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Archiv "Medizinprodukte: Nutzenbewertung ist machbar" (02.03.2012)

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A 406 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 109

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Heft 9

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2. März 2012

MEDIZINPRODUKTE

Nutzenbewertung ist machbar

Klinische Studien zum therapeutischen Nutzen von Medizinprodukten sind schwierig durchzuführen, nach Meinung von Experten aber zunehmend erforderlich.

W

enn neue Arzneimittel auf den Markt kommen, ist häu- fig keineswegs klar, dass die Patien- ten davon auch profitieren. Oft sind neue Pharmaka teuerer und verursa- chen mehr Nebenwirkungen als be- währte Präparate. Studien, die einen Zusatznutzen belegen könnten, feh- len oftmals. Ähnlich ist die Situation bei Medizinprodukten. Jährlich ge- langt eine vierstellige Zahl von Me- dizinprodukten auf den Markt. Mit der im Jahr 2010 vorgenommenen Angleichung der Leistungsbewer- tungen und der klinischen Prüfungen von Medizinprodukten an das Arz- neimittelrecht haben sich die Zu - lassungsbedingungen vor allem für Produkte höherer Risikoklassen (wie Medizinprodukte der Klasse III und Implantate) verschärft. Allerdings ist mit der Zulassungsentscheidung kein Nutzennachweis verbunden. Zudem gibt es grundsätzliche Unterschiede zwischen Arzneimitteln und Medi- zinprodukten, die sich auch auf die methodische Anlage von Studien auswirken. Wie lassen sich vor die- sem Hintergrund Studien zur thera- peutischen Behandlung mit Medizin- produkten durchführen? Mit dieser Frage beschäftigte sich das 5. Dis- kussionsforum zur Nutzenbewertung im Gesundheitswesen* in Berlin.

Einen Überblick über die Hürden, die klinische Studien mit Medizin- produkten in der operativen Medizin bewältigen müssen, zumal wenn es sich dabei um randomisierte kontrol- lierte Studien (RCT) handelt, gab

Prof. Dr. med. Moritz Wente, Abtei- lung Medical Scientific Affairs und Chief Medical Officer bei der Aes- culap AG. Die Durchführung einer multizentrischen Studie neben der operativen Tätigkeit und der Ausbil- dung etwa sei sehr zeitaufwendig und daher nicht unbedingt attraktiv für Mediziner, meinte der Chirurg.

Meist handelt es sich dabei um kom- plexe Kooperationen zwischen In- dustrie, Behörden und klinischen Partnern. Komplex deswegen, weil Medizinprodukte im Rahmen von klinischen Prozeduren genutzt wer- den und somit vielen Einflussfakto- ren (Patient, Anwender, Umfeld et cetera) ausgesetzt sind. Eine Standar- disierung ist unter diesen Umständen schwierig, denn die Ergebnisse sind beispielsweise je nach Operateur un- terschiedlich. Dennoch: „Eine für hochwertige klinische Studien gefor- derte Struktur-, Behandlungs- und Beobachtungsgleichheit ist zwar nicht einfach zu realisieren, aber machbar“, sagte der Experte.

Placeboeinsatz ist problematisch

Eine Verblindung ist laut Wente möglich, wenn auch aufwendig. Pro- blematischer sei der Einsatz von Pla- cebos in der operativen Medizin und nur in Einzelfällen durchführbar, denn mit der Zunahme der Invasivi- tät einer operativen Methode werden auch ethische Probleme aufgewor- fen. Daher müsse es um eine rele- vante klinische Fragestellung gehen und das Risiko in der Placebogruppe minimiert werden, betonte Wente.

Für einen Vergleich sind darüber hinaus die Lernkurve des Arztes im Zusammenhang mit einer bestimm- ten Prozedur wichtig sowie der

Zeitpunkt, wann mit der Studie zu einer Innovation begonnen wird. So verringern sich beispielsweise Mor- bidität und Krankenhausverweil- dauer in der Kenntnisphase des Operateurs signifikant. Das könne bei komplizierten Eingriffen durch- aus bedeuten, dass der Chirurg hier- für mehr als 100 Operationen durchgeführt haben müsse, erläu- terte Wente. Die Erfahrung und Expertise der Anwender – sowohl des einzelnen Arztes als auch ge - gebenenfalls eines medizinischen Zentrums – spielen ebenfalls eine Rolle.

