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ynäkologische Praxen erle- ben derzeit eine starke Be- werbung eines neuen molekularge- netischen Pränataldiagnostik-Tests aus mütterlichem Blut (PraenaTest® express). Das Ergebnis soll nach Aussagen der Herstellerfirma Life- codexx bereits nach einer Wochevorliegen und mit hoher Sicher- heit (circa 98 Prozent) „die fe- talen Trisomien 13, 18 und
21 aus dem mütterlichen Blut von Frauen mit Risi- koschwangerschaften ab der SSW 9+0“ erkennen lassen“. Die versprochenen Vorteile: „Belastende Warte- zeiten“ werden von vormals zwei Wochen „auf ein Mini- mum reduziert“, die Ergebnisse liegen früher vor und seien we- sentlich sicherer als beim Ersttri- mester-Screening. Nach wie vor soll ein positives Ergebnis durch eine in- vasive Untersuchung, meist Amnio- zentese, abgeklärt werden.
Potenzial zum Screening Als die erste Generation des nicht- invasiven Bluttests für Debatten sorgte, war der zeitliche Rahmen noch deutlich weiter gesteckt: Zwei Wochen nach der Blutentnahme und möglichst erst nach der 12.
SSW sollten die Testergebnisse zu Trisomien und fetalem Geschlecht mit gesetzlich vorgeschriebener, humangenetischer Beratung vorlie- gen und mitgeteilt werden. So be- stand ursprünglich nicht die Gefahr, dass ein Entschluss zum Schwan- gerschaftsabbruch innerhalb der Frist von zwölf Wochen (in der die Beratungsregelung gilt) ohne Ab- warten einer Abklärung gefällt wer- den konnte. Der neue, schnellere Test hat technologisch das Potenzi- al, ein Screening zu werden – ohne Umwege über das Ersttrimester- Screening oder eine Amniozentese.
Mittlerweile bieten Konkurrenz- Unternehmen wie Amedes/Natera (Panorama-Test) und Ariosa (Har- mony-Test) ähnliche Analysen – durchgeführt in den USA – billiger und ab der 9. beziehungsweise 10.
SSW an. Das chinesische Bejing Genomic Institute drängt mit noch preisgünstigeren Angeboten auf den europäischen Markt. Die Aus- weitung auf weitere genetisch er- kennbare, numerische und subchro- mosomale Abweichungen ist be- reits erfolgt oder wird in naher Zu- kunft erwartet. Die Ausweitung auf Frauen, die keinem „Hochrisiko- Kollektiv“ angehören, ist interna- tional im Gange.
Die Entwicklung ist atemberau- bend und bereitet Sorgen. Denn im Raum steht die Frage, ob sich die hohen Erkennungsraten in großen und firmenunabhängigen Studien bestätigen werden. Sachverständi- ge beim Deutschen Ethikrat schätz- ten, dass sich zwei Drittel der po - sitiven Testergebnisse als falsch - positiv erweisen könnten, wenn die Verfahren bei Frauen ohne hohe Risiken angewandt werden. Die Aussicht auf weniger Spätabbrü- che, für Frauen schonendere Diag- noseverfahren und sinkende Am- niozentese-Raten klingt begrüßens- wert. Doch sowohl die medizi- nisch-fachliche wie auch die ethi- sche Bewertung nichtinvasiver Gen- tests hinken jener Marktdynamik hinterher, die im Wesentlichen von den Herstellern und großen Labor- unternehmen bestimmt wird. So fehlen derzeit:
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valide Zahlen über die Inan- spruchnahmen der Bluttests ohne auffälliges Ersttrimester-Screening, über deshalb sinkende Raten an Amniozentesen und Spätabbrüchen●
eine Klärung, ob und inwie- weit Gynäkolog(inn)en aktiv über die Testverfahren aufklären müssenund wie sie das im Praxisalltag be- wältigen können
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Zulassungsregeln für solche Medizinprodukte, an die viel stren- gere Qualitätsanforderungen ge- stellt werden müssten●
verlässliche Informationen über die Beratungspraxis und -qualität.Das ganze Dilemma von IGeL- Leistungen, wunscherfüllender Me- dizin, Werbung und Kaufanreizen im Internet sowie Privatisierungs- tendenzen im öffentlich finanzierten Gesundheitswesen tritt hier offen zutage. In der pränatalen Diagnostik steht viel auf dem Spiel. Wo liegt die Grenze zwischen dem Anspruch auf einen individuell erträglicheren Schwangerschaftsabbruch und der Praxis einer flächendeckenden Se- lektion von Ungeborenen mit Triso- mien, anderen genetisch erkennba- ren Auffälligkeiten oder mit dem unerwünschten Geschlecht?
Unkontrollierter Absatzmarkt Wann droht die ärztliche Begleitung der Schwangeren von Risikoermitt- lungen und technologisch erzeugter, individueller Verunsicherung domi- niert zu werden? Wie ist die gesell- schaftlich begrüßte Inklusion von Menschen mit Behinderungen ange- sichts der – auch pränataldiagnos- tisch bedingten – Leistungsansprüche an Kinder zu wahren und zu fördern?
Einfache Antworten gibt es hier nicht, weder innerhalb noch außer- halb der Arztpraxen. Eines aber ist sicher: Es kann und darf nicht sein, dass Privatunternehmen die Schwan- gerenvorsorge in einen Absatzmarkt verwandeln, der politisch und be- rufsrechtlich weitgehend unkontrol- liert und so beschleunigt ist, dass kei- ne Zeit zum Nachdenken bleibt.
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Erika Feyerabend Dr. med. Antje Huster-Sinemillioglu Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V.
GENANALYSEN IN DER SCHWANGERENVORSORGE
Keine Zeit zum Nachdenken
Molekulargenetische Pränataldiagnostik-Tests boomen. Doch sowohl die medizinisch-fachliche wie auch die ethische Bewertung nichtinvasiver Gentests hinken der Marktdynamik hinterher. Ein Diskussionsbeitrag
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A 1806 Deutsches Ärzteblatt