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Archiv "PSYCHOTHERAPIE: Jede Beurteilung von westlicher Seite verbeten" (11.01.1993)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

PSYCHOTHERAPIE

Zu den Leserbriefen „Regressi- ve Sehnsucht" von J. Horn und

„Nur Mut" von Dr. Loge in Heft 45/1992, die sich auf einen Beitrag von Sabine Dauth und Dr. Gerhard di Pol über eine Tagung der „Lau- sitzer Gesellschaft für Psychoso- ziale Medizin" bezogen (Heft 41/1992). Dort wurde Dr. Kirchner zitiert, der unter anderem sagte:

„Die Psychotherapie-Richtlinien engen mich mehr ein als das Mini- sterium für Staatssicherheit":

Jede Beurteilung von westlicher Seite verbeten

Als langjähriger erfahre- ner Internist der ehemaligen DDR kann ich mich nur über diese Briefe wundern:

Es ist richtig, daß die heu- tigen „Richtlinien" uns mehr einengen als früher! Die Kas- sen bestimmen alles und hal- ten stationäre Psychotherapie für überflüssig! Auch der ge- sellschaftsrelevante Kontext fällt aus, neutral-unpolitisch werden „Waldspaziergänge"

psychotherapeutisch heute verordnet; daß diese Gesell- schaft krank ist, wird nicht re- flektiert. Sicher gab es auch früher Angepaßte und Feig- linge, wie überall, aber die Mehrzahl der Ärzte war kri- tischer und freier als heute in ihrem Beruf. Herr Loge hat wohl andere Erfahrungen machen müssen, die es auch gab, aber die nicht zu verall- gemeinern sind!

Ein Oberstabsarzt der Bundeswehr war ja wohl in erster Linie der Armee ver- pflichtet - sonst hätte er als Zivilist gearbeitet - und soll- te sich zurückhalten, über Bürger der DDR zu reden, von denen er nichts versteht.

Beurteilen kann jemand die Dinge nur, wenn er hier ge- lebt hat. Ich verbitte mir jede Beurteilung von westlicher Seite, die meistens einer Ver- urteilung gleichkommt. Die

„Eigenverantwortlichkeit"

des Therapeuten heute führt dazu, nach der Analyse den Patienten in bezug auf die Lösung weitgehend allein zu lassen - man möchte ja poli- tisch nicht daneben liegen und die Freiheit des Individu- ums wahren. Daß die westli- che Freiheit tödlich sein kann

und oft in die Einsamkeit und den Selbstmord führt, hat der Kollege Offizier wohl verges- sen. Jedenfalls spüre ich nur den Hauch steriler neutraler Freundlichkeit und keine menschliche Solidarität, aber wie soll das ein Offizier - gleich welcher Armee - auch erkennen?

Wir haben keine „regressi- ven Sehnsüchte", auch der Kollege Kirchner sicher nicht.

Aber wir wissen ganz genau, was wir nicht wollen: die Übernahme dessen, was uns übergestülpt wird. Die BRD ist dringend reformbedürftig in vielerlei Hinsicht, auch im Gesundheitswesen, sonst geht viel Gutgemeintes den Bach hinunter. Zum Beispiel ist das BGB von 1896 längst in Teilen überholt. Auf die westlichen „Autoritäten"

können wir voll verzichten, und daß Bananen zur „Ent- fremdung" führen, ist mir neu. Die Entfremdung, Herr Kollege Horn, ist kein DDR- Problem gewesen, sondern ein menschliches, allgemein gesellschaftliches Problem der Urbanisierung und Säku- larisierung des Menschen im 20. Jahrhundert und natürlich auch der noch bestehenden Militarisierung von Völkern.

Dr. med. Christian Höver, Am Danewend 7, 0-1123 Berlin

Verwechslung

Diese Diskussion ist inner- halb der neuen Länder nicht zu führen, da die Diskutanten noch unter den Einschrän- kungen leiden, die ihr Den- ken (auch ihre Ausbildung) unter DDR-Bedingungen hinnehmen mußte. Das ge- schah auch freiheitlich ge- sinnten, bemühten und klu- gen Leuten, wenn sie in ei- nem Land lebten und arbeite- ten, in dem seit knapp sechzig Jahren Gedanken vorge- schrieben waren und schon das Denken, vielmehr der öf- fentliche Ausdruck anderer Gedanken, Mut erforderte.

