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Jh.s - auf den Zeithorizont bezogen - meist "rück¬ wärts&#34

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"Nur der Moderne kommt voran!"

Kulturkritik in der ägyptischen und syrischen Poesie der

ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts

Von REINHARD SCHULZE, Bamberg

I

Die Lesbarkeit literarischer Texte des islamischen 18. Jh.s unterliegt ei¬

nem gewichtigen hermeneutischen Problem: im Gegensatz zum Umgang

mit europäischen literarischen Texten der Aufklärungszeit werden arabi¬

sche Texte des 18. Jh.s - auf den Zeithorizont bezogen - meist "rück¬

wärts" gelesen. "Rückwärtslesen" bedeutet hier den Deutungshorizont auf die sogenannte "klassische" Zeit der islamischen Kultur zu beziehen.

Die Mittel zum Verstehen zum Beispiel arabischer Literaturen des 18. Jh.s

weiden fast ausschließlich dieser islamischen Klassik entiiehen. Im Mittel¬

punkt steht dann die Frage, ob ein Text des 18. Jh.s selbst in Einzelaus¬

sagen lediglich eine Kopie (taqlid) früherer Texte sei oder ob er "Neues"

zu bieten habe.

Dieser Form einer zeitlich rückwärts orientierten Interpretation arabi¬

scher Literaturen gerade des 18. Jh.s steht die modernistische Lesung eu¬

ropäischer Texte der selben Zeit gegenüber. Wir modernisieren zum Bei¬

spiel Texte zur Ästhetik von Johann Christoph Gottsched auch sprachlich

und interpretieren dann seine Aussagen etwa zum Schönheitsbegriff im

Kontext der Zeit selbst. Liest man aber Texte von Gottsched im Originali,

so erscheinen sie zunächst antiquiert und archaisch; da wir aber um die

Bedeutung solcher Texte wissen, zögern wir nicht, diese in unser Verständ¬

nis auch sprachlich zu übersetzen und die Umschreibung der Texte damit

ZU entschuldigen, daß, wie es so oft heißt, die Form dem heutigen Sprach-

und Orthographiegebrauch lediglich "angeglichen" worden sei. Die Inter¬

vention in deutsche Texte des 18. Jh.s gelingt aber vor allem deshalb, weil

der Text für sich genommen lesbar erscheint, und zwar "vorwärts" in die Zeit gerichtet

1 Versuch einer criüschen Dichtkunst. 1. Aufl. 1729, 4. Aufl. 1741. Zit. nach ROLF GRIMMINGER: Die Ordnung, das Chaos und die Kunst. Frankfurt a.M. 1990, S. 115.

Cornelia Wunsch (Hrsg.): XXV. Deutscher Orientalistentag, Vorträge, München 8.-13.4.1991

(ZDMG-Suppl. 10). - © 1994 Franz Steiner Veriag Stuttgart

(2)

Von einer solchen Hermeneuhk muslimischer Literaturen des 18. Jh.s

sind wir zur Zeit noch weit entfernt Zwei Probleme stehen einer hermeneu¬

tischen Deutung entgegen:

1. Über Lebenswelten, Weltansichten und kultursoziologische Erschei¬

nungen der islamischen Welt im 18. Jh.s vor allem in der arabischen Welt

ist nichts bekannt.^

2. Unser Interpretationshorizont verlangt nachgerade nach einer rück-

wärtsorienderten Lesung muslimischer Literaturen des 18. Jh.s. Texte des

19. Jh.s dagegen werden meist schon "vorwärts" interpretiert, das heißt in Richtung auf die Gegenwart.

Imphzit wird damit ein epistomologischer Bruch in den muslimischen

Literaturen der Neuzeit postuliert, der etwa deckungsgleich mit der Wende

vom 18. zum 19. Jh. ist. Konvendonell wird somit die Geschichte des 18.

Jh.s entweder als Prolegommenon zur Modeme oder als Epilog der islami¬

schen Geschichte selbst interpretiert^ Folghch gibt es auch bis heute kein

methodisch abgesichertes entwicklungsgeschichUiches Konzept, das die

Geschichte der muslimischen Literaturen der Neuzeit, also von 1500 bis

heute, beschreibt.'*

FUr die gmndsätzliche Wertung und Bewertung der neuesten islami¬

schen Geschichte übemimmt das 18. Jh. mithin eine SchlUsselfunkdon.

