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Einführung zum Thema

Monatsschr Kinderheilkd 2021 · 169:788–790 https://doi.org/10.1007/s00112-021-01255-0 Angenommen: 27. Juni 2021

© Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021

Molekulare Pädiatrie

Wolfgang Sperl

Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Salzburg, Österreich

Autor

Univ.-Prof. Dr.

Wolfgang Sperl Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Salzburg

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Die molekulare Pädiatrie ist in der Kinder- und Jugendmedizin ein junges, sich dyna- misch entwickelndes Feld, das sich deutlich über die reine molekulargenetische Abklä- rung von Krankheiten hinaus erstreckt. Im Prinzip fehlt dafür noch eine einheitliche, allgemein anerkannte Definition.

Die molekulare Pädiatrie spannt einen kontinuierlichen Bogen von der Diagnostik zur Therapie von Krankheiten: Symptome werden in Bezug zu betroffenen Organen gesetzt bis hin zu Geweben, Zellen und de- ren Organellen. Stoffwechselwege in die- sen Organellen funktionieren durch eine Wechselwirkung von Enzymen und de- ren Kofaktoren. Metabolite und Substrate sind messbare Größen in diesem Interme- diärstoffwechsel. Dieses Stoffwechselnetz- werk ist ungemein komplex mit vielen In- teraktionen zwischen den Organellen und verschiedenen Stoffwechselsynthese- und Abbauwegen.

Als ich mich vor fast 40 Jahren in der Kin- der- und Jugendheilkunde mit Patientin- nen und Patienten mit neuromuskulären Symptomen und auffälliger Milchsäureer- höhung zu beschäftigen begann, hätte ich mir nicht vorstellen können, dass sich auf- grund der exponentiellen Zunahme der Er- kenntnisse in Genetik und Metabolik und sich permanent verbessernder Technolo- gien mit zuletzt deutlich sinkenden Kosten in der Diagnostik tatsächlich ein handfes- tes Aufgabengebiet entwickeln würde – das der molekularen Pädiatrie.

Ich war bereits damals bei einem Pati- enten mit Milchsäureazidose beim Muskel und Zentralnervensystem (ZNS) und den Mitochondrien als Organellen angelangt.

Diese Organellen sind vornehmlich wich- tig für die Sauerstoff-abhängigen Organe.

In diesen Organellen ist der dominieren- de Stoffwechselweg die Zucker- bzw. die

Pyruvatoxidation, deren Bestandteile wie- derum Kofaktor-abhängige komplexe En- zyme, Multienzymkomplexe zum Funktio- nieren der Stoffwechselwege sind. Größter und wichtigster Schritt in der Entwicklung der molekularen Medizin war die Entwick- lung der exakten genetischen Diagnostik, als Herausforderung bei den Mitochon- driopathien sowohl die Analyse des nu- kleären wie auch des mitochondrialen Ge- noms. Next-Generation-Sequencing-Tech- niken sind heutzutage beinahe in der Rou- tine angelangt. Genetische Bibliotheken wurden geöffnet. Nun endet der Bogen der Diagnostik, der quasi bei dem/der Pa- tient*in mit dem Symptom und den be- troffenen Organen beginnt, über Gewebe, Organellen, Enzyme und Stoffwechselwe- ge bei der Charakterisierung der Gene, die für diese Stoffwechselwege verantwortlich sind, oder bei Genen, die die Enzyme oder Kofaktoren der Enzyme regulieren, oder auch bei Genen, die die Organellen in ih- rer Funktion bestimmen. So werden nun in der molekularen Pädiatrie permanent neue genetische Erkrankungen entdeckt, die nur dann, wenn man sich bei der Dia- gnostik in lokalen und v. a. internationa- len Netzwerken befindet, durch Clusterung von Krankheiten und Beschreibung der- selben neue „disease entities“ bilden und damit neue Einträge in Lehrbücher bekom- men (s. Beitrag Stülpnagel et al.,https://

doi.org/10.1007/s00112-021-01253-2) So ist ein großes Verdienst der molekularen Pädiatrie die exakte, präzise Diagnostik von Krankheiten bis hin zur molekulargeneti- schen Ebene. Das ist personalisierte Prä- zisionsmedizin in Reinform, die auf diese Diagnostik beschränkt allein schon einen hohen Wert aufzeigt: Jede*r Patient*in, je- des Kind hat ein „Recht auf seine Diagnose“.

Endet doch oft hier erst die Odyssee der

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Einführung zum Thema

bisherigen diagnostischen Reise, und eine persönliche Begleitung der Patientinnen und Patienten in kompetenten spezialisier- ten Zentren beginnt (s. Beitrag Prodinger et al., doi:https://doi.org/10.1007/s00112- 021-01256-z).

