Deutsches Ärzteblatt
|
Jg. 112|
Heft 7|
13. Februar 2015 A 265 Der Acinetobacter-Ausbruch im UKSH Kiel ruftschlagartig die Konsequenzen einer eskalie- renden Zunahme der weltweiten Antibiotikare- sistenzen ins Bewusstsein, die Dramatik ist der allgemeinen Öffentlichkeit und der Politik
noch nicht voll bewusst. Solche Ausbruchs- szenarien könnten in Zukunft für viele Kran- kenhäuser zum Normalzustand werden. Die medizinische Versorgung ist in unserem auch im internationalen Vergleich hervorragenden Gesundheitsversorgungssystem gefährdet, wenn nicht energisch gegengesteuert wird, und zwar rasch.
Weltweit baut sich in den letzten Jahren ei- ne Tsunami-Welle an antibiotikaresistenten no- sokomialen Infektionserregern auf, die immer häufiger auch Deutschland erreicht. Geschuldet ist dies dem Umstand, dass bei der drastisch
wachsenden Weltbevölkerung insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern Milliarden Menschen unter katastrophalen sanitärhygieni- schen Bedingungen unter anderem auch in den von Kriegen heimgesuchten Ländern leben müssen. Infektionen können in diesen Ländern nur über frei verfügbare Antibiotika behandelt werden, Ihnen kann jedoch nicht vorgebeugt
werden. Dass auch entwickelte Länder des südlichen Europas, des Balkans, im nördlichen Afrika und im Vorderen Orient zu Hochrisikore- gionen mit endemischer Multiresistenz gehö- ren, zeigt der Fall des deutschen Touristen, der den multiresistenten Acinetobacter nach einer Klinikbehandlung in der Türkei ins UKSH impor- tiert hat. Der daraus folgende aktuelle Ausbruch aber ist nicht nur Konsequenz einer weltweiten Entwicklung, sondern auch von Versäumnissen in Deutschland. Die baulichen Voraussetzungen an den Kliniken für Isolierzimmer zum Beispiel fehlen, und wir haben noch immer viel zu weni- ge und vor allem zu wenig qualifizierte Pflege- kräfte. Wir brauchen dringend eine neue Hygie- nekultur, um unsere Patienten, so gut es mög- lich ist, vor diesen Gefahren zu schützen.
KOMMENTAR
Prof. Dr. med. Martin Exner, Direktor des Instituts für Hygiene der Universität Bonn
Neue Hygienekultur erforderlich
komialinfektionen. So war es auch in Kiel, als der Patient zunächst oh- ne aktualisierten Screeningbefund aufgenommen wurde. Er kam in ein Dreibettzimmer. „Eine präemptive Isolierung wäre bei diesem Patien- ten der Standard gewesen“, sagt Christiansen, aber weil andere Pa- tienten aus Gründen des Infektions- schutzes nicht umverlegt werden konnten, war dies nicht möglich.
Christiansen: „Wir hatten die Wahl zwischen Pest und Cholera“. Der Keim ging vom Indexpatienten auf einen Zimmernachbarn über. Die zweite Welle ab Mitte Januar wurde durch denselben Stamm ausgelöst wie die erste, er hatte offenbar trotz intensiver Hygienemaßnahmen per- sistiert und sich verbreitet.
Der Ausbruch in Kiel wird von deutschen Krankenhausärzten, In- fektiologen und Hygienikern re - präsentativ für wachsende regiona- le und überregionale Bedrohun- gen vor allem immungeschwächter Menschen durch Nosokomialinfek- te mit mehrfachresistenten Bakte- rien gesehen: Es ist eine Melange aus der weltweit beobachteten Zu- nahme hochresistenter Erreger, für deren Therapie es keinen Standard gibt, großer Mobilität von kranken und gesunden Menschen, die dauer-
haft symptomfrei von solchen Erre- gern besiedelt sein können, einer Zunahme der Therapien Schwerst- kranker mit teilweise hochtechni- sierten Mitteln und Strukturproble- men der Krankenhäuser und un- günstigen Pflegeschlüsseln auf- grund des Kostendrucks. So haben deutsche Klinikpflegekräfte durch- schnittlich mehr als doppelt so viele Patienten zu versorgen als zum Bei- spiel in Norwegen, Schweden oder der Schweiz (BMJ 2012; 344:
e1717). Das zu ändern, ist eine der aktuellen Forderungen der Deut- schen Gesellschaft für Kranken- haushygiene, deren Präsident Exner ist (Hyg Med 2015: 40: 532). „We- sentlich für die Prävention ist, dass die geltenden Bestimmungen in den Kliniken eingehalten werden kön- nen“, sagt Prof. Dr. med. Petra Gastmeier von der Charité Berlin.
Internationaler Aktionsplan Exner weist auf erst kürzlich ent- deckte ungünstige Eigenschaften von Problemkeimen wie carbape- nemasebildenden Enterobacteria- ceen (CPE) und Acinetobacter-Spe- zies hin: Bei der Suche nach einem Infektionsreservoir von A. bauman- nii bei einem Nosokomialausbruch wurde der Erreger aus Klinikab-
wasserproben isoliert, CPE aus Sa- nitäranlagen einer Klinikküche.
Solche großen Reservoire gramne- gativer Bakterien, die es überall gibt, lassen sich schwer kontrol - lieren, zumal die Erreger spezies- übergreifend Resistenzgene austau- schen. Im Mai will die Weltgesund- heitsorganisation einen globalen Aktionsplan gegen Antibiotikare- sistenzen verabschieden, im Juni ist dies Thema beim Treffen der G7-Länder in Deutschland.
In Kiel liefen die beiden für Neu- aufnahmen geschlossenen Intensiv- stationen bis Redaktionsschluss (9.
Februar) nicht im Normalbetrieb, 13 Patienten waren noch koloni- siert. Die Bedingungen für die Wie- deraufnahme hat man sich stringen- ter gesetzt, als es die KRINKO empfiehlt: Drei statt zwei Scree- ningproben sollen negativ sein im Abstand von je einer Woche, die Lokalisationen sind erweitert: Pro- ben aus dem Nasen-Rachen-Raum werden genommen, bei Beatmeten auch Trachealsekret, tiefe Rektalab- striche und großflächige Proben von der Haut inklusive der Feuchta- reale wie der Leiste, erläuterte Christiansen. „Wir müssen aus je- dem Ausbruch lernen!“
▄
Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze