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Archiv "Das Gelsenkirchener Aktionspapier" (03.06.1976)

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73. Jahrgang / Heft 23 3. Juni 1976

Postverlagsort Köln

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Dieselstraße 2 Postfach 40 04 30 5000 Köln 40 (Lövenich) Ruf: (0 22 34) 70 11 - 1 Fernschreiber 8 89 168

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Die Information: DEUTSCHE S

Bericht und Meinung

ÄRZTE B LATT

Ärztliche Mitteilungen

Herausgeber: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung

Das Gelsenkirchener Aktionspapier

Der „Sozialdemokratischen Fachkonferenz Gesundheit"

wurde ein weiteres Gesundheitsprogramm vorgelegt

Die SPD tut sich offenbar schwer, wenn es darum geht, zu einer Bundestagswahl ein überzeugendes und für den Wähler aussage- kräftiges gesundheitspolitisches Programm zu formulieren.

Nach der „Sozialdemokratischen Fachkonferenz Gesundheit", die am 21. Mai in Gelsenkirchen stattfand und auf der nicht weniger als vier SPD-Mitglieder der Bundesregierung ausführliche Referate hielten, gibt es zwar ein neues Papier, ein Aktionsprogramm

„Gesundheit '76". Aber die Teilnehmer an dieser Konferenz muß- ten sich gegenseitig immer die Einschränkung vorhalten, dies sei noch nicht jener „gesundheitspolitische Fachkongreß", dessen Einberufung in den Beschlüssen zur Gesundheitspolitik des Mann- heimer Parteitages 1975 festgelegt worden war. So durften die Teilnehmer an der Gelsenkirchener Fachkonferenz wohl einen Nachmittag lang in drei Arbeitskreisen über einzelne Teile dieses neuen Dokuments diskutieren; darüber abstimmen oder es offiziell verabschieden aber durften sie nicht.

Dies wäre auch, wie der nordrhein-westfälische Gesundheits- minister, Prof. Friedhelm Farthmann, und andere in der Diskussion sagten, „eine Zumutung" gewesen; denn die Teilnehmer hatten dieses 24 Schreibmaschinenseiten umfassende Papier erst zu Be- ginn der Sitzung zu sehen bekommen. Wer für den Inhalt verant- wortlich zeichnet, blieb — zumindest nach außen hin — unklar (die Verfasser dürften in den Vorständen der Gesundheits- wie der Sozialpolitischen Ausschüsse beim SPD-Parteivorstand beziehungs- weise unter deren Referenten zu suchen sein). Und selbst den Teilnehmern wurde nicht ganz deutlich, ob nun dieses neue Pro- gramm gleichberechtigt neben andere programmatische Aussagen der SPD zur Gesundheitspolitik treten soll (etwa die gesundheits- politischen Beschlüsse und das Zehn-Punkte-Programm zur Ko- stendämpfung vom Mannheimer Parteitag 1975, den Abschnitt Ge- sundheitspolitik im „Orientierungsrahmen '85" oder den Abschnitt Gesundheitspolitik im Entwurf des sozialdemokratischen Regie- rungsprogramms 1976 bis 1980) oder diese gar ersetzen, realisieren oder vergessen machen soll.

DEUTSCHES ÄRZTE BLATT Heft 23 vom 3.Juni 1976 1531

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Die Information:

Bericht und Meinung SPD-Aktionspapier

Eine Hauptthese, die in den Dis- kussionen der Fachkonferenz etli- che Male wiederholt wurde, brach- te Friedel Läpple, der Vorsitzende des Gesundheitspolitischen Aus- schusses beim SPD-Vorstand, gleich in seinem Eröffnungsreferat vor: Die „Kostenexplosion" sei der

„fiskalische Ausdruck" von ge- schichtlich gewachsenen Fehlent- wicklungen im Gesundheitssy- stem, die man allzu lange unkor- rigiert gelassen habe. Und die

„Konservativen" (mit denen Läpple oft in Bausch und Bogen gleicher- maßen die CDU-Opposition wie auch die ärztlichen Organisationen meinte) „mißbrauchten" die Ko- stenfrage — indem sie sie „über- betonten" — dazu, vom „Hauptpro- blem" abzulenken, nämlich einer

„Strukturreform" im Gesundheits- system.

Ein ähnliches Argument verwandte der Berliner Gesundheitssenator Erich Pätzold: Nachdem im Ge- sundheitswesen unter den „Kon- servativen" vieles seit Jahrzehnten unverändert geblieben sei, habe nunmehr die Kostendiskussion ei- nen Reformdruck erzeugt, und die- sen sollte man „sich zunutze" (?) machen.

