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Archiv "Kognitive Störungen nach traumatischer Distorsion der Halswirbelsäule: Wegweisende Symptome der PTBS beachten" (25.02.2000)

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Beim Lesen des Artikels fällt Folgendes auf: Wenn man die Schlussfolgerung konsequent als Richtschnur für ein ärztliches Han- deln bei Schleudertraumen befolgt, bleibt für den Patienten wenig an Hil- fe übrig. Es wird dargelegt – wahr- scheinlich nicht ohne polarisierende Absicht – dass ein Schleudertrauma ähnliche Symptome wie die Multiple Chemical Sensitivity und das Chronic Fatigue Syndrome bietet. Die von der Ursache her völlig unterschiedlichen Krankheitsbilder können durchaus gleichartige Symptome verursachen, da sie nämlich ein Zielorgan haben, das ZNS, beziehungsweise beim Schleudertrauma auch den Hirn- stamm, die Medulla oblongata und das angrenzende Halsmark. Der Au- tor bemüht sich, jegliche Hypothese, die bei einem Schleudertrauma zu ei- ner eventuellen Hirnbeeinträchti- gung führen kann, ad absurdum zu führen. Auch bei genauem Hinschau- en stellt sich schließlich für den Leser die ungewisse Frage, ob es überhaupt noch ein Schleudertrauma gibt. Bei Unfällen billigt man dem PKW auf ei- ner Skala von leichten Blechschäden bis zum Totalschaden alles zu. Dem Insassen wird eine Schädigungsmög- lichkeit im Rahmen einer HWS-Dis- torsion mit Hinweis auf die Sicherheit in der Fahrgastzelle schlichtweg ab- gesprochen. Auf der Skala von leich- ten Distorsionen ohne bleibende Ver- änderungen bis zu schweren Verlet- zungen mit Abriss des Ligamentum alaria und auch einer direkten Trau- matisierung des ZNS ist in der Rea- lität alles möglich. Zu berücksichti- gen sind verschiedene Auffahrme- chanismen. Ein schräges Auffahren ist sicherlich anders zu beurteilen als eine Traumatisierung in sagittaler Richtung. Auch macht es einen Un-

terschied, ob die HWS während des Auffahrunfalls rotiert oder gebeugt ist.

Wenn im ZNS-CT oder NMR bei Beschwerden keine Veränderungen nachweisbar sind, kann dies auch dafür sprechen, dass diese Untersu- chungen bei dieser Art der Verletzung nicht geeignet sind. Es geht hier nicht um eine Zerstörung von Hirngewebe.

Es handelt sich hier nicht direkt um ei- nen Zelluntergang mit einer Narbe und auch nicht direkt um Blutungen, die makroskopisch nicht nachzuwei- sen sind. Die Diskussion über den Zeitpunkt von noch wieder zu bele- benden Hirnzellen und auch Luxus- perfusionen über den Circulus Willisii

ist für die Beschwerdesymptomatik der Patienten nicht adäquat. Es han- delt sich hier um mikroskopische Ver- änderungen, die sich in einer Funkti- onsstörung manifestieren. In seiner ursprünglichen Funktion ist der Arzt verpflichtet, dem Patienten erst ein- mal Glauben zu schenken und die Plausibilität einer Ursache von Ver- letzung und Beschwerden zu überprü- fen. Dazu sollte ihm jedes Mittel Recht sein. Auch sollte dies unbe- dingt unter dem Aspekt erfolgen, dem Patienten eine nachträgliche Würdi- gung und eventuell eine entsprechen- de Entschädigung zukommen zu las- sen. Die Betrachtung eines Patienten als möglicher Kostgänger für Versi- cherungen sollte primär unterbleiben, wobei naturgemäß immer auch der Missbrauch berücksichtigt werden muss. Dieser sollte allerdings nie primär unterstellt werden. Auch wenn der Mechanismus der Störung der in- trakraniellen Perfusion und des Meta-

