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Archiv "Warum ist der Begriff „Kunstfehler“ irreführend?" (18.11.1976)

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Aktuelle Medizin Krebsregister Münster

Dazu wurden Programme zur Da- tenprüfung, Datenaktualisierung und Datenauflistung im Institut für Medizinische Informatik und Bio-

mathematik der Universität Mün- ster geschrieben (4).

Von der Registerzentrale werden monatlich erstellt:

~ Liste 1: alphabetische Liste aller Patienten, die für den jeweiligen Monat einbestellt sind

~ Liste 2: alphabetische Liste der Patienten bei denen eine Nachfra- ge erfolgen muß,

~ Liste 3: Nachuntersuchungster- mine aller Patienten aus Liste 1 (Kalendarium).

Vierteljährlich wird erstellt:

~ Liste 4: alphabetische Liste der- jenigen Patienten, die den Nachun- tersuchungstermin versäumten, be- ziehungsweise bei denen Nachfra- gen bisher erfolglos waren. Die Li- ste ergibt sich aus den fehlenden Rückmeldungen der Klinik über eine erfolgte Untersuchung.

Verstorbene Patienten werden nach den oben dargestellten Krite- rien in die Totendatei übertragen.

Die Unterlagen für diese Listen er- hält das Register aus den Kliniken primär über den Erhebungsbogen.

Der Stationsarzt vereinbart bei Ent- lassung des Patienten entweder ei- nen genauen Nachuntersuchungs- termin, oder es erfolgt nur eine un- gefähre Vereinbarung. Der genaue Nachuntersuchungstermin wird dem Krebsregister auf dem C-Er- hebungsbogen mitgeteilt. ln den

Fällen, in denen kein fester Nach- sorgetermin festgelegt worden war, wird der Krankheitsverlauf durch regelmäßige Nachfragen der Klinik beim niedergelassenen Arzt oder bei weiterbehandelnden auswärti- gen Krankenhäusern verfolgt. Die Zentrale des Registers wird dar- über laufend unterrichtet. ln den Fällen, in denen die Nachuntersu- chung durchgeführt wurde, erhält

das Register eine Kopie des Nach- untersuchungsbogens (N-Bogen, Abbildung 4). Dieser Bogen enthält die notwendigen Informationen auch für die jeweils nachfolgenden Nachuntersuchungen.

Die Patienten, welche die Nachun- tersuchung versäumten, werden durch die Vierteljahresmeldung er- faßt und den Kliniken mitgeteilt.

Durch unmittelbare Rückkopplung wird versucht, die Ausfallquote so niedrig wie möglich zu halten. Re- gelmäßige Rückfragen in kurzen Abständen sind erforderlich.

Die Wiedereinbestellungslisten ent- halten zunächst die gleichbleiben- den Identifikationsmerkmale des einzelnen Patienten, zugleich aber auch Angaben über die Diagnose, den letzten Untersuchungstermin, die bisher durchgeführten Nach- sorgeuntersuchungen, den Tumor- befund, die Art der Therapie und den nächsten Wiedereinbestellungs- termin.

Anhand dieser Listen können in der Klinik Vorbereitungen für die Einbestellung getroffen werden (Bereitstellung der Krankenakten, Terminplanung für das Personal usw.). Bei Nichteinhalten des ver- einbarten Untersuchungstermins müssen Nachfragen an den Patien- ten mit neuen Terminen ausge- schrieben werden.

Im allgemeinen erfolgt die Nachun- tersuchung der Patienten in der gleichen Klinik, welche die Be-

handlung durchgeführt hat. Das Ausmaß der Nachuntersuchung ist abhängig von Art und Lokalisation des Tumors, vom Allgemeinbefin- den des Patienten und von den er- forderlichen Spezialuntersuchun- gen (Röntgen beziehungsweise en- doskopische Untersuchungen usw.). Eine Zusammenarbeit der einzelnen Kliniken ist unumgäng- lich; die Koordinierung erfolgt über das zentrale Register.