Läpple gab sich offensiv, beschul- digte die ärztlichen Organisationen und ihre Organe der „Diffamie- rung" und des „Anschwärzens"

von Sozialdemokraten, denen un- gerechtfertigterweise alles mögli- che unterstellt werde, unter ande- rem Verstaatlichungsabsichten, und er unterstellte seinerseits der ärztlichen Standesführung, sie ver- suche, „Druck" auszuüben, um die Patienten „noch rechtzeitig vor den Wahlen das Fürchten zu lehren".

Im auffallenden Gegensatz dazu sprach, ganz betont als „gesund- heitspolitischer Laie" und teilweise sehr persönlich, Bundeskanzler Helmut Schmidt. Nach einem histo- rischen Rückblick auf die gesund- heits- und sozialpolitischen Forde- rungen der frühen Sozialdemokra- ten ging es ihm vor allem darum zu versichern, daß die SPD weder eine Verstaatlichung des Gesund-

heitswesens noch die Abschaffung der Freiberuflichkeit der niederge- lassenen Ärzte wolle.

Bei dem Versuch zu differenzieren, wandte sich Schmidt ausdrücklich gegen jene, welche die Ärzteschaft pauschal mit „Vorwürfen" über- schütten. Die „holzschnittartige Knüppeldiskussion", die in den letzten Wochen und Monaten statt- gefunden habe, bezeichnete Schmidt als eine schlimme Verir- rung, die der Sache nichts nütze.

Man müsse die gesundheitspoliti- sche Diskussion entkrampfen, müs- se miteinander reden; und dazu gehöre auch die Bereitschaft, der Gegenseite guten Willen zu unter- stellen. Schmidt versuchte jedoch auch, eine Kluft zu zeichnen zwi- schen der „Masse" der Ärzte und den Funktionären der ärztlichen Berufsorganisationen. Es sei be- dauerlich, daß letztere „gegen Gespenster kämpften" und „Fron- ten aufrissen", die für Patient und Arzt in Wirklichkeit gar nicht be- stünden. Großzügig war Schmidt sogar bereit, „die Ärzte" vor ihren gewählten Vertretern in Schutz zu nehmen...

Nach Helmut Schmidt gab Bundes- arbeitsminister Walter Arendt im wesentlichen einen Überblick über die bisherigen gesundheitspoliti- schen Leistungen der soziallibera- len Koalition. Es komme nunmehr darauf an, sich nach den knapper werdenden Mitteln zu richten und diese verstärkt dort einzusetzen, wo Ursachen einer gesundheitspo- litischen Fehlentwicklung liegen.

Diese Ursachen müßten beseitigt werden. Die nächste Phase der Entwicklung des Gesundheitswe- sens müsse verstärkt auf eine „ef- fektive und kostengünstigere" Lei- stungserstellung, auf eine „gleich- mäßigere" Bedarfsdeckung und auf den Vorrang von Qualität ge- richtet sein. Im Zusammenhang mit der Kostenentwicklung sprach sich Arendt nachdrücklich gegen eine direkte Beteiligung der Versicher- ten an den Krankheitskosten aus.

Auch Bundesgesundheitsminister Katharina Focke zählte Leistungen

der Sozialdemokraten auf, seit sie in der Bundesregierung Verantwor- tung für die Gesundheitspolitik tra- gen (1966). Dazu gehörte unter an- derem die bemerkenswerte These, sozialdemokratische Politik habe dazu beigetragen, daß die Zahl der im Gesundheitswesen tätigen Ärzte allein von 1970 bis 1974 um mehr als 15 000 gestiegen sei.

Für die Zukunft stellte Frau Focke mehr Planung im Gesundheitswe- sen, mehr Bedarfsgerechtigkeit und mehr Wirtschaftlichkeit in den Vordergrund. Eine weitere rheto- risch bemerkenswerte Äußerung in diesem Zusammenhang: Wer all dies mit dem Vorwurf der „System- veränderung" abtue, der müsse sich Vermutungen gefallen lassen, er wolle entweder alles genauso lassen, wie es ist; er sei nur bei kritikloser Übernahme eigener Vor-.

schläge zu Sachdiskussionen zu bewegen; oder aber, er lehne Vor- schläge anderer von vornherein ab, um sich gar nicht erst den Proble- men stellen zu müssen.

