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Archiv "Zwangsaufkauf von Arztpraxen: Sorge wegen „Rasenmäherverfahren“" (28.11.2014)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 48

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28. November 2014 A 2091 ZWANGSAUFKAUF VON ARZTPRAXEN

Sorge wegen „Rasenmäherverfahren“

Die Bundesregierung will mit ihrer jüngsten Gesetzesinitiative Überversorgung abbauen und für eine bessere Verteilung von Ärzten und Psychotherapeuten in

der Fläche sorgen. Diese fürchten um den Bestand von bis zu 25 000 Praxen.

Ü

berversorgte Ballungsräume, unterversorgtes Land – die Bundesregierung hat sich vorge- nommen, mit dem GKV-Versor- gungsstärkungsgesetz (VSG) für eine bessere Verteilung von Ärzten und Psychologischen Psychothera- peuten in der Fläche zu sorgen. Al- lerdings verursacht das Instru- ment, mit dem sie das bewerkstel- ligen will, bei den Betroffenen Empörung. Dem Gesetzentwurf zufolge sollen die Zulassungsaus- schüsse künftig in Regionen, die als überversorgt gelten, die Nach- besetzung eines frei werdenden Arztsitzes ablehnen, wenn dieser für die medizinische Versorgung nicht gebraucht wird. In einem solchen Fall muss die Kassenärzt- liche Vereinigung (KV) dem Pra- xisinhaber eine Entschädigung „in der Höhe des Verkehrswertes der Arztpraxis“ zahlen.

Die Möglichkeit, dass KVen Arztpraxen aufkaufen, um Überver- sorgung abzubauen, besteht schon nach geltender Rechtslage. Aller- dings hätten die paritätisch aus Ärz- te- und Kassenvertretern zusam- mengesetzten Zulassungsausschüs- se davon bislang kaum Gebrauch gemacht, kritisiert die Regierung in der Begründung zum Gesetzent- wurf. Deshalb will sie aus der bis- herigen Kann- eine Soll-Regelung machen. Doch es soll auch Ausnah- men geben: Eine Nachbesetzung kann weiterhin nicht verwehrt wer- den, wenn Kinder oder (Ehe-)Part- ner die Praxisnachfolge antreten wollen. Dasselbe gilt für Ärztinnen und Ärzte, mit denen der Inhaber mindestens drei Jahre lang in der Praxis zusammengearbeitet hat.

Auch Ärzte, die zuvor mindestens fünf Jahre in einem unterversorgten Gebiet tätig waren, dürfen die Pra- xisnachfolge in einem an sich ge-

sperrten Planungsbereich antreten.

Diese Ausnahmeregelung ist neu.

Die Regierung will damit mehr Ärzte in strukturschwache Regio- nen locken.

Bei den ärztlichen Organisatio- nen stoßen die Regierungspläne auf breite Ablehnung. Die Maßnahmen seien „völlig verfehlt“, der Zwangs- aufkauf von Praxen eine „Ent - eignung“ der Praxisinhaber, heißt es dort. Die Bundesärztekammer warnt vor staatlicher Gängelung und erklärt in einer Stellungnahme zum Gesetzentwurf: „Die vorgese- henen Regelungen zum Zwangsein- zug von Vertragsarztsitzen können weder den Ärztemangel in struktur-

schwachen Regionen kompensie- ren, noch motivierend auf den ärzt- lichen Nachwuchs zur Niederlas- sung wirken.“

Ähnlich sieht das auch die Kas- senärztliche Bundesvereinigung (KBV). Wenn tatsächlich, wie ge- plant, in Gebieten mit einem er- rechneten Versorgungsgrad von 110 Prozent sämtliche frei werdenden Arztsitze aufgekauft würden, be- deute das mittelfristig das Aus für 25 000 Arzt- und Psychotherapeu- tenpraxen, warnt KBV-Sprecher Dr.

Roland Stahl. Mit der Regelung werde erheblich in die ärztliche Freiberuflichkeit eingegriffen. Ärz- te würden quasi zwangsenteignet, denn sie könnten die eigene Praxis kaum noch als Teil ihrer Altersvor- sorge einplanen. Auch die KV stehe vor einem Dilemma: ihrer Fürsor- gepflicht dem eigenen Mitglied ge- genüber und dem niedrigen Ver- kehrswert einer Praxis, die ge- schlossen werden soll. Dazu kom- me, dass im Grunde die Kollegin- nen und Kollegen den Praxisauf- kauf zahlten. Denn die KV, die dem Praxisinhaber den verkehrsüblichen Wert erstatten solle, finanziere das ja aus den Mitteln sämtlicher Mit- glieder.