Je nach Gebiet erfordern Studien lange Phasen der Nachverfolgung mit entsprechenden Verlusten an verfügbaren Patienten. Um seltene Ereignisse feststellen zu können, sind zudem große Fallzahlen nötig.

Zusätzlich müsse man deutlich mehr Patienten mit den erforderli- chen Einschlusskriterien anspre- chen als man an Fallzahlen für die Endpunkte der Studie benötige, sagte Wente.

Ein weiterer Aspekt ist die Über- tragbarkeit in die klinische Praxis:

Was in der Hand des Entwicklers oder Spezialisten funktioniert, lässt sich zuweilen im Regelbetrieb nicht erfolgreich anwenden. Schließlich ist die Finanzierung von Head-to- Head-Studien, das heißt versor- gungsnahen klinischen Studien nach der Zulassung, die an einer größeren heterogenen Patientenzahl durchgeführt werden, ebenfalls schwierig mit der Folge, dass häu- fig direkte Vergleiche zwischen den für die Versorgung zugelassenen Alternativen fehlen.

Auf Besonderheiten von Medi- zinprodukten im Vergleich zu Arz- Transfemorales

Kathetersystem für die Transkathe- terherzklappe – ein Beispiel für ein Hochrisiko-Medizin-

produkt

Foto: BVmed/Edwards Lifesciences Services GmbH

* veranstaltet vom Ge- sundheitsforschungsrat des Bundesministe - riums für Bildung und Forschung und vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen

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Deutsches Ärzteblatt

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2. März 2012 A 407 neimitteln ging Prof. Dr. med. An-

dreas Ziegler, Universität zu Lü- beck, ein. So unterscheiden sich etwa Pharma- und Medizinprodukte - industrie erheblich: Bei Letzterer handelt es sich um eine Branche mit vielen kleinen und mittelständisch geprägten Betrieben mit niedrige- ren Umsätzen. Die Finanzierung von Wirksamkeitsprüfungen und Nutzenbewertungen dürfte vor die- sem Hintergrund für viele Unter- nehmen problematisch sein.

Ziegler führte zudem aus, dass es bei Arzneimitteln vorwiegend um eine pharmakologisch-chemische Reaktion im Körper gehe, wohinge- gen die Effekte von Medizinpro- dukten auf den menschlichen Kör- per physikalischer Natur seien. Zu fragen sei, ob chemische und phy - sikalische Wirkmechanismen ver- gleichbar seien. In klinischen Prü- fungen bei Medizinprodukten gehe es um Funktion und Sicherheit bei normalen Einsatzbedingungen ent- sprechend der Zweckbestimmung, nicht aber um die Wirksamkeit wie bei Arzneimitteln. Die Zulassung erfolge nach dem Medizinproduk- tegesetz produkt- und nicht indika- tionsspezifisch.

„Die wissenschaftlichen Prinzi- pien für die Beurteilung von phar- makologischen und chirurgischen Studien sind gleich“, erklärte hin- gegen Dr. med. Markus Diener, Universitätsklinikum Heidelberg.

Methodische Orientierung böten dabei die klinische Epidemiologie und die evidenzbasierte Medizin.

Laut Diener beruhen derzeit ledig- lich 20 Prozent aller Therapien in

der Chirurgie auf randomisierten kontrollierten Studien. Daher sieht er erheblichen Nachholbedarf.

Einigkeit herrschte in der Dis- kussion darüber, dass Nutzenbe- wertungen von Medizinprodukten und von Behandlungsverfahren notwendig sind. „Wir wissen viel zu wenig darüber, ob eine Behand- lung gut ist – das können wir uns nicht leisten“, betonte Michael Wel- ler vom GKV-Spitzenverband. Mit dem Versorgungsstrukturgesetz und der Erprobungsregelung nach § 137 c und e Sozialgesetzbuch V sei jetzt erstmals die Möglichkeit gegeben, dies zu evaluieren (Kasten).