bolismus nachweisbar in SPECT und PET noch nicht vollständig geklärt ist, kann hier eine Hypothese herangezo- gen werden. Schließlich ist ein nicht erforschter medizinischer Bereich nicht zu Ungunsten einer Patienten- gruppe zu verwerten. Die Hypothese, die im Zusammenhang mit dem Schleudertrauma und persistierenden Beschwerden diskutiert wird, ist in ei- ner Reaktion der Nozizeptoren im Bereich der oberen HWS zu suchen, die eine reaktive Veränderung der in- trakraniellen Perfusion über vegetati- ve Bahnen verursacht (1, 2). Jedem ist der posttraumatische M. Sudeck be- kannt, bei dem Gefäßprozesse ablau- fen, die im Einzelnen noch völlig un- klar sind.

Literatur

1. Otte A et al.: Zerebrale Befunde nach Hals- wirbelsäulendistorsion durch Beschleuni- gungsmechanismus (HWS-Schleudertrau- ma): Standortbestimmung zu neuen dia- gnostischen Methoden der Nuklearmedi- zin. Schweiz Rundschau Med Praxis 1996;

85: 1087–1090.

2. Otte A, Ettlin TM, Fierz L, Kischka U, Murner J, Muller-Brand J: Brain perfusion patterns in 136 patients with chronic symp- toms after distorsion of the cervical spine using single-photon emission computed to- mography, technetium-99m-HMPAO and technetium-99m-ECD: a controlled study.

J Vascular Investigation, 1997; 3: 3–5.

Dr. med. Bernhard Hörr Arzt für Radiologie Zehntgasse 1 73207 Plochingen

In der umfassenden Abhandlung geht der Autor kurz auf die posttrau- matische Belastungsstörung (PTBS) ein. Unter Verweis auf die diagnosti- schen Kriterien der DSM III R kommt er zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für eine PTBS bei einem Auffahrunfall nicht gegeben A-461

M E D I Z I N DISKUSSION

Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 8, 25. Februar 2000

Kognitive Störungen

nach traumatischer Distorsion der Halswirbelsäule

Zu dem Beitrag von

Prof. Dr. med. Klaus Poeck FRCP in Heft 41/1999

Wenig Hilfe für den Patienten

Wegweisende Symptome

der PTBS beachten

(2)

sei. Hier muss ich ergänzen. Die in den Klassifikationssystemen DSM III-R, DSM IV und ICD 10 geforderte Schwere der traumatischen Situation ist nicht ganz unproblematisch. Ein Blick zurück in die Vergangenheit und in die Gegenwart der Psycho- traumatologie hilft weiter. Eine frühe Beschreibung stammt eben von Sig- mund Freud: „Wir nennen so (ge- meint ist traumatisch) ein Erlebnis, welches dem Seelenleben innerhalb einer so kurzen Zeit einen so starken Reizzuwachs bringt, dass die Erledi- gung oder Aufarbeitung desselben in gewohnter Weise missglückt, woraus dauernde Störungen im Energiebe- trieb resultieren müssen.“ (2)

Fischer und Riedesser definieren das Psychotrauma wie folgt: „Ein vi- tales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmög- lichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisga- be einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Welt- verständnis bewirkt.“ Hier findet sich jeweils ein Verweis auf die Individua- lität, die in den genannten Klassifika- tionssystemen bedauerlicherweise abhanden kommt. Ohne den Trauma- begriff unzulässig ausdehnen zu wol- len, möchte ich die Berücksichtigung der individuellen Belastbarkeit nicht missen. Im Übrigen haben jüngst Beyer et al. auf die doch beein- druckende Häufigkeit der PTBS nach Verkehrsunfällen hingewiesen. Si- cher sind eher schwere Ereignisse als ein leichter Auffahrunfall gemeint.

