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Archiv "Arzneimittelsicherheit: Vernachlässigtes Waisenkind" (04.02.2005)

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islang hatten alle neuen Arzneimit- tel in der Öffentlichkeit den Ruf, op- timal wirkend, verträglich und risi- koarm zu sein. Dieser Mythos ist späte- stens mit der Marktrücknahme des Rheuma- und Schmerzmittels Vioxx im September und dem Studienstopp bei ei- nem weiteren COX-2-hemmenden An- tirheumatikum, Celebrex, im Dezember vergangenen Jahres ins Wanken geraten.

„Wir brauchen dringend mehr Transpa- renz bei klinischen Studien, eine öffentli- che Kommunikation von Arzneimittelri- siken sowie unabhängig geförderte Stu- dien, die sich auch mit Risiken älterer Substanzen befassen“, sagte Prof. Dr.

med. Bruno Müller-Oerlinghausen, Vor- sitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) und Herausgeber der „Arzneiverordnung in der Praxis“ am 21. Januar in Berlin.

Die Pharmabranche steht latent unter dem Verdacht, Daten bei klinischen Stu- dien zu beschönigen, Nebenwirkungen zu verharmlosen oder hauptsächlich po- sitive Ergebnisse zu publizieren. Den Ur- sachen dieser Fehlentwicklung gingen die Herausgeber internationaler unab- hängiger Arzneimittelzeitschriften (In- ternational Society of Drug Bulletins – ISDB) auf einem Symposium im Novem- ber 2003 nach. Die vier deutschen ISDB- Mitglieder („Arzneiverordnung in der Praxis“, „Der Arzneimittelbrief“, „Phar- ma-Brief“, „arznei-telegramm“) stellten nun die Ergebnisse der internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Arzneimittelsicherheit vor: Die „Berli- ner Deklaration zur Pharmakovigilanz“

legt Lücken in der Sicherheit offen und schlägt Verbesserungen vor.

Das Risiko beim Einsatz eines neuen Medikaments ist nach Ansicht von Müller-Oerlinghausen durch die zuneh- mende Globalisierung sogar gestiegen.

„Neue Arzneimittel werden meist zeit- gleich in mehreren Ländern zugelassen und aggressiv vermarktet. Von unerwar- teten Nebenwirkungen sind schlagartig

Tausende Menschen weltweit betrof- fen.“ Dies zu verhindern ist unter ande- rem Aufgabe der europäischen Arznei- mittelbehörde EMEA (European Medi- cines Agency). „Sie hat aber auf dem Ge- biet der Erfassung und Erkennung von Arzneimittelrisiken bislang keine wirkli- che Kompetenz“, kritisiert Müller-Oer- linghausen. So seien die Fristen inakzep- tabel, innerhalb derer die EMEA über regulatorische Maßnahmen im Falle von Nebenwirkungen entscheidet.

Risiken meist absehbar

„Die meisten Marktrücknahmen er- folgen nicht überraschend“, bestätigt auch Wolfgang Becker-Brüser, Heraus- geber des arznei-telegramms. Die Risi- ken zeichneten sich meist lange vorher ab. Dennoch unterbleibe eine systema- tische Aufarbeitung der Ursachen von unerwarteten Nebenwirkungen. Statt-

dessen neigten Arzneimittelhersteller dazu, unerwünschte Wirkungen zu ver- harmlosen, bisweilen auch gezielt.

Die Berliner Deklaration fordert deshalb einen Einblick in alle sicher- heits- und verordnungsrelevanten Da- ten zu Arzneimitteln. „Mit der Geheim- niskrämerei muss Schluss sein“, sagt Becker-Brüser. „Die Hersteller müssen gesetzlich verpflichtet werden, alle zu- lassungsrelevanten Studien und Neben- wirkungsberichte spätestens bis zur Markteinführung zu veröffentlichen.“

Der wachsende öffentliche Druck konnte bei der internationalen Pharma- branche bereits etwas bewegen. Anfang Januar einigten sich die Industrie- verbände in Europa, Japan und den USA darauf, künftig in öffentlich zugänglichen Datenbanken Ergebnisse von klinischen Studien nach einem einheitlichen Muster zu publizieren.

Darauf verweist auch der Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller (VFA). Die Ansätze der Berliner Deklaration hält er für wenig geeignet, die Arzneimittelsicherheit zu verbes- sern. „Verwunderlich ist der Vorschlag, bei der Arzneimittelsicherheit wieder in Kleinstaaterei und den Aufbau von Parallelstrukturen zu verfallen“, sagt Cornelia Yzer, Hauptgeschäftsführerin des VFA. Sinnvoll sei es vielmehr, Verdachtsfälle auf europäischer Ebene zusammenzuführen. Entsprechende Datenbanken würden derzeit aufge- baut. Die geplanten Maßnahmen be- zeichnet Becker-Brüser wiederum als

„völlig unzureichend“. Es müsse eine eindeutige Verpflichtung zur Meldung an ein definiertes Register bestehen.

Mehr Engagement fordern die Her- ausgeber der unabhängigen Arznei- mittelzeitschriften auch von Ärzten und Apothekern. Die vorhandene Meldepflicht reiche nicht aus. „Arznei- mittelnebenwirkungen sind heimat- lose Waisenkinder, um die sich keiner kümmert“, sagt Prof. Dr. med. Walter Thimme, „Der Arzneimittelbrief“. Die Deklaration schlägt deshalb vor, den Krankenhausapotheker in den Mittel- punkt eines lokalen Pharmakovigilanz- zentrums zu stellen. Gleichzeitig sollten unabhängige Meldestellen für Patien- ten geschaffen werden, fordert Jörg Schaaber, Chefredakteur des Pharma- Briefes. Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann P O L I T I K

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A252 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 5⏐⏐4. Februar 2005

Arzneimittelsicherheit

Vernachlässigtes Waisenkind

Arzneimittelzeitschriften zeigen Schwachpunkte auf.

Der Verträglichkeitsmythos –

Marketingbeispiele für Antirheumatika

>Benoxaprofen (Coxigon) – „Hervor- ragende Magenverträglichkeit“

>Indoprofen (Flosin) – „Überlegene Verträglichkeit“

>Rofecoxib (Vioxx) – „Erwiesenes gastrointestinales Sicherheitsprofil“

>Ketorolac (Toratex) – „Trifft den Schmerz und nicht den Menschen“

>Tolmetin (Tolectin) – „Höchstmögliche Nebenwirkungsfreiheit“

Alle genannten Arzneimittel wurden wegen Unverträglichkeit vom Markt genommen.

Quelle: arzneimittel-telegramm 2004; 35: 126

Foto:ddp

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