Die Nachsorge-Erhebungsbögen (Abbildung 4) werden ebenfalls in drei Durchschlägen erstellt. Ein Ex- emplar befindet sich im Register

als Ablochbeleg. ln den Kliniken wird dieser N-Bogen unterschied- lich genutzt, zum Beispiel als Arzt- brief, als Mitteilungen für Behand- lungen und Untersuchungen ande- rer Kliniken oder als Unterlage für das eigene Archiv.

Der bisherige Zeitraum unserer Re- gisterarbeit ist zu kurz für endgül- tige Aussagen. Die Erfahrungen mit den bislang eingegangenen 2237 Meldungen zeigen aber, daß Be- reitschaft und Verständnis auch bei dem Anliegen des K:ebsregisters zunächst fernstehenden Ärzten wachsen. Das EDV-Nachsorgesy- stem hat sich bewährt und bildet eine unmittelbare Hilfestellung für die klinische Praxis. Langzeitstudi- en über die Prognose der einzel- nen Tumorarten in Abhängigkeit vom Stadium bei Behandlungsbe- ginn, vom histologischen Typ und von der Therapie werden durch das klinikbezogene Register we- sentlich erleichtert. Auch liefert diese Registerform verläßliche Da- ten für epidemiologische Studien, die für die Erforschung der speziel- len kausalen Krebs-Pathogenese erforderlich sind.

Literatur

(1) Grundmann, E.: Wozu brauchen wir Krebsregister? Mitteilungsdienst d. GBK NF 4 (1974) 3-4 - (2) Grundmann, E., Pe- dersen, E. (Eds): Cancer Registry, Recent Results in Cancer Research Vol. 50 Sprin- ger-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York 1975 - (3) Sasse, W., Altenpohl, H., Szu- wart, U.: Computerunterstütztes Nachsorge- system für Tumorpatienten durch ein Krebsregister. Chirurg 47 (1976) 66-73. - (4) Szuwart, U.: Vorbereitung zum Aufbau eines Krebsregisters. Med. Diss. Münster 1976 - (5) World Health Organization:

WHO report on consulation on standerdiza- tion of hospital-based cancer registries.

CAN/73. 3. Geneva 1972 - Weitere Litera- tur bei den Verfassern

Anschrift der Verfasser:

Professor Dr. med.

Ekkehard Grundmann Dr. med. Edeltraud Hobik Pathologisches Institut der Universität

Westring 17 4400 Münster

(2)

ÜBERSICHTSAUFSATZ

Warum ist der Begriff

„Kunstfehler" irreführend?

Günter Dotzauer

Treten im Gefolge oder in zeitlicher Folge nach ärztli- chen Tätigkeiten „Zwischen- fälle" oder Krankheitsverläu- fe auf, die von einem Patien- ten oder dessen Angehörigen auf die ärztlichen Maßnah- men bezogen werden, sollten rechtliche Kriterien Leitlinie jeder Stellungnahme sein.

1.

Eine von allen Autoren, Ärzten wie Juristen, gemeinsam anerkannte Definition des Begriffes „Kunstfeh- ler" existiert nicht; eine Vielzahl von Auslegungen liegt vor, in de- nen versucht wird, den im Gesetz nicht definierten Begriff näher zu charakterisieren. Es ist also nicht die gleiche Elle, mit der gemessen wird, wenn dieser Begriff in Aus- einandersetzungen weiter verwen- det wird.

Die Skala reicht von einem Kunstfehlerbegriff, der nur die Benennung für ein medizinisch feh- lerhaftes Vorgehen schlechthin be- zeichnet, bis zu der Ansicht, zum Kunstfehlerbegriff gehöre auch ein Verschulden (Pribilla). Wer die Be- zeichnung „Kunstfehler" lediglich als Terminus technicus ohne weite- re Zuordnung versteht, vergißt, daß ein „Fehler" konstatiert wird, ohne daß Klarheit darüber besteht, wie dieser in Verbindung mit der ärztli- chen Kunst interpretiert werden soll.

