Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 10⏐⏐10. März 2006 AA613
B R I E F E
Die Politik ist gefragt
Seit dem 1. Januar 2006 sind in vielen Kassenärztlichen Verei- nigungen die Heilmittelver- ordnungen budgetiert. Die in einer durch Ihre empörende und unerträgliche Darstellung gescholtenen nordrheinischen Kinder- und Jugendärzte sind nicht allein betroffen. Wie willkürlich die Richtgrößen festgelegt werden, zeigt das Beispiel Bremen oder Nord- württemberg. Dort betragen die Richtgrößen (für Ergothe- rapie, Logopädie und Physio- therapie) gerade einmal 9,98 Euro bzw. 12,36 Euro. Die Ärzte sind verpflichtet, ausrei- chend, notwendig, zweck- mäßig und wirtschaftlich zu verordnen. Sie sind sich ihrer Verantwortung und der Ver- antwortung den Patienten ge- genüber bewusst und werden dem gerecht. Es kann aber nicht sein, dass die Ärzteschaft unter dem Damoklesschwert des Regresses immer mehr un- begrenzt mögliche Niederlas- sungen von Heilmittelerbrin- gern subventioniert. Nicht die überzogenen Darstellungen der ärztlichen Verbände, son- dern die überzogenen An- sprüche vieler Patienten, die durch Darstellungen der Lob- by der Heilmittelerbringer ge- schürt und verstärkt werden, sind das eigentliche Pro- blem . . . Die Politik ist tatsäch- lich gefragt. Die Budgets müs- sen weg, und in den Kinder- gärten sind nicht über die GKV finanzierte Fördermaß- nahmen zu installieren. Die Politik stiehlt sich aus der Ver- antwortung. Die KBV und die KVen sind hier zum Handeln aufgefordert.
Dr. Klaus Rodens,Landesvorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte e.V. Württemberg, Angertorstraße 6, 89129 Langenau
Heilmittelbudgets sind zu niedrig
Ich – als verantwortungsbe- wusster Arzt für Kinder- und Jugendmedizin – habe den Ar- tikel von Frau Korzilius als Schlag ins Gesicht empfunden.
Zwar müssen angesichts der knappen finanziellen Ressour-
cen bei der Versorgung mit Heilmitteln Ärzte und Heil- mittelerbringer (Physio-, Sprach- und Ergotherapeuten) gemeinsam um eine möglichst optimale Lösung gegenüber den Krankenkassen kämpfen.
Allerdings werden im genann- ten Artikel die Argumente des Berufsverbandes der Physio- therapeuten einseitig darge- stellt und uns Ärzten „Infor- mationsdefizite“ und bewusste
„Fehlinformationen“ gegen- über den Patienten unterstellt.
Der Teufel steckt mal wieder im Detail: Das Gesamtbudget wurde zwar im Vorjahresver- gleich erhöht, aber für den ein- zelnen Verordner drohen bei 25 Prozent Überschreitung tatsächlich ruinöse Regresse, wenn man im Sinne seiner Pa- tienten und gemäß der gelten- den Richtlinien primär eine medizinisch „ausreichende“
Versorgung umsetzen will. Die einzige Chance, einem Regress zu entgehen, besteht laut Heil- mittelvereinbarung „ . . . im Nachweis von Praxisbesonder- heiten . . ., wenn der Arzt nach- weist, dass er nach Art und An- zahl von der Arztgruppentypik abweichende Erkrankungen behandelt hat“. Leider gibt es weder bei der KV noch bei an- deren Institutionen eine Er- krankungsstatistik, die man als Beweis nutzen könnte. Eine kleine Umfrage bei den in mei- nem Versorgungsbereich prak- tizierenden Kinder- und Jugend- ärzten zeigte, dass alle in der Vergangenheit mit ihrem Ver- ordnungsverhalten bei Heil- mitteln – bei Einhaltung der Heilmittel-Richtlinien – über dem jetzt geltenden Budget von 20,67 Euro lagen. Somit kann man rückschließen, dass alle ein ähnliches Patientengut versorgen und somit die einzig mögliche „Praxisbesonder- heit“ nicht als Argument in ei- nem Prüfverfahren anerkannt werden würde. Dass derartige Prüfverfahren von den Kran- kenkassen eingeleitet werden, ist sicher. Erfahrungsgemäß geschieht dies mit einer Verzö- gerung von ca. drei Jahren – al- so 2009 . Bis dahin können die gesetzlichen Kassen weiter ihren Versicherten eine opti- male Versorgung versprechen,
sich nun mit Psychiatern das Heilmittelbudget teilen – die Psychiater haben nun auch ein Budget für Heilmittel, sie brauchen es aber gar nicht, denn sie verordnen keine Heil- mittel. Uns hingegen fehlt jetzt bei den vielen zu betreuenden schwer kranken und behinder- ten Patienten das Budget.
