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Archiv "3 Fragen an… Rolf Höfert, Geschäftsführer des Deutschen Pflegeverbandes" (14.09.2007)

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 37⏐⏐14. September 2007 A2473

P O L I T I K

D

ie trockenen Lippen sind auf- geplatzt. Die alte Frau atmet langsam und schwer durch den Mund. Aus dem zahnlosen Unter- kiefer ragt das Kinn hervor. Seit Tagen hat die 91-Jährige nichts ge- gessen und kaum etwas getrunken.

Nicht weil sie schlecht versorgt wird, sondern weil sie nicht möchte.

„Sie will nicht leben, aber kann auch nicht sterben“, sagt Marita Halfen (61), die sie seit Jahren kennt und regelmäßig besucht. Im Nachbar- bett liegt eine deutlich jüngere, grauhaarige Dame mit Brille. Sie hat ein Boulevardmagazin in der Hand und schaut herüber. „Schlimm ist das“, sagt sie. Sie spricht vom Zustand ihrer Zimmergenossin.

Aber jeder hätte wohl dafür Ver- ständnis, wenn sie sich selbst mein- te. Sterben im Doppelzimmer und leben mit einem Sterbenden im Doppelzimmer: Das ist Alltag in Pflegeheimen.

Marita Halfen findet es nicht ak- zeptabel, dass Pflegebedürftige ihre letzten Stunden mit fremden Men- schen verbringen, die sie vielleicht gar nicht mögen. Aber bei ihrer eh- renamtlichen Arbeit für die Bonner Initiative „Handeln statt Misshan- deln“ wird sie in der Regel mit noch viel gravierenderen Problemen kon- frontiert. Dann geht es um kinds- kopfgroße Dekubiti oder prügelnde Familienmitglieder. Manchmal ru- fen auch Altenpfleger an, die mit ih- rer Kraft am Ende sind. Meistens aber wählen Angehörige die Num- mer des Krisentelefons, die sich um den Zustand ihrer pflegebedürftigen Eltern oder Geschwister sorgen. Oft hat Halfen schon gedacht: „Wenn Kinder in einem so desolaten Zu- stand wären wie manche Pflegebe- dürftige, dann hätte man längst die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.“

Die Missstände, auf die nun der Medizinische Dienst der Spitzen-

verbände der Krankenkassen (MDS) in seinem Pflegequalitätsbericht hingewiesen hat, sind für Halfen nicht weiter überraschend. Denn die Anrufe, die beim Bonner Krisente- lefon eingehen, beziehen sich oft- mals auf Mängel in genau den Be- reichen, die im MDS-Bericht zur Sprache kommen: Flüssigkeitsver- sorgung und Ernährung, Dekubitus- prophylaxe und -therapie, Inkonti- nenzversorgung sowie die geron- topsychiatrische Behandlung.

Schmidt: Verbesserungen durch die Pflegereform Obwohl die MDS-Untersuchung so- gar besser ausfiel als der Vorgänger- bericht aus dem Jahr 2003, hatten Politik und Öffentlichkeit offenbar nicht mit einem derart schlechten Er- gebnis gerechnet. Zumindest fielen die Reaktionen heftig aus. Die „Bild- Zeitung“ sprach von einer „Pflege- Schande“. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) versprach zügi- ge Verbesserungen durch die anste-

hende Pflegereform. Bereits in den Eckpunkten hatte sich die Große Koalition darauf geeinigt, dass die Prüfberichte des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) in allgemeinverständlicher Form ver- öffentlicht werden sollten. „Damit schaffen wir eine große Erleichte- rung für die Angehörigen, die sich in einer schwierigen Situtation für eine Einrichtung entscheiden müssen“, sagte Schmidt. Laut Medienberich- ten sieht der Gesetzentwurf, der im Oktober vorgelegt werden soll, mehr unangemeldete Prüfungen vor. Jede Einrichtung soll mindestens alle drei Jahre kontrolliert werden.

