B R I E F E
BUNDESWEHR
Die medizinische Versorgung der Soldaten wird zu ei- ner Herausforderung (DÄ 41/2006: „Belas- tende Missionen im Ausland“ von Petra Bühring).
Nach dem Einsatz zur Kur
Der Artikel hat mir sehr gut gefallen.
Da die Einsätze der Bundeswehr im Ausland in den letzten Jahren zur Routine geworden sind, vermisst man ein wenig die regelmäßige Be- richterstattung in den Medien. Umso mehr freut es die Betroffenen, wenn ein informativer Artikel erscheint, der die Problematik ohne jeglichen
„Sensationshunger“ beleuchtet. Eine kleine Anmerkung sei mir jedoch ge- stattet: Der Artikel erweckt den Ein- druck, dass erst nach der Rück- kehrerbefragung des einzelnen Sol-
daten durch den Truppenarzt und nur bei hierbei eventuell festgestellten Auffälligkeiten der Besuch eines Einsatznachbereitungsseminars vor- gesehen ist. Dies ist nicht korrekt.
Stattdessen wird folgendermaßen verfahren: Es ist vorgesehen, dass je- der Soldat, unabhängig davon, ob er psychische Auffälligkeiten im Sinne einer PTBS zeigt oder nicht, ein Ein- satznachbereitungsseminar besucht.
Diese finden nach Abschluss eines Auslandskontingents statt, sodass der Soldat dort viele bekannte Ge- sichter aus dem Einsatz wiedertrifft, in deren Runde ein offenes Gespräch leichter fällt. Acht bis zwölf Wochen nach dem Einsatzende findet zudem eine sogenannte „Rückkehrerunter- suchung“ durch den Truppenarzt statt, welche aus der im Artikel ange- sprochenen Befragung und zusätz- lich einer körperlichen Untersuchung sowie Blut-, Urin- und Stuhluntersu- chung besteht. Neben psychischen Problemen sind nämlich durchaus auch potenziell asymptomatische In-
fektionserkrankungen (z. B. Malaria, Leishmaniase, Salmonellen/Shigel- len, Wurmerkrankungen oder Flagel- laten wie Giardia lamblia) ein ernst zu nehmendes Problem, welches im Rahmen der Rückkehreruntersu- chung erkannt und therapiert werden soll. Wird bei dem Einsatznach- bereitungsseminar und/oder bei der Rückkehreruntersuchung ein auffäl- liger Befund im Sinne einer PTBS erhoben, so erfolgt in der Regel eine Überweisung des betroffenen Patien- ten an einen Facharzt für Psychiatrie der Bundeswehr, der eine entspre- chende Therapie, meist eine Psycho- therapie, einleitet. Stellen sich wei- terhin Soldaten mit hoher Einsatzbe- lastung beim Truppenarzt vor, ohne dass Symptome für eine PTBS beste- hen, so gibt es für diese Patienten die Möglichkeit, eine für diese Indikati- on ins Leben gerufene dreiwöchige Kurmaßnahme in Anspruch zu neh- men. Diese wird – nach dem ehema- ligen Staatssekretär im Verteidi- gungsministerium, der diese Maß-
A3328 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 49⏐⏐8. Dezember 2006
B R I E F E
nahme angeregt und durchgesetzt hat – umgangssprachlich auch „Kolbow- Kur“ genannt.
Dr. med. Henning von Perbandt,
Oberstabsarzt der Bundeswehr, Haydnstraße 13, 72474 Winterlingen
Ohne Konzept
Neben der von Ihnen „für das Leben und die Gesundheit der Soldaten“ so- wie deren familiäre Situation als un- zumutbar definierten Dauer und Fre- quenz der Auslandseinsätze ist für den in der Patientenversorgung täti- gen Sanitätsoffizier mehr und mehr die Konzeptionslosigkeit der sanitäts- dienstlichen Führung belastend: Der Spagat zwischen einer breit gefächer- ten Einsatz-Basismedizin im Ausland und der „von oben“ geforderten hoch spezialisierten ärztlichen Versorgung im Inland in den derzeit noch acht,
zukünftig nur noch vier Bundeswehr- krankenhäusern mit der Vertretung möglichst vieler Schwerpunkte eines Fachs ist für den einzelnen fachärzt- lich tätigen Sanitätsoffizier nicht mehr ohne deutlich spürbare Ein- schränkungen zu leisten. So wird z. B. der invasiv tätige Kardiologe, der in den letzten Jahren kein Gastro- skop mehr in der Hand hatte, wohl kaum in der Lage sein, eine sympto- matische obere gastrointestinale Blu- tung im Einsatzland endoskopisch adäquat mit der „Versorgungsqualität eines Kreiskrankenhauses“ zu stillen.
Andere Beispiele gäbe es zuhauf, die Verantwortung für diesen möglichen Mangel trägt jedoch nicht die Bun- deswehr, sondern der einzelne Arzt.
