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Hintergründe und Motivation für einen Ausstieg aus der aktiven Arbeit als PhysiotherapeutIn in der Bundesrepublik Deutschland

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Academic year: 2022

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Hintergründe und Motivation für einen Ausstieg aus der aktiven Arbeit als PhysiotherapeutIn in der

Bundesrepublik Deutschland

Eine qualitative Datenerhebung

Reasons and motivations for an early exit from physiotherapy practice in Germany

A qualitative exploration

Masterarbeit

Zur Erlangung des akademischen Grades

Master of Science

der Fachhochschule FH Campus Wien

Masterlehrgang: Advanced Integrative Health Studies

Vorgelegt von:

Karina Grever

Personenkennzeichen:

1530025015

ErstbetreuerIn / ErstbegutachterIn:

Dr. Stefan Tino Kulnik

ZweitbetreuerIn / ZweitbegutachterIn:

Christine Stelzhammer, MEd Eingereicht am:

(2)

Erklärung:

Ich erkläre, dass die vorliegende Masterarbeit von mir selbst verfasst wurde und ich keine anderen als die angeführten Behelfe verwendet bzw. mich auch sonst keiner unerlaubter Hilfe bedient habe.

Ich versichere, dass ich diese Masterarbeit bisher weder im In- noch im Ausland (einer Beurteilerin/einem Beurteiler zur Begutachtung) in irgendeiner Form als Prüfungsarbeit vorgelegt habe.

Weiters versichere ich, dass die von mir eingereichten Exemplare (ausgedruckt und elektronisch) identisch sind.

(3)

Wortanzahl :21.588

(4)

KURZZUSAMMENFASSUNG

Ziel

Die vorliegende Studie zielte darauf ab den drohenden Fachkräftemangel von PhysiotherapeutInnen in der Bundesrepublik Deutschland zu ergründen. Im Rahmen des Forschungsprozesses sollten Ursachen, Beweggründe und andere beeinflussende Faktoren erforscht werden, die die PhysiotherapeutInnen aus der BRD dazu bewegten den Beruf zu wechseln oder ins Ausland zu abzuwandern. Gleichzeitig sollten Sichtweisen und Stellungnahmen von ExpertInnen in Bezug auf den Mangel von PhysiotherapeutInnen ermittelt werden, um die Problematik umfangreicher darstellen zu können.

Hintergrund

Seit ca. zehn Jahren sind die Arbeitslosenzahlen von PhysiotherapeutInnen in der BRD rückläufig. Gleichzeitig ergaben Analysen, dass die Anzahl der PhysiotherapieschülerInnen deutlich gesunken ist. Die Fachkräfteengpassanalyse, die jährlich zweimal durch die Bundesagentur für Arbeit durchgeführt wird, ergab sowohl im Dezember 2016 als auch im Dezember 2017 Kennzeichen für einen Mangel an Fachkräften im Beruf der PhysiotherapeutIn. Im Vergleich der beiden Jahre zueinander wurde ein Engpass in vier weiteren, zuvor nicht betroffenen, Bundesländern erkennbar.

Die Arbeitslosen-Stellen-Relation zeigte bei der letzten Analyse im Dezember 2017 ein Verhältnis von 33:100 und die Arbeitslosenquote für PhysiotherapeutInnen betrug laut Bundesagentur für Arbeit 0.9%. Diese und weitere Faktoren, wie der demographische Wandel, lassen als äußere Faktoren eine Prognose für einen zunehmenden Engpass zu.

Methode

Für den Forschungsprozess wurde eine qualitative Datenerhebung in Form von Einzelinterviews geführt. Als TeilnehmerInnen wurden hierfür PhysiotherapeutInnen gesucht, die ihre Berufsausbildung in Deutschland absolviert haben. Ein weiteres Einschlusskriterium war der Ausstieg aus der aktiven Tätigkeit in der BRD in Form von Berufswechsel oder Emigration ins Ausland. Als Ausschlusskriterien galten eine offizielle Berufsunfähigkeit für den Beruf der PhysiotherapeutIn aus gesundheitlichen Gründen, sowie eine langjährige Untätigkeit von 15 Jahren. Für die Interviews konnten elf ProfessionistInnen rekrutiert werden. Davon sind sieben ProfessionistInnen in ein europäisches Ausland emigriert und hier als PhysiotherapeutIn tätig. Die restlichen vier ProfessionistInnen wechselten innerhalb der BRD ihren Beruf.

Darüber hinaus wurden drei ExpertInneninterviews mit StellvertreterInnen der drei größten deutschen Physiotherapieverbände geführt.

Vor der Interviewdurchführung wurden alle StudienteilnehmerInnen über die Studie aufgeklärt und eine Einverständniserklärung zur Nutzung der Daten eingeholt.

Anschließend wurden die Interviews transkribiert und die Daten der TeilnehmerInnen pseudonymisiert. Anhand einer „Framework Analysis“ wurde eine inhaltliche

(5)

Beweggründe und Ursachen der ProfessionistInnen, sowie die Sichtweisen der ExpertInnen erhoben und dargestellt werden konnten.

Ergebnisse

Die ProfessionistInnen nannten viele unterschiedliche Faktoren, die zu einer mehrschichtigen Unzufriedenheit und somit zum Ausstieg aus der aktiven physiotherapeutischen Tätigkeit in der BRD. Darunter fallen Faktoren wie eine geringe Vergütung nach meist teurer Berufsausbildung, sowie erschwerende Rahmenbedingungen, bspw. durch Vorgaben des Gesundheitssystems oder der zuweisenden ÄrztInnen. Viele der ProfessionistInnen nannten die kurzen Behandlungszeiten als einen der größten negativ beeinflussenden Faktoren. Gleichzeitig spielte die Belastung in Form von körperlichen, kognitiven und vor allem sozial- emphatischen Ansprüchen eine große Rolle. Außerdem erklärten viele ProfessionistInnen eine gerine Wertschätzung von Seiten der Ärzteschaft und Gesellschaft, sowie die fehlende Eigenverantwortung der PatientInnen für ihre Gesundheit, als demotivierende Faktoren für die physiotherapeutische Tätigkeit in Deutschland.

Gleichzeitig nannten ExpertInnen ebenfalls Faktoren, wie die geringe Vergütung, und die im Gesundheitssystem aufzuarbeitenden Differenzen für den Berufsstand, als attraktivitätsmindernd. Zu den Differenzen gehören die aktuellen Entwicklungen im Rahmen der Professionalisierung und Akademisierung, sowie der Forderung nach mehr Handlungsautonomie für PhysiotherapeutInnen.

Schlussfolgerung

Die Ergebnisse dieser Studie stellen durch die Aussagen der ProfessionistInnen und ExpertInnen vielfältigen Gründe für den drohenden Fachkräftemangel dar. Viele der negativ beeinflussenden Faktoren sorgten für eine große Unzufriedenheit der PhysiotherapeutInnen mit ihrem Beruf, sodass diese sich für den Ausstieg aus der aktiven physiotherapeutischen Tätigkeit entschlossen haben.

Aufgrund des zunehmenden Mangels an Fachkräften und den nun folgenden umfangreichen Entwicklungen im deutschen Gesundheitssystem, bleibt abzuwarten, inwiefern sich der Berufsstand der PhysiotherapeutInnen entwickelt. Hierfür würde eine zukünftige Studie in Bezug auf die Zufriedenheit von PhysiotherapeutInnen mit den Entwicklungen ihres Berufsstandes in Bezug auf ihre physiotherapeutische Tätigkeit als sinnvoll erachtet. Dadurch könnten Tendenzen zu weiteren Berufsabgängern aus der deutschen Physiotherapie erforscht werden.

(6)

ABSTRACT

Objective

The present study aimed to fathom the impending lack of skilled physicians in the Federal Republic of Germany. As part of the research process, causes, motivations and other influencing factors were to be explored, which induced the physiotherapists from Germany to change jobs or move abroad. At the same time, perspectives and statements from experts regarding the lack of physiotherapists should be identified in order to present the problem more comprehensively.

Background

For about ten years, the unemployment figures of physiotherapists in the FRG have been declining. At the same time, analyses showed that the number of physiotherapy students has dropped significantly. The skilled-labour shortage analysis, which is carried out twice a year by the Federal Employment Agency, revealed in both December 2016 and December 2017 signs of a shortage of skilled workers in the profession of physiotherapist. Comparing the two years to each other, a bottleneck situation in four other federal states, although not previously affected, was recognised. The ratio of unemployment to jobs in the last analysis published in December 2017 was 33 to 100 and the unemployment rate for physiotherapists was 0.9%, according to the Federal Employment Agency. These and other factors, such as demographic change, allow as external factors a forecast for an increasing bottleneck.

Method

For the research process, a qualitative data collection was conducted in the form of individual interviews. Physiotherapists who had completed their vocational training in Germany were selected as interview participants. Another inclusion criterion was the withdrawal from active work in Germany in the form of a career change or emigration abroad. An occupational disability for the profession of physiotherapist due health reasons as well as a long-term inactivity of minimum 15 years were classified as exclusion criteria. For the interviews eleven professionals could be recruited. Seven of these professionals have emigrated to a European country and work here as a physiotherapist. The remaining four professionals changed their profession within the FRG.