11.

Nach Bockelmann versteht die Ju- dikatur unter Kunstfehler, „in ver- mutlicher Übereinstimmung mit der Medizin, einen Verstoß gegen allgemein anerkannte Regeln der ärztlichen Wissenschaft". Versto- ßen könnte man jedoch nur, wenn es allgemein anerkannte Regeln gibt.

Alle Autoren beziehen sich auf Vir- chow.

Bei der Schaffung des neuen preu- ßischen Strafgesetzes, des Strafge- setzes für den Norddeutschen Bund und des deutschen Strafge- setzes wurde die anstehende Pro- blematik diskutiert. Das preußische Strafgesetz von 1853 kannte den Begriff „Verstoß gegen allgemein anerkannte Regeln der Baukunst."

Der damalige Berliner Gerichtsme- diziner Casper wollte diese Diktion nicht auf ärztliche Handlungen übertragen, denn es entging ihm nicht, daß die allgemein anerkann- ten Regeln der Heilkunst, wenig- stens in ihrer Anwendung auf jeden Fall, nirgends existieren. Trotzdem machte Casper sich nicht frei von diesen Vorstellungen. „Die nach ei- ner ärztlichen Behandlung erwiese- nermaßen eingetretene Gesund- heitsschädigung oder Tötung eines Menschen ist dem Arzt zuzurech- nen, wenn seine Behandlung ganz und gar abweichend war von dem, was in Lehren und Schriften seiner wissenschaftlich anerkannten Zeit- genossen für einen solchen oder einen diesem ähnlichen Fall als all- gemeine Kunstregel vorgeschrie- ben und durch ärztliche Erfahrung der Zeitgenossen als richtig aner- kannt worden ist." Viele Einwände wurden vorgetragen.

Die preußische wissenschaftliche Deputation hatte zu den Motiven des Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund ein Gutach- ten — Referent Virchow — ausge- arbeitet. Es richtet sich gegen die allgemeine Fassung des früheren preußischen Strafgesetzbuches:

„Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines,Menschen herbeiführt ..."

(§ 184) bzw. „Wenn der Täter zu der Aufmerksamkeit oder Vorsicht, welche er aus den Augen setzte, vermöge seines Amtes, Berufes oder Gewerbes besonders ver- pflichtet war,..." (§ 198). Virchow wollte diese Paragraphen nur an- gewendet wissen, wenn sie erwei- tert würden durch den Tenor: „Ap- probierte Medizinalpersonen, wel- che in Ausübung ihres Berufes aus Mangel an gehöriger Aufmerksam- keit oder Vorsicht und zuwider all- gemein anerkannter Regeln der Heilkunde durch ihre Handlungen oder Unterlassungen die Gesund- heit eines ihrer Behandlung über- gebenen Menschen beschädigt ha- ben..."

Virchows Vorstellungen unter- scheiden sich von denen Caspers.

Mit „allgemein anerkannten Re- geln" können nur derjenige Erfah- rungssatz der Wissenschaft und die Regeln der Kunst, welche ei- nem Systemwechsel nicht unterlie- gen, gewissermaßen „als Naturge- setze, als axiomartige Wahrheiten"

gemeint sein (Wald).

Virchow selbst führte als Beispiele an: „Überschreitung von Maximal- dosen; Reposition eines verletzten Darmes in die Bauchhöhle". Krat- ter ordnete diese Fälle als „absolu- te" Kunstfehler ein. Über diese dürfte es strittige Wertungen, ab- weichende Ansichten auch heutzu- tage nicht geben.