Beständige Liebe zu „Zentren"

Es ist nun wahrscheinlich weitge- hend eine Frage des Standpunktes zu beurteilen, ob auf dieser sozial- demokratischen Fachkonferenz mehr über eine „Systemverände- rung" oder aber über „Strukturän- derungen" gesprochen werden sollte. Betrachtet man unter die- sem Gesichtspunkt den Inhalt des neuen „Aktionsprogramms Ge- sundheit '76", so stößt man sehr schnell auf einige alte Bekannte:

Im Abschnitt „Struktur der medizi- nischen Versorgung" erscheinen wieder Medizintechnische Zentren, Zentrale Informationssysteme und Medizinische Gemeindezentren.

Die wichtige Frage, wer Träger der Medizintechnischen Zentren sein soll, wird offengelassen; ja, in der Arbeitsgemeinschaft A wurde es ausdrücklich abgelehnt, Näheres über die Trägerschaft auszusagen.

Es heißt lediglich, daß sie als „ver- flechtende" Einrichtungen zu ei- nem leistungsfähigen System ge-

Fortsetzung auf Seite 1534

1532 Heft 23 vom 3. Juni 1976 DEUTSCHES .ÄRZTEBLATT

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Die Information:

Bericht und Meinung

S

ehr geehrter Herr Bundes- kanzler,

mein Herz als einfacher Kassen- arzt schlug höher, als ich in der Zeitung die Überschrift las

„Schmidt stellt sich vor die Ärz- te". Dabei war es weniger die Versicherung, ihre Partei denke nicht im Traum an die Verstaat- lichung des Gesundheitswe- sens; was mich freute, war Ihre Erklärung, die SPD ließe sich auch nicht mit denjenigen iden- tifizieren, die die Ärzteschaft pauschal diffamieren.

Doch der Freude war nur kurze Zeit vergönnt. Beim Weiterlesen stieß ich allzubald auf Ihre Aus- sage, es sei nicht gut, daß die überwiegend doch sehr einsich- tige und sehr vernünftige Ärzte- schaft den Eindruck zuließe, als ob sie sich in die Arme einiger Scharfmacher begeben hätten.

Ärzte, Patienten und Versicherte hätten keinen Grund zuzulas- sen, daß von Funktionären Fron- ten aufgerichtet würden, die zwischen Arzt und Patient in Wirklichkeit gar nicht bestün- den.

Hier fühlte ich mich natürlich als Funktionär angesprochen.

Die Formulierung — zumindest in der Presse-Wiedergabe — läßt allerdings die hoffnungsvol- le Vermutung offen, daß Sie gleichermaßen die Funktionäre der Ärzte wie die der Kranken- versicherung gerügt haben. Das wäre immerhin ein Fortschritt.

Denn bisher waren es aus dem Munde Ihrer Parteifreunde im- mer nur die Ärztefunktionäre, welche attackiert wurden.

Aber wenn Sie, Herr Bundes- kanzler, generell so hart über Funktionäre urteilen, dann wird man natürlich nachdenklich. Mir fiel zum Beispiel ein, daß in der Kreisstadt, in der ich seit nahe- zu 30 Jahren wohne, Anhänger der SPD, der FDP, der CSU und möglicherweise auch einige

„Radikale" von links und rechts recht friedlich nebeneinander leben. Auch in meiner eigenen

Arztpraxis hatte ich noch nie den Eindruck, daß das Wissen um unterschiedliche Parteizuge- hörigkeiten gutes menschliches Klima und Vertrauen auch nur im entferntesten gestört hätte.

Gestritten wird immer nur in den oberen Etagen. Und wer sitzt denn dort? Doch niemand anderer als die Parteifunktionä- re. Ich schließe daraus in Fort- setzung Ihrer eigenen Überle- gungen, daß wir einfachen Bür- ger und Wähler untereinander überhaupt keinen Streit haben

Von

Funktionär zu

Funktionär!

würden, wenn es in den Partei- en nicht diese Scharfmacher von Funktionären gäbe.

Unter meinen Patienten und sonstigen mir Bekannten befin- den sich auch brave Setzer und Drucker. Ich bin überzeugt, daß sie nie auf den Gedanken ge- kommen wären, einen Streik vom Zaune zu brechen. Schuld an diesem Zeitungsstreik, infol- gedessen wir tagelang auf die Lektüre der politischen Aussa- gen unseres Bundeskanzlers verzichten mußten, waren kei- neswegs die Setzer und Druk- ker, sondern wiederum die Scharfmacher und Funktionäre, in diesem Fall die Gewerk- schaftsfunktionäre mit ihrem Gewerkschaftsvorsitzenden, al- so dem Hauptfunktionär, an der Spitze. Wie friedlich könnte es also sein in der Arbeitswelt, wenn es keine Gewerkschafts- funktionäre mehr gäbe. Dabei dürfte natürlich keinesfalls über- sehen werden, auch den Ober- funktionär Schleyer und seine Mitfunktionäre von der Arbeitge- berseite in die Wüste zu schik- ken.