Es kommt noch eine weitere Be- sonderheit der PTBS hinzu. Ein trau- matisierendes Ereignis kann auf den ersten Blick ohne Folgen überstan- den werden. Erst bei genauem Hin- sehen erkennt man konstriktive Sym- ptome der PTBS. Nach langer Zeit kann unter entsprechenden Bedin- gungen eine deutliche intrusive PTBS-Symptomatik beginnen. Ich kenne aus der Praxis einige Fälle, in denen ein schwerer Verkehrsunfall seelisch überstanden schien, bis nach einem Jahre dauernden Intervall ein banaler Auffahrunfall eine intrusive PTBS-Symptomatik auslöste. Der Zusammenhang wird vom Patienten in der Regel nicht gesehen, sondern muss vom Diagnostiker erkannt wer-

den. Dies ist bedeutsam, da eine spe- zifische Psychotherapie unbedingt angezeigt ist.

Ein möglicher Ausweg scheint mir zu sein, nicht nur nach der Schwe- re einer traumatisierenden Situation zu beurteilen, sondern nach den weg- weisenden Symptomen der PTBS zu sehen, die im Übrigen in den gängigen Klassifikationssystemen zu finden sind. Sollten diese vorhanden sein, dann ist eine Aufarbeitung der Ge- samtsituation mit spezifischem psy- chotraumatologischem Wissen hilf- reich.

Literatur

1. Fischer G, Riedesser P: Lehrbuch der Psy- chotraumatologie. München, Basel: Rein- hardt, 1998; 79.

2. Freud S: Gesammelte Werke. XI: 284.

3. Frommberger UH et al.: Prediction of post- traumatic stress disorder by immediate re- actions to trauma: a prospective study in road traffic accident victims. Europ Archives Psych Clin Neurosci 1998; 248: 316–321.

4. Meyer C, Steil R: Die posttraumatische Be- lastungsstörung nach Verkehrsunfällen.

Der Unfallchirurg, 1998; 101: 878–893.

Michael Hase Facharzt für

Psychiatrie/Psychotherapie

Niedersächsisches Landeskranken- haus Lüneburg

Am Wienebütteler Weg 1 21339 Lüneburg

E-Mail: Michael.Hase@t-online.de

Der Autor unterstreicht in seiner Übersichtsarbeit die Unspezifität der Symptome, der Anamnese und der neuropsychologischen Testverfahren bei kognitiven Störungen nach einem so genannten Schleudertrauma der Halswirbelsäule (HWS). Insbesonde- re verweist er auch auf den im Einzel- fall meist zweifelhaften Wert aufwen- diger Verfahren wie MRT, PET und SPECT und verbannt die ätiologi- schen und pathogenetischen Vorstel- lungen der Vergangenheit in den Be- reich des wenig Wahrscheinlichen, wenn nicht sogar Unmöglichen. Der offenbar iatrogen (mit-)verursachte Anteil an der Beschwerdesymptoma- tik soll hier noch etwas ergänzt wer- den: In einer randomisierten, kontrol-

lierten und untersucherseitig verblin- deten Studie mit 201 Patienten konn- ten Borchgrevink et al. (1) bei einer Nachbeobachtungszeit von sechs Mo- naten zeigen, dass die Patienten, die der Gruppe zugelost worden waren, die ihrer üblichen Tätigkeit wie vor dem Auffahrunfall nachgehen sollte (ohne arbeitsunfähig geschrieben oder mit Halskrawatte versorgt wor- den zu sein), nach sechs Monaten sig- nifikant weniger subjektive Be- schwerden (verschiedene Schmerz- skalen, vor allem aber auch Aufmerk- samkeits- und Gedächtnisstörungen) angaben, als eine Vergleichsgruppe, die nach vielfach immer noch übli- chen Therapiestandards (Teilimmobi- lisierung mittels Halskrawatte und Krankschreibung für zwei Wochen) versorgt wurde. Keine statistisch be- deutsamen Unterschiede ergaben sich für „objektive“ Parameter wie Nackenbeweglichkeit und Dauer der krankheitsbedingten Abwesenheit vom Arbeitsplatz. Ergebnisse neuro- psychologischer Tests zur kognitiven Leistungsfähigkeit ein halbes Jahr nach dem Auffahrunfall wurden aller- dings nicht berichtet.