Aber, so wurde mir mitgeteilt, ich könne selbstverständlich weiter so viele Heilmittel wie erforderlich verordnen, müsse
mich dann allerdings auf eine Überprüfung und ggf. Regress einstellen. Ich sehe die Not- wendigkeit von Sparmaßnah- men – wehre mich aber dage- gen, die Verantwortung für un- durchdachte Maßnahmen tra- gen zu müssen. Hier liegt ein- deutig ein handwerklicher Fehler der KV vor – dieser sollte schnellstens ausgebügelt werden.
Dr. med. Andrea Oelze, Buchenstraße 13, 25421 Pinneberg aber uns gleichzeitig mit dem
Zwang zur so genannten
„Wirtschaftlichkeit“ die Thera- piefreiheit nehmen . . . Georg Stefanowski, Kaiserring 15, 46483 Wesel
Gesunde Rentner gesucht
Mit großer Entrüstung habe ich Ihren Artikel gelesen . . . Mit dem 10. Februar 2006 habe ich mein Heilmittelbudget be- reits um 1 405,72 Euro über- schritten = 26,48 Prozent. All meine Verordnungen sind für mich medizinisch indiziert ge- wesen. Wie soll ich mich nun weiter verhalten? Welche rechtliche Stütze habe ich, wenn ich weitere Rezepte ver- weigere? Kann ich mich auf das Budget beziehen und sa- gen, dass ich nun nicht mehr verordnen darf, ohne einen Strafprozess von Angehörigen zu riskieren? Denn bei einer weiteren Verschreibung not- wendiger Therapien werde ich im Falle eines Regressanspru- ches meine Liquidität gefähr- den . . . Wie kann es angehen, dass wir mit einem Budget z. B.
bei Rentnern von 17,17 Eu- ro/Quartal auskommen sollen, wo eine Verordnung von zehn- mal Krankengymnastik nach Bobath oder Vojta mit Hausbe- such eine Summe von 321,50 Euro ergibt? Wenn nun zusätz- lich noch zehnmal Logopädie notwendig ist, summiert sich der Bedarf dieses Patienten auf 652, 60 Euro. Bei einem apo- plektischen Patienten, der zu- sätzlich Ergotherapie benötigt, entsteht ein Verordnungsvolu- men von 760,09 Euro (KG+
Ergo). Dies bedeutet, dass 38 bzw. 44,3 Rentner notwendig sind, die keine Heilmittelver- ordnung brauchen, um einen apoplektischen Patienten lege artis zu versorgen. Für meine sechs Patienten, die zurzeit aufgrund o. g. Diagnose eine Heilmittelverordnung ausge- stellt bekamen, benötige ich, sofern ich nur Krankengymna- stik verordne, allein 112 Rent- ner ohne Bedarf, um mein Budget nicht zu überschreiten.
Bei den Diabetikern, einem Krankheitsbild, was ja für je- den Allgemeinmediziner ne- ben den Apoplektikern nicht
selten ist, kommen Kosten für Podologie in Höhe von 78 Eu- ro schnell zusammen, also brauche ich wieder mindestens 4,5 Rentner, um einen Diabeti- ker podologisch versorgen zu können. Von den 47 Diabeti- kern, die ich behandle, haben zwölf Patienten eine podologi- sche Verordnung bis jetzt be- kommen. Es ist also auch hier ein sehr wohl überlegtes Ver- ordnungsverhalten zu erken- nen. Aber für diese zwölf Pati- enten benötige ich, durch das von der KVSH vereinbarte Heilmittelbudget immerhin 54,7 Rentner ohne Verord- nung, um mein Budget einzu- halten . . . Ist den verantwortli- chen KV-/Krankenkassen-Ver- tretern diese Relation bei der Unterzeichnung der Vereinba- rung überhaupt klar gewesen?