Ohne Ankündigung, regelmäßig und von unabhängigen Prüfern – so stellt sich die stellvertretende SPD- Vorsitzende Elke Ferner wirksame Kontrollen vor. Unterstützung für ein solches Modell, das auch als

„Pflege-TÜV“ bezeichnet wurde, erhielt sie unter anderem vom CDU- Pflegeexperten Willi Zylajew: „Ei- ne Art Stiftung Warentest für Pfle- PFLEGEQUALITÄT

Der blinde Fleck

Stärkere Kontrollen oder ein Pflege-TÜV verbessern nicht automatisch die Pflege- qualität. Wer die Missstände beseitigen will, muss die Rahmenbedingungen verändern.

Wer ist für die Missstände verantwortlich: die Pflegeein- richtungen selbst oder die Rahmenbedingungen?

Höfert:Schwarze Schafe gibt es in jeder Branche. Der Quali- tätsbericht geht aber davon aus, dass es Mängel bei einem Großteil der Herde gibt. Dann muss man auch nach der Qua- lität der Wiese fragen. Zehn Prozent der Pflegebedürftigen erleiden durch die Versorgung Gesundheitsschäden. Das sind 200 000 Menschen. Bei sol-

chen Ausmaßen kann man nicht nur von einem Pflege- skandal sprechen. Es ist ein so- zialpolitischer Skandal.

Können dann schärfere Kon- trollen überhaupt etwas be- wirken?

Höfert:Nicht, wenn sonst alles beim Alten bleibt. Die Leistun- gen der Pflegeversicherung sind seit Jahren gedeckelt.

Die Kosten sind aber gestie- gen. Entscheidend ist, was uns die Gesundheit und die

Würde alter Menschen künftig wert ist.

Was halten Sie von einem Pflege-TÜV?

Höfert:Sehr viel. Wir brauchen dringend eine neutrale Kontroll- instanz. Mit dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) hat bislang eine ganz klar inter- essengebundene Institution die Qualität geprüft. Der MDK nimmt aber beispielsweise gleichzeitig die Pflegeeinstufungen vor. Das ist ein Interessenkonflikt.

3 FRAGEN AN…

Rolf Höfert, Geschäftsführer des Deutschen Pflegeverbandes

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A2474 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 37⏐⏐14. September 2007

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geheime und ambulante Dienste ist dringend notwendig.“

Verbessern aber allein Kontrollen die Qualität der Altenpflege? Nein, glaubt Halfen vom Bonner Krisen- telefon: Die Rahmenbedingungen stimmen nicht. „Das derzeitige Sys- tem der Pflegestufen setzt völlig falsche Anreize.“ Gute Pflege werde nicht belohnt, stattdessen „riskier- ten“ Heime, die ihre Bewohner akti- vierten, dass die Hilfsbedürftigen einer niedrigeren Pflegestufe zuge- ordnet würden. Abgesehen davon führe die Einteilung in Pflegestufen zur Versorgung im Minutentakt. Der Hilfsbedarf Demenzkranker werde nicht erfasst. Doch Halfen zufolge sind nicht nur die Rahmenbedin- gungen schuld an der Misere. Die Verantwortung liege auch bei den Einrichtungen und deren Organisa- tion sowie den Trägern. „Wir brau- chen nicht nur mehr Transparenz über die Qualität, sondern auch dar- über, wohin das Geld fließt“, fordert sie. Mehr Geld ins System – das ist für Halfen kein Rezept.

Man könne nicht über den MDS- Bericht diskutieren, ohne über die Rahmenbedingungen der Pflege zu sprechen, findet auch Elisabeth Frischhut vom Deutschen Caritas- verband. Die Frage der Finanzie- rung aber beurteilt sie anders: Ent- scheidend sei es, wie viel Geld man für die Pflege ausgeben wolle. Dar- über rede aber zurzeit niemand.

„Das ist der große blinde Fleck, den wir in der Debatte haben“, sagt sie.