Natürlich hat Phantasie auch in der DDR-Psychothe- rapie stattgefunden. Aber sie

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hatte keinen Status und konnte deswegen nicht be- wußt verwendet werden. Der Abstand zwischen phantasier- ten Gedanken und Handlun- gen ist den DDR-Psychothe- rapeuten immer zu wenig ge- läufig gewesen. Damit rea- gierten sie auf die Lenker des Staates und ihre Ideologen, die unerwünschte Gedanken immer schon im Ansatz be- kämpfen mußten.

Wenn eine nicht arbeiten- de Ehefrau heftige aggressive Phantasien über den Partner äußerte, so entstand im The- rapeuten die Furcht, er werde im kommenden Scheidungs- verfahren um eine Krank- heitsbescheinigung (zur Re- gelung des Unterhalts) ange- gangen. Die dann entstande- ne Zwickmühle hätte die Therapie beendet. Gingen Studenten nicht zur Vorle- sung, so hatte der Therapeut die fällige Studienverlänge- rung mit Krankschreibung zu begründen.

Durch solche Einschrän- kungen hatte die Psycho- therapie zu DDR-Zeiten eine übergroße Tendenz, Regres- sion zu bekämpfen und nicht genügend Freiheit, den Raum der Phantasie zu nutzen. Daß sich Psychotherapie, minde- stens analytische und tiefen- psychologisch orientierte Psy- chotherapie, wesentlich in diesem Raum vollzieht, war nicht akzeptiert und wurde bei der Suche nach dem the- rapeutischen Prozeß auch vernachlässigt.

Die Tatsache, daß Thera- piekandidaten einen Antrag stellen müssen, wirkt sich heute schon so aus, daß reine

Konsumenten, die gebeten werden wollen, damit sie zum Termin kommen und mitar- beiten, an dieser Stelle aus der Therapie verschwinden.

Die Bearbeitung der Anträge durch den Therapeuten kann man als Supervision ansehen.

Der Gedanke der Supervision ist in der DDR ausgebildeten Psychotherapeuten annehm- bar bis erwünscht. Supervisi- on gehört vor allem zur Aus- bildung. Für gewöhnlich wählt man sich einen Supervi- sor aus, den man kennt, und achtet darauf, daß er dem ei- genen Weltbild entspricht.

Sein Material einem anony- men Supervisor vorzustellen, ist wirklich beängstigend, und es gehört Tapferkeit dazu, sich zu stellen.

Hinzu kommt, daß in ei- nem Muttersystem (Staat, Partei, Gesellschaft) gelebt und gedacht wurde, in dem die Mutter sich ängstlich ver- hielt und die Abhängigen nicht erwachsen und frei wer- den lassen konnte. Sie sollten sich ja nicht entfernen. Daran hatten auch die Therapeuten ein Interesse, weil nach Stel- lung eines Ausreiseantrages keine Psychotherapie mehr möglich war und sich die Pa- tienten auf keine Beziehung zum Therapeuten mehr ein- ließen. Die allumfassende Mutter, die die Illusion von Sicherheit und Wärme garan- tierte, ließ keinen Platz für ei- nen Vater (Staat im westli- chen Sinne), mit dem ein Dis- kurs sinnvoll und notwendig gewesen wäre.

Dieses Schema sitzt in je- dem Bewohner der neuen Länder. Auch Oppositionelle (auch die Genossen unter den DDR-Therapeuten wa- ren oppositionell und frei- heitlich) konnten sich nicht unbeeinflußt davon halten und gerieten nach der Wende in gewaltige Spannungen und Ängste. Man kann daher ver- stehen, daß einem gestande- nen Therapeuten eine Ver- wechslung passiert und er Su- pervision und Stasikontrolle durcheinander bringt .. .

Dr. med. Peter Schmidt, Lortzingstraße 13, 0-7010 Leipzig

A1-6 (6) Dt. Ärztebl. 90, Heft 1/2, 11. Januar 1993

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