Das Inanspruchnahmeverhalten – nicht nur im Hinblick auf medizini- sche, sondern auch bezüglich potenzi- eller versicherungsrechtlicher Lei- stungen (finanzielle Kompensation für den vermeintlichen „Schaden“

und die verbliebenen Fähigkeits- störungen beziehungsweise Beein- trächtigungen) – dürfte jedoch weit- gehend durch die subjektive Wahr- nehmung von Symptomen und deren Ursachenzuschreibung determiniert sein. Sicherlich muss das Ergebnis dieser Untersuchung an weiteren Stu- dien repliziert werden. Es stützt aber die in der Übersichtsarbeit zitierten Stimmen zur zumindest partiellen psychogenen Mitverursachung man- cher Beschwerden, wie auch – wenig- stens in Teilen – die Konsensusemp- fehlungen der Quebec Task Force zur Akuttherapie der unkomplizierten Distorsion der HWS (deutsche Zu- sammenfassung in 2).

Literatur

1. Borchgrevink GE, Kaasa A, McDonagh D, Stiles TC, Haraldseth O, Lereim I:

Acute treatment of whiplash neck sprain injuries. A randomized trial of treatment during the first 14 days after a car accident.

Spine 1998; 23: 25–31.

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M E D I Z I N DISKUSSION

Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 8, 25. Februar 2000

Iatrogener Anteil

erscheint bemerkenswert

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2. Lucka J: Schleudertrauma. Eine Zusam- menfassung neuerer Erkenntnisse. Aspek- te der gutachterlichen Beurteilung. Phys Rehab Kur Med, 1998; 8: 214–219.

Dipl.-Psych. Dr. med. Dr. phil.

Peter Schuck

Forschungsinstitut Bad Elster (FBK) Lindenstraße 5

08645 Bad Elster

Das so genannte HWS-Schleu- dertrauma stellt eine unerfreulich delikate und von verschiedener Seite gerne heruntergespielte, jedoch für die betroffenen Patienten sehr unan- genehme und oft chronifizierende Erkrankung dar. Als Nicht-Neurolo- ge erlaube ich mir nicht, auf die neu- rologischen Ausführungen des Arti- kels von Herrn Professor Poeck ein- zugehen, als Nuklearmediziner und insbesondere als zitierter Autor füh- le ich mich jedoch verpflichtet, auf einige Punkte zu dem Abschnitt

„Bildgebende Verfahren, Durchblu- tungs- und Stoffwechseluntersu- chungen“ hinzuweisen:

Beim „mild traumatic brain in- jury“ handelt es sich nicht um eine

„minimale (. . . also fragliche) trau- matische Hirnschädigung“. Diese Übersetzung ist suggestiv. Die nukle- armedizinischen Methoden PET oder SPECT können nur funktionelle Ver- änderungen des Gehirns anzeigen.

Diese können lange vor einer mor- phologischen Schädigung (wie sie beispielsweise in Tierexperimenten nachgewiesen wurde) auftreten. Wie- so sollen die von den Patienten be- klagten Gedächtnis- und Aufmerk- samkeitseinbußen sowie die Seh- störungen nicht zu den in der SPECT oder PET festgestellten parietookzi- pitalen Veränderungen passen? Die vom Autor zitierte Studie aus Litauen wie auch die Züricher Arbeit von Frau Bicik und Mitarbeitern mit ge- ringen Fallzahlen und vornehmlich Melanompatienten als Kontrollkol- lektiv wurden von der Fachwelt heftig kritisiert. Auf die ebenfalls veröffent- lichten Kommentare (und nicht nur das kürzlich verfasste Editorial in Neurology) wurde leider nicht einge-

gangen (1). Beim näheren Blick auf das über das Internet verfügbare Li- teraturverzeichnis des Beitrags wur- de, ohne dies suggestiv zu meinen, der von uns publizierte Lancet-Letter in derselben Weise formal falsch zitiert, wie er schon im Artikel von Bicik et al. falsch zitiert steht.