Ein Beispiel: Es gebe für die Ein- richtungen keine bundesweit ein-

heitliche und verbindliche Personal- bemessung in Bezug auf den vor- handenen Pflegebedarf der Bewoh- ner. „Gute Pflege braucht Zeit und Menschen“, betont Frischhut. Eine Diskussion darüber werde vermie- den, weil sie Folgen für die Kosten hätte. Der momentane „Aufruhr“

diene dazu, von den wesentlichen Problemen abzulenken.

Während dieser Aufruhr in vol- lem Gang ist, haben sich wenige Ta- ge nach Veröffentlichung des MDS- Berichts etwa 50 Demonstranten vor dem katholischen Pflegeheim Marienhaus in Essen versammelt.

Die Polizei hat eine Fahrspur abge- sperrt. Flugblätter werden an die vorbeifahrenden Autofahrer ver- teilt. „Pflege am Fließband?“ steht auf einem Transparent. Irmgard Schwittai (86) ist eine Protestlerin.

Sie hat sich auf der Sitzfläche ihres Rollators niedergelassen und bläst in eine rote Trillerpfeife. „Den Krach kann ich eigentlich gar nicht mehr ab“, sagt sie und nimmt den Stöpsel aus dem linken Ohr, bevor sie auf die Frage antworten kann, warum sie dabei ist. „Es hilft ja nichts, da muss man ja mitmachen.“

Der Termin für die Demonstrati- on wurde nicht wegen des MDS-Be- richts gewählt, sondern stand schon lange fest. Mittlerweile ist es im Ma- rienhaus Tradition, dass Bewohner, Angehörige und Mitarbeiter auf die Straße gehen. Der Protest (www.

nachdenkaktion.de) richtet sich ge-

gen die Einstufungspraxis des MDK.

Für die Heime ist dies ein existenzi- elles Problem, denn auf Grundlage der Pflegestufen der Bewohner be- rechnet sich der Personalschlüssel.

„Die meisten Pflegebedürftigen wer- den aber zu niedrig eingestuft“, sagt Georg Bonerz, Geschäftsführer der Marienhaus gGmbH – eine Kritik, die der MDK Nordrhein zurückweist.

Dass ausgerechnet der MDS Qua- litätsmängel in der Pflege anprangert, kann Bonerz nicht nachvollziehen.

„Das Dilemma in der Altenpflege ist zu einem großen Teil durch die Ein- stufungspraxis des Medizinischen Dienstes bedingt“, erklärt er. Aktu- ell laufen 57 Widerspruchsverfah- ren des Marienhauses gegen Pflege- einstufungen der Bewohner, 34 da- von sind bereits vor dem Sozialge- richt anhängig. Dabei geht es um mehr als 300 000 Euro. Bisher habe das Marienhaus in so gut wie allen Fällen Recht bekommen. Von den Zahlungen, die dann manchmal erst Jahre später eintreffen, wird der ho- he Personalschlüssel in der Einrich- tung finanziert.

„Wir wollen die Leute wachrüt- teln“, sagt Schwittai. Und bläst nochmal in ihre Trillpfeife. Mehr Zeit für alte Menschen wünscht sie sich. Die Probleme von Pflegebe- dürftigen würden in der Gesell- schaft verdrängt, findet sie. Das müsse sich ändern. „Alle werden

doch mal älter.“ I

Dr. med. Birgit Hibbeler

„Alle werden doch mal älter“:Irmgard Schwittai (rechts) bei der Demo in Essen.

Foto:Birgit Hibbeler

DER QUALITÄTSBERICHT

Die Daten

Prüfungen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen von 2004 bis 2006: 4 215 in Heimen, 3 736 von Pflege- diensten

Die Ergebnisse

Besser als der Qualitätsbericht 2003, aber:

>Mängel bei Ernährung und Flüssigkeitszufuhr:

stationär 34 Prozent, ambulant 30 Prozent

>Defizite in Dekubitusprohylaxe/-versorgung: stationär 36 Prozent, ambulant 42 Prozent

>Gesundheitsgefährdende Pflege: zehn Prozent der Heimbewohner, sechs Prozent ambulant Versorgten

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