Bereitschaftsdienste
Änderung
unbefriedigend
Bundestag setzt Urteil des EuGH um – verpackt in das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt.
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ie Tarifparteien können in Zukunft die Arbeitszeit auch über zehn Stunden je Werktag verlängern, wenn re- gelmäßig und zu einem erheb- lichen Teil Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst gelei- stet wird. Der Zeitraum, inner- halb dessen diese Verlänge- rung wieder auf durchschnitt- lich acht Stunden ausgegli- chen werden muss, kann von den Tarifvertragsparteien auf bis zu einem Jahr ausgedehnt werden. In einer zweiten Stu- fe ermöglicht es der Gesetz- geber, die tägliche Arbeitszeit ohne Zeitausgleich auf bis zu 48 Wochenstunden auszu- dehnen. Eine solche Verlän- gerung ist jedoch nur zuläs- sig, wenn der Arbeitnehmer schriftlich einwilligt. Seine Zu-stimmung kann er mit Frist von einem Monat schriftlich widerrufen. Vorgeschrieben wird zudem, dass eine Ruhe- zeit von mindestens elf Stun- den zu gewähren ist, wenn die Arbeitszeit an Werktagen über zwölf Stunden hinaus verlän- gert wird.
Dies sieht ein neuer Artikel 4b („Änderung des Arbeits- zeitgesetzes“) vor, der in das Gesetz zu Reformen am Ar- beitsmarkt eingefügt wurde.
Es wurde am 26. September vom Bundestag verabschie- det. Damit sollen die Vorga- ben des Europäischen Ge- richtshofs (EuGH) zum Be-
reitschaftsdienst vom 9. Sep- tember umgesetzt werden.
Mehrere Sachverständige hat- ten die Neuregelungen aller- dings Anfang vergangener Wo- che in einer Anhörung im Bun- destag kritisiert. „Sie schließen die übermüdeten Ärzte mit diesem Gesetz nicht aus“, hat- te Dr. med. Frank Ulrich Mont- gomery,Vorsitzender des Mar- burger Bundes, gewarnt. Er verlangte, die Wochenarbeits- zeit auf 48 Stunden bei einem kurzen Ausgleichszeitraum zu begrenzen und nicht mehr als 13 Stunden Arbeit am Stück zuzulassen, weil sonst die vor- geschriebene Ruhezeit von elf
Stunden nicht eingehalten wer- den könne. Montgomery kriti- sierte – wie auch Vertreter des Deutschen Gewerkschafts- bundes und ver.di – zudem die Widerspruchsregelung. Sie tra- ge der Erpressbarkeit gerade junger Ärzte nicht Rechnung.
Außerdem sei sie völlig praxis- fremd: „Sie können keine Dienstpläne im Krankenhaus machen, wenn die Arbeitszeit innerhalb von vier Wochen wi- derrufen werden kann.“ Mont- gomery erinnerte zudem dar- an, dass die Gesetzesänderung dem Arbeitsschutz dienen sol- le und nicht der Flexibilisie- rung der Arbeitszeit.
Die Arbeitgebervertreter sahen das anders. Es werde ohne jede Not die Chance ver- tan, flexible Arbeitszeitrege- lungen in das deutsche Recht zu übernehmen, kritisierte die Deutsche Krankenhausgesell- schaft. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber- verbände erklärte, der Schutz des Arbeitnehmers werde durch den Freiwilligkeitsvor- behalt gewahrt; im Übrigen bestehe in Deutschland be- reits eine umfassende Gesetz- gebung zum Arbeits- und Ge- sundheitsschutz. Rie A K T U E L L
Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 403. Oktober 2003 AA2545
Krebssterblichkeit
Große Unterschiede in Ost- und Westeuropa
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ie Überlebenschancen von Krebs- patienten sind in Europa sehr un- terschiedlich. Dies zeigen die Ergebnis- se der EUROCARE-3-Studie, die auf dem Europäischen Krebskongress in Kopenhagen vorgestellt wurden und die in den Annals of Oncology publi- ziert werden sollen. Obwohl Prof. Mi- chel Coleman von der London School of Hygiene and Tropical Medicine aus- drücklich vor einer Rangliste warnte, gilt die Neugierde natürlich dem Ver- gleich von Deutschland zu den übrigen 22 Ländern der Studie. Um es kurz zu machen: Die 5-Jahres-Überlebensraten der wichtigsten Karzinome (Prostata, Mamma, Melanom, Kolon) liegen hier- zulande alle über dem europäischenDurchschnitt. Bei den Frauen nimmt Deutschland hinter Österreich und Frankreich eine Spitzenposition ein.
Bei den Männern liegt es im Mittelfeld.
Allerdings sind die Unterschiede zu Österreich und Frankreich auch hier sehr gering.
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uffällig ist die schlechte Prognose in den osteuropäischen Ländern; Po- len bildet hier das Schlusslicht. Die 5-Jahres-Überlebensrate beim Prosta- takarzinom beträgt nur 38,6 Prozent (Europadurchschnitt 65,4 Prozent, Österreich 83,6 Prozent). In Westeuro- pa sind die Ergebnisse in Dänemark, England, Schottland, Wales, Malta und Portugal am schlechtesten. Bei Män- nern schwanken die 5-Jahres-Überle- bensraten aller Tumoren zwischen 25 und 32 Prozent in Osteuropa und zwi- schen 40 und 47 Prozent in den meisten nordischen und westeuropäischen Län- dern. Nur Großbritannien und Däne- mark liegen unter dem europäischenMittel von 38 Prozent. Bei Frauen schwanken die 5-Jahres-Überlebensra- ten zwischen 41 und 47 Prozent in Ost- europa und zwischen 55 und 58 Prozent in den meisten nordischen und westeu- ropäischen Ländern. Nur Großbritan- nien und Dänemark liegen mit 47 bis 51 Prozent unter dem Durchschnitt. Über- durchschnittlich gut waren die Ergeb- nisse in Großbritannien und Däne- mark beim Melanom, bei Hodenkrebs und beim Morbus Hodgkin.
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ie Unterschiede zwischen West- und Osteuropa haben sich seit Mitte der 1980er-Jahre noch vergrößert. Beson- ders deutlich wird dies beim Mamma- karzinom. Hier sind die Überlebens- chancen in Westeuropa gestiegen, in Osteuropa stagnieren sie dagegen.Auch beim Kolonkrebs gibt es ein sich verstärkendes Ost-West-Gefälle. Beim Prostatakrebs holen einige osteuropäi- sche Länder wie Estland auf, während Polen zurückfällt. Rüdiger Meyer Akut
Ärzte im Bereitschaftsdienst: Auch künftig sollen Dienste von mehr als zehn Stunden täglich möglich sein.
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