Viele der Patienten mit chronifi- zierenden Verläufen nach HWS-Dis- torsionstrauma mussten wegen ihrer Beschwerden einen unter Umstän- den geliebten Beruf, ihr soziales Le- ben und Umfeld und teilweise sogar enge Beziehungen aufgeben. Immer häufiger werden ihre Probleme als bloße Behauptung abgetan oder – nur wenig besser – auf die psychische Ebene geschoben.

Schleudertrauma, quo vadis?

Literatur

1. Otte, A: PET with 18fluorodeoxyglucose and hexamethylpropylene amine oxime SPECT in late whiplash syndrome. Neurol- ogy 1999; 52: 1107–1108.

Dr. med. Andreas Otte Obere Lachen 10 79110 Freiburg

Zu Hörr:

Aufklärung über die meist gerin- ge Schwere des Traumas, Ermutigung statt schwarzer Prognosen, feste psy- chologische Führung mit Anleitung zu Übung statt Schonung sind Aufga- ben, die großen ärztlichen Einsatz er- fordern. Die idiopathische umweltbe- zogene Unverträglichkeit und das chronische Müdigkeitssyndrom sind keine Krankheitseinheiten, sondern Befindlichkeitsstörungen, die eine wie auch immer entstandene Depres- sivität ausdrücken. Diese Befindlich- keitsstörungen haben nicht den Hirn- stamm (zu dem die Medulla oblonga- ta anatomisch gehört) und das Hals- mark als „Zielorgan“. Die Frage, ob es ein Schleudertrauma gibt, habe ich, in Übereinstimmung mit der jünge- ren Forschung, klar mit Nein beant- wortet und dies aus der Unfallmecha- nik begründet.

Die Ligamenta alaria sind Struk- turen, auf die einige Radiologen ihre

Aufmerksamkeit richten, während die Mehrzahl der Fachleute deren pathophysiologische Rolle, die an mechanischen Modellen und Leichen untersucht worden war, ins Reich der Fabel verweist. Im Übrigen gelingt es auch sehr gut ausgewiesenen Neuro- radiologen selten, die Ligamente in MRT-Darstellungen überhaupt zu identifizieren, geschweige denn ei- nen Einriss (nicht Abriss) darin zu entdecken. Die Behauptung, dass mi- kroskopisch kleine Gewebsverände- rungen im Gehirn oder Hirnstamm sich in derart gravierenden Funkti- onsstörungen manifestieren, ist eine unplausible und nicht überprüfbare Ad-hoc-Konstruktion.

Zu Hase:

Jeder kritische Beobachter der psychiatrischen Szene kann die Ver- fasser der Klassifikationssysteme nur dazu beglückwünschen, dass sie die schwierige Diagnose der posttrauma- tischen Belastungsstörung (PTBS) anhand von anschaulichen Beispie- len operationalisiert haben. Die „be- eindruckende Häufigkeit von PTBS nach Verkehrsunfällen“ ist darauf zurückzuführen, dass diese Diagnose inflationär in Situationen gestellt wird, welche die festgelegten Kriteri- en nicht erfüllen. Der „Psychotrau- matologe“ ist sicher überfordert, wenn er sich die Erlebniswelt des in- dividuell Betroffenen so zu Eigen macht, dass seine Schlüsse verallge- meinert werden können. Er ist viel- mehr gut beraten, wenn er sich auf seine individuell therapeutische Auf- gabe beschränkt.