Der Tübinger Gerichtsmediziner Oesterlen ging 1882 mit einer der- artigen Auslegung konform: „Allein in dem allein zulässigen Sinn des

(3)

Aktuelle Medizin

„Kunstfehler"

Attribute zum Begriff

„Kunstfehler"

absoluter .1. relativer objektiver .1. subjektiver konkreter .1. abstraktiver als Folge infolge technischer intellektueller Fehler .1. Fehler im weiteren im engeren Sinne .1. Sinne

Jeder unterlaufene Fehler und Versehen

Beziehung eines

tatsächlichen Geschehens Etwas vom medizinischen Standpunkt aus Unrichtiges Falsche Maßnahmen

Kunstfehler mit/ohne Verstoß gegen anerkannte Regeln Alle fahrlässigen Verfehlun- gen

Fahrlässigkeiten des Arztes im Beruf Trennung des Begriffs von der Fahrlässigkeit Kunstfehler

setzt Verschulden voraus Kunstfehler = schuldhafte Nichtbeachtung hinreichend gefestigter Ergebnisse Nicht jedes Verschulden ist ein Kunstfehler = Fehler- haftigkeit

Bloßes Versehen Unerklärlicher Zufall

„Unfall"

Terminus technicus Medical misadventure Medical accident Malpractice

Verstoßes gegen das Naturgesetz, gegen Wahrheiten, welche über dem Wechsel der ärztlichen An- schauungen und unberührt von diesem stehen, ist wenigstens in der Medizin und Chirurgie die Zahl der allgemein anerkannten Regeln so beschränkt, daß es mir voll- kommen richtig erscheint, wenn die Strafgesetzgebung diesen Be- griff nicht, wie für die technischen Fehler bei Bauleuten, auch für die der Ärzte aufgenommen hat."

Wer sich auf Virchow beruft, sollte nicht nur einen Teil, sondern die gesamte Stellungnahme wiederge- ben.

Wer von dem Verstoß gegen „all- gemein anerkannte Regeln" aus- geht, blendet aus, daß die Medizin die veränderlichste unter allen Wis- senschaften ist (Oesterlen 1882).

Als empirische Wissenschaft befin- det sie sich in einer steten Ent- wicklung, einer Wandlung; was vorgestern noch Richtschnur eines Handelns war, braucht es heute nicht mehr zu sein. „Allgemein an- erkannte Regeln" der ärztlichen Wissenschaft kann es mit Rück- sicht auf den ständigen Wechsel der Anschauungen nicht geben.

Die einzig feststehende Regel ist die, daß es so gut wie überhaupt keine gibt (Köstlin). Zu jeder Zeit können Streitgespräche bei jeder Erkrankung, jedem Individuum zu jeder Krankheitsphase darüber ge- führt werden, welche Maßnahmen getroffen werden könnten. Die Re- gel, an die sich alle halten müßten, ist nicht existent; allenfalls gibt es eine Ausnahmeregel, nämlich jene

„absoluten Kunstfehler", wie sie Virchow, Kratter u. a. herausge- stellt haben. Sollte man „allgemei- ne Regeln" anerkennen, wird eine Fortentwicklung in Diagnostik und Therapie gehemmt, wenn nicht un- möglich, da man keine Weiterent- wicklungen in Angriff nehmen wür- de (Gutecke). Die Medizin ist nicht zu vergleichen mit den Naturwis- senschaften und ihren Gesetzen.

Der jeweilige Wissensstand ist kei-

ne exakt bestimmbare Größe. Auch ein spezielles wissenschaftlich be- gründetes diagnostisches oder the- rapeutisches Verfahren besitzt grundsätzlich keine Vorzugsstel- lung. Wer einen Methodenvergleich anstrebt, um die Erfolgsaussichten von zwei verschiedenen Verfahren in Erwägung zu ziehen, sollte dies in der Vorlesung oder in einer wis- senschaftlichen Diskussion tun (Perret). Am Modell sind Verglei- che durchführbar.

