noch immer nicht kritischer mit der WHI-Studie umgegangen wird.
Schließlich: Hier wurden den fal- schen Patienten (weit jenseits der Menopause und frei von Wechsel- jahrsbeschwerden) zur falschen Zeit (Durchschnittsalter 65 Jahre!) die falschen Medikamente (nicht individualisiert, oral, hochdosiert, synthetisches Gestagen . . .) zuge- mutet. Wie richtig ist es, eine über- gewichtige, diabetische, hypertone, über 70 Jahre alte jahrzehntelange Raucherin im Zustand nach Herzin- farkt in Studien zu Wechseljahrs- HT aufzunehmen? Wenn es sich nicht um multimorbide ältere Frau- en, sondern um an Wechseljahrsbe- schwerden leidende junge Frauen um die 50 geht, macht das Sinn.
Dass die WHI-Daten genügend va- lide sind für eine S3-Leitlinie, lässt nicht nur mich (ver-)zweifeln.
Wann kommt die Studie, in der Zweier- oder Dreierkombis von Antihypertonika, vielleicht kombi- niert mit einem Statin, an junge, gesunde, normotone Freizeitsport- ler verabreicht werden? Diese Da- ten sind dann problemlos auf eine ähnlich differente Gruppe in „Leit- linientreue“ zu übertragen, wie es in der HT-Debatte geschieht. Neben- bei (noch ein Lehrstück bezüglich EbM) sterben heute mehr Frauen an den Folgen einer Osteoporose als an Brustkrebs, und hier erkennt sogar die Autorin die positive Wir- kung der HT an. Und immer wieder sitzen massivst unter Nebenwirkun- gen von Medikamenten leidende Patientinnen vor mir. Ein Kollege hat ihnen aufgrund der großen Krebsgefahr die HT ausgeredet und alternativ den unter HT beschwer- defreien Patientinnen Schlafmittel und Psychopharmaka verschrieben.
Ich habe für mich nach bestem Wissen und Gewissen entschieden, welches der bessere Weg ist.
Dr. med. Claus Daumann, Facharzt für Gynäkolo- gie und Geburtshilfe, 86732 Oettingen
Keine überragende Kompetenz
Vor knapp zehn Jahren hätte der Artikel von Frau Kollegin Becker- mann gut ins Bild gepasst. In das Bild einer zunächst begründet
Deutsches Ärzteblatt
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Heft 42|
19. Oktober 2012 A 2089B R I E F E
A 2090 Deutsches Ärzteblatt
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19. Oktober 2012 Briefe, die die Redaktion per E-Mail erreichen, werdenaufmerksam gelesen. Sie können jedoch nur veröffentlicht werden, wenn sie ausdrücklich als „Leserbrief“ bezeichnet sind. Voraussetzung ist ferner die vollständige Anschrift des Verfassers (nicht nur die E-Mail-Adresse). Die Redak- tion behält sich ohne weitere Mitteilung vor, E-Mail-Nach- richten, die als Leserbrief erscheinen sollen, zu kürzen. DÄ
scheinenden Hysterie aufgrund der scheinbaren Ergebnisse der WHI- Studie. Schon kurz nach der Veröf- fentlichung wurden erhebliche Mängel des Studiendesigns festge- stellt, wobei einige Daten der Stu- die recht zögerlich veröffentlicht wurden.
Auffällig ist, dass ein sehr umfang- reicher Teil desArtikels von Frau Kollegin Beckermann den angebli- chen negativen Effekten einer HET gewidmet ist und zum Schluss die
„positiven Assoziationen“ auf gan- ze acht Zeilen beschränkt sind.
Der Wille nach objektiver, evidenz- basierter Betrachtungsweise führte im Laufe der Jahre nach Veröffent- lichung der WHI-Studie zu einer deutlich anderen Betrachtungsweise namhafter und seriöser Endokrino- logen. Diese Betrachtungsweise ha- ben die uns anvertrauten Patientin- nen verdient. Diese Ergebnisse zäh- len heute in der Praxis . . .
Bei dem Artikel handelt es sich of- fensichtlich um die Meinung einer unter anderem homöopathisch und psychosomatisch ausgerichteten Kollegin, deren Vita – zumindest nach Internetauftritt – keine überra- gende endokrinologische Kompe- tenz aufweist. Das sollte so auch zum Ausdruck gebracht werden . . .
Dr. med. Rainer Pfingsten, 57439 Attendorn
Ergänzungsbedürftig
Der Medizinreport zur postmeno- pausalen Therapie mit und ohne Hormone ist ergänzungsbedürftig.