Gelingt es, die Lesbarkeit muslimischer Literaturen des 18. Jh.s "vor¬

wärts" auszurichten und hermeneudsch zu begründen und gleichzeitig in

einen historischen Zusammenhang zu früheren Epochen zu stellen, könn¬

ten der islamischen Moderae auch für den Bereich der Literaturgeschichte

eigenständige Quellen zugeordnet werden.

II

Die hermeneutische Suche nach dem Sinn eines arabischen Textes des

18. Jh.s könnte mit der Frage beginnen, ob in den muslimischen Litera¬

turen jenes Jahrhunderts selbst Hinweise auf ein eigenständiges, von der

2 Das Interesse der Forschung richtet sich ahet inuner deudicher auf dieses verscholle¬

ne Jahrhundert aus, vgl. z.B. DANIEL CRECELIUS (Hrsg.): Eighteenth Century Egypt.

The Arabic Manuscript Sourees. Claremont, Cal. 1990; NEHEMIA LEVTZION —

John O. voll (Hrsg.): Eighteenth-Century Renewal and Reform in Islam. Syracuse,

N.Y. 1987; MICHAIL SERAFIMOVIC MEIER: Osmanskaja imperija v XVIII veke.

Certy strukturnogo krizisa. Mosicau 1991.

3 Siehe dazu auch LEVTZION— VOLL: opMt. (Amn. 2), S. 16.

Literatiu-geschichÜiche Arbeiten zum 18. Jh. sind sehr rar, vgl. USÄMA 'ANÜTl: al- haraka al-adabiyaß biläd aS-Säm hilal al-qarn aj-jämin 'aSar. Beirut 1971; MUHAM¬

MAD SAYYID KAIL/Ni: al-adab al-misriß zill al-hukm al-'utmäni. Kairo 1965.

(3)

'Nur der Moderae konunt voran! " 157

Vergangenheit gelöstes Zeitbewußtsein verborgen ist, das sich in einer

Kridk an den herrschenden kulturellen Verhältnissen äußerte. Solche Aus¬

einandersetzungen um die Wertigkeit von Vergangenheit und Gegenwart

sind der islamischen Geschichte keinesfalls unbekannt. Es sei hier nur an

die Stellungnahmen von Ibn Qutaiba (213/828-276/889) und des abbasi¬

dischen Prinzen 'Abdalläh Ibn al-Mu'tazz (247/861-295/908) zur Wertig¬

keit rhetorischer Figuren erinnert, die auf neue ästhetische Erfahrungen

schließen lassen. Die Sinngebung der Vergangenheit, mithin der idealisier¬

ten Geschichte für die zeitgenössische Idendtät, also der Vorrang der mu-

taqaddiniün vor denmuta'ahhirünheziehungsweise im Religiösen der

"aufrechten Altvorderen" {as-salaf as-sälih) vor den Zeitgenossen {ahi

al-'asr) stand aber grundsätzlich außer Frage; selbst wenn es in der Dich¬

tungstheorie Versuche gab, das, was als neuartig {badi') galt, zu begrün¬

den, heferte die islamische Frühgeschichte hierfür die gewünschte Legiti¬

mation.^

Ich möchte mich im folgenden auf die literarische Kultur in Syrien und

Ägypten in der ersten Hälfte des 18. Jh.s konzentrieren, auf einen Zeitraum

also, der in einer einschlägigen ägyptischen Literaturgeschichte als "litera¬

rische Wüste"6 bezeichnet worden ist.

III

Die Aufbruchstimmung, welche die Literatur des osmanischen Spätba¬

rocks kennzeichnete, fand unter den ägyptischen Literaten des frühen 18.

Jh.s zunächst kaum einen Widerhall. Auf den ersten Blick ist man ver¬

sucht, die Lage der Dichtung in Ägypten mit Aussagen zu interpretieren,

die eigentiich aufdie französische Literatur des selben Zeitraums gemünzt

waren. So war noch zu Beginn dieses Jahrhunderts das Urteil über die

französische Poesie im 18. Jh. vernichtend: "Et d'abord la poesie a dis¬

paru. [... ] Cette partie de notre littcrature est une partie morte."^ Doch so

wie für Frankreich diese Interpretation in den letzten Jahren revidiert wer¬

den konnte, lassen sich auch in der ägyptischen Literatur Erscheinungen

5 kitäb al-badi'. Hrsgg. von I. KRATCHKOVSKY. London 1935 (GMS, n.s. x).

^ J. BRUGMAN; An Introduction to the History of Modern Arabic Literature. Lei¬

den 1984, S. 2 ff

GUSTAVE LANSONS (1857-1934): Histoire de la littcrature frangaise. 11. Aufl., Paris 1909,8.639,641.