In addition, three expert interviews were conducted with representatives of the three largest German physiotherapy associations.

Before the interview, all participants were informed about the study and a declaration of consent to the use of the data was obtained. Subsequently, the interviews were transcribed and the data of the participants pseudonymized. A content analysis of the interviews was carried out on the basis of a "framework analysis" so that the mentioned factors, motivations and causes of the professionals as well as the views of the experts could be collected and presented.

(7)

Results

The professionals called many different factors that lead to a multilayered dissatisfaction and thus to the exit from the active physiotherapeutic work in the FRG. These include factors such as a low salary following mostly an expensive education as well as aggravating conditions, for example due to requirements of the health care system or referring physicians. Many of the professionals named the short treatment times as one of the biggest negative influencing factors. At the same time, physical, cognitive and, above all, social-emphatic demands played a major role. In addition, many professionals declared a low esteem on the part of the medical profession and society as well as the lack of personal responsibility of the patients for their health as demotivating factors for the physiotherapeutic work in Germany.

At the same time, experts also mentioned factors such as low compensation and the differences in the health care system as less attractive to the profession. Among the differences are the current developments within the professionalization and academization, as well as the demand for more autonomy of action for physiotherapists.

Conclusion

The results of this study represent various reasons for the impending skills shortage based on statements of the professionals and experts.

Many of the negatively influencing factors caused a great dissatisfaction of the physiotherapists with their profession, so that they decided to quit the active physiotherapeutic work.

Due to the increasing skills shortage and the following extensive developments in the German health care system, it remains to be seen to what extent the profession of physiotherapists develops. For this, a future study regarding the satisfaction of physiotherapists with the developments of their profession related to their physiotherapeutic work would be considered appropriate. This could be used to research tendencies towards further professional graduates from German physiotherapy.

(8)

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

BRD Bundesrepublik Deutschland

HHVG Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz

IFK Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten - IFK e.V.

SHV Spitzenverband der Heilmittelverbände e.V.

SVR Sachverständigenrat

VPT Verband Physikalische Therapie

ZVK Deutscher Verband für Physiotherapie e.V.

(9)

SCHLÜSSELBEGRIFFE

Physiotherapie Berufsausbildung Fachkraftmangel Fachkräftemangel Fluktuation

Berufswechsel

Gesundheitsfachberufe Professionalisierung

Gesundheitssystem Bundesrepublik Deutschland Qualitative Datenerhebung

Qualitative Interviews

(10)

INHALTSVERZEICHNIS

K

URZZUSAMMENFASSUNG

...

II

A

BSTRACT

...

IV

A

BKÜRZUNGSVERZEICHNIS

...

VI

S

CHLÜSSELBEGRIFFE

...

VII

I

NHALTSVERZEICHNIS

...

VIII

1 E

INLEITUNG

... 1

1.1. Der drohende Fachkräftemangel von PhysiotherapeutInnen in Deutschland ... 1

1.2. Ergänzende Problembeschreibung und wissenschaftlicher Hintergrund ... 3

1.2.1. Demographischer Wandel und sinkende Schülerzahlen ... 4

1.2.2. Professionalisierung und Akademisierung des Berufes inklusive Reaktionen der Politik ... 7

1.2.3. Vergütung ... 9

1.2.4. Anforderungen in der physiotherapeutischen Tätigkeit ... 10

1.2.5. Berufsstand in der Gesellschaft und Selbstverständnis ... 12

1.2.6. Physiotherapeutische Berufsausbildung und ihre Vielfältigkeit ... 13

1.2.7. Deutsche Physiotherapie im internationalen Kontext ... 14

1.3. Wissenslücke ... 15

1.4. Zielsetzung und Forschungsfrage ... 15

2 M

ATERIAL UND

M

ETHODEN

... 16

2.1. Studiendesign ... 16

2.2. Literaturrecherche ... 16

2.3. Auswahl und Rekrutierung der InterviewteilnehmerInnen ... 17

2.4. Datenerhebung ... 18

2.4.1. Art der Interviews ... 18

2.4.2. Durchführung der Interviews ... 19

2.4.3. Ethische Berücksichtigungen ... 20

2.4.4. Interviewleitfaden ... 21

2.5. Datenauswertung ... 24

2.5.1. Maßnahmen zur Qualitätssicherung ... 26

3 E

RGEBNISSE

... 31

(11)

3.1.1. Ausbildung zur PhysiotherapeutIn... 39

3.1.2. Beruflicher Werdegang ... 41

3.1.3. Arbeitsbedingungen in der Physiotherapie ... 42

3.1.4. Belastungen in der physiotherapeutischen Arbeit ... 47

3.1.5. Zufriedenheit mit der physiotherapeutischen Tätigkeit ... 51

3.1.6. Ansehen & Berufsstand ... 56

3.1.7. Emigration oder Ausstieg aus der physiotherapeutischen Tätigkeit in der BRD 58 3.1.8. Ländervergleich ... 62

3.2. Ergebnisse der ExpertInnen ... 65

3.2.1. Charakteristika der Verbände ... 67

3.2.2. Probleme in der deutschen Physiotherapie ... 69

3.2.3. Stellung zum Fachkräftemangel ... 74

3.2.4. Zukunftsaussichten ... 76

4 D

ISKUSSION

... 78

4.1. Methodendiskussion ... 78

4.2. Ergebnisdiskussion ... 80

5 S

CHLUSSFOLGERUNG

... 83

A

BBILDUNGSVERZEICHNIS

... 84

T

ABELLENVERZEICHNIS

... 85

L

ITERATURVERZEICHNIS

... 86

A

NHANG

... 89

(12)

Einleitung

1 EINLEITUNG

Die vorliegende Masterarbeit beschäftigt sich mit dem Thema des drohenden Fachkräftemangels in der Bundesrepublik Deutschland. Die nun folgende Einleitung soll in das Thema einführen, indem sie das aktuelle Problem beschreibt und darstellt.

Um ein besseres Verständnis für die Notwendigkeit dieser Arbeit zu erhalten, werden weitere Hintergrundinformationen aufgeführt, die sich mit den unterschiedlichen Veränderungen und Entwicklungen in der deutschen Physiotherapie befassen.

1.1.

Der drohende Fachkräftemangel von PhysiotherapeutInnen in Deutschland

In zahlreichen Gebieten Deutschlands ist bereits ein Fachkräftemangel spürbar und wird bis voraussichtlich 2020 im ganzen Land zu bemerken sein. Die Fachkräfteengpassanalyse, die von der Bundesagentur für Arbeit zweimal jährlich durchgeführt wird, ergibt seit Dezember 2016 einen vorhandenen Engpass bei Fachkräften in der Physiotherapie. Die letzte Analyse im Dezember 2017 zeigte, dass die unbesetzten Stellen in der Physiotherapie mittlerweile im Durchschnitt 151 Tage vakant seien. Im Vergleich zur vorhergehenden Analyse habe sich der Engpass vergrößert und die Vakanzzeit um 17 Tage verlängert. Im bundesweiten Durchschnitt sind diese Stellen um 48% länger unbesetzt als in anderen Berufen (Bundesagentur für Arbeit, 2017). Die Arbeitslosen-Stellen-Relation hat sich dagegen etwas reduziert, sodass aktuell ein Verhältnis von 33 Arbeitslose auf 100 freie Arbeitsstellen zustande kommen. Die aus der Analyse resultierende Arbeitslosenquote beträgt 0,9%, welche laut Bundesagentur für Arbeit sehr gering sei und ebenfalls auf einen Mangel von Fachkräften hindeute (Bundesagentur für Arbeit, 2017). Die nächsten Abbildungen 1 und 2 zeigen die länderspezifischen Ergebnisse der Fachkräfteengpassanalyse für Physiotherapie im Dezember 2016 und 2017. Es wird dabei deutlich, dass sich innerhalb eines Jahres ein Mangel an PhysiotherapeutInnen in vier zuvor nicht betroffenen Bundesländern entwickelte.

(13)

Einleitung

Abbildung 1: Spezialisten Physiotherapie, Dezember 2016 (Bundesagentur für Arbeit, 2016)

Abbildung 2: Spezialisten Physiotherapie, Dezember 2017 (Bundesagentur für Arbeit, 2017)

(14)

Einleitung

Prognostisch werden aktive TherapeutInnen ausscheiden und weniger SchülerInnen nachrücken wie auch in den folgenden Kapiteln näher beschrieben. 2011 fehlten in Rheinland-Pfalz bereits etwa die 900 PhysiotherapeutInnen, welche sich bis 2020 prognostisch um 100 Fachkräfte erhöhen soll (Hügler, 2013). Dagegen wachsen die angebotenen Arbeitsplätze aufgrund des demographischen Wandels deutlich an, sodass bereits von 2007 bis 2013 die Arbeitslosenanzahl um 46% gesunken ist, wie in folgender Abbildung 3 erkenntlich wird (hhb, 2015).

Abbildung 3 Entwicklung der Arbeitslosenzahlen in der Physiotherapie 2007-2013, Bundesagentur für Arbeit (hhb, 2015)

1.2.

Ergänzende Problembeschreibung und wissenschaftlicher Hintergrund Die deutsche Physiotherapie befinde sich nach Angaben vieler Autoren (Boßmann, 2016;

Erhardt et al., 2015; Hilgert, 2015) in einem großen und mehrschichtigen Wandel. Die Themen befassen sich dabei z.B. mit den ökonomischen Veränderungen im Gesundheitssystem, dem Fachkräftemangel, sowie mit der Akademisierung inklusive Modellklausel für primär berufsqualifizierende Studiengänge. Außerdem setze man sich derzeit neben der weiteren Professionalisierung des Berufes mit der Entwicklung von therapeutischen Leitlinien auseinander. Darüber hinaus werden Diskussionen über einen Direktzugang für PatientInnen zur physiotherapeutischen Behandlung geführt, die aktuell jedoch auch im Konflikt mit der Einführung einer Blankoverordnung stehen. Zusätzlich gebe es derzeit auch Überlegungen für die Einführung einer TherapeutInnenkammer.

Laut Pott (2017) könne aufgrund der zahlreichen, unterschiedlichen aber doch sich bedingenden Entwicklungsbewegungen sogar ein Gefühl des Stillstandes entstehen.

Das größte Problem für die Bundesrepublik Deutschland ist jedoch der Mangel an Fachkräften, der in der Physiotherapie in den letzten Jahren, wie im vorhergehenden

(15)

Einleitung

Denkschrift vom Robert Bosch Institut von Görres folgendes prognostiziert: „Der Gesetzgeber und andere Entscheidungsträger im Gesundheitswesen müssen (…) unter den Vorzeichen von gesellschaftlicher Verantwortung und Ethik frühzeitig über Maßnahmen der Attraktivitätssteigerung der Gesundheitsberufe sowie insbesondere über Maßnahmen zur Gewinnung von Arbeitskräften (…) nachdenken, um den steigenden Bedarf (…) in den nächsten Jahrzehnten auch nur annähernd decken zu können.“

(Görres, 2013, S. 37).

Wie sich in vielen Artikeln erkennen lässt, gilt es in der deutschen Physiotherapie mehrere Problemstellungen zu bearbeiten und Differenzen auszugleichen, um den Berufsstand aufrecht zu erhalten. Die folgenden Kapitel sollen nun Einblicke in diese vielfältigen Themen gewähren und sie kurz erläutern, da sie als ursächliche Dimensionen des drohenden Fachkräftemangels in Frage kommen würden.

1.2.1. Demographischer Wandel und sinkende Schülerzahlen

Der demographische Wandel und die damit steigende Anzahl an älteren BürgerInnen in der Bundesrepublik Deutschland zeigt an, dass die Gesamtbevölkerungszahl darüber hinaus progredient abnehmen wird. Nach Angaben einer Studie von Erhardt et al. (2015) lebten 2010 in der BRD noch 81,2 Millionen Menschen. Diese Anzahl werde sich bis 2030 jedoch um ca. 5 Millionen BürgerInnen verringern. Dabei würde man in der BRD 2020 knapp 3 Millionen und 2030 ca. 3,5 Millionen pflegebedürftige Personen erwarten.

Während sich die Anzahl der älteren und häufig pflegebedürftigen Menschen erhöhe, verringere sich die Zahl der Erwerbstätigen, und somit potenziellen ArbeiterInnen für das Gesundheitssystem (Erhardt et al., 2015).

Dieser Entwicklung steht ein erhöhter Bedarf an PhysiotherapeutInnen gegenüber. Nach Angaben des statistischen Bundesamtes habe sich, von 2000 bis 2011, die Anzahl der Erwerbstätigen in Voll- und Teilzeit, sowie in geringfügiger Beschäftigung entsprechend um 70.000 erhöht (Hügler, 2013).

Dem demographischen Wandel zufolge, scheiden zusätzlich in naher Zukunft viele PhysiotherapeutInnen altersbedingt aus, wodurch ein größerer Mangel an Fachkräften entsteht. Außerdem gebe es zunehmend PhysiotherapeutInnen, die die berufliche Tätigkeit wechseln (hhb, 2015). Bei gleichbleibenden Berufsbedingungen folge in Berlin- Brandenburg schätzungsweise bis 2030 ein Mehrbedarf an PhysiotherapeutInnen von 12.700. Hier rechne man mit ca. 3.500 fluktuationsbedingten und 4.100 altersbedingten BerufsaussteigerInnen (hhb, 2015).

(16)

Einleitung

Die hohe Fluktuation von Berufsangehörigen stelle bei aktuellem Fachkräftemangel ein weiteres großes Problem dar, da die Arbeitslosenzahlen, die zuletzt ohnehin rapide gesunken seien, weiter absinken. Dadurch gestaltet sich eine Neubesetzung von offenen Stellen in vielen Teilen Deutschlands oft als sehr schwer.

In einer Studie von Neubauer (2005) wurde häufig eine kurze Verweildauer von maximal drei Jahren vieler PhysiotherapeutInnen an einer Arbeitsstelle aufgedeckt, obwohl die Beschäftigten im Durchschnitt länger als sechs Jahre im Beruf tätig seien. Diese Ergebnisse deuten ebenfalls auf eine gewisse Fluktuation und geringe Arbeitgeberbindung hin.

Gegenüber diesen starken Einbußen, steht ein weiterer gravierender Faktor, der den Mangel an Fachkräften steigen lässt. Michael Preibsch, ZVK-Vorsitzender des Landesverbandes Baden- Württemberg bemerkte bereits auf der Therapro-Messe 2016 bei einer Podiumsdiskussion, dass neben der Abwanderung vieler junger PhysiotherapeutInnen aus dem Beruf, die Schülerzahlen sinken (Boßmann, 2016).

Wie die folgenden Abbildungen 4 und 5 zeigen, ist die Anzahl der SchülerInnen von 2005 bis 2013 um ca. 16% gesunken (Zöller, 2014; Dr. Kemper, 2016). Ebenfalls ist auffällig, dass die Anzahl der SchülerInnen, die die Ausbildung absolvierten, seit 2001 bis 2013 rückgängig ist.

Abbildung 4 : Sinkende Schülerzahlen (Dr. Kemper, 2016)

(17)

Einleitung

Abbildung 5: Entwicklung der Ausbildungszahlen in der Physiotherapie 2006/07 bis 2012/13, Bundesagentur für Arbeit (hhb, 2015)

Einschätzungen zufolge gebe es gleich mehrere Hauptgründe für die sinkenden Schülerzahlen. Neben den hohen Ausbildungskosten und der niedrigen Vergütung anschließend, sowie der geringen Wertschätzung, gelte der Beruf als wenig attraktiv für junge Menschen (Dr. Kemper, 2016).

In einer Studie 2014 wurde in einer Befragung erhoben welche Merkmale in der deutschen Physiotherapie verändert werden müssten, um die Attraktivität des Berufes zu steigern (rrn, 2014). Hierfür wurden 2.233 deutsche PhysiotherapeutInnen per Fragebögen befragt. Die folgende Abbildung 6 zeigt in Prozent welche Gewichtung in Bezug auf Änderungswünsche die genannten Merkmale haben.

Abbildung 6: Anteil der Kommentare zum Änderungsbedarf bezogen auf die acht übergeordneten Themen (rrn, 2014)

(18)

Einleitung

Nach Aussage von Grosch (2015) müssen Arbeitsbedingungen und Beschäftigungsverhältnisse für diesen Beruf umfassend verbessert werden, damit Jugendliche sich für diesen Beruf entscheiden. Diese betreffen vor allem die Entwicklungschancen, eine angemessene Entlohnung, Tätigkeitsfelder und Veränderungen in den betrieblichen Organisationsformen (Grosch, 2015).

1.2.2. Professionalisierung und Akademisierung des Berufes inklusive Reaktionen der Politik

Seit über zehn Jahren gibt es in der Bundesrepublik auch von Seiten der Politik Bestrebungen nach Professionalisierung in den nicht ärztlichen Heilberufen. Nach Aussagen des Bundestages bereits im Jahr 2007 würden sich durch veränderte gesellschaftliche und strukturelle Anforderungen an die Gesundheitsversorgung auch neue Qualifikationsanforderungen für diese Berufsgruppen ergeben (Dr. Voelker, 2011).

Unter diese Anforderungen fallen vor allem das Heranbilden einer Profession, erhöhte Qualifikationsanforderungen in der Therapie, Wirksamkeits- und Versorgungsforschung und eine internationale Wettbewerbsfähigkeit. Eine Akademisierung der physiotherapeutischen Ausbildung ist folglich für eine Professionalisierung und zur Heranbildung einer physiotherapeutischen Profession notwendig.

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen gibt im Rhythmus von zwei Jahre Empfehlungen bezüglich der Weiterentwicklung auch für den Beruf der Physiotherapie (Dr. Voelker, 2011). Hierbei wurden zuletzt unter anderem die Auswirkungen des gesellschaftlichen Wandels in Bezug auf die physiotherapeutische Versorgung von PatientInnen untersucht. Mehrfach sei dabei auch die Abstimmung verschiedener Bereiche im Gesundheitswesen bemängelt worden. Der Sachverständigenrat (SVR) empfiehlt seitdem eine „ziel- und teamorientierte Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe mit einer rechtlich abgesicherten stärkeren Gewichtung von nicht ärztlichen Leistungserbringern“ (Dr. Voelker, 2011). So könnte bereits nach Einschätzungen des SVR Im Jahr 2007 ein Teil der ärztlichen Aufgaben im Gesundheitswesen durch dessen Delegation und Substitution von anderen Berufsgruppen übernommen werden, wodurch eine größere Handlungsautonomie der nicht ärztlichen Gesundheitsberufe entstehe (Dr. Voelker, 2011). Besonders relevant sei vor dem Hintergrund des demographischen Wandels ebenfalls, dass die Entwicklungen der medizinischen Versorgung durch Effizienz und Effektivität geprägt sein sollen, damit

(19)

Einleitung

durch die steigenden Kosten im Gesundheitssystem ein Druck auf die PhysiotherapeutInnen die Wirksamkeit der eigenen Heilmethoden nachzuweisen, wodurch ein wissenschaftliches Fundament in Form der evidenzbasierten Medizin und Praxis im bereits vorhandenen akademischen Rahmen entwickelt wurde.

Bereits 1999 wurde durch die Bologna-Erklärung die Erschaffung eines europaweit einheitlichen Hochschulwesens beschlossen, wodurch die meisten Mitgliederstaaten die Physiotherapie akademisiert und den Bachelorgrad als Abschluss einführten. In Deutschland besteht dagegen bislang lediglich die Möglichkeit der Abschluss durch einen Modellstudiengang zu erreichen. Weiterhin wurden durch die WCPT, dem Weltverband für Physiotherapie, im European Physiotherapie Benchmark Statement 2003, Empfehlungen mit Mindestanforderungen für die Fachschulausbildung aufgeführt, sowie detaillierte Kriterien für eine berufsqualifizierende akademische Ausbildung mit Erlangung des Bachelor Grades formuliert. Relevant an dieser Stelle sind kurz die Kennzeichen für eine Professionalisierung eines Berufes zu nennen. Unter diese Kennzeichen fallen die Gründung von Berufsverbänden, Herausgabe von Publikationen, eine eigene Berufsethik, ein professionelles Selbstverständnis und einheitliche Berufsgesetze. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es jedoch in einigen Kennzeichen noch auszugleichende Differenzen, wie z.B. der eigenen Berufsethik, die erst im Rahmen der Professionalisierungsbestrebungen in der BRD zur Diskussion führte (Dr. Voelker, 2011).

Wie bereits angedeutet, ist durch weitere Entwicklungsbewegungen und höhere Anforderungen im Gesundheitssystem die Forderung nach dem Direktzugang entstanden, welcher eine physiotherapeutische Behandlung ohne vorherige ärztliche Diagnosestellung gewährleistet. Dieser Erstkontakt zwischen PatientIn und PhysiotherapeutIn wird jedoch durch die Ärzteschaft kritisch gesehen, da aus ihrer Sicht aktuell noch mangelnde Fähigkeiten bezüglich der Diagnosestellung und beim Ausschluss sogenannter Red Flags und Kontraindikationen bestehen (Dr. Voelker, 2011).

Allerdings gebe es auch ökonomische Gründe von Seiten der Ärzteschaft, da diese durch die einschränkende Budgetierung des deutschen Gesundheitssystems zunehmend selbst eigentlich physiotherapeutisch zugeordnete Leistungen anbieten, um Kosten einzusparen bzw. um nicht in Regress zu geraten.

Die Aufhebung der Verordnungspflicht und somit der direkte Zugang zur Physiotherapie wäre ein weiterer Meilenstein in Richtung Professionalisierung und würde einige Vorteile sowohl für die Berufsangehörigen, als auch das deutsche Gesundheitssystem mit sich bringen, wie Erfahrungen aus anderen Ländern mit physiotherapeutischen Direktzugang zeigen. Man könne hierdurch bessere Behandlungserfolge und Kostenspareffekte, sowie

(20)

Einleitung

weniger Versorgungsengpässe und eine höhere Patientenzufriedenheit erreichen (Hilgert, 2015). In Bezug auf die Zusammenarbeit mit der Ärzteschaft sagte Hilgert (2015), dass eine Hoffnung auf offene Diskussion über die Abgabe von Verantwortung zur eigenen Entlastung und Sicherung der Versorgung der gemeinsamen Patienten bestehe.

Derzeit nutzen jedoch noch viele PhysiotherapeutInnen eine Art Lücke im System, die PhysiotherapeutInnen durch die Zusatzberechtigung zum sektoralen Heilpraktiker eine Eigenständigkeit im Rahmen der physiotherapeutischen Behandlungsmethoden einräumt (Dr. Voelker, 2011).

Durch die Verabschiedung des Heil- und Hilfsmittelversorgungsstärkungsgesetzes (HHVG) Mitte Februar 2017 werde nun an den langjährigen Forderungen des Spitzenverbandes der Heilmittelverbände (SHV) gearbeitet. Hierdurch soll die Qualität und Transparenz der Heil- und Hilfsmittelversorgung verbessert und der Berufsstand aufgewertet werden. Der Bundesrat sprach sich zunächst für Einführung des Direktzuganges aus. Doch das nun eingeführte Gesetz verpflichtet zunächst dazu die

„Blankoverordnung“ als Modellvorhaben einzuführen. Hierbei liegt die Entscheidung bzgl.

Indikation und Verordnung für Physiotherapie weiterhin bei den ÄrztInnen, wohingegen die PhysiotherapeutInnen über die Methode, Dauer und Frequenz der Behandlungen entscheiden sollen (Pott, 2017).

Abschließend ist in Bezug auf die Professionalisierung inklusive Akademisierung des Berufes nach Angaben von Grosch der Einsatz akademisch ausgebildeter Fachkräfte für eine Großzahl von befragten medizinischen Einrichtungen wünschenswert. Es stelle sich für die Beschäftigung akademisch ausgebildeter PhysiotherapeutInnen jedoch noch die Frage, mit welchen Kompetenzen diese eingesetzt werden und wie sie zu vergüten sind (Grosch, 2015).

1.2.3. Vergütung

In den vergangenen Kapiteln wurden bereits zahlreiche Differenzen im deutschen Gesundheitssystem besonders für Berufsangehörige aufgeführt. Hierbei wurde die schlechte Vergütungssituation neben anderen negativen Faktoren benannt, die die Attraktivität des Berufes verringern.

So führen Rezeptprüfungen und Absetzungen im therapeutischen Alltag zu teilweise sehr erschwerten Arbeitsbedingungen und zu Verärgerungen bei Ärzten und Patienten.

(21)

Einleitung

Angaben von Kurzke (2011) sind nur 34% der PatientInnen mit der medizinischen Versorgung zufrieden. Eine Reformierung des Gesundheitssystems halten 50% aller Befragten in der BRD für notwendig. Darüber hinaus seien sogar 96% der HausärztInnen der Meinung, dass eine grundlegende Reform des Systems erforderlich ist. An dieser Stelle ist nebenbei darauf hinzuweisen, dass jene Berufsgruppe auch in den vergangenen Jahren an Fachkräften verloren habe (Kurzke, 2011).

Die Vergütung physiotherapeutischer Leistungen im Rahmen der Gesetzlichen Krankenkassen wird nach § 125 SGB V zwischen den Kassen und Leistungserbringern verhandelt. Durch die Bindung an die Grundlohnsumme ist das Gehalt der TherapeutInnen in den vergangenen Jahren nur wenig angestiegen, was sich vor allem in den niedrigen Gehältern angestellter Therapeuten im ambulanten Bereich widerspiegelt.

Inzwischen gebe es teilweise im Vergleich zu den Gehältern im stationären Bereich einen Unterschied von 25% (Dr. Kemper, 2016). In einem Artikel des VPT 2015 wird beschrieben, dass die Löhne von PhysiotherapeutInnen in 90% der Fälle für einen normalen Lebensunterhalt nicht ausreichend seien. Problem bislang dahinter war die Bindung der Gehälter an die Grundlohnsumme. In Rheinland-Pfalz arbeiten nach Angaben des VPT 90% der TherapeutInnen in freien Praxen, in denen die Krankenkassen keine bessere Vergütung für Heilmittel durch die Grundlohnsummenbindung gestatteten. Daher arbeiten zahlreiche selbständige oder freiberufliche PhysiotherapeutInnen schon 60 Stunden pro Woche (Hilgert, 2015).

Neben der schlechten Vergütung, verweigern die Krankenkassen die Option auf eine Verbesserung des Behandlungserfolges und der Wirtschaftlichkeit durch die Einführung der Befunderhebung als therapeutische Maßnahme in der Therapie (Hilgert, 2015). Eine Folge der schlechten finanziellen Lage scheint die Fluktuation aus dem Beruf zu sein, da sich nach Angaben von Hügler schon 2013 immer mehr PhysiotherapeutInnen darüber Gedanken gemacht haben ihren Beruf aufzugeben oder in andere Geschäftsfelder umzusteigen (Hügler, 2013).

1.2.4. Anforderungen in der physiotherapeutischen Tätigkeit

Neben der schlechten Vergütung gibt es wie in den vorherigen Abschnitten schon berichtet, zunehmend ältere und pflegebedürftige Personen. Die Versorgungsprävalenz steigt in der Physiotherapie ebenfalls mit dem Alter und erreicht mit 916 Rezepten pro 1.000 Versicherten den höchsten Wert bei Personen zwischen 80 und 84 Jahren (Erhardt et al., 2015). Dementsprechend verlegen sich auch die körperlichen Anforderungen an die TherapeutInnen in die Behandlungsbereiche multimorbider PatientInnen.

(22)

Einleitung

Die physiotherapeutischen Handlungsfelder und Fachbereiche spielen in Bezug auf die körperliche Belastung in dem Beruf eine große Rolle. Vor allem im Bereich der Gerontologie und Neurologie ist oft eine hohe körperliche Belastbarkeit und Aktivität gefragt. In anderen Fachbereichen ist die körperliche Beanspruchung der PhysiotherapeutInnen geringer, wie z.B. bei der Anleitung von Funktionsgymnastikgruppen oder Einzelkrankengymnastik, je nach angewandter Behandlungsmethode. Die geistige Aufmerksamkeit ist dagegen stets in jeder physiotherapeutischen Behandlung sehr gefordert, da die PhysiotherapeutInnen Bewegungsmuster und Bewegungsverhalten der PatientInnen ununterbrochen kontrollieren und korrigieren. Man kann die Anforderungen für PhysiotherapeutInnen folglich in drei Arbeitsebenen einteilen. Davon wäre erstere eine körperlich- handlungsorientierte, die zweite eine kognitiv-organisatorische und die dritte und letzte, eine emotional-reflexive Ebene (Dr. Voelker, 2011).

Die körperlich-handlungsorientierte Ebene lässt sich durch die körperliche Aktivität bezogen auf ein eindeutiges Ziel beschreiben. Negative Faktoren und Gefahren für TherapeutInnen könnten in diesem sowohl die Nähe zur PatientIn, als auch ein gewisses Infektionsrisiko sein.

In der zweiten Ebene handelt es sich um kognitive und organisatorische Fähigkeiten in Verbindung mit medizinisch-therapeutischem Fachwissen. Diese Ebene fordert von den PhysiotherapeutInnen Eigenschaften der Kommunikation, Artikulation, Argumentation sowie Informationsübermittlung und -aufnahme, und Dokumentation. Diese Eigenschaften benötigen sie einerseits im direkten PatientInnenkontakt und andererseits in der Organisation ihres Arbeitsalltages. Dazu gehören Verhandlungs- und Vermittlungsgespräche mit ÄrztInnen und anderen medizinischen Fachabteilungen, oder fachspezifische Gespräche mit KollegInnen, beispielweise zum Austausch im Team.

In der dritten Ebene handelt es sich um eine persönliche, emotional-reflexive Leistung von Seiten der TherapeutInnen. Diese erfordert die soziale Fähigkeit einen möglichst empathischen Zugang zu PatientInnen oder auch eine Art Beziehung aufzubauen. Diese Kompetenz ist für den gesamten Behandlungsprozess und für den Therapieerfolg enorm wichtig. In dieser Ebene ist es relevant, dass die TherapeutInnen im Behandlungskontext verschiedenste Emotionen der PatientIn erkennen. Unter diese Ebene fallen zusätzlich Anforderungen wie die Auseinandersetzung mit Konflikten, sowohl im PatientInnenkontakt, als auch im eigenen Team. Daneben ist die gesamte Arbeit des Vertrauen- und Sicherheit-Schaffens, das Fördern des Wohlbefindens und Motivation,

(23)

Einleitung

und auch das Begleiten und Betreuen der PatientInnen in dieser Ebene eingeordnet (Dr.

Voelker, 2011).

Betrachtet man diese drei Ebenen, wird sehr deutlich, dass PhysiotherapeutInnen mehrfachen Anforderungen ausgesetzt sind, in denen von ihnen permanent und überwiegend zeitgleich körperliche und psychische Leistung abverlangt wird.

Neben diesen drei beschrieben Ebenen gibt es weitere Faktoren, die die Arbeit der PhysiotherapeutIn erschweren können. Der Umgang mit Nähe und Distanz im Patientenkontakt ist in der Rolle der TherapeutIn z.B. ein fortwährender Lern- und Anpassungsprozess. In den verschiedenen Behandlungssituationen entstehen meistens körperliche Berührungen, wenn die TherapeutIn eine Bewegung anleiten oder am Körper der PatientIn ausführen muss. Hierbei ist eine professionelle Nähe gefragt, die im Anschluss der Therapie in eine professionelle Distanz übergehen soll. Diese Begriffe beschreiben einen idealen Umgang mit PatientInnen, bei der die Distanz eine auf die Behandlung zeitlich begrenzte Wahrnehmung des PatientIn und darüber hinaus eine angemessene und objektive Reflexion der Situation, sozusagen als Korrektiv, und somit als Evaluation und Berichtigung der Distanz, darstellen soll. Die Nähe hingegen zur PatientIn wird durch die direkte Interaktion mit Empathie, welche die innere und emotionale Nähe und Verbindung betrifft und die äußere, rein körperliche Nähe, beschrieben. Diese Faktoren sind für die TherapeutInnen nicht immer gut zu gewährleisten, sodass kleinste Handlungen bereits zu Missverständnissen führen und so die Therapie negativ beeinflussen können.

Abhängig vom Fachbereich, in dem die TherapeutInnen arbeiten, können zudem auch sehr fordernde bis belastende emotionale Gemütszustände hervortreten. Beispielsweise kommen TherapeutInnen in der palliativen Betreuung von sterbenden PatientInnen ständig mit Trauer und Abschied in Berührung, welches je nach Persönlichkeit als mehr oder weniger belastend empfunden wird. Ebenfalls gibt es in anderen Fachbereichen Berührungspunkte mit emotionalen Zuständen der Angst und Hilflosigkeit, z.B. bei einer akuten Notfallsituation auf einer Intensivstation.

1.2.5. Berufsstand in der Gesellschaft und Selbstverständnis

Wie bereits in den Professionalisierungsentwicklungen benannt, benötige man hierfür von Seiten der PhysiotherapeutInnen ein berufliches Selbstverständnis. In der Bundesrepublik ist das Bild der PhysiotherapeutInnen jedoch bislang durch den Status eines Heil- und Hilfsmittelberufs geprägt. Dieses Bild ist an die noch immer vorhandene Weisungsgebundenheit der TherapeutInnen durch die Diagnosestellung von Seiten der

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Einleitung

ÄrztInnen geknüpft. Zum Zeitpunkt der HHVG- Gesetzesverabschiedung führte in der Süddeutschen Zeitung der Titel „Leichter zum Rückenkneten“ zu einem Bericht über die aktuellen Entwicklungen für die Gesundheitsfachberufe. Damit seien laut Pott (2017) die Professionalisierung und die Wahrnehmung des Berufsstandes in der deutschen Gesellschaft noch nicht präsent.

Häufig spielt jedoch die eigene Identifikation mit dem gewählten Beruf in Bezug auf die Repräsentation nach außen eine große Rolle. Eine Studie ließ Physiotherapeutinnen auf ihre Eigenidentifikation befrage, wodurch ermittelt werden konnte, dass diese erst nach längerer Berufserfahrung entstehe (Seydell, 2015). Durch den wissenschaftlichen Fortschritt mit der Folge von evidenzbasierter Medizin und Praxis wächst die Akzeptanz von Seiten der PatientInnen und KostenträgerInnen.

1.2.6. Physiotherapeutische Berufsausbildung und ihre Vielfältigkeit

In der Bundesrepublik Deutschland bieten sich gleich mehrere Bildungswege zum Beruf der PhysiotherapeutIn für interessierte SchulabgängerInnen. Die dreijährige schulische Berufsausbildung untergliedert sich nach der letzten Neuerung der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung im Jahr 1994 in 2900 Stunden theoretischen und fachpraktischen Unterricht, sowie 1600 Stunden praktische Ausbildung. Nach Angaben von Schaemann, bereits 2005, entspreche diese Festlegung nicht mehr den derzeitigen Maßstäben der fortschreitenden Entwicklung im Bereich der Medizin und auch nicht der Erkenntnisse der neueren Bildungsforschung im Hinblick auf Lehr-Lernformen. Begründet sei dieses durch die Unabhängigkeit des Ausbildungssystems der Gesundheitsfachberufe von anderen Bereichen im beruflichen Bildungswesen, sodass sie bspw. keiner Forschungseinrichtung mit curricularen Vorgaben unterstehen (Schaemann, 2005). Dazu kommt, dass die Inhalte der Ausbildung von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sein können, da die Landesschulbehörden hierfür selbst verantwortlich sind. Die Verantwortung über die inhaltliche Gestaltung der physiotherapeutischen Ausbildung liegt dann wiederum bei den Schulen selbst (Dr. Voelker, 2011). Dementsprechend wird deutlich, dass die Ausbildungswege und -Inhalte im Rahmen der Berufsausbildung teilweise sehr unterschiedlich, bzw. vielfältig sein können. Ein weiterer Unterschied besteht in den Kosten für die Ausbildung, die an privaten Schulen nicht selten über 400 Euro monatlich betragen. Zwar gibt es zunehmend kostenfreie Ausbildungsplätze, die ferner über das Krankenhausfinanzierungsgesetz finanziert werden (Hilgert, 2015), in der Mehrzahl der Schulen muss aber die Ausbildung aktuell dennoch selbst finanziert werden und ist somit

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Einleitung

für viele Interessierte gar nicht erreichbar. Dadurch stelle sich nach Angaben von Boßmann (2016) eine weitere Hürde in Bezug auf den Mangel an Fachkräften.