Zu Schuck:

Den iatrogenen Anteil an der Chronifizierung der Befindlichkeits- störungen nach traumatischer HWS- Distorsion kann man nicht hoch genug einschätzen. Welcher Patient hat die psychische Stärke, sich den negativen Suggestionen zu entziehen, die leider nicht nur von den Medien, sondern auch von den behandelnden Ärzten auf ihn einwirken: Aus meiner Sicht ist es eine bessere ärztliche Einstellung, den Betroffenen zu ermutigen und in ein normales Leben zurückzuführen, in dem er, um auch von meiner Seite A-463

M E D I Z I N DISKUSSION

Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 8, 25. Februar 2000

Schlusswort Schleudertrauma,

quo vadis?

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Sigmund Freud zu paraphrasieren, ge- sund in dem Sinne ist, dass er Freude am Leben hat und aus seiner Arbeit Befriedigung ziehen kann.

Zu Otte:

Den Terminus „minimal“ habe ich der deutschen Literatur zum The- ma entnommen. Die Einstufung als fraglich halte ich nach den mitgeteil- ten Befunden aufrecht. Otte et al. dis- kutieren in (1), dass eine HWS-Dis- torsion zu einer Endstrom-Perfusi- onsstörung in der Wasserscheide zwi- schen den drei großen Hirnarterien (davon zwei aus dem vorderen Hirn- kreislauf) führe. Wie soll diese wohl zustande kommen? Ähnlichkeiten mit Perfusionsstörungen bei Migräne mit Aura (1) sind Analogien ohne Er- klärungswert, ebenso wie der Bezug auf den neurovaskulären Pathome- chanismus der Migräne. Für die Er- gebnisse funktioneller Untersuchun- gen wie SPECT und PET sollten die Begriffe: lesion, injury, abnormality,

irregularity in ihrer Bedeutung defi- niert werden. Vielleicht sind die Ver- änderungen nur Epiphänomene, zum Beispiel von Depressivität, wie Alex- ander mutmaßt. Die Arbeit von Bicik et al. und das Editorial von Alexan- der belegen, dass derartige Gruppen- daten nicht zur Einzelfalldiagnose traumatischer Veränderungen heran- gezogen werden können. Dies gilt umso mehr als die Lokalisation der auch von Otte et al. (1, 2, 3) mitgeteil- ten PET- und SPECT-Veränderungen (parietookzipital) nicht mit der von traumatischer axonaler Schädigung im Tierexperiment (fronto-temporal und oberer Hirnstamm) überein- stimmt. Welchen Pathomechanismus soll eine „lange“ nach Feststellung der nuklearmedizinischen Befunde auftretende morphologische Schädi- gung beim Menschen haben?

Die beklagten Störungen von Gedächtnis- und Aufmerksamkeits- funktionen und die von Fall zu Fall unterschiedlichen Sehstörungen (Verschwommensehen, Flimmersko-

tome, subjektive Bewegungen fixier- ter Objekte) lassen sich den von Ot- te angesprochenen Hirnregionen nicht zuordnen. Die Bezeichnung

„whiplash brain“ (1) setzt als gege- ben voraus, was höchst kontrovers diskutiert wird. Die Studie aus Litau- en hat in der Fachwelt eine sehr posi- tive Aufnahme gefunden.

Literatur

1. Otte A, Müller-Brand J, Fierz L: Brain SPECT findings in late whiplash syndro- me. Lancet 1995; 324: 1513–1514.

2. Otte A, Ettlin TH, Fierz L, Müller-Brand J: Parieto-occipital hypoperfusion in late whiplash syndrome: first quantitative SPECT study using technetium-99m bici- sate (ECD). Eur J Nucl Med 1996; 23:

72–74.

3. Otte A, Ettlin TM, Nitzsche EU et al.: PET und SPECT in whiplash syndrome: a new approach to a forgotten brain? J Neurol Neurosurg Psychiatry 1997; 63: 368–372.

