsere beiden Patienten, die zunächst nur einen Teilerfolg hat- ten, waren danach definitiv von der Obstipation befreit.
4. Die primär
organische Obstipation
Die organischen Ursachen einer chronischen Obstipation reichen von der sogenannten anorektalen Verstopfung oder Analsphinkter- achalasie (ASA) (4) über die ver- schiedenen Bilder der quantitati- ven Ganglienzellveränderungen wie Agangliose, neuronale Dys- plasie über die ganglionäre Rei- fungsstörung, das idiopathische Megakolon, den Vitamin-B,-Man- gel, die Chagaskrankheit, die la- gebedingten Anomalien wie die primäre Doppelflinte, das primäre Dolichokolon und die keineswegs seltene, meist im Kindesalter be- reits übersehene Mangel- oder Fehldrehung bis zu den nach Operationen entstandenen Blind- sackbildungen im Kolon.
In dieser Krankheitsgruppe ope- rierten wir an unserer Klinik 34 Pa- tienten, die im Durchschnitt über 20 Jahre wegen funktioneller Ob- stipation behandelt worden wa- ren. Die organischen Obstipa- tionsursachen manifestieren sich
Chronische Obstipation
in segmentären Befunden des Anus oder Rektokolons, sie kön- nen aber auch als diffuse, genera- lisierte Rektum- und Kolondilata- tion und -elongation imponieren.
4.1 Segmentäre Ursachen im Anorektum (Tabelle 2)
Bei der schmerzreflektorisch ent- standenen Analachalasie, bei der die Kolondilatation im allgemei- nen noch nicht ausgeprägt ist, ge- nügt als Behandlung allein die Einkerbung des internen Anorek- talsphinkters.
Alle unsere 17 so operierten Pa- tienten mit einer ASA wurden vom
Zwang ihrer Laxantieneinnahme befreit. Bei chronischer Fissur oder Hämorrhoidalbefunden 2.
und 3. Grades muß mit der Sphinkterbehandlung die Fissur- ektomie und Hämorrhoidenbesei- tigung verbunden werden.
Beim ultrakurzen Hirschsprung- segment, das im Kindesalter über- sehen worden ist, wird aus dem Sphincter internus bis in eine Hö- he von 8 cm ein etwa 1 bis 2 cm breiter Muskelstreifen ausge- schnitten (Darstellung 2), was bei allen unseren vier Patienten in- nerhalb eines Jahres zur völligen Rückbildung der Rektumdilata- tion und der Ausheilung der Obsti- pation führte.
4.2 Segmentäre Ursachen im Rektokolon (Tabelle 3)
Ein enges Hirschsprungsegment im Rektum oder Sigma wird mit dem oralwärts gestauten Kolon langstreckiger reseziert werden müssen als dies beim Kind not- wendig ist (Darstellung 4). Das Rektum wird bis auf einen Stumpf von 6 cm kontinenzreseziert. Eine perianale Sphinkterexzision muß sich anschließen. Alle unsere sechs auf diese Weise Operierten wurden danach beschwerdefrei.
Komplexer sind die quantitativen und qualitativen Ganglienzellver- änderungen von Darmsegmenten.