Aufgrund des angesprochenen
Fachärztemangels werden Stellen- schlüssel im Ausland entweder gekürzt oder einfach fachfremd be- setzt: So war beispielsweise während meines Auslandseinsatzes die zweite chirurgische Facharztstelle mit einem Herzchirurgen (!) für die Dauer von neun Wochen abgedeckt – dieser hat- te z. B. noch nie eine Leistenhernie operiert. Dies führte in logischer Konsequenz dann dazu, dass der ein- zige verbleibende wirkliche Allge- mein- bzw. Unfallchirurg während seines Auslandseinsatzes rund um die Uhr Dienst tat (abwechselnd Anwe- senheit und Rufbereitschaft) und das ununterbrochen für die Dauer von zwei, schlimmstenfalls sogar bis zu vier Monaten. Auch wenn die
„Versorgungsqualität eines deutschen Kreiskrankenhauses“ das edle Ziel sein soll: So lange werden die Kolle- gen selbst dort wohl nicht Dienst am Stück schieben müssen – dank des dort prinzipiell geltenden und hof- fentlich bald flächendeckend umge- setzten europäischen Arbeitszeit- rechts. Mir als Internist ist es damals ähnlich ergangen: Ich war in Erman- gelung eines Fachkollegen bzw. As- sistenzarztes für die Dauer von neun Wochen rund um die Uhr „im Dienst“. Zurück in der Heimat wurde mir dafür dankenswerterweise – wie allen anderen Soldaten (vom Kano- nier bis zum Viersternegeneral) – ein Tag pro Einsatzmonat Freizeitaus- gleich gewährt. Der darüber hinaus mehr geleistete Dienst von mehr als 800 Stunden Anwesenheitsrufbereit- schaft sei mit dem Auslandsverwen- dungszuschlag von ca. 1 500 Euro pro Monat ausreichend abgegolten, wurde mir versichert . . . Wie lassen sich diese Widersprüche lösen?
Die von der Führung des Sanitäts- dienstes u. a. zur Vermeidung des eingangs angesprochenen Spagats als Lösungsvorschlag ausgearbeitete und vom Wehrbeauftragten als „Modell der Zukunft“ gepriesene „zivilmi- litärische Kooperation“ in der ge- nannten Form, kann leider ebenfalls nur scheitern: Der Sanitätsoffizier im zivilen „Kreiskrankenhaus“ wird dort immer ein Facharzt zweiter Klasse bleiben, da er nur ein Schatten des immer präsenten und letztlich in der vordersten Verantwortung stehenden zivilen Kollegen sein wird. Er muss
ja, ohne eine „Lücke in der Patienten- versorgung“ des Krankenhauses zu hinterlassen, jederzeit an jedem Ort der Welt einsetzbar sein – und ist in der Klinik damit eigentlich überflüs- sig, weil nicht planbar in der Patien- tenversorgung einsetzbar. Für wel- chen leistungsbereiten und engagier- ten Arzt kann das aber ein attraktives Berufsfeld darstellen? . . . Ein passa- bler Ausweg aus dem schier unlösba- ren Widerspruch zwischen der basis- ärztlichen Versorgung der Soldaten im Ausland mit „Einsatzchirurgen“,
„Einsatzinternisten“ etc. und der hoch spezialisierten Schwerpunktver- sorgung im Inland durch ein und den- selben Sanitätsoffizier ließe sich nur durch eine konsequente Abkehr von der klinischen Medizin innerhalb der Bundeswehr (wie sie in den
Führungsstrukturen schon lange voll- zogen ist) erreichen: Dies bedeutete die vollständige Schließung bzw. Pri- vatisierung aller Bundeswehrkran- kenhäuser und eine komplette Verla- gerung der fachärztlichen Versorgung der Bundeswehrsoldaten in die vor- handenen zivilen Versorgungsstruk- turen des Gesundheitswesens (ähn- lich wie bei Bundes- bzw. Landespo- lizei). Hierdurch ließe sich nicht nur viel Geld (für den Betrieb von Fach- arztzentren und Krankenhäusern und horrende Fahrtkosten für die Solda- ten) sparen. Es müssten auch keine unnötigen ärztlichen Leistungen (z. B. stationäre Vorsorgeuntersu- chungen bei Soldaten ab 40. Lebens- jahr!) mehr erbracht werden, um die von der sanitätsdienstlichen Führung erwarteten Leistungszahlen zu er- bringen oder um die Begründung für die Anschaffung eines neuen Groß- geräts (z. B. Herzkathetermessplatz) zu untermauern. Alle Sanitätsoffizie- re stünden dann ausschließlich für gutachterliche Tätigkeiten für den Dienstherren sowie zur qualifizierten basisärztlichen Versorgung der Sol- daten im Ausland zur Verfügung – die Einsatzfrequenz würde sicherlich ebenso wie die Dauer deutlich sin- ken. Zwischen den finanziell sicher- lich dann besser zu vergütenden Aus- landseinsätzen sollten die Fachärzte nach ausreichendem Erholungsurlaub ähnlich wie das ärztliche Assistenz- personal an zivilen Schwerpunkt- krankenhäusern oder Universitätskli- Kabul am 14. No-
vember 2005:Bei einem Selbstmord- attentat wird ein deutscher Soldat getötet.
Foto:dpa