436 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 24|
15. Juni 2012M E D I Z I N
DISKUSSION
Keine sachgerechte Analyse
In dieser Publikation wird von rund 50 % Placebo-kon- trollierten Zulassungsstudien bei 39 Medikamenten ge- sprochen, die in den Jahren 2009–2010 zugelassen wurden und nahegelegt, die Firmen scheuten einen ech- ten Therapievergleich. Dabei ist nicht nachvollziehbar, dass in diese Schelte auch solche Präparate einge- schlossen wurden, bei denen gar nichts anderes mög- lich war, als gegen Placebo zu prüfen (austherapierte Patienten; bisher kein Therapiestandard). Medikamente gegen seltene Krankheiten haben die Autoren mit Ver- weis darauf von vornherein aus ihrer Untersuchung ausgeschlossen. Diese Gründe gelten aber auch oft bei häufigeren Krankheiten, wie eine Publikation für die europäischen Zulassungen 2009 gezeigt hat (1). Eigene Analysen für die Zulassungen 2010 und 2011 bestäti- gen dies. Eine sachgerechte Analyse hätte deshalb zwi- schen zwangsläufig und nicht zwangsläufig Placebo- kontrollierten Studien unterschieden. Dann hätte sich gezeigt: Neue Medikamente werden fast immer – wenn medizinisch sinnvoll – gegen eine Standardbehandlung getestet. Placebo-Kontrolle wird fast nur eingesetzt, wenn es keine Standardbehandlung gibt – wenn bei- spielsweise ein Medikament für austherapierte Patien- ten erprobt wird.
DOI: 10.3238/arztebl.2012.0436a
LITERATUR
1. Götte D: Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz: Bedeutung für die Identifizierung von Zielparametern zum Nachweis klinischer Wirk- samkeit innovativer Arzneimittel. Dtsch Med Wochenschrift 2012;
137: 274–80.
2. Ujeyl M, Schlegel C, Walter S, Grundert-Remy U: New drugs:
evidence relating to their therapeutic value after introduction to the market. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(7): 117–23.
Dr. rer. nat. Siegfried Thorm Berlin
E.Theimer@vfa.de
Schlusswort
Die Problematik der vom Autor des Leserbriefes an- gesprochenen aktiven Vergleichstherapie wurde in unserer Publikation adressiert. Wie erwähnt, können
therapeutische Alternativen fehlen und die alleinige Prüfung gegenüber Placebo unumgänglich machen.
Am häufigsten handelt es sich in diesen Fällen um die Zulassung von Arzneimitteln für seltene Erkran- kungen (Orphan Drugs), welche aus unserer Unter- suchung ausgeschlossen wurden. Weit weniger häu- fig sind es Arzneimittel ohne Orphan-Drug-Status, bei denen therapeutische Alternativen fehlen (1). Im Einzelfall kann nicht immer eindeutig bestimmt wer- den, ob es für diese Arzneimittel zum Zeitpunkt der Planung und Durchführung der Zulassungsstudien Alternativen zum alleinigen Placebovergleich gege- ben hätte. Daher haben wir uns in der Publikation auf die Beschreibung der Verfügbarkeit von Daten aus aktiven Vergleichen zum Zeitpunkt der Markteinfüh- rung beschränkt. Unbestritten gibt es Indikationen – darunter vor allem onkologische – bei denen allein gegen Placebo geprüft wird, da das neue Arznei - mittel die einzige Alternative nach Ausschöpfung verfügbarer Behandlungsmöglichkeiten darstellt.
Gleichwohl werden Zulassungen auch aufgrund der Abwägung von Nutzen und Risiken eines Arzneimit- tels auf eine Zweitlinientherapie beschränkt und nicht, weil ihre Wirksamkeit bei Patienten belegt wurde, die auf vorhandene Therapien nicht ange- sprochen hatten. In diesen Fällen erscheint der Ver- zicht auf eine aktive Vergleichstherapie nicht ohne weiteres gerechtfertigt. In der im Leserbrief zitierten Publikation wird mit Verweis auf das Vorliegen eines Add-on-Designs bereits auf die Nennung der Ver- gleichstherapie verzichtet. Damit ist aus unserer Sicht noch nicht der Nachweis erbracht, dass die al- leinige Testung gegenüber Placebo „zwangsläufig“
erfolgen musste.
DOI: 10.3238/arztebl.2012.0436b
LITERATUR
1. Goldberg NH, Schneeweiss S, Kowal MK, Gagne JJ: Availability of comparative efficacy data at the time of drug approval in the United States. JAMA 2011; 35: 1786–9.
2. Ujeyl M, Schlegel C, Walter S, Grundert-Remy U: New drugs:
evidence relating to their therapeutic value after introduction to the market. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(7): 117–23.
Dr. med. Mariam Ujeyl M.Sc.
Dipl.-Oecotroph. Claudia Schlegel Dr. med. Siegbert Walter MPH Prof. Dr. med. Ursula Gundert-Remy Arzneimittelkommission
der deutschen Ärzteschaft, Berlin mariam.ujeyl@akdae.de
Interessenkonflikt Alle Autoren erklären,
dass kein Interessenkonflikt besteht.
zu dem Beitrag
Neue Arzneimittel: Verfügbarkeit von Daten zum therapeutischen Stellenwert bei Markteinführung
von Dr. med. Mariam Ujeyl M.Sc., Dipl.-Oecotroph. Claudia Schlegel, Dr. med.
Siegbert Walter MPH, Prof. Dr. med. Ursula Gundert-Remy in Heft 7/2012