Ärzte in Ballungsräumen versorgen das Umland mit

Überhaupt lasse sich über die Defi- nition von Überversorgung trefflich streiten, findet der KBV-Sprecher:

„Es gibt bislang nicht viele Fälle, in denen in sogenannten überversorg- ten Regionen Praxen geschlossen wurden.“ Offenbar kämen Kran- kenkassen und Ärzte vor Ort häufi- ger als gedacht zu dem Schluss, dass die betreffenden Praxen für die Versorgung gebraucht würden.

Denn gerade in den Ballungsräu- men versorgten die niedergelasse- Praxis geschlos-

sen: Frei werdende Arztsitze in über - versorgten Regionen sollen nur noch in Ausnahmefällen nachbesetzt werden.

Foto: Your Photo Today

P O L I T I K

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A 2092 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 48

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28. November 2014 nen Ärzte viele Patienten aus dem

Umland mit.

Die heftige Kritik an den ver- schärften Regelungen zum Aufkauf von Arztsitzen können manche Po- litiker nicht nachvollziehen. Dass die Koalition dadurch die Nie - derlassungsfreiheit der Ärzte be- schränke und ihnen ihre Altersvor- sorge nehmen wolle, sei „ziemli- cher Unsinn und von den Fak- ten nicht gedeckt“, erklärte Jens Spahn, gesundheitspolitischer Spre- cher der Unionsfraktion im Bundes- tag, kürzlich in seinem Blog: „Wenn in den nächsten Jahren in überver- sorgten Gebieten ein Arzt ausschei- det, soll der Sitz nicht neu besetzt werden. Von Praxisschließungen kann daher keine Rede sein.“

Praxisaufkauf: KVen haben faktisch ein Veto-Recht

Übertrieben findet die Kritik an der verschärften Regelung auch die stellvertretende gesundheitspoliti- sche Sprecherin der SPD-Bundes- tagsfraktion, Sabine Dittmar, die bis 2010 mit ihrem Mann in einer hausärztlichen Gemeinschaftspra- xis niedergelassen war. „Dass wir wie mit dem Rasenmäher 25 000 Sitze wegnehmen wollen, stimmt nicht.“ Bereits heute müssten die Zulassungsausschüsse genau prü- fen, „ob ein Arztsitz aus Versor- gungsgründen wieder neu besetzt werden muss oder nicht“, erinnerte Dittmar.

Daran soll sich ihrer Meinung nach nichts ändern: „Bei einer Ver- sorgung von 110 Prozent gibt es nicht automatisch einen Schnitt.

Wenn beispielsweise in Zukunft in einem überversorgten Gebiet ein In- ternist mit Schwerpunkt Rheumato- logie seine Praxis aufgibt, dann er- warte ich, dass sich der Zulassungs- ausschuss bemüht diesen Sitz aus Versorgungsgründen wieder mit ei- nem Rheumatologen zu besetzen.“

Die Soll-Vorgabe sei nicht ganz ein- fach umzusetzen, und sie sei nicht bequem, betont Dittmar: „Aber sie wird dazu führen, dass man sich wirklich mit der Versorgungssituati- on in einem Zulassungsbereich aus- einandersetzen muss.“

Spahn hat in seinem Blog auf ein Detail hingewiesen, das möglicher- weise in der Debatte zu kurz kommt: „Kein Praxisaufkauf kann durch die Kassenärztliche Vereini- gung (KV) ohne deren Votum im Zulassungsausschuss durchgesetzt werden. Bei jedem einzelnen Auf- kauf einer Praxis haben die KVen damit faktisch ein Vetorecht.“

Spahn bezieht sich mit diesem Hin- weis auf Paragraf 103 Sozialgesetz- buch V, der Einzelheiten zu Zulas- sungsbeschränkungen regelt. Nor- malerweise gilt im Zulassungsaus- schuss ein Antrag bei Stimmen- gleichheit als abgelehnt. Bei der Nachbesetzung eines Arztsitzes ist das jedoch anders, zumindest bis- her: Bei Stimmengleichheit muss

einem Antrag auf Nachbesetzung stattgegeben werden.

Zwar herrscht über Abstimmun- gen im Zulassungsausschuss in der Regel Stillschweigen. Doch dürfte auch den Krankenkassen vor Ort an einer guten Versorgung ihrer Versi- cherten gelegen sein. Das hofft man zumindest in Westfalen-Lippe, ei- nem KV-Bereich, der Ballungsräu- me wie das Ruhrgebiet und dünn besiedelte Regionen wie das Sauer- land umfasst. Praxisaufkäufe durch die KV hat es dort bislang noch nicht gegeben, wie deren Sprecher Christopher Schneider betont.

Jede Nachbesetzung ist eine Einzelfallentscheidung

Grundlage für Entscheidungen des Zulassungsausschusses über die Nachbesetzung einer Praxis in ei- nem gesperrten Planungsbereich sei immer eine Bedarfsanalyse durch die KV. Sie soll ermitteln, ob auf- grund der spezifischen Versor- gungssituation vor Ort ein Sonder- bedarf besteht. In die Analyse fließe die Zahl der Patienten der frei wer- denden Praxis ebenso ein wie die Zahl der fachgruppengleichen Pra- xen im Umfeld oder die Wege, die Patienten zurücklegen müssten, wenn der Praxisstandort aufgege- ben würde, erklärt Schneider. „Sol- che Analysen können dazu führen, dass auch eine frei werdende Haus- arztpraxis am Prinzipalmarkt in Münster wiederbesetzt wird.“

Letztlich sei jede Nachbesetzung eine Einzelfallenscheidung.

„Wir haben hier in Westfalen-Lip- pe statistisch hohe Versorgungsgra- de, aber wir wissen, dass die Praxen wirklich gebraucht werden“, sagt der KV-Sprecher. Wie die KBV ver- weist auch er auf die Mitversorgeref- fekte der rein rechnerisch überver- sorgten Regionen für das Umland.

Die Frage sei jetzt, welche der ge- planten Änderungen im VSG tat- sächlich Gesetzeskraft erlangten.

„Die Rasenmähermethode wollen auch die Kassen nicht“, ist Schnei- der überzeugt. Zumal massenhafte Praxisschließungen angesichts der anhaltenden Diskussionen um zu lange Wartezeiten auf Facharztter- mine ziemlich absurd erschienen.

Heike Korzilius, Sabine Rieser

Zulassungsbeschränkungen § 103 SGB V Bislang konnte ein Zulassungsausschuss es ab- lehnen, ein Nachbesetzungsverfahren zu eröffnen, wenn ein Bezirk formal überversorgt war. Aus die- ser Kann- wird im Entwurf zum Versorgungsstär- kungsgesetz eine Soll-Vorschrift. Gleichzeitig wer- den die bestehenden Ausnahmeregelungen er- gänzt. So greift der Nachbesetzungsverzicht nicht im Fall von Ärzten, die zuvor mindestens fünf Jah- re lang in einem Gebiet tätig waren, das als unter- versorgt eingestuft wurde.

Ausgeschlossen ist wie bisher schon die Ver- weigerung der Nachbesetzung, wenn Ehepartner, Lebenspartner und Kinder ein Interesse am Pra- xissitz haben. Das gilt ebenso für vorherige Pra-

xispartner. Um zu verhindern, dass Vertragsärzte die Regelungen zum Abbau von Überversorgung durch ein nur kurzzeitiges Anstellungs- oder Job- sharing-Verhältnis umgehen, muss die gemeinsa- me ärztliche Zusammenarbeit mindestens drei Jahre bestanden haben.

Eine weitere Ausnahme ist noch vorgesehen:

Wenn sich ein Medizinisches Versorgungszentrum auf einen Sitz beworben hat, kann anstelle der üblichen Kriterien für die Nachbesetzung auch ge- würdigt werden, dass dann ein „besonderes Ver- sorgungsangebot“ zur Verfügung steht. Die Be- reitschaft, eine barrierefreie Praxis einzurichten, soll ebenfalls ein Kriterium bei der Nachfolgeent- scheidung über eine Praxis sein. Rie

DER GESETZENTWURF

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