Neben den ursprünglichen berufsqualifizierenden schulischen Ausbildungsweg zur PhysiotherapeutIn gibt es in Deutschland seit 2001 Kooperationen zwischen wenigen Physiotherapieschulen und Hochschulen, die ein weiterführendes Studium zur Erlangung des Bachelorgrades anbieten. Diese Studiengänge laufen dabei parallel, also als Dualer Studiengang, zur Ausbildung, oder berufsbegleitend nach abgeschlossener Physiotherapieausbildung. Die Einführung einer grundständigen Akademisierung läuft in in der BRD jedoch noch immer schleppend. Erst durch die Einführung der Modellklausel im Berufsgesetz 2009 besteht seit ca. einem Jahrzehnt die Möglichkeit auch in der BRD einen primär qualifizierenden Bachelorabschluss in der Physiotherapie zu machen. Nach aktuellem Beschluss des Bundestages endet 2021 die Evaluationsphase der Modellstudiengänge, worauf eine Entscheidung über die Umstellung der physiotherapeutischen Ausbildung in Richtung Akademisierung entschieden wird (Deutscher Verband für Physiotherapie (ZVK), 2017).

1.2.7. Deutsche Physiotherapie im internationalen Kontext

Seit 2009 sei es nach Angaben des deutschen Bundestages jedoch relevant, „die Wettbewerbsfähigkeit der nicht ärztlichen Heilberufe im europäischen Kontext zu stärken und die berufliche Mobilität deutscher Berufsangehöriger zu erhöhen“ (Dr. Voelker, 2011, S. 12). Aufgrund der unterschiedlichen Ausbildungswege, gibt es international häufig Probleme in der Berufsanerkennung (Pott, 2017). Sowohl studierte als auch nicht studierte deutsche PhysiotherapeutInnen haben teilweise noch immer Auflagen, um im Ausland tätig sein zu dürfen. Hierfür müssen sie beispielweise zusätzliche Fortbildungsnachweise für verschiedene Behandlungsmethoden vorlegen. Oft gehen diese Zusatznachweise auch mit hohen Kosten einher, weshalb hier eine Hürde für TherapeutInnen entsteht im Ausland arbeiten zu können. Seit dem Bologna Prozess und dem Benchmark Statement wird deutlich, dass vor allem die Akademisierung und Professionalisierung der Physiotherapie in Deutschland nur schleppend voranschreitet.

Erst im Zuge des zunehmenden Mangels an Fachkräften wird die Notwendigkeit dieser Entwicklungen für die Physiotherapie, besonders bei Betrachtung anderer europäischer Länder wie z.B. die Physiotherapie mit gut funktionierendem Direktzugang, deutlich.

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Einleitung

1.3.

Wissenslücke

Bis zum jetzigen Zeitpunkt bestehen keine Forschungsbewegungen zur detaillierten Ergründung des Fachkräftemangels. Fehlend sind bisher Datenerhebungen, die die Motivationen, Gründe oder persönlichen Lebensumstände für einen Wechsel oder Ausstieg aus dem Beruf der PhysiotherapeutIn in der Bundesrepublik Deutschland analysierten und öffentlich darstellten. Diese sind vor allem relevant für die derzeitigen Entwicklungen im Berufsstand der PhysiotherapeutInnen und dem Gesundheitssystem der Bundesrepublik Deutschland.

1.4.

Zielsetzung und Forschungsfrage

Das Ziel dieser Arbeit ist die Ergründung und Erfassung individueller und persönlicher Umstände, Motivationen einzelner PhysiotherapeutInnen aus dem Beruf auszusteigen.

Ebenfalls soll die Arbeit dazu beitragen, den drohenden Fachkräftemangel zu erkunden und dessen Gründe und Ursachen sowohl zu analysieren als auch festzuhalten. Aus diesen Zielen lässt sich folgende Forschungsfrage ableiten:

Welche individuellen Umstände, Gründe und Motive führen für ausgebildete PhysiotherapeutInnen in Deutschland dazu, den Beruf zu verlassen oder im Ausland tätig

zu werden?

(27)

Material und Methoden

2 Material und Methoden 2.1.

Studiendesign

Um sich den individuellen Umständen, Gründen und Motiven für den Ausstieg aus dem Beruf bei ausgebildeten PhysiotherapeutInnen anzunähern, wurde der qualitative Ansatz gewählt. Dieser ermöglicht einen tiefen Einblick in die Beweggründe und motivierenden Faktoren der Personen und deren Geschichte um einen größeren Informationsgehalt zu erhalten. Außerdem charakterisiert er sich durch seine Flexibilität und Offenheit (Helfferich, 2005). Im qualitativen Forschungsprozesses besteht der Wunsch, die Teilnehmer und Teilnehmerinnen möglichst selbst zu Wort kommen zu lassen, um die subjektive Sichtweise erfassen zu können. Ziel dieser qualitativen Arbeit ist es außerdem, der Forschungsfrage gerecht zu werden und realitätsnahe Daten zu erheben (Scheibler, 2012).

Wie Flick (2010) in seinem Buch beschreibt, ist die Entscheidung für das Forschungsdesign im Rahmen eines qualitativen Forschungsprozesses oft durch eine Minimierung von äußeren Einflüssen bei der Datenerhebung geprägt. Das

„Forschungsdesign (…) [ist darüber hinaus] ein Plan für die Sammlung und Analyse von Anhaltspunkten, die es dem Forscher erlauben, eine Antwort zu geben. (…) Das Design einer Untersuchung berührt fast alle Aspekte der Forschung von (…) der Datenerhebung bis zur Auswahl der Techniken der Datenanalyse.“ (Flick et al., 1995).

2.2.

Literaturrecherche

Um sich einen Überblick über den Wissensbestand und die aktuellen Erkenntnisse über den drohenden Fachkräftemangel in der BRD zu verschaffen, wurde zunächst eine Literaturrecherche über die Datenbanken Dimdi und Pubmed durchgeführt.

Weitere Artikel wurden mittels der wissenschaftlichen Suchmaschine Google Scholar identifiziert. In den Quellennachweisen der entsprechenden Artikel konnten mittels Schneeballverfahren weitere relevante Studien ausfindig gemacht werden. Die Literaturrecherche wurde außerdem durch manuelle Handsuche in Büchern, Zeitungen und Zeitschriften (z.B. PT-Zeitschrift, Physiopraxis und Physioscience) ergänzt.

Ein großer Teil der verwendeten Literatur ist daher als „grey literatur“ einzuordnen, dessen Quellen oft nicht genau gekennzeichnet werden können, da beispielsweise Angaben zu den Verfassern der Artikel fehlen. Häufig sind die genutzten Artikel Berichte sowohl über getätigte Studien, dessen Qualität jedoch nicht genauer erläutert wird, oder

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Material und Methoden

zu erkennen ist, als auch von Geschehnissen im Rahmen der physiotherapeutischen Berufsentwicklung, wie z.B. von politischen Debatten und Handlungen. Aufgrund der Tatsache, dass sich das Thema in stetiger Entwicklung befindet, wurde Literatur hinsichtlich der Entwicklung des Fachkräftemängels eingeschlossen, die bis April 2018 publiziert wurde.

2.3.

Auswahl und Rekrutierung der InterviewteilnehmerInnen

Im folgenden Abschnitt soll die Stichprobe und die Herangehensweise für die Rekrutierung beschrieben werden. Hierfür werden kurz die Ein- und Ausschlusskriterien genannt, die auf eine möglichst aussagekräftige Datensammlung abzielen sollen:

 Einschlusskriterien:

- Ausbildung/ Studium muss in der Bundesrepublik Deutschland absolviert worden sein

- Personen, die aus der aktiven physiotherapeutischen Arbeit ausgeschieden sind, wobei irrelevant ist, ob sie den Beruf gewechselt und beispielsweise eine Umschulung oder ähnliches gemacht haben, oder den Beruf aus persönlichen Gründen niedergelegt haben

- Personen, die aus der Bundesrepublik Deutschland in andere europäische Länder emigriert sind, und noch aktiv als PhysiotherapeutIn arbeiten

 Ausschlusskriterien:

- Personen, die für eine physiotherapeutische Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen als offiziell berufsunfähig beschrieben worden sind

- Personen, die vor mehr als 15 Jahren aus dem Beruf der PhysiotherapeutIn ausgestiegen sind, da ein ausreichender Bezug zum aktuellen Berufsstand fehlen könnte

In einer zweiten Phase sollen darüber hinaus ExpertInneninterviews stattfinden. Hierfür gelten die Vorgaben, dass jeweilige Personen ein Amt in einem der deutschen Physiotherapieverbänden innehalten, welches sie dazu befugt, die Standpunkte und Sichtweisen der Verbände öffentlich zu vertreten.