Prof. Dr. med. Klaus Poeck FRCP Em. Direktor der Neurologischen Klinik der Rheinisch-Westfälischen Hochschule Aachen

Pauwelstraße 30 52057 Aachen

A-464

M E D I Z I N DISKUSSION/FÜR SIE REFERIERT

Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 8, 25. Februar 2000 Die National Institutes of Health

sind in den Vereinigten Staaten dafür zuständig, die staatlichen Gelder für die medizinische Forschung zu vertei- len. In der Fachöffentlichkeit ist dar- über diskutiert worden, ob die Vertei- lung dieser Mittel irgendetwas mit dem vorhandenen Krankheitsspektrum zu tun hat. Dieser Frage hat sich eine For- schergruppe von der John Hopkins- und der Yale-Universität angenom- men. Jeweils 29 Krankheiten wurden den dafür zugeteilten Forschungsmit- teln, den Inzidenzen, den Prävalenzen, den Krankenhaustagen, der Mortalität, den „verlorenen Lebensjahren“ und ei- nem Konstrukt, das als „adjustierte verlorene Jahre“ zusätzlich die Beein- trächtigung durch chronische Krank- heit oder dadurch verursachte Behin- derungen umfasst („disability-adjusted life-years“), gegenübergestellt. An der Spitze der zugeteilten Mittel stand AIDS. In den oben genannten Katego- rien stand AIDS jedoch an 20., 17., 20., 10., 4. und 15. Stelle. Am Zweitwenig-

sten wurde für die Mittelohrentzün- dung ausgegeben, obwohl sie bei der Inzidenz an der Spitze steht. Allerdings rangiert sie bei der Kategorie „adju- stierte verlorene Jahre“ an vorletzter Stelle. Die Analyse der Zahlen ergab, dass eben diese Kategorie mit den aus- gegebenen Geldern noch am ehesten korreliert – aber auch hier sind die Dif- ferenzen groß. Die Autoren warnen daher davor, irgendeine der Kategorien als Rechtfertigung für Forderungen nach Mittelzuweisungen zu werten. Zu viele Einflüsse, die mit den Kategorien gar nichts zu tun haben, spielen mit. So zum Beispiel die Tatsache, dass die Lungenentzündung trotz hoher Inzi- denz nur wenig staatliche Forschungs- mittel anzieht – hier forscht vielmehr die Industrie mit der Suche nach neuen Antibiotika, oder die Frage, wo die Gelder auftauchen, die für ein For- schungsprojekt für Herzkrankheiten bei Diabetikern bewilligt wurden. Das extreme Übergewicht der Gelder für die AIDS-Forschung (28,7 Prozent der

gesamten Summe!) mag sich daraus er- klären, dass hier nicht nur die eine Krankheit (Inzidenz an 20. Stelle!) be- forscht wird, sondern praktisch auch ein großer Teil der nicht AIDS-verbun- denen Virologie behandelt wird. bt Gross CP, Anderson GF, Powe NR: The relation between funding by the National Institutes of Health and the burden of dis- ease. NEJM 1999; 340: 1881–1887.

Dr. Gary P. Gross, Primary Care Center, Yale University School of Medicine, 333 Cedar Street, P.O. Box 208025, New Haven, CT 06520-8025, USA.

Verteilung von Forschungsgeldern in den Vereinigten Staaten

Berichtigung

In dem Beitrag „Erste-Hilfe-Maß- nahmen bei Verätzungen und Ver- brennungen der Augen“ in Heft 3 vom 21. Januar von Kuckelkorn et al. wurde fälschlicherweise behaup- tet, dass Isogutt-Augentropfen (Winzer) nicht mehr im Handel sind. Es wird darauf hingewiesen, dass die Isogutt-Präparate auch wei- terhin vertrieben werden. MWR

Referenzen

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Zeigen Sie, dass die folgenden Aussagen ¨aquivalent sind.. Zeigen Sie, dass