Oft sind zur Entdeckung der Krank- heiten allerdings auch Genprodukte not- wendig. Über Einbeziehen der OMICS- Felder (z. B. Metabolomics, Proteomics, Lipidomics) und anderer Genprodukte können Rückschlüsse auf mögliche Gen- loci als Ursache der Krankheiten gezogen werden. Es ist wichtig zu betonen, dass in der Diagnostik nicht allein die Ebe- ne der Gene das entscheidende Ziel darstellt, sondern vielmehr die Beweis- führung einer Pathologie von Mutationen bzw. Varianten mit Betrachtung funktio- neller Vorgänge in den Zellen bis hin zu zellulären Dysfunktionen. Nur dort, in Zentren, wo im Dreiklang erstens eine profunde klinische Expertise die geneti- sche Diagnostik steuert, die zweitens mit den neuen Methoden NGS(„next gene- ration sequencing“)/WES(„whole exome sequencing“) eine klare genetische Auf- arbeitung bis hin zu den verschiedenen Varianten ermöglicht und es dann drit- tens auch die funktionelle Beweisführung auf zellulärer Ebene gibt, hier also Kli- niker, Genetiker und Biochemiker sich ergänzen, nur dort kommt es zu einer klaren und fundierten Diagnosestellung und Ausbeute (s. Beitrag Wortmann et al., doi: https://doi.org/10.1007/s00112-021- 01257-y). Dass es immer wieder zu be- gründeten Therapieversuchen und sogar neuen Therapieentwicklungen kommt, ist der Lohn einer sehr profunden Diagnos- tik, leider auf dem Feld der Rare Diseases noch viel zu selten (s. Beitrag Mayr, doi: https://doi.org/10.1007/s00112-021- 01252-3s. Beitrag Stülpnagel et al.,und s. Beitrag Prodinger et al.).

» Neben der Präzisionsmedizin ist in der molekularen Pädiatrie der soziale Aspekt ganz klar verankert

Neben dieser molekularen Präzisionsme- dizin ist in der molekularen Pädiatrie der soziale Aspekt ganz klar verankert. Wie der Stoffwechsel und die Stoffwechselwege selbst in sich vernetzt sind, so bilden auch die Spezialist*innen für angeborene Stoff-

wechselstörungen eine weltweit vernetzte Community von Expert*innen, die mit ihrer Leidenschaft am detektivischen Entdecken einer Krankheit und dem Verständnis von biochemischen Funktionsabläufen bis hin zur genetischen Erklärung charakterisiert sind. Es ist eine Gemeinschaft von „Spürna- sen und Aufklärer*innen“. Die molekulare Pädiatrie spielt in dieser Community eine zentrale Rolle und ist ein Leuchtturm der Präzisionsmedizin. In dieser Präzisionsme- dizin kommt die psychosoziale Dimension sehr stark zum Ausdruck, weil diese Präzisi- onsmedizin immer personalisiert ist. Ein*e Patient*in mit ihrem/seinem Recht auf ei- ne Diagnose und die Angehörigen werden durch die klare und präzise Diagnose aller- meist an Spezialistinnen und Spezialisten und damit klinisch an spezialisierte Zen- tren gebunden. Personalisierte Diagnose bedeutet, dass man Patientinnen und Pati- enten ein Leben lang individuell begleitet, dass man Ansprechperson, Expert*in und Begleiter*in wird. Die oft kritische Bemer- kung, „was tut man sich so einen Auf- wand in der Diagnostik an“, „man kann diese Krankheiten ohnehin nicht ausrei- chend therapieren“, zählt eigentlich nicht.

Bei den Rare Diseases geht es v. a. darum, dass Patient*innen eine individuelle spe- zialisierte Betreuung haben. In manchen Fällen gelingt es, neue Therapien tatsäch- lich zu implementieren (s. Beiträge Mayr, Stülpnagel et al. und Prodinger et al. in diesem Heft).

Ebenfalls ist es Aufgabe der Spezialis- tinnen und Spezialisten in der molekularen Pädiatrie, sich für die Patient*innen und deren Familien einzusetzen, bei seltenen Krankheiten eine gerechte Finanzierung zu erzielen, die Bündelung und Qualitäts- sicherung und damit Institutionalisierung von Kompetenzzentren mit internationa- ler Zusammenarbeit voranzutreiben wie auch oft aufwendige Therapiestudien zu planen, die ohnehin nur in einer Vernet- zung stattfinden können.

Zusammenfassend ist die molekulare Pädiatrie ein handfestes, praktisch inter- essantes und wichtiges patient*innenori- entiertes Gebiet in der Pädiatrie. Zugleich ist man mit den Patient*innen, ihren Fami- lien und deren sozialen Aspekten eng ver- knüpft und mit vielen begleitenden Maß- nahmen beschäftigt. Dieses Heft derMo- natsschrift Kinderheilkundeanlässlich der

Jahrestagung der Österreichischen Gesell- schaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) in Salzburg gibt einen guten Ein- blick in Errungenschaften der molekularen Pädiatrie.

Mich persönlich hat diese fast 40-jäh- rige Reise fasziniert, sie hat viele neue Erkenntnisse gebracht, neue Freundschaf- ten und internationale Kontakte ermög- licht. Es war spannend, die Entwicklung der molekularen Medizin ein Stück weit miterlebt zu haben, aber auch sehr er- füllend, sich für Patient*innen in einem hohen Maß sehr persönlich eingesetzt haben zu dürfen.

Wolfgang Sperl Korrespondenzadresse Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Sperl Paracelsus Medizinische Privatuniversität Strubergasse 21, 5020 Salzburg, Österreich wolfgang.sperl@pmu.ac.at

Interessenkonflikt.W. Sperl gibt an, dass kein Inter- essenkonflikt besteht.

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