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ausmachen, die zu einer Neuinterpretation anregen.^ Die Poesie des ägyp¬

tischen Dichters Hasan al-Badri al-HigäzI (gesL 1131/1719), auf die schon

GOLDZIHER kurz verwiesen hatte,^ ist angefüllt mit harschen Attacken auf

seine zeitgenössische Kultur: Sein tiefer Pessimismus war durch die Erfah¬

rungen des Bürgerkrieges von 1711 geprägt, in deren Vedauf er die Unfä¬

higkeit der Gelehrten feststellen mußte, durch eigenständiges politisches

Handeln die Konfliktparteien zu trennen. So forderte er "seine Brüder"

auf, sich nicht mehr in die Auseinandersetzungen einzumischen:

ahi fatinan kun wa-hdari n-näsa gumlatan II wa-lä taku

magrüra z-zunüni l-kawädib

fa-kam min fatä yurdika zähiru amrihi II wa-fi bätinin yartägu

raugut-ta'älib

"Mein Bruder, sei doch intelligent und hüte dich vor allen

Menschen; // gib dich nicht falschen Illusionen hin! // Gar

manche augenscheinliche Angelegenheit eines Jünglings mag

dich zufriedenstellen; // doch im Innem nähert sich verstohlen die List des Fuchses."

oder: 11

hadäri hadäri min qurbi l-aqärib II fa-hum sillu l-afä 'l wa-l- aqärib II unäsun in ta'ibtafa-yastarihu [...]

ami l-islähu yuslahu min guräbin II ami l-'umränu min yaumi

[bümil] l-ahärib II fa-suhbatu kalbin aklabu agrabu ahtar

"Hüte dich vor der Nähe der Verwandten, // denn sie sind bös¬

artig wie Schlangen und Skorpione, // Leute, die, wenn du dich

plagst, sich einfach ausmhen. [... ] // Kann denn die Reform

gelingen durch einen Raben // oder die Zivilisation gebessert

° "On a bien exhiunö la peinture, la musique du XVIII^ sihdc: poimjuoi pas la poe¬

sie?" in: JAQUES ROGER (Hrsg.): Histoire de la littirature frangaise. Bd. 2. Paris 1970, S. 569.

^ Vgl. seinen Diwan tanbih al-afkär li-n-näfi ' wa-d-därr bzw. igmä ' al-äyäs min al-

wmüq bi-n-näs. (GAL II, S. 360); IGNAZ GOLDZIHER Muhammedanische Studien, l-

II. Halle a.S. 1889, Bd. 2, S. 285; J. HEYWORTH-DUNNE: Arabic Literature in Egypt in the Eighteenth Century with some Referenee to the Poetry and Poets. In: BSOS 9 (1937), S. 675-689, hier S. 681; 'ABDARRAHMÄN AL-ÖABARTl: 'agä'ib al-älär fl t- tarägim wa-l-ahbär. Kairo 1322/1904/5, Bd. 1, S. 78-86 und an anderen Stellen; GIL¬

BERT DELANOUE: Moralistes et politiques musulmans dans VEgypte du XIX^ siäcle.

Kairo 1982, Bd. I, S. 23, Anm. 50.

10 AL-GabARTI: op. cit. (Anm. 9), Bd. 1. S. 79.

11 Ibid.S.Sl.

(5)

'Nur der Modeme kommt voran! " 159

werden durch den Tag [die Eule?] der Ruinen? // Ist dcx:h der

Umgang mit einem Hund hündisch, räudig, gefährlich!"

oder gegen die Mysdker gerichtet:

ihdar üli t-tasbihi wa-s-subhah II wa-s-süfi wa-l-'ukkäyi wa-S-

Samlah II wa-d-dilqi wa-l-ibriqi lä sima

"Hute dich vor den Leuten der Lobpreisung Gottes und des

Rosenkranzes, // der Wolke, der Krücke, des Turbans, // be¬

sonders der Derwischkleider und des Kruges."

Sein Umfeld empfand al-HigäzI als kalt'^

rubba qaslrin fl l-warä lihyatuhü II tüluliä lillähi bilä fä'idah ka'annahä ba 'du layäli S-Sitä II tawllatun mazlümatun bäridah

"Man trifft bisweilen kleine Menschen an, // deren Bärte bei

Gott eine unnütze Länge haben: // so [unnütz] wie diese Win-

temächte, // die lang, dunkel und kalt sind."