Die Person des Arztes, seine per- sönliche Lage, die in der konkreten Phase zur Verfügung stehenden Möglichkeiten sind von Fall zu Fall kaum vergleichbar. Bei jeder Er- krankung kann der Arzt die ver- schiedensten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen er- greifen. Er steht nicht für einen be- stimmten Zeitpunkt im Handlungs- zwang, nur ausgerichtet auf eine

Untersuchungsmethode oder einen speziellen operativen Eingriff.

Nicht zu vergleichen ist ebenfalls der Status des Patienten. Für jeden Patienten müssen individuell abge- stimmte Maßnahmen und Eingriffe ausgewählt werden, die unter Um- ständen auch von einem im Lehr- buch angegebenen Behandlungs- schema abweichen können. Wer würde es wagen, aus der Retro- spektive gesehen, einem Verfahren unter allen Umständen den Vor- rang zu geben, zu erklären, daß bei Nichteinsetzung ein „Kunstfehler"

vorliegen würde, wenn es gar nicht möglich ist, in einem bestimmten Falle allgemein anerkannte Regeln festzustellen? Es gibt auch keiner- lei Normierung von Nachfolge- reaktionen nach ärztlichen Ein- griffen.

Sehr häufig ist der spätere Krank- heitsverlauf und damit der Erfolg ärztlichen Handelns nicht voraus- zusehen. Dies gilt nicht nur für den Erfolg ärztlicher Maßnahmen, son- dern auch für die Weiterentwick- lung eines Leidens beziehungswei- se von konkurrierenden Krankhei- ten. Wie hätten sie sich — behan- delt oder unbehandelt — weiterent- wickelt? „Allgemein anerkannte

(4)

„Kunstfehler"

Regeln" sind nicht nur bezogen auf ärztliche Maßnahmen, sondern auch auf Krankheitsverläufe nicht existent.

IV.

Tage, Wochen, Monate nach einer Behandlung werden Vorwürfe er- hoben, Zusammenhänge behauptet und der betroffene Arzt sowie ein Gutachter aufgefordert, sich zu äu- ßern.

Vorrangig ist nicht die Erfas- sung subjektiver Beschwerden, die Fixierung des objektiven, Wochen nach dem konkreten Vorfall erho- benen, Befundes; vorangestellt werden muß der zurückliegende Status, den der Arzt in der konkre- ten Situation erhoben hatte. Vom Beginn erster subjektiver Be- schwerden, erster objektiver Unter- suchungsergebnisse bis hin zu dem Krankheitsbild, dem Zeitpunkt, der zu ärztlichen Maßnahmen An- laß gab, muß die Vorgeschichte er- hoben werden. Nur aus diesem Aspekt kann der betroffene Arzt — gleiches gilt für einen Gutachter — eine Stellung beziehen.

Im zweiten Schritt wäre nüchtern und vorbehaltlos zu würdigen, welche Maßnahmen zu diesem Zeitpunkt unter welcher Indika- tionsstellung — Aufklärung und Einwilligung stehen nicht zur Dis- kussion — getroffen wurden.

Zum dritten wäre zu klären, ob, aus der ex-ante-Betrachtung gesehen, andere ärztliche Maßnahmen zu dieser Zeit, bei diesem Individuum, in der konkreten Krankheitsphase, diesem Arzt zur Wahl gestanden haben, welche ärztlichen Eingriffe er überhaupt in seiner speziellen Situation vornehmen konnte. Wenn dem Arzt zwei verschiedene Be- handlungsmethoden freistanden, war für ihn damals vorauszusehen, daß bei der Anwendung der einen, bei diesem Patienten und nur bei ihm, Folgen eintreten konnten, oder mußten diese bei der anderen fehlen? Das Voraussichtsgebot be- trifft nicht ein spezielles Behand- lungsverfahren schlechthin, son-

dern ist auf Krankheits- oder Ver- letzungszustand eines Individuums in der konkreten Krankheitsphase bzw. dem Zeitpunkt des Eingriffes zu beziehen. (Darstellung)

Im einleitenden Kapitel einer Mo- nographie über „Fehler und Gefah- ren bei Routineeingriffen im HNO- Fachgebiet" (Oeken und Kessler) führt Wolff aus: „Nur die Verlet- zung klarer gesetzlicher Bestim- mungen, die für alle Bürger Gültig- keit haben — und nicht uneinheitli- cher verschwommener Postulate, wie sie im Begriff des ärztlichen Kunstfehlers enthalten sind — be- dingt ... strafrechtliche Verant- wortlichkeit."

