THEMEN DER ZEIT
meinschaftsebene zu ersetzen sind, wobei es dann den Mitgliedstaaten obliegt, ihr Schutzniveau zu erhal- ten. Diese Begründung überzeugt für die Produkthaftung, wo anony- me Produzenten/Hersteller über ei- ne ebenfalls weitgehend anonyme Kette ihre Produkte an den Ver- braucher liefern. Sie gilt aber nicht für den Bereich der höheren Dienst- leistungen. Der Verbraucher wird hier vor allem durch die Anforde- rungen an die Qualität der Dienst- leistung beziehungsweise die Quali- fikation des Dienstleisters ge- schützt.
Eine Dienstleistung höherer Art wird durch die Interaktion der Vertragsparteien gesteuert. Für sie muß daher ein spezifisches Haf- tungsregime entwickelt werden, wie dies auch in allen Mitgliedstaaten der europäischen Union geschehen ist. Dieses historisch gewachsene Sy- stem sollte nicht ohne Not und vor allem ohne Anlaß auf dem Altar der europäischen „Einheitlichkeit" ge- opfert werden. Bedauerlich ist, daß die Kommission bisher diese Über- legung nur für den Bereich des Ge- sundheitswesens gelten läßt. Hier ist sicher noch eine vertiefte Diskussi- on notwendig. Der Vertrag von Maastricht hat das Subsidiaritäts- prinzip des Artikel 3 b Absatz 1 und 2 EGV ausdrücklich betont. Dem- nach kann die Gemeinschaft nur in- nerhalb der Grenzen der ihr zuge- wiesenen Befugnisse und gesetzten Ziele tätig werden. Ohne weiter auf Einzelheiten eingehen zu können, scheint es angesichts der länderspe- zifisch ausgeprägten, durch unter- schiedliche ethische Vorstellungen und Standesregelungen geprägten, sogenannten höheren Dienstleistun- gen und der fehlenden Grenzüber- schreitung fraglich, ob eine gemein- schaftliche Regelung notwendig und das heißt gemäß Artikel 3 b EGV eben auch zulässig ist. Dies ist bisher jedenfalls nicht überzeugend von der Kommission dargelegt worden.
Literatur beim Verfasser
Anschrift des Verfassers:
RA Christoph Schalast Röderbergweg 136 60385 Frankfurt
AUFSÄTZE/TAGUNGSBERICHTE
Kolloquium in Jena
Zum Thema „Die ärztliche Auf- klärungspflicht" fand Anfang März an der Friedrich-Schiller-Universität (FSU) Jena das 4. Medizinisch-Juristi- sche Kolloquium statt. Es wird tur- nusgemäß vom Institut für Rechtsme- dizin in der FSU Jena und der Akade- mie für ärztliche Fort- und Weiterbil- dung der Landesärztekammer Thüringen für alle Ärzte der Region angeboten.
Das Kolloquium wird seit 1991 von Prof. Dr. Annelies Klein, Direk- torin des Jenaer Instituts für Rechts- medizin, geleitet und ist auch als AiP- Veranstaltung anerkannt. Es hat mitt- lerweile nicht nur Tradition, sondern ist nicht zuletzt wegen einer Reihe hochkarätiger Referenten (unter an- derem Prof. Dr. jur. Laufs, Heidel- berg, Prof. Dr. med. Schulz, Würz- burg) zu einer der beliebtesten Fort- bildungsveranstaltungen der Region geworden.
Den Anstoß zu dieser Veranstal- tungsreihe lieferten Ärztinnen und Ärzte, die aufgrund der veränderten Rechtssituation in den neuen Bundes- ländern unmittelbar nach der Wende etliche Anfragen an das Jenaer Rechtsmedizinische Institut stellten.
Heute, fünf Jahre nach der Wende, ist von einer grundsätzlichen Rechtsun- sicherheit in manchen medizinischen Fragen keine Rede mehr. Allenthal- ben geht es statt dessen um Detailfra- gen.
So war Thema während des 4.
Kolloquiums beispielsweise die Auf- klärung von Minderjährigen. Hierzu erläuterte Frau Prof. Klein, daß grundsätzlich die Sorgeberechtigten aufgeklärt werden und ihre Einwilli- gung zu einem Eingriff geben müssen.
Jeglicher medizinische Eingriff be- darf nämlich nach vorheriger Auf- klärung durch den Arzt der Einwilli- gung durch den Patienten bezie- hungsweise durch die Sorgeberechtig- ten. Ansonsten wäre ein solcher Ein- griff aus rechtlicher Sicht immer eine
Körperverletzung. Aus dem Audito- rium kam die Frage, inwieweit eine 14jährige Patientin mit einer akuten Angina auch ohne Zustimmung der Sorgeberechtigten ärztlich behandelt werden kann. Hier wurde die Proble- matik der Behandlung im Notfall dis- kutiert.
„Darf ich eine minderjährige Pa- tienten röntgen?" fragte eine Ärztin aus einem Kinderheim. „Die Eltern sind zur Zeit der notwendigen Unter- suchung oft nicht erreichbar." Trotz- dem: Auch hier wäre die Zustimmung durch die Sorgeberechtigten erfor- derlich. Ein Ratschlag der anwesen- den Juristen lautete: Auf jeden Fall den Versuch unternehmen, die Sorge- berechtigten zu erreichen. Gelinge dies nicht und sei die Untersuchung dringend geboten, sollte unbedingt dokumentiert werden, daß man ernst- haft versucht habe, mit den Eltern zu sprechen.
Bei einer längeren Trennung von Eltern und Kind wäre zu überlegen, ob eine generelle Zustimmung zu kleineren, unbedeutenden medizini- schen Maßnahmen angeraten ist. Ein- griffe allerdings seien durch eine pau- schale Zustimmung niemals rechtlich abgedeckt.
Wichtiges Thema waren auch spezielle Fragen zur Dokumentation der Aufklärung bei stationärem Auf- enthalt. Wie klärt man auf?
Grundsätzlich gilt, so Prof. Klein, daß ein Formular zur Unterschrift durch den Patienten niemals ausreicht und daß das mündliche Gespräch zwin- gend erforderlich ist. Im übrigen sei die Unterschrift des Patienten keines- wegs zwingend erforderlich. Ent- scheidend sei die mündliche Auf- klärung, und diese sei zu dokumentie- ren. Ein Formular — ob unterschrie- ben oder nicht — könne höchstens zur Unterstützung und Begleitung der mündlichen Aufklärung geeignet sein.
Martin Wiehl
Detailfragen zur
ärztlichen Aufklärung
A-1156 (38) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 16, 21. April 1995