Die segmentäre Hypogangliose
Diagnostik Obstipations- beginn
Analinspektion und Palpation u. U. in Ober- flächen- anästhesie
Defäkogramm Mukosa- (muscularis) biopsie
Elektromano- metrie und Myographie Krank-
heitsbild
postnatal Anales ultra-
kurzes Hirsch- sprungseg- ment
Hypertoner Sphinkter
Rotweinglas- form
Agangliose Acetyl-
cholinesterase
Erhöhtes anorektales Druckprofil Fehlende Internus- relaxation Reflektorische
(chronisch schmerzbe- dingte) ASA
Myogene Kontraktur (ASA)
Erwachsenen- alter, post Defäkations- schmerz, Stuhlformver- änderung, Blutauflage Langzeit- anamnese
Hypertoner Sphinkter (Fissur, Hämorrhoiden, Fistel)
Hypertoner, starrer und klaffender Sphinkter
propulsive Wellen im Rek- tum, Rotwein- glasform, divertikelartige Rektumaus- stülpung wie oben
normale Ganglien Fibrosklerose der
Muskelzellen
normale Ganglien Sklerose des
Schließmus- kels
Muskuläre Übererreg- barkeit, rudimentäre Relaxation, kritisches Volumen über 300 ml
Neurovegeta- tive
psychogene Offnungshem- mung
psychopatho- logische Charakteristik
Kontraktion der quer- gestreiften Muskulatur
Rektumhyper- peristaltik, Segmentale Kolonkon- traktionen
Rudimentäre bzw. normale Internus- relaxation
postnatal Angeborene
Analstenose
Asymmetrie und Dyslokation Ektopie der Analgruppe kutane Enge
Rotweinglas- form
Tabelle 2: Diagnostik der analen Obstipation - Analsphinkterachalasie (ASA) 1542 (60) Heft 19 vom 11. Mai 1984 81. Jahrgang Ausgabe A
wie oben
seit Kindheit transmu rale
Muskelbiopsie aus
Rektum positiv Neurofibroma-
tose
Diagnostik Krank-
heitsbild
Obstipations- beginn
Mukosa- (muscularis) Biopsie
Elektro-
manometrie und Myographie KKE
segmentär:
Enges Segment (Agangliose im Rekto-Kolon) (M. Hirschsprung (segmentär)
postnatal leere Ampulla recti
enges Segment ohne Propulsion prästenotische Dilatation
Agangliose Acetylcholi n- este rase*"
0 Erhöhtes Anorektales Druckprofil
© Spontane u. reflektorische Internus-
relaxation fehlt
®
RektaleCompliance erhöht Hypogangliose
(segmentär)
Im Kindesalter subklinisch, im Erwachsenen- alter
allmähliche Zunahme Schafskotstu h 1
Hyperaktivität konischer Übergang in enges Segment
verminderte Ganglienzell- dichte Acetylchol in- este rase (+)
Fehlender oder atypischer Relaxations- reflex
Ganglionäre Reifungs- störungen (segmentär)
Neurale Dysplasie (segmentär)
seit Kindheit
frühes
Erwachsenenalter Schafskotstu h I
langstreckiges und amotiles Segment
spastisches Segment
scheinbares normales Bild elektronen- mikroskopisch Defekte vermehrte Ganglien- zelldichte Aplasie der sympathischen Geflechte Acetylcholin- esterase**
Segment wie analer Hirschsprung
Normaler Relaxations- reflex
generalisiert Vitamin-B 1
-Mangel (erworbene Ganglienzell- degeneration) Chagas-Krankheit
Erwachsenenalter Diffuse Amotilität und Dilatation In MDP Magen- distension
ldiopathisches Megakolon
seit Kindheit wie oben
Hypogangliose oder
totale Agangliose
totaler Spasmus des Kolons
generalisierte Agangliose Acetylcholin- este rase**
Segment wie analer Hirschsprung postnatal
Tabelle 3: Diagnostik der Rekto-Kolon-Obstipation
Malrotation Retorsion und Dorsofixation Operationsindikation und Operationstaktik
Anale Befunde Neurogene ASA (U ltraku rzes
Hirschsprungsegment) Myogene ASA
Psychogene ASA
Sphinktereinkerbung (Eisenhammer) oder
hohe Sphinkterspaltung (Lynn)
Angeborene Analstenose, Dislokation oder Ektopie
Analplastik
Segmentäre neurale Fehlbildungen
Agangliose (mit Hirschsprung) Hypogangliose
Neu ronale Dysplasie
Einzeitige Kontinenzresektion des Kolon- und Rektumseg- mentes mit dem gestauten Me- gakolonabschnitt evtl. in Kom- bination mit hoher Sphinkter- spaltung
Segmentäre Lage- und Formanomalien Coecum mobile
Zökoaszendopexie
Doppelflinte linke Flexur (intermittierender Volvulus) Dolichokolon
(intermittierender Volvulus) Colon duplex
einzeitige Segmentresektion
Generalisiertes Megakolon Idiopathisches Megakolon Hypo- und Agangliose Irreparables chronisches Vitamin-B 1 -Mangelkolon Chagas-Krankheit
Irreparables Laxantienkolon Neu rofibromatose
Einzeitige
subtotale Kolonresektion mit tiefer
Zökorektostomie
Tabelle 4
Chronische Obstipation
kann mit einer Agangliose (Hirschsprung) kombiniert sein.