Rechtlich entscheidend sind fol- gende Kriterien, zu denen ein be- handelnder Arzt, den Vorwürfe tref- fen, ein Gutachter, Stellung neh- men sollten:

Nachweis einer Verletzung der im betreffenden Verkehrskreis erfor- derlichen (objektiven) Sorgfalt.

O Der Erfolg, zum Beispiel die To- desfolge, war objektiv vorherseh- bar, bzw. die Tatbestandserfüllung war objektiv erkennbar.

O Die Tatbestandserfüllung war aus objektiver Sicht prinzipiell ver- meidbar, zumindest hätte die Ge- fahr durch Unterlassen oder unter Änderung der gefährlichen Hand- lung herabgesetzt werden können.

O Eine Unterlassung oder Ände- rung der (gefährdenden) Handlung ist jedoch nur erforderlich, soweit dies objektiv zumutbar scheint, oder das Vorgehen das maßvoll er- laubte Risiko übersteigt.

Entfällt der definierende Faktor, sollte der Begriff „Kunstfehler"

nicht mehr verwendet werden. l>

RECHTMAßIGKEIT Darstellung

eines Heileingriffes in Diagnostik wie Therapie

1) Stellen einer Indikation 2) Aufklärung des Patienten 3) Einwilligung

4) Beachtung der gebotenen Sorgfalt

Bei Nichtbeachtung

Fehlende Rechtmäßigkeit Eingriff

Ohne Folgen für Mit Folgen

Gesundheit wie

1.

Leben Kausalität?

Vorsatz? Fahrlässigkeit?

Körperverletzung Fahrl.Körperverletzung Tötung Fahrl. Tötung

(5)

Aktuelle Medizin

„Kunstfehler"

V.

Vorwürfe werden erhoben. Fälle zi- tiert. Man beruft sich auf eine Häu- fung. Nehmen Arzthaftpflichtpro- zesse zu? Bei der Diskussion über den Verkehrsunfall-Trend wird ein Beispiel gebracht: Wer zu Fuß durch die Wüste geht, wird kaum von einem Auto angefahren, an- ders in den Großstädten. Je häufi- ger immer diffizilere, eventuell auch risikoreichere Eingriffe bei ei- ner steigenden Zahl von Patienten vorgenommen werden, desto grö- ßer ist die Gefahr eines Zwischen- falles, einer Schädigung. Auch bei Schwerstkranken werden heute — wenn kein anderer Weg bleibt — im Interesse dieser Schwerstkran- ken häufig früher nicht mögliche, oft sehr aufwendige diagnostische und therapeutische Maßnahmen getroffen, die mit gewissen Risiken verbunden sind. Wenn Internisten oder Chirurgen uns Gesamtzahlen über diagnostische oder therapeu- tische Maßnahmen angeben wür- den, dann erst könnte Stellung zu der Frage genommen werden, ob sich zum Beispiel tödliche Zwi- schenfälle nach ärztlichen Hand- lungen in den letzten Jahren häu- fen oder ob trotz angestiegener Berichtsfälle — relativ gesehen — weniger oder gleichbleibend viele eingetreten sind.

Derartige Überlegungen befreien den Arzt nicht von der Forderung, alles daran zu setzen, damit jene kaum verständlichen „absoluten Kunstfehler" nicht mehr eintreten, es nicht mehr zu berechtigten Vor- würfen kommt. Dies schafft die Ba- sis für den Rückgang unberechtig- ter Vorwürfe. Sonst wird es auch bei uns dazu kommen, daß Ärzte ein Plakat an ihr Auto kleben: Fee- ling sick? Cali your lawyer! („Ti- me", 19. 1. 1976).