Eine Alternative beschreibt al-Higäzi nicht. Zwar greift er, wie oppositio¬

nelle Studenten in Istanbul oder Kairo, die pieüstische Tradition auf, doch

in seinen Versen klingt dies zynisch, denn für ihn gebe es einen wahren

pietistischen Rückzug aus dem Leben nur im Tode.'''

Al-Higäzis Zeitkritik war von Trauer bestimmt. In einem Rückzug in

eine idealisierte Vergangenheit, wie ihn die Pietisten vorschlugen, sah er

keinen Ausweg; doch genausowenig läßt sich in seiner Poesie ein zeitkriti¬

scher Zukunftsbegriff ausmachen. Nach dem Ende des Bürgerkrieges fand

er nur noch pessimistische Worte für das, was er erwartete. Er sehnte sich

nun nach Ruhe, für sich und sein Land. Ruhe war für ihn ein Synonym für

die Zukunft.

Ganz anders war die Grundstimmung in der von der osmanischen Tul¬

penzeit (läle dewi) geprägten syrischen Poesie. Der Optimismus vor allem

12 Ibid., S,S2.

13 Ibid., S. «3.

1 'l Zu den Revolten 1711 und zum Pietismus in Kairo siehe u.a. RUDOLPH PETERS:

The Baule Dervishes of Bab Zuwayla: A Religious Riot in Eighteenth-century Kairo.

In: LEVTZION — VOLL: op. cit. (Anm. 2), S. 93-116; Ahmad ad-Damurdaäl [Ahmad

Kathodä 'Azbän al-Demerdä§i, gest. 1755]: kitäb ad-durra al-musäna ß ahbär al- kinäna. tahqiq 'Abdarrahim 'Aixlarralimäii 'Abdarrahim. Kairo 1989, S. 83 ff., übersetzt:

al-Damurdashi's Chronicle of Egypt, 1688-1755. al-Durra al-musäna ß akhbär al-

Kinäna. Translated and annotated by DANIEL CRECELIUS and 'ABD AL-WAHAB

BAKR. Leiden I99I, S. 148 ff.

(6)

der Damaszener Dichter, die um 'Abdalgani an-Näbulusi einen Dichter¬

kreis gebildet hatten, spiegelte eine andere Lebenshaltung wider. In zahllo¬

sen naturalisdschen Dichtungen und ProsastUcken priesen an-NabulusI

selbstl^, sein Zeitgenosse 'Abdarrahmän b. Ibrähim Ibn 'Abdarrazzäqi^

und vor allem Mustafa b. Hasan as-Sammädl (gest. 1726)''' den Aufbruch

aus der dumpfen, stickigen Stadt, in der nur Dummheit das Sagen Uber die

Wissenschaften und die Literatur hätte, und die Erwanderung der Gärten

und Dörfer im Rahmen ihrer sogenannten "Gartensitzungen" {maglis ar-

riyäd)}^ Alles klingt nach der Beschreibung eines Arkadien der Damas¬

zener Gebildeten, die sich selbst als kulturelle arabische Elite Syriens

verstanden. In ihren sensualistischen Dichtungen verherrlichten sie die be¬

lebte Natur (also Pflanzen und Tiere) und identifizierten sich selbst als Teil

der Natur. 19 Ihre Kridk an den kulturellen Verhältnissen in Syrien war

gleichfalls auf die Jetztzeit oriendert. Und sie meinten sich aus der Fesse¬

lung der Tradition lösen zu können. So dichtete as-Sammädl zu Beginn

eines Lobgedichts:

inna lladina taqaddamü lam yutrakü II ma 'nä bihi

yataqaddamu l-muta'ahhir

qad antagü abkära afkärin lahum II 'uqmu l-ma 'äni milluhä

muta 'addir

"Diejenigen, die (uns) vorausgingen, wurden nicht verlassen; //

das heißt: der Modeme kommt voran. // Sie hatten neueste Ge-

dankenfrüchte^o hervorgebracht; doch haben sie eine // Nutz-

1^ Z.B. in seinem Diwan bürg Bäbil wa-Sadw al-baläbil. [gamrat Bäbil wa-ginä' al- baläbil.] Hrsgg. von AHMED AL-öUNDi. Damaskus 1408/1988.

16 (1075-1138/1664/5-1725/6), Muhammad al-Halll al-Murädl: silk ad-durarß a 'yän al-qarn at-täni 'aSar. 4 Bde. Istanbul: 1-3, Bulaq: 4 1291/1874/5, 1301/1883/4, Bd. 2, S. 366-374; eigendich ein hanfibscher Rechtsgelehrter, der sich at)er an-NäbulusIs naqSbanäiya-YiK\s angeschlossen liatte.