Die Mindestanzahl von benötigten Interviews mit ProfessionistInnen wurde auf ca. 10-15 und ExpertInnen auf ca. 2-4 bestimmt.

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Material und Methoden

Im Rahmen eines „purposive samplings“ wurde zielgerichtet nach TeilnehmerInnen für diese Studie gesucht. Diese Rekrutierungsstrategie zeichnet sich dadurch aus, dass die InterviewteilnehmerInnen bestimmte Kriterien erfüllen müssen. Neben den bereits genannten Ein- und Ausschlusskriterien werden hierbei von den StudienteilnehmerInnen Kenntnisse über die zu erforschende Thematik, sowie eine persönliche Haltung zu dem Thema erwartet (Robinson, 2014).

Die Rekrutierung der ProfessionistInnen erfolgte zunächst über den persönlichen Bekanntenkreis. Ausgehend von dieser Quelle ermöglichte das Schneeballprinzip den Zugang zu weiteren interessierten TeilnehmerInnen. Ein Schnellballprinzip bedeutet hier, dass über den Kontakt zu bereits für die Studie gewonnenen ProfessionistInnen im Gespräch nach weiteren potentiellen TeilnehmerInnen aus dem Bekanntenkreis gefragt werden, die dann ebenfalls für Interviews herangezogen werden können (Robinson, 2014). Die Rekrutierung der Studienteilnehmer erfolgte außerdem über Anzeigen in sozialen Netzwerken.

Zur Rekrutierung von ExpertInnen wurde ebenfalls die Form des „purposive sampling“

genutzt (Robinson, 2014). Dafür wurden mehrere deutsche Physiotherapieverbände per E-Mail kontaktiert und zur Teilnahme an der Studie eingeladen.

2.4.

Datenerhebung

2.4.1. Art der Interviews

Für diese Studie wurde eine Art der Interviewführung gewählt, die einerseits bei den ProfessionistInnen die Motive und Gründe für die individuellen Veränderungen im beruflichen Leben, sowie das subjektive Erleben mit der physiotherapeutischen Arbeit in der Bundesrepublik Deutschland darstellen sollen. Andererseits soll die gewählte Interviewführung eine individuelle Stellungnahme und Meinung von Seiten der ExpertInnen erfragen (Scherfer, 2004).

Hierfür wurde eine Interviewform bestimmt, die besonders durch einen narrativen Charakter bestimmt ist. Vorteile des narrativen Interviews sind in diesem Fall die offenen Fragen, die den TeilnehmerInnen das freie Erzählen erlauben. Hierbei können die ProbandInnen unvoreingenommen und rückblickend über das behandelte Thema sprechen, sodass im besten Fall alle persönlichen Gründe und Motive für die berufliche Veränderung deutlich werden. Charakteristisch sind in dieser Interviewform affektive, kognitive und wertbezogene Äußerungen, die relevant für die Ergebnisse sind. Diese Art des Interviews ist aufgrund einer Form der Stegreiferzählung so angeordnet, dass der

(30)

Material und Methoden

Interviewer die überwiegend schweigende aber interessiert-zustimmende Zuhörerposition übernimmt, während die TeilnehmerIn die Erzählerposition einnimmt und somit auch die EreignisträgerIn ist (Heinze, 1995). Da jedoch für diese Studie ein gewisser Rahmen in den Interviews gegeben werden muss, um das Gespräch ergebnisorientiert zu führen, werden ebenfalls problemzentrierte und fokussierte Merkmale der Interviewführung mit einfließen. Als Merkmal eines halbstrukturierten Interviews wurde im Gegensatz zum rein narrativen Stil, welcher keinen Interviewleitfaden benötigt, in dieser Studie bereits vorher ein Interviewleitfaden ausgearbeitet, wie es in einem problemzentrierten und fokussierten Interview charakteristisch ist (Lamnek, 1993). Dieser bestimmt welche Themenschwerpunkte im Gespräch besprochen werden sollen und gibt Vorschläge und Anregungen für Fragen, um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten. Diese Fragetechniken sollen zusätzlich im Anschluss einen Vergleich der Daten von den einzelnen Interviews ermöglichen. Darüber hinaus sollen die Interviews sowohl deduktiv als auch induktiv geprägt sein, um einerseits hypothesengenerierend zu arbeiten aber andererseits auch bereits in der Einleitung dieser Arbeit aufgestellte Vermutungen hinterfragen zu können. Äußerst relevant für die Forscherin ist hier, dass die Fragen möglichst ohne Suggestion gestellt werden müssen. Detaillierte Informationen können dagegen bei unklaren oder undeutlichen Aussagen durch eine Präzisierung in erneuter Nachfrage ermittelt werden. Wie im problemzentrierten Interview entstehen an dieser Stelle eventuell Rückspiegelungen auf bereits Genanntes sowie Rückschlüsse oder genauere Erinnerungen. Im Laufe oder zum Ende des Interviews sollen die Befragten dazu angeregt werden die Äußerungen teilweise noch einmal zu explizieren, präzisieren und reflektieren (Lamnek, 1993). Ebenfalls wurden auch soziodemographische Daten abgefragt, um auch hier mögliche relevante Merkmale zu finden, die den Berufswechsel oder die Emigration beeinflusst haben oder begründen könnten (Ewers et al., 2002).

2.4.2. Durchführung der Interviews

Um, wie im vorhergehenden Abschnitt detailliert erklärt das subjektive Erleben der Veränderung im beruflichen Sinne zu erfahren und die Stellungnahmen dazu von ExpertInnen zu ermitteln, wurden die Interviews in Einzelgesprächen durchgeführt. Diese wurden in den meisten Fällen aufgrund der zeitlichen und örtlichen Flexibilität und zur Kosteneinsparung per Skype oder Telefon durchgeführt. Allerdings wurden vereinzelte Interviews ebenfalls in einem persönlichen Gespräch gehalten. Für die Durchführung der Interviews wurde eine Dauer von etwa 30 Minutengeplant.

(31)

Material und Methoden

Vor Beginn der Datenerhebung wurde ein Pretest mit einem bekannten Physiotherapeuten geführt, um eventuelle Unklarheiten in dem Leitfaden zu identifizieren.

Das Interview wurde mit Einwilligung zur Evaluation und Übung aufgezeichnet. Die Daten dieses Pilotinterviews wurden allerdings nicht mit in die Studie eingeschlossen.

Alle Interviews wurden mit Hilfe eines Diktiergeräts aufgenommen und wortwirklich transkribiert.

2.4.3. Ethische Berücksichtigungen

Aufgrund der Datenerhebung anhand von qualitativen Interviews sind in der vorliegenden Studie ethische Prinzipien zu berücksichtigen. Als Orientierung hierfür dienten die drei Grundprinzipien des Persönlichkeitsschutzes. Diese kennzeichnen sich dadurch aus, dass eine freiwillige und aufgeklärte Zustimmung der teilnehmenden Personen besteht und deren Anonymität, sowie der Schutz vor etwaigen Schäden gewährleistet wird (Mayer, 2015).

Die InterviewteilnehmerInnen, erhielten zur Einhaltung des ersten Grundprinzips, nach eingehendem Kontakt per Email vorab eine „Studieninformation und Einverständniserklärung zur Teilnahme an der Studie“ (Anhang Dokument 1). In diesem Schreiben, im Sinne einer „aufgeklärten Einwilligung“, wurden die TeilnehmerInnen über das Ziel, den Zweck und über den Verlauf der Studie informiert. Außerdem wurde der Umgang mit den erhobenen Daten beschrieben und darauf hingewiesen, dass die Teilnahme an der Studie freiwillig ist und die Einverständnis bis zu einem festgelegten Zeitpunkt ohne Angabe von Gründen und ohne persönliche Konsequenzen zurückgezogen werden kann. Diese Einverständniserklärung wurde von jeder StudienteilnehmerIn schriftlich, bzw. als PDF-Dokument gesammelt und gespeichert.

Außerdem wurde jeweils vor der Durchführung der Interviews um eine mündliche Einverständnis zur Teilnahme an der Studie und Verwendung der Daten gebeten.

Als zweites Grundprinzip wurde den StudienteilnehmerInnen durch die Studieninformation eine Anonymität zugesichert. Für diese Studie wurden die Daten pseudonymisiert, sodass die Transkripte von den InterviewteilnehmerInnen mit einer persönlichen Kodierung versehen wurden, bevor sie zu weiteren Bearbeitung genutzt wurden.

Außerdem wurde darüber informiert, dass durch die Studienteilnahme voraussichtlich weder psychische noch physische Schäden entstehen würden (Mayer, 2015). Hierdurch

(32)

Material und Methoden

wird das dritte Grundprinzip dem Schutz des Individuums bei der Teilnahme an der Studie aufrechterhalten.

