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uhe an der Gesundheitsfront.“ Zu Beginn des Superwahljahres 2004 scheint dies die oberste Maxime der rot-grünen Bundesregierung. Erst im Januar verdonnerte Bundesgesund- heitsministerin Ulla Schmidt (SPD) den Gemeinsamen Bundesausschuss zu Nachbesserungen bei Praxisgebühr und Chronikerdefinition. Nun verlangt sie von ihm eine Überarbeitung des eher restriktiven Richtlinienentwurfs für die Verordnung von Krankengym- nastik, Massage, Sprach- und Ergo- therapie.Wohl von den massiven Protesten der Heilmittelverbände und Selbsthil- fegruppen überrascht, gibt sich Schmidt einmal mehr als die Bewahrerin der Patienteninteressen. Dabei wird leicht übersehen, dass es die Regierung war, die die Selbstverwaltung im vergange- nen Jahr aufforderte, die Ursachen für den drastischen Ausgabenanstieg für Heilmittel zu analysieren und entspre- chende Konsequenzen in den Richtlini- en zu ergreifen. Schmidts neuerliche In- tervention kommt dennoch nicht uner- wartet. Auch zwei Monate nach dem verkorksten Start der Gesundheitsre- form pfeift ihr der Wind eiskalt entge- gen. Was sie folglich am wenigsten braucht, ist zusätzlicher Ärger mit Heil- mittelerbringern und Patienten.
Massive Proteste zeigten Wirkung
Den hätte es bei einer vorbehaltlosen Zustimmung des Ministeriums zu der ursprünglichen Richtlinie wohl gege- ben – sieht diese doch für den Regelfall eine deutliche Verringerung der durch- schnittlichen Verordnungszahlen vor.
Angesichts der angekündigten Ein-
schnitte machten Selbsthilfegruppen und Heilmittelverbände mobil. Protest kam aber auch aus dem Regierungsla- ger. So warnte unlängst der Behinder- tenbeauftragte der Bundesregierung, Karl Hermann Haack (SPD), vor einem
„Konfrontationskurs mit den Betroffe- nen“. Die neue Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Helga Kühn- Mengel (SPD), mahnte eine kritische Überprüfung des Entwurfs durch das Ministerium an.
Dem ist man dort nachgekommen und hat nun Ergebnisse vorgelegt.
Demnach verzichtet das Ministerium auf eine formelle Beanstandung, kop- pelt aber seine Zustimmung an fünf konkrete Änderungen des Entwurfs:
❃Der Begriff einer „längerfristigen Verordnung“ muss in die Richtlinie auf- genommen werden. Damit soll die Fort- setzung der Heilmittelbehandlung auch bei Überschreiten der Gesamtverord- nungsmenge gewährleistet werden. So soll die notwendige Behandlung ohne Unterbrechung und ohne weiteren bürokratischen Aufwand sichergestellt werden.
❃In Fällen, bei denen mehr als sechs Einheiten Krankengymnastik oder zehn Einheiten Ergotherapie pro Verord- nung angezeigt sind, kann der Arzt die Verordnungsmenge selbst bestimmen.
❃Längere Behandlungspausen sol- len vermieden werden, indem eine Maßnahme als genehmigt gilt, wenn die Krankenkasse nicht innerhalb von fünf Werktagen entscheidet.
❃Auch künftig soll es keine star- ren Altersgrenzen bei der Behand- lung von Kindern mit zentralen Be- wegungsstörungen geben. Stattdessen wird der Grad der Hirnreife des Kindes bei Eintreten der Schädigung und die sich daraus ergebenden Folgen
für die Behandlung in das ärztliche Er- messen gestellt.
❃Die neuen Richtlinien sollen klar- stellen, dass der Anspruch auf Heil- mittelversorgung durch den Anspruch auf Frühförderung nicht eingeschränkt wird.
Verbände erkennen
„erste Fortschritte“
Mit den Ergänzungen geht das Mini- sterium auf Heilmittelerbringer und Selbsthilfegruppen zu. Beide hatten Klarheit insbesondere bei der Frühför- derung und bei Dauerverordnungen ge- fordert. Grundsätzlich zufrieden äußerte sich Ute Repschläger, Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft der Heil- mittelverbände. Im Vergleich zum ur- sprünglichen Entwurf seien zumindest
„erste Fortschritte“ zu erkennen. Ob es dennoch zu Protestaktionen kommen werde, ließ Repschläger allerdings offen.
Auch Roland Stahl, Sprecher der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung, kann mit den Änderungen leben. Er sieht den Kern des Entwurfs nicht verändert. Die Regelungen seien von Anfang an pati- entenfreundlich angelegt und würden durch die Vorschläge des Ministeriums allenfalls ergänzt. Stahl stellte aber auch klar, dass die Selbstverwaltung nicht be- reit sei, die Schuld auf sich zu nehmen, sollten die erhofften Einsparpotenziale nicht gehoben werden.
Im Gemeinsamen Bundesausschuss rechnet man unterdessen mit einer zü- gigen Einarbeitung der zusätzlichen Regelungen. Am 16. März werden die Vorschläge des Ministeriums in das Gremium eingebracht. Pünktlich zum 1. April soll die neue Heilmittel-Richt- linie in Kraft treten. Samir Rabbata P O L I T I K
Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 927. Februar 2004 AA541