VI.

Wer sich als klinischer Gutachter mit diesen Fragen befaßt, sollte nicht nur die Vorkommnisse ande- rer Kliniken zitieren, sondern sich fragen, ob Gleiches oder Ähnliches

sich nicht auch in seiner Klinik hät- te ereignen können. Der Gutachter, der aus der Sicht eines Pathologen und Rechtsmediziners Stellung be- zieht, sollte sich vor Augen halten, daß es auch „Kunstfehler" eines Gutachters gibt.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med.

Günther Dotzauer

Direktor des Institutes für Gerichtliche Medizin der Universität zu Köln Melatengürtel 60-62 5000 Köln 30

ECHO

Zu: „Replantation abgetrennter Finger, Daumen und Hände durch Mikrochirurgie" von Prof.

Dr. med. Ursula Schmidt-Tinte- mann et al. in Heft 20/1976, Seite 136 7 ff

Replantation

durch Mikrochirurgie

„26 von 28 ganz oder teilwei- se abgetrennten Fingern und Mittelhänden sind innerhalb von drei Monaten am Klini- kum der Technischen Univer- sität München erfolgreich an- genäht worden. Auch aus an- deren Kliniken des In- und Auslandes liegen zahlreiche Berichte über gelungenes Anwachsen von Gliedmaßen nach mikrochirurgischem Eingriff vor. Mit Hilfe des Operationsmikroskops und spezieller Instrumente ist es heute möglich, auch feinste periphere Nerven und Gefäße von weniger als einem Milli- meter anzunähen. Darüber berichteten jetzt Professor Ursula Schmidt-Tintemann, die Leiterin des Replantati- onsteams an dem Münchener Klinikum und zwei ihrer Mit- arbeiter in der in Köln er- scheinenden Fachzeitschrift DEUTSCHES ÄRZTEBLATT."

(Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt)

In den nächsten sechs Monaten:

Interviews

mit unseren Lesern

LA-MED-Aktion 77

Herausgeber, Verlag und Re- daktion sind in höchstem Maße interessiert zu erfah- ren, wie der Inhalt des DEUT- SCHEN ÄRZTEBLATTES von den ärztlichen Lesern genutzt und beurteilt wird.

Zwar erhält die Redaktion re- gelmäßig Briefe zu Einzelthe- men, überwiegend zustim- mende, ergänzende, fragen- de, aber auch widerspre- chende. Gemessen an der Gesamtheit der Leserschaft, kann das auf diese Weise be- kundete äußerst rege Interes- se der Leser oder wechseln- der Lesergruppen aber nicht für alle Bezieher des DEUT- SCHEN ÄRZTEBLATTES sta- tistisch-wissenschaftlich re- präsentativ sein.

Aus diesem Grunde beteiligt sich der Deutsche Ärzte-Ver- lag an einer Gemeinschafts- untersuchung von medizini- schen Fachzeitschriften (LA- MED, Leseranalyse medizini- scher Zeitschriften e. V., München). Im Rahmen dieser Aktion wird im Laufe der nächsten sechs Monate jeder fünfzigste Arzt in der Bun- desrepublik zur Nutzung und Beurteilung von Fachzeit- schriften. also auch des DEUTSCHEN ÄRZTEBLAT- TES, befragt werden.

Diese Untersuchung wird ausgeführt vom Institut für Verbrauchs- und Einkaufsfor- schung GmbH in Hamburg (IVE). Die zu befragenden Ärzte werden nach statisti- schen Methoden ermittelt.

Falls Sie zu den zur Befra- gung ausgewählten Ärzten gehören sollten, möchten wir Sie sehr herzlich bitten, dem Mitarbeiter des Instituts IVA Gelegenheit zu einem Inter- view zu geben. Herzlichen Dank für Ihre Mitarbeit!

Ihr

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Referenzen

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