Haben die Verantwortlichen den Bezug zur Realität verlo- ren? Vielleicht lässt sich durch meine Schilderung klarstellen, warum es zum Einbruch bei der Verordnung von Heilmit- teln kommt . . .
Marion Bollwinkel,Bremerplatz 3, 24943 Flensburg
Handwerklicher Fehler
Wir KV-Ärzte haben keines- wegs „eine umfassende Vorin- formation“ zur neuen Heilmit- tel-Richtgröße bekommen.
Am 22. Dezember 2005 flatter- te uns die neue Richtgröße ins Haus: Budget für Versicherte 8,60 Euro, für Familienversi- cherte 11,66 Euro, für Rentner 22,17 Euro. Allerdings fehlten die Preisangaben für Kran- kengymnastik, Ergo- und Lo- gopädiebehandlung, sodass wir die Budgets zunächst gar nicht in unserer Software berechnen konnten. Die folgten dann aber Ende Januar 2006 auf un- sere schriftliche Nachfrage.
Wir sind eine neurologisch ausgerichtete Praxis. Warum hatten wir nun plötzlich einen Engpass bei den o. g. Verord- nungen? Weil es zwar vorher auch ein (ausreichendes) Bud- get für Heilmittel gab, dieses aber für Neurologen und Psychiater getrennt berechnet wurde. Zum 1. Januar 2006 wurden die Fachgruppen neu aufgeteilt. Neurologen müssen A
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Nordkorea
Zu den Beiträgen „Mit dem Reisigbe- sen ins Atomzeitalter“ und „Medizi- neraustausch: Fenster nach draußen“
von Norbert Jachertz in Heft 3/2006:
Erwartungen nicht zu hoch schrauben
Viele der in dem Bericht über Nordkorea beschriebenen Ein- drücke entsprachen meinen Er- lebnissen aus dem Jahre 1981.
Aber der Autor des Berichts
„Medizineraustausch“ liegt mit seinen Feststellungen falsch, dass 2001 erstmalig Ärzte aus Nordkorea nach Deutschland kamen und erstmalig „in die- sem Jahr“ deutsche Ärzte in Nordkorea selbst Kenntnisse
und Erfahrungen weitergaben.
Im Zusammenhang mit der Thematik Nierentransplantati- on waren schon im Zeitraum 1980 Ärzte aus Nordkorea im Krankenhaus Friedrichshain in Berlin und im Berliner Blut- spendeinstitut. 1981 wurde ich mit einer MTA nach Pjöngjang eingeladen, um dort die Metho- den der immunologischen Spender-Empfänger-Auswahl
zur Organtransplantation zu er- klären und zu demonstrieren und dortige Realisierungsmög- lichkeiten einzuschätzen. Ich konnte zwar in einzelnen Vor- trägen und Fachgesprächen mit dortigen (sicher ausgewählten) Ärzten unsere Ergebnisse dar- legen und kurz unsere serologi- schen HLA-Typisierungsme- thoden demonstrieren, wurde aber überwiegend durch die Museen und Gedenkstätten des
„hoch verehrten und geliebten Führers und Feldherrn Kim Il Sung“ geführt. Der damalige koreanische Gesundheitsmini- ster demonstrierte mir an einer Nierenoperation, dass er selbst noch praktisch tätig sei. Insge- samt war für mich mein 14-tägi- ger Aufenthalt in Nordkorea hoch interessant, aber unter
den dortigen politischen und desolaten ökonomischen Be- dingungen konnte er für die medizinische Praxis in Nord- korea kaum nachhaltige Effek- te zeigen. Ich glaube, auch heu- te sollte man von einem Medi- zineraustausch zwischen Nord- korea und Deutschland nicht zu viel erwarten.
Dr. sc. med. Klaus Richter, Salanderweg 5, 12685 Berlin
Foto:Norbert Jachertz