Wenn ich mir nun diesen „Ideal- zustand" so ausmale — eine Welt völlig ohne Funktionäre —, dann bliebe uns Funktionären, also sowohl Ihnen, Herr Bun- deskanzler, wie auch mir oder denen von der Gewerkschaft und den Arbeitgebern, immer noch der erlernte Beruf, dem wir sicher voll gerecht würden.

Unsere Funktionärsseelen aller- dings hätten nur die Chance, in eine Art „Funktionärshimmel"

aufgenommen zu werden. Die dazu notwendigen Beziehungen zum lieben Petrus könnten viel- leicht die Funktionäre der CDU/

CSU herstellen.

Wetten, Herr Bundeskanzler, es würde gar nicht sehr lange friedlich bleiben bei unseren Mitbürgern. Schon nach kurzer Zeit würden sie unruhig werden und fragen, wer denn nun ei- gentlich ihre Interessen vertritt.

Rasch entschlossen, wie wir alle Sie kennen, würde dann Ihre Funktionärsseele sicher nicht zögern, die Rückkehr zur Erde anzutreten, bevor die da unten auf den Gedanken kommen könnten, sich neue Funktionäre zu wählen.

Wäre dies nicht der Augenblick, einmal darüber nachzudenken, ob in unserer Gesellschaft nicht jede Gruppe ein Recht auf Inter- essenvertretung, also auf ihre Funktionäre, hat und auf sie an- gewiesen ist? Wer selbst Funk- tionär ist — das trifft doch mit Sicherheit auch auf den Stell- vertretenden Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei zu

—, dem sollte, wenn er andere Funktionäre als Scharfmacher abqualifiziert, immer bewußt sein, daß es unklug ist, mit Stei- nen zu werfen, wenn man selbst im Glashaus sitzt. Die Splitter könnten leicht ins eigene Auge gehen.

Mit einem freundlichen Gruß von Funktionär zu Funktionär verbleibe ich als

Ihr

Professor Sewering

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 23 vom 3.Juni 1976 1533

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Die Information:

Bericht und Meinung SPD-Aktionspapier

• Fortsetzung von Seite 1532 hörten und daß „integrierte" Syste- me in verschiedenen Regionen modellhaft erprobt werden müßten.

Die „Planung der medizinischen Versorgung" soll nach einheitli- chen Prinzipien erfolgen; dazu ge- hören unter anderem „Normen für den Bedarf" an Einrichtungen und deren Ausstattung sowie „Stan- dards für die Leistungen" der Ein- richtungen.

Die ambulante medizinische Ver- sorgung soll auch in Zukunft auf der freiberuflichen Tätigkeit nie- dergelassener Ärzte bei freier Arzt- wahl beruhen. Jedoch sollen vor- zugsweise an die Stelle der ärztli- chen Einzelpraxis Gruppenpraxen treten, insbesondere „fachverbin- dende Gruppenpraxen".

Die Krankenkassen sollen ärztliche Leistungen einheitlich unabhängig von der Kassenart vergüten. Wo die ambulante Versorgung anders nicht sichergestellt werden könne, sollen die Krankenhäuser dafür ge- öffnet werden. Für die Vergütung der niedergelassenen Ärzte im am- bulanten Bereich schlagen die Ver- fasser des Aktionsprogramms vor, ein „Leistungskomplexhonorar", nämlich eine „differenzierte Lei- stungsvergütung nach Krankheits- gruppen und -verläufen".

Auf dem stationären Sektor soll vor allem die Krankenhausbedarfspla- nung koordiniert und systematisch weiterentwickelt werden, woran auch die Krankenkassen gleichbe- rechtigt zu beteiligen seien. Als letzter von neun Punkten zu die- sem Thema wird dann gefordert, den Krankenhäusern die vorstatio- näre Diagnostik sowie die ambu- lante Nach- und Weiterbehandlung zu ermöglichen — „als Vorstufe zur Integration sowie zur Vermin- derung der Zahl der Krankenhaus- einweisungen". Daß das Privatli- quidationsrecht der leitenden Ärzte abgeschafft werden soll, ist eben- falls nichts Neues.