Lebensqualität muss mit einbezogen werden

„Aus Patientensicht sind Innovatio- nen wünschenswert, aber Patienten wünschen sich auch, dass diese ei- nen Nutzen haben. In der Vergan- genheit haben sie damit manchmal schlechte Erfahrungen gemacht“, erklärte Dr. med. Ulrike Holtkamp von der Deutschen Leukämie- und Lymphom-Hilfe e.V. Die Patienten- vertreterin warb für eine verbesser- te Studienkultur und forderte, dass vor allem auch die Lebensqualität stärker in klinische Studien mit ein- zubeziehen sei.

Auch aus Sicht der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) gibt es Optimierungspotenzial.

„Viele Daten sind zwar schon da, etwa zu Wirksamkeit und Risiken von Medizinprodukten, aber es gibt auch Lücken“, meinte Dr. med. Ni- cole Schlottmann, DKG und Mit- glied im Gemeinsamen Bundesaus-

schuss (G-BA). „Die Studiende- signs werden künftig anspruchsvol- ler“, ist die Expertin überzeugt.

Auch im Hinblick auf Fehlermel- dungen seien klinische Daten nötig, um zu klären, ob es sich um einen Anwendungsfehler im Rahmen ei- ner Prozedur oder um einen Pro- duktfehler handele. „Ist das Produkt fehlerhaft, dann muss man es stop- pen, ist die Prozedur die Ursache, dann muss man zum Beispiel Schulungen machen.“ Bei jedem Produkt sei der Gesamtkontext ein- zubeziehen. „Ist es eine Sprung - innovation? Gibt es Vorläufer auf dem Markt? Handelt es sich um ein Produkt, zu dem wir schon Vor - wissen haben?“

Das Risiko, dass ein Medizinpro- dukt schadet, muss nach Meinung der Experten frühzeitig minimiert werden. Bei Hochrisikoprodukten, wie etwa Implantaten, ist zudem die Abstimmung mit der zuständigen Ethikkommission erforderlich.

Darüber hinaus müssten Studien zur Sicherheit und zum Nutzen un- terschieden werden, meinte Dr. med.

Gabriela Soskuty vom Bundesver- band Medizintechnologie. Aller- dings besteht über die Bewertungs- kriterien für Nutzen noch keine Eini- gung. Mögliche Kriterien sind etwa Schmerzreduzierung, Kostensen- kung, mehr Mobilität, weniger Mor- bidität und Mortalität, schnellere Re- konvaleszenz et cetera „Wie wir den Nutzen definieren, ist im G-BA noch relativ strittig“, meinte Schlottmann.

Wo etwa beim Patienten-Outcome der Nutzen anfange, sei nicht pau- schal zu beantworten. Zudem müsse nicht nur der patientenrelevante Out- come einbezogen werden, sondern auch andere Parameter, wie etwa die Sicherheit des klinischen Personals, die Einfachheit oder die Wirtschaft- lichkeit eines Verfahrens. So lassen sich beispielsweise System-, An- wender- und Patientennutzen unter- suchen. Außerdem sei zu fragen:

„Welche Studien brauchen wir, um Nutzen zu belegen? Manche sagen, nur RCTs.“ Das sei in der Praxis je- doch schwierig, denn manche Studi- en dauerten zehn Jahre. „Wir müssen im G-BA aber ad hoc entscheiden“, erklärte Schlottmann.

Heike E. Krüger-Brand

§ 137 e Sozialgesetzbuch V Erprobung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden

(1) Gelangt der Gemeinsame Bundesausschuss bei der Prüfung von Untersuchungs- und Behand- lungsmethoden nach § 135 oder § 137 c zu der Feststellung, dass eine Methode das Potenzial ei- ner erforderlichen Behandlungsalternative bietet, ihr Nutzen aber noch nicht hinreichend belegt ist, kann der Gemeinsame Bundesausschuss unter Aussetzung seines Bewertungsverfahrens eine

Richtlinie zur Erprobung beschließen, um die not- wendigen Erkenntnisse für die Bewertung des Nutzens der Methode zu gewinnen. (. . .) (2) Der Gemeinsame Bundesausschuss regelt in der Richtlinie nach Absatz 1 Satz 1 die in die Er- probung einbezogenen Indikationen und die sächli- chen, personellen und sonstigen Anforderungen an die Qualität der Leistungserbringung im Rahmen der Erprobung. Er legt zudem Anforderungen an die Durchführung, die wissenschaftliche Begleitung und die Auswertung der Erprobung fest. (. . .)

ERPROBUNGSREGELUNG

P O L I T I K

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