So sei die „Erkenntnis unumstrit- ten“, dass Hormonsubstitution „kei- ne geeignete Methode zur Präventi- on“ sei. Damit endet auch das Fazit:
„Hormonsubstitution aus rein prä- ventiven Gründen ist eine eindeuti- ge Absage zu erteilen.“
Das wird mit WHI-Daten begrün- det, die nach zwölf Jahren Follow- up das Gegenteil aussagen – wie- derholt in „Lancet Oncology“ im Mai 2012. In der Östrogengruppe war die Brustkrebsinzidenz signifi- kant niedriger als in der Placebo- gruppe (RR 0,77). Gleiches galt für die Brustkrebsmortalität (RR 0,37).
Auch die Sterberate aus anderen Gründen war unter Östrogensubsti- tution signifikant niedriger (RR
0,62). In Absolutzahlen noch be- deutsamer ist reduzierte Morbidität und damit bessere Lebensqualität.
Dazu gibt es bestätigende deutsche Daten von über 1 000 Brustkrebspa- tientinnen: Deren Mortalitätsrate lag bei HRT-Anamnese mit 7,3 deutlich niedriger als bei jenen oh- ne HRT-Nutzung mit 21,1. Höhere Brustkrebsinzidenz bei rückläufigen HRT-Verschreibungsraten bestäti- gen GKV-Daten.
Das ist biologisch-logisch: Östro- gensubstitution wirkt Hyperinsu - linämie/Hyperglykämie entgegen und war in WHI mit einem Drittel weniger Diabetes-Neuerkrankungen assoziiert sowie geringeren Krebs - risiken.
Der metabolische Hormon-Benefit halbiert KHK- und Gesamtmorta - lität um die Hälfte – bei 71 000 Lehrerinnen/Kalifornien bestätigt.
Hormonelle kardiovaskuläre Prä- vention gilt auch für Männer nach gleichen biologischen Mechanis- men über Östrogen als Testosteron- metaboliten via Aromataseenzym.
Peripherer Gefäßwiderstand wird durch hormonell induzierte höhere NO-Produktion reduziert – bei Männern und Frauen gleicherma- ßen. Fazit:
Vorurteile gegenüber Hormonsub- stitution haben nicht jene mit hor- moneller Kompetenz. So nutzen diese für sich selbst neun von zehn Frauenärztinnen beziehungsweise Frauen von Frauenärzten. Das ge- schieht wesentlich mit präventiver Zielsetzung, denn stärkere klimak- terische Beschwerden hat nur knapp die Hälfte.
Literatur beim Verfasser
Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. J. M. Wenderlein, Universität Ulm, 89075 Ulm
UNG A RN
Eine ungarische Kinderneurologin praktiziert heute in Erlangen (DÄ 31–32/
2012: „Ausweg Deutschland: Eine Ärztin sucht ihr Glück“ von János Nemes).
Wenig Charakterstärke
Ich habe mit großem Interesse, aber leider dann auch mit zunehmenden Missbehagen den Artikel gelesen.
In diesem Artikel berichtet der Au- tor von der ungarischen Kinderneu- rologin, die die schlechten Arbeits- bedingungen und Bezahlung in ih- rem Heimatland mit schonungslo- ser Härte anprangert und daher den Schritt ins Ausland (hier Kinder- krankenhaus in Erlangen) gewagt hat. Hier hat sie neben dem guten Verdienst auch „Ruhe und Frieden“
vorgefunden, dass heißt, sie muss nicht mehr mit „erschöpften, über- forderten und ausgebrannten Kolle- gen in der alten Heimat“ zusam- menarbeiten.
Ich bin Assistenzarzt im letzten Weiterbildungsjahr für Allgemein- medizin und stamme selbst aus Ungarn und . . . ich freue mich auf- richtig für die Kollegin, dass sie so fantastische Lebens- und Arbeitsbe- dingungen in Deutschland vorge- funden hat. Ein wenig Zynismus kann ich aber dann doch nicht ver- hehlen, wie der Leser gleich fest- stellen wird.
Das schonungslose Anprangern der Missstände „zu Hause“ ist die eine Sache, ein ganzes Land zudem noch wegen der schlechten Arbeits- bedingungen zu diskreditieren, um danach Hals über Kopf in ein
„Schlaraffenland“ zu ziehen, ist eine andere Sache und zeugt aus meiner Sicht von wenig Charakterstärke.
Was ist, wenn sich die Arbeitsbe- dingungen in Deutschland eines Tages verschlechtern sollten, wird sich dann wohl unsere Kollegin für verbesserte Arbeitsbedingungen und Bezahlung hierzulande einset- zen wollen oder lieber doch gleich in ein weiteres Land ziehen, wo die Arbeitsbedingungen möglicherwei- se noch besser sind? Wofür also für
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E K p E 2 D Ä Glück“von JánosNe