17 Von Beruf Amtsschreiber in Damaskus, vgl. al-Murädi: silk ad-durar, Bd. 4, S.

179-183.

1^ Vgl. an-NabulusI: bürg Bäbil, S. 12: wa-maglisunß r-riyädi murtaß'un ll mun- faridu al-basti fihi mugtami' lt tanfahu min tahtihi hadä'iquhü wa-t-liru yaSdu wa-

nahnu ruistami' "Die Sitzung im Garten steht in hohem Rang, einzig in derEifaeitenmg, wenn man sich darin versammelt; von unten dringt der Duft der (anderen) Gärten, und die Vögel, denen wir lauschen, zwitschern."

19 z.B. an-NäbulusI: bürg Bäbil, S. 212. Diese Sammlung stammt etwa aus der Zeit von 1699-1703.

20 E)er Begriff abkäru aßärin ("neueste Gedankenfrüclite") findet sidi in zahllosen Gedichten des 18. Jh.s und geht auf ein altes Bild zurück, z.B. bei al-Ämidl (gest.

1233), siehe Ejl, "falsafa" (B. CARRA DE VAUX).

(7)

"Nur der Modeme konunt voran! " 161

losigkeit in den Bedeutungen, derengleichen entschuldbar

sind! "21

Um 1730 pries der Damaszener 'Abdallatif al-AtäsI dagegen noch das

alte Dichterideal:

"Da gab es unter den Qasiden [banät al-fikar] eine Mäzenin, // eine Perle, deren sich alle Menschen bedienten ... "22

Diese im Verhältnis zu den Aussagen der Poesie in Ägypten fast idylli¬

schen Sichten machten in den dreißiger Jahren des 18. Jh.s mehr und mehr

einer satirischen Dichtung Platz, in der die Loslösung aus dem traditionel¬

len Zeitbewußtsein noch deudicher wird. Allein schon die aufkommende

syrische und libanesische Dialektdichtung und -prosa (etwa von Abü Si'r

wa-§u'ah- (1138-1207/1715-1793) oder die berühmte Hohfabel des Ma¬

roniten Hananlyya Munayyir az-Züql23, abgesehen von der zeitgleichen

marokkanischen /na//iM«-Dichtung2'*) markiert diesen Zeitbmch.

Der Arzt Mustafa b. Ahmad Päsä at-Tarazi spottete über seine Lands¬

leute:

"Es sind Leute, als ob die Kälte ihr Kalif wäre, // sodaß die

Hecken ihre Blätter vertieren. // Sehen sie eine Münze in der

tiefsten Tiefe // des Meeres, angeln sie sie aus ihrer Tiefe

empor. // Oder wenn sie nach dem zehnten Teil eines Zehntels

eines Gerstenkorns gefragt werden, // geben sie ihren Geist

auf, sollten sie es hergeben ..."25

Von der Kälte sprach auch der 1179/1765 in Istanbul verstorbene

Dichter Mu?tafa b. Muhammad as-Safar|aIäni:26

21 al-Murädl: silk ad-durar, Bd. 4, S. 180.

22 al-Murädi; silk ad-durar, Bd.3, S. 128. Unter den banät al-fikar ist sicherlich eine Qasida zu verstehen. In einem Gedicht von al-Bahlül an-Nahläwi (gest. 1170/1756) in al-Murädi: op. cit., Bd. 2, S. 312, findet sich folgende Zeile: häkahä gädatun tarifa bihä II bintu fikarin Sämiyatin 'arabiyatin ("Da ist sie, eine Tochter syrischer arabi¬

scher Gedanken [= eine arabische, syrische Qasida], durch sie ergrünt ein Zweig."). Sie¬

he auch ibid.: Bd. 4, S. 256, 259, und 'Abdaigam an-Nabulusi: al-haqiqa wa-magäz fi

r-rihla ilä biläd aS-Säm wa-Misr wa-l-Higäz. Hrsgg. von AHMAD'ABDALMAGID

HARlDi. Kairo 1986, S. 87: Ein Saih Mustafa aus Tripolis preist den Autor und sagt:

"hud hädihi binta aflcäri ilaika alat tt targü l-qubüla lahä kafü'an wa-ta 'tadir".

23 Siehe LOIS SaIHÜ AL-'IsÄWT: al-ädäb al-'arabiya fl l-qarn at-täsi' 'aSar. 2 Bde.

2. erw. Aud., Beimt 1924