614
ARS MEDICI 13■2016STUDIE REFERIERT
Betablocker reduzieren die Morbidität und die Mortalität von Patienten mit Herz insuf- fizienz und reduzierter linksventrikulärer Ejektionsfraktion und sind ein Grundpfei- ler der modernen evidenzbasierten Behand- lung. Aktuelle Leitlinien zur Herzinsuffi- zienz unterscheiden bei der Behandlung nicht nach Alter oder Geschlecht, jedoch ist die Einleitung und Erhaltung der Therapie bei älteren Patienten und bei Frauen sub - optimal. Je älter die Patientenpopulation, umso höher ist der Frauenanteil, und bei Frauen ist die linksventrikuläre Ejektions- fraktion weniger stark eingeschränkt.
Diese Interaktion sowie die relativ geringe Anzahl älterer Patienten in randomisierten, kontrollierten Studien hat zu Unsicherhei- ten im Hinblick auf das optimale Manage- ment von älteren Frauen und Männern mit Herzinsuffizienz und reduzierter Ejektions- fraktion (HFrEF) geführt.
Zudem bestehen theoretische Bedenken be- züglich einer veränderten Pharmakokinetik bei älteren Menschen, welche die erforder- liche Dosis oder die Verträglichkeit der Behandlung beeinflussen könnte. Obwohl Studiendaten darauf hinweisen, dass Beta- blocker auch bei älteren Patienten wirken, wird im klinischen Alltag nur bei einem geringen Prozentsatz eine Betablockerthe- rapie eingeleitet und über längere Zeit bei- behalten.
Um die Wirksamkeit und die Verträglich- keit von Betablockern bei einem breiten Altersspektrum von Frauen und Männern mit FrEF zu bestimmen, führte man indi -
viduelle Patientendaten aus grossen, rando- misierten, plazebokontrollierten Herz insuf - fi zienzstudien zusammen.
Studiendesign
Es handelte sich um eine prospektive Meta - analyse individueller Daten von Patienten im Alter zwischen 40 und 85 Jahren, die zu Beginn der Studie einen Sinusrhythmus auf- wiesen und deren linksventrikuläre Ejek - tionsfraktion bei < 0,45 lag.
Insgesamt wurden 13 833 Patienten aus 11 Studien in die Metaanalyse eingeschlos- sen. Das mediane Alter lag bei 64 Jahren, 24 Prozent der Studienteilnehmer waren weiblich.
Primäres Zielkriterium war die Gesamt- mortalität, als wichtigstes sekundäres Zielkriterium wurde die Hospitalisation wegen Herzinsuffizienz definiert. Es wurde eine In tention-to-treat-Analyse (ITT) durch- geführt.
Ergebnisse
Im Vergleich zu Plazebo konnten Betablo- cker die Mortalität in allen Altersgruppen reduzieren. Über eine mediane Nachbeob- achtungszeit von 1,3 Jahren sank das rela- tive Risiko um 24 Prozent. Dies entsprach einer absoluten Risikoreduktion um 4,3 Pro- zent und einer «number needed to treat»
von 23 Patienten (95%-Konfidenzintervall:
18–32 Patienten). Es fand sich kein statisti- scher Zusammenhang zwischen Behand- lungseffekt und Alter der Patienten.
Hospitalisationen wegen Herzinsuffizienz wurden durch Betablocker signifikant re- duziert, wobei dieser Effekt mit zunehmen- dem Alter abgeschwächt wurde. Es gab in allen Altersgruppen keine Evidenz für eine Interaktion zwischen Behandlungseffekt und Geschlecht.
Die Medikation wurde ähnlich häufig abge- setzt – unabhängig von Therapiezuordnung, Alter oder Geschlecht (14,4% bei den Pa- tienten, die Betablocker erhielten; 15,6%
bei den Patienten, die Plazebo bekamen).
Fazit
Patienten mit HFrEF und Sinusrhythmus sollten unabhängig von Alter und Geschlecht Betablocker erhalten, um das Sterblichkeits- risiko sowie Hospitalisationen zu reduzie- ren, so fassen es die Autoren zusammen.❖ Andrea Wülker
Quelle: Kotecha D et al.: Effect of age and sex on efficacy and to- lerability of β-blockers in patients with heart failure with reduced ejection fraction: individual patient data meta-analysis. BMJ 2016; 353: i1855. doi: 10.1136/bmj.i1855.
Interessenkonflikte: Die Autoren der Studie haben von verschiede- nen Pharmaunternehmen Stipendien beziehungsweise Honorare erhalten.
Betablocker auch für ältere Herzinsuffizienzpatienten
Aktuelle Leitlinien empfehlen bei Herzinsuffizienz und reduzierter Ejek - tionsfraktion die Gabe von Betablockern. Bei Senioren und Frauen wird diese Substanzklasse dennoch zögerlich eingesetzt. Dafür gibt es laut einer aktuellen Metaanalyse aber kein Argument.
British Medical Journal
❖Die Behandlung mit Betablockern reduziert bei herzinsuffizienten Patienten mit reduzierter Ejektionsfraktion und Sinusrhythmus die Gesamtmortalität und Hospitalisationen wegen Herz insuffizienz unabhängig von Alter und Geschlecht.
❖Die Verträglichkeit der Behandlung war unter Betablockern und Plazebo gleich.
MERKSÄTZE
Nutzen-Risiko-Bilanz einer Betablocker - therapie bei Hypertonie
Prof. Dr. Franz Messerli, Kardiologe am Inselspital Bern, und Kollegen weisen in einem Kommentar zu dieser Metaanalyse auf unerwünschte Wirkungen einer Betablockertherapie bei Hypertonie hin. In einer 2002 publizierten Studie brachen Patienten aus der Betablockergruppe wegen einer Fatigue etwa doppelt so häufig ihre Therapie ab wie Patienten aus der Pla ze - bogruppe. Die Abbruchrate wegen sexueller Dys funk - tion war gegen über der Plazebogruppe fast fünffach erhöht.
Demnach wurden für jeden verhinderten Schlaganfall oder Herzinfarkt drei Patienten durch die verabreich- ten Betablocker impotent, und acht Patienten ent- wickelten eine so ausgeprägte Fatigue, dass sie die Therapie abbrachen. Das, so Messerli, sei nicht gerade ein akzeptables Nutzen-Risiko-Profil für eine kom- plett asymptomatische Erkrankung wie eine milde Hypertonie.
Offensichtlich ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis bei Herzinsuffizienz aber anders, denn bei dieser Erkran- kung seien Betablocker eine Sine-qua-non-Therapie, während sie bei Hypertonie nur eine (nicht sehr gute) Option unter vielen anderen seien. Die Tatsache, dass Betablocker bei Herzinsuffizienz Leben retten oder verlängern können, verbessere nach Ansicht der Auto- ren wahrscheinlich die Therapieadhärenz der Patienten.
Quelle: Messerli FH et al., BMJ 2016;353:i1855