Ein eigener Abschnitt in dem Ak- tionsprogramm ist der Kostenent-

wicklung gewidmet. Hier heißt es im ersten und wichtigsten von sechs Punkten: Die Ausgabenent- wicklung soll, zunächst für einen mittelfristigen Zeitraum, an die Ein- nahmenverbesserungen gekoppelt werden, um eine weitere Erhöhung der Beitragssätze weitgehend zu vermeiden.

Ein Wahlkampfpapier

Spätestens in diesem Abschnitt des Aktionsprogramms fällt eine besondere Lücke auf: Die Proble- me der Krankenversicherung der Rentner werden überhaupt nicht erwähnt; das Wort „Rentner"

kommt nicht ein einziges Mal vor.

Diese und andere Lücken in dem Aktionsprogramm wie auch Einzel- heiten der nachmittäglichen Dis- kussionen in den Arbeitsgemein- schaften machten deutlich, daß die ganze Veranstaltung ebensoviel mit innerparteilichen Auseinander- setzungen zu tun hatte wie mit dem Versuch, dem Bürger vor der Wahl ein attraktives gesundheitspoliti- sches Parteiprogramm vorzulegen.

„Linke" und „Rechte" der SPD wollten sich so kurz vor der Wahl wohl nicht zu sehr gegenseitig auf die Füße treten. So bat der Bun- destagsabgeordnete Eugen Glom- big, Vorsitzender des Arbeitskrei- ses Sozialpolitik in der SPD-Bun- destagsfraktion, der die Arbeitsge- meinschaft „Kostenentwicklung"

leitete, gleich zu Beginn darum, über die Krankenversicherung der Rentner nicht zu diskutieren ...

Im einzelnen gab es zum Teil scharfe „innere" Kritik. Juso-Spre- cher bemängelten, mit ihren Hin- weisen auf die freie Arztwahl und darauf, daß die von der SPD gefor- derten Reformen im Gesundheits- system von den daran Beteiligten durchgeführt werden sollten, er- weise man sich als „blauäugig"

und mache im übrigen einen Kotau vor den ärztlichen Organisationen.

Aus der gleichen Richtung kamen auch Forderungen wie, die freie Arztwahl müsse man erst einmal schaffen, nämlich die Auswahl zwi- schen niedergelassenen Ärzten

und Institutionen im ambulanten Versorgungsbereich. Es war aber auch zu hören, bei der freien Arzt- wahl handele es sich um eine Fik- tion; jeder wisse, daß es sie (vor allem im Krankenhaus) nicht geben könne. Doch müsse man das Wort wohl stehenlassen, um niemanden zu verprellen.

Mit ähnlich offensiven Tönen, mit denen sie begonnen hatte, endete die „Sozialdemokratische Fach- konferenz Gesundheit". Nachdem die Vorsitzenden der drei Arbeits- gemeinschaften dem Plenum Be- richt erstattet hatten, versprach Dr.

Fritz Cremer, stellvertretender Vor- sitzender des Gesundheitspoliti- schen Ausschusses beim SPD-Vor- stand, in seinem Schlußwort, daß die vorgebrachten Meinungen und Änderungswünsche zum „Aktions- programm Gesundheit '76" dem Parteivorstand übermittelt würden.

Weiteres habe dann die gesund- heitspolitische Konferenz der SPD spätestens im Frühjahr 1977 zu be- schließen; aber schon jetzt seien eigentlich keine Mißdeutungen mehr über die Zielvorstellungen der Partei möglich...

Gegen „böswillige Mißdeutungen"

jedoch, fügte Cremer hinzu, müßte die SPD noch offensiver vorgehen.

Und er begann auch gleich damit:

Er zitierte aus dem Grundsatzrefe- rat des Präsidenten der Bundesärz- tekammer, Professor Sewering, vor dem 79. Deutschen Ärztetag (DEUTSCHES ÄRZTEBLATT, Heft 22/1976, Seite 1490) zwei Stellen, in denen Professor Sewering sachlich begründet hatte, warum die Ärzte- schaft „Medizintechnische Zen- tren" ablehnt und warum die Ein- führung der von der SPD vorge- schlagenen „Mitbestimmung" im Gesundheitswesen zu einer Herr- schaft der Gewerkschaften führen muß. Sewering wolle die SPD miß- verstehen, unterstellte der stellver- tretende Ausschußvorsitzende kur- zerhand — und dies war nun wahr- haftig nicht ein Beispiel für „sachli- ches Miteinanderreden", wie der stellvertretende Parteivorsitzende es zu Beginn dieser SPD-Veran- staltung befürwortet hatte. gb/NJ

1534 Heft 23 vom 3.Juni 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Referenzen

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