Die ebenfalls segmentär angeord- nete neuronale Dysplasie ist sel- ten. Wir haben nur einen solchen Fall gesehen und mit gutem Re- sultat resezieren können.
Bei den Reifungsstörungen der Ganglien ergibt, wenn das Kindes- alter überlebt wurde, bereits die Anamnese eine seit der Kindheit bestehende, allmählich zuneh- mende Verstopfung, der im KKE ein langstreckiges, amotiles, en- ges Segment mit oraler Dilatation entspricht.
Die vorgenannten drei Varianten von Ganglienzellveränderungen sind, wenn sie im Sigma oder De- scendens segmentär angeordnet sind, ebenso wie der Hirsch- sprung primär zu resezieren, ein Eingriff, der heute einzeitig ohne temporäre Kolostomie vorzuneh- men ist und bei diesem gutartigen Grundleiden kein Risiko hat.
4.3 Generalisierte
Megakolonformen (Tabelle 3) Die häufigste Form des generali- sierten Megakolons, das Laxan- tienkolon, wurde bereits bespro- chen. Schwierig ist, wie seine Be- zeichnung offenbart, die ätiologi- sche Zuordnung des idiopathi- schen Megakolons. Genetisch ist das Zustandsbild im Grenzbereich zur psychogenen Obstipation an- zusiedeln.
Bei der Analpalpation fällt ein straffer, meist hypertoner Sphink- ter auf, oberhalb dem man in eine auffallend weite, mit eingedick- tem Stuhl angefüllte Ampulle ge- langt. Erst im Operationspräparat läßt sich in den parasympathi- schen Ganglien eine verminderte Enzymaktivität nachweisen, fer- ner im Sphincter internus oft ein Mangel an glatten Muskelzellen und deren beginnende Fibroskle- rosierung sowie histologisch und histochemisch ein vom analen Hirschsprung kaum abzugrenzen- der Befund. Ähnliches trifft für die neu rotoxische Ganglienzellzer-
störung zu, die durch die länger bestehende paradoxe Diarrhoe, den hochgradigen Meteorismus mit Übelkeit und Erbrechen sowie die in der MDP auffallende Ma- gendilatation gekennzeichnet ist.
Im Operationspräparat finden sich im Auerbach-Plexus die Degene- ration der Ganglienzellen und in den Spätstadien die Muskelzell- atrophie. Auch bei diesen diffusen Megakolonformen kann naturge-
mäß nur die bereits beim Laxan- tienkolon beschriebene subtotale Kolektomie zum Erfolg führen.
Für die angeborenen Lageanoma- lien des Kolons ist das Aufeinan- dertreffen von funktioneller und morphologischer Schädigung ty- pisch. Die Schädigung von Gan- glien- und Muskelzellen beschleu- nigt die Dilatation und Elongation des Kolons, die so schließlich die Kotpassage völlig zum Erliegen 1546 (64) Heft 19 vom 11. Mai 1984 81. Jahrgang Ausgabe A
Darstellung 4:
Segmentresektion am Beispiel des M. Hirschsprung mit Fortnahme des engen agan- glionären Seg- mentes und des oral dilatierten Kolons
bringt. Diese organische Obstipa- tionsform ist meist bis ins Kindes- alter zurückzuverfolgen. Der bei gezielter Fragestellung sich auf- drängende Verdacht einer Fehlla- ge wird durch MDP und KKE er- härtet. Bei acht unserer Obstipa- tionspatienten ergaben bereits diese einfachen Diagnoseverfah- ren die im Kindesalter übersehe- ne angeborene Fehllage des ge- samten Intestinaltraktes im Sinne einer Malrotation II. Nach Rück- drehung der Mesenterialwurzel und Wiederherstellung der anato- mischen Normallage waren die Patienten nach einem Jahr erst- malig in ihrem Leben beschwer- defrei und in der Lage, ihren Stuhl ohne Laxantien abzusetzen. Wir haben bei der Operation die aus- gebliebene Drehung der Mesen- terialwurzel nachvollzogen und Darm und Mesenterium dorsal- wärts an die hintere Bauchwand fixiert. Danach lag das Zökum wie-
der im rechten Unterbauch, das Transversum präduodenal im mittleren Oberbauch und die Fle- xura duodeno-jejunalis wieder an normaler Stelle. Colon descen- dens und Sigma mündeten nun- mehr ohne Abknickung ins Rek- tum ein.
Anlagebedingte Veränderungen, wie die nachweislich stenosieren- de mobile Doppelflinte der linken Flexur, das torquierende Coecum mobile, das primäre Dolichocolon descendens oder Sigma mit rezi- divierendem Volvulus erfordern eine sehr kritische und abgestufte Indikationsstellung. Während die Zökaltorsion mit der Zöko-Aszen- dopexie zu beheben ist, erfordern die übrigen genannten Befunde die partielle Linksresektion, d. h.
also die Beschränkung auf den morphologisch veränderten Hin- dernisbereich. Bei unseren 40 Operierten mit organischer Obsti-
pation betrug die durchschnitt- liche Anamnesedauer bei der Operation 23 Jahre. 15mal rese- zierten wir das Kolon, 17mal ge- nügte eine Spaltung oder Exzi- sion des inneren Anorektalsphink- ters, achtmal wurde eine Malrota- tion retorquiert und fixiert. 36 die- ser Patienten wurden ebenso wie die Vielzahl der in diese Serie nicht einbezogenen Zöko-Aszen- dopexien postoperativ völlig be- schwerdefrei. Drei Patienten hat- ten noch Restbeschwerden, d. h.
in 48stündigen Intervallen konnte mit Quellmitteln und salinischen Laxantien Stuhl abgesetzt wer- den. Ein Patient mit einem idio- pathischen Megakolon verstarb nach der Operation an einem von der Obstipation und der Opera- tion unabhängigen toxischen Le- berversagen. Der Erfolg der ope- rativen Behandlung hängt letzt- lich von der kritischen Indikations- stellung ab (Tabelle 4). Sie setzt eine subtile diagnostische Ab- grenzung der im einzelnen vorlie- genden Obstipationsform und -ur- sache voraus. Denn erst die Kenntnis der pathomorphologi- schen und pathofunktionellen Zu- sammenhänge ermöglicht es, dem Chirurgen ein dem Befund angemessenes und abgewogenes Operationsverfahren zu wählen.
Literatur
(1) Born, Ch.: Die chirurgische Therapie der chron. Obstipation Dissertation, Aachen (1983) (im Druck) — (2) Dahlmann, W.; Volles, E.; Lü- deritz, B.: Lähmungen, organisches Psycho- syndrom und Herzrhythmusstörungen bei ex- tremer Kaliumverarmung durch chronischen Laxantienabusus, Dtsch. med. Wschr. 102 (1977) 1955 — (3) Dobroschke, J.: Zur chirurgi- schen Therapie der chronischen Obstipation, Dtsch. med. Wschr. 21 (1974) 1125 — (4) Hol- schneider, P. A.: Elektromanometrie des End- darms, Urban & Schwarzenberg, München (1974) — (5) Reifferscheid, P.: Das Megacolon congenitum des Erwachsenen, Chirurg 52 (1981) 344.
Anschrift des Verfassers:
Professor Dr. med.
Martin Reifferscheid Abteilung Chirurgie VII. Medizinische Fakultät der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen Höfchensweg 107
5100 Aachen