Da es sich bei den StudienteilnehmerInnen um keine vulnerable Personengruppe bei der Stichprobe handelte, wurden Risiken durch eine Teilnahme als kaum vorhanden bis sehr gering eingeschätzt, weshalb keine Begutachtung durch eine Ethikkommission notwendig war (Mayer, 2015).

2.4.4. Interviewleitfaden

In der Einleitung wurden bereits zahlreiche Vermutungen über mögliche Motive und Ursachen für einen drohenden Fachkräftemangel genannt, bzw. Differenzen zwischen Gesundheitssystem und der zufriedenstellenden Arbeit als PhysiotherapeutIn in der Bundesrepublik Deutschland aufgeführt. Davon geleitet wurde ein Interviewleitfaden entwickelt, der spezifische Fragen für die Interviews mit den ProbandInnen vorschlägt und den Rahmen der Gesprächsführung etwas eingrenzen soll. Er zielt darauf ab, die Gründe, Motivation und das subjektive Erleben des physiotherapeutischen Berufes und die Veränderung von den beteiligten ProfessionistInnen zu ermitteln.

Dabei ist wichtig zu benennen, dass die Fragen aus dem Leitfaden nicht strikt nacheinander abgearbeitet wurden, sondern die Antworten vielmehr aus dem Gespräch heraus entstehen sollten. Die Forscherin hielt während der Interviews den Leitfaden stetig zur Erinnerung bereit, sodass bei Bedarf nach fehlenden Daten gezielt gefragt werden konnte.

Der Interviewleitfaden wurde zur besseren Übersicht in fünf Hauptthemen gegliedert, die wiederum in Unterthemen eingeteilt wurden. Die nächsten Abbildungen 7 und 8 zeigen jeweils einen spezifisch entwickelten Leitfaden sowohl für die ProfessionistInnen als auch für die ExpertInnen.

(33)

Material und Methoden

Abbildung 7 Interviewleitfaden ProfessionistInnen (eigene Darstellung)

(34)

Material und Methoden

Abbildung 8 Interviewleitfaden für ExpertInnen (eigene Darstellung)

(35)

Material und Methoden

2.5.

Datenauswertung

Im Anschluss an die Durchführung der Interviews wurden diese in einer sogenannten

„Framework“- Datenanalyse ausgewertet. Die „Framework“-Analyse“ zeichnet sich durch ein strukturiertes Vorgehen in der Bearbeitung qualitativer Daten aus. Diese Art der Analyse kann sowohl bei induktiv als auch bei deduktiven Interviewführung in qualitativen Studiendesigns genutzt werden, sodass sie bei einer Mischform wie in dieser Studie gut einzusetzen ist.

Die Interviews wurden nach Entwicklung der Forschungsfrage anhand eines spezifischen Leitfadens geführt. Daraufhin wurden diese nach einem bestimmten Schema transkribiert, sodass die relevanten Daten und Textpassagen unmissverständlich erkennbar wurden. Wie in dem Artikel von Gale et al. (2013) beschrieben, seien die Hauptaussagen der InterviewteilnehmerInnen für die Studienergebnisse relevant. Daher wurden Sprechpausen, Lautmalereien oder hörbare Emotionen in der Transkription ausgelassen. Die folgende Abbildung 9 soll die für diese Studie nach Kuckartz (2007) entwickelten Transkriptionsregeln noch einmal anzeigen:

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Material und Methoden

Abbildung 9 Transkriptionsregeln (Kuckartz, 2007)

Nachdem die Transkription abgeschlossen ist, folgt eine „Einarbeitungsphase“, bei der die ForscherIn die Transkripte liest und, oder die Interviews nochmals vom Tonband anhört. Hierbei können vorab Auffälligkeiten entdeckt und als „Memo“ notiert werden (Gale et al., 2013). Nach dieser Phase folgt bei der „Framework“-Analyse die Kodierung der einzelnen Transkripte, bei der Zeile für Zeile sorgfältig Themenpunkte analysiert,

(37)

Material und Methoden

der Hypothesengenerierung möglichst „offen“ durchgeführt, damit viele Dimensionen und Sichtweisen zu den einzelnen Fragen von den InterviewteilnehmerInnen zustande kommen. Dadurch sollen Gesichtspunkte und Merkmale als Ergebnisse sichtbar werden (Heinze, 1995). Wichtig für die ForscherIn ist hierbei, dass bis zu dem zuletzt kodierten Transkript fortwährend neue Kodierungen auftreten können und auch erkannt werden sollten.

Folglich werden die Themenpunkte nach Kodierung aller Transkripte in Kategorien eingeordnet, sodass eine Art Baumdiagramm entsteht. Hierfür wurde bereits in der nächsten Phase der „Framework“- Analyse für diese Studie Excel-Dateien erstellt, die eine Sortierung der Kodierungen in Kategorien ermöglicht hat. Durch das Sortieren und Organisieren der Kategorien und Kodierungen erhält die ForscherIn eine Erleichterung für die weitere Analyse, da die Masse der Daten nun geordnet sei (Gale et al., 2013).

Im Anschluss startet die ForscherIn mit der Zusammenfassung und dem Zusammenfügen der Daten aller Interviews. Dabei ist es von großer Bedeutung wesentliche und markante Daten nicht zu übersehen und gleichzeitig die Masse an Daten auf eine angemessene Menge zu reduzieren, damit die Ergebnisse gut dargestellt und hervorgehoben werden können. Ebenso können hierdurch Handlungsketten und Situationen, wie zum Beispiel Problematisierungen im Erleben des Berufes, deutlich werden.

Als letzte Phase in der „Framework“- Analyse wird die ForscherIn dazu aufgefordert sich Notizen und Anmerkungen bezüglich Besonderheiten zu machen, die bereits während der analytischen Bearbeitung der Interviews auftreten, sodass die Ergebnisse einen Rahmen zur Interpretation zulassen.

2.5.1. Maßnahmen zur Qualitätssicherung

Im Gegensatz zu quantitativen Forschungsdesigns gelten in der qualitativen Forschung keine festgesetzten Gütekriterien zur Sicherung der Qualität einer Studie. In der Literatur wird über die Sinnhaftigkeit über Einhaltung verschiedener Kriterien zur Bewertung und Beurteilung von qualitativen Studien viel diskutiert (Steinke, 2000).

Um jedoch qualitative Studien auf ihre Wissenschaftlichkeit, Güte und Geltung zu prüfen und somit ihre Qualität zu bestimmen, sind nach Angaben von Steinke (2007) mehrere Kriterien zu erfüllen. Anders als bei einem quantitativen Forschungsdesign, in der die Gütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität klar strukturiert und vorgegeben sind, seien die Kriterien für die qualitative Forschung jedoch oft in der Literatur weniger

(38)

Material und Methoden

systematisch und verallgemeinert dargestellt. Allerdings lassen sich die qualitativen Gütekriterien an die der quantitativen Forschung anlehnen, sodass die Repräsentativität der Ergebnisse als Ziel für sowohl quantitative als auch qualitative Forschungsdesigns gilt. Relevant sei es in diesem Fall auch die Grenzen der Verallgemeinerung von Forschungsergebnissen darzustellen (Steinke, 2000).

Steinke (2007) erklärt, dass die Auswahl und Anwendung von Kriterien untersuchungs- und forschungsspezifisch sein müssen, um die Qualität einer Studie angemessen bewerten zu können. Angelehnt an die Gütekriterien für quantitative Forschung stellte Steinke folgende Kriterien zur Validierung und Beurteilung des qualitativen Forschungsprozesses auf:

- die Bewertung der Kommunikation, oder auch „member checking“, bei der den StudienteilnehmerInnen die erhobenen Daten und Ergebnisse

anschließend noch einmal vorgelegt werden, damit diese die Gültigkeit ihrer Aussagen prüfen.

- die Triangulation, bei der mehrere Untersuchungsmethoden zur Studie herangezogen werden und verknüpft werden. Z.B. sollen mehrere Forschende an selbiger Studie die erhobenen Daten analysieren und gegenseitig prüfen, um subjektive Verzerrungen oder einseitige Ergebnisse möglichst zu vermeiden.

- die Bewertung und Beurteilung, der Interviewsituation, um Interessenskonflikte oder Bündnisse zwischen ForscherIn und StudienteilnehmerIn aufzudecken und auszuschließen.

- die Beurteilung auf Authentizität, bei der auf einen sorgfältigen Umgang mit den erhobenen Daten geprüft wird. Es wird hier beispielsweise beurteilt, ob die Komplexität von Interviewaussagen hinreichend erfasst wurde.

Nach Steinke besteht im Rahmen der qualitativen Forschung aufgrund einer kaum zu erhaltenden Reproduzierbarkeit und um repräsentable Ergebnisse zu gewährleisten, der Anspruch auf eine „intersubjektive Nachvollziehbarkeit“. Hierfür gilt es den Forschungsprozess detailliert zu dokumentieren, sodass es möglich ist, den genauen Verlauf einer Studie und die entstandenen Ergebnisse nachvollziehen zu können. In dieser Dokumentation sollen ein Vorverständnis zur Thematik sowie die Erwartungen und Forschungsfrage dargestellt werden, welche für diese Studie nun in Form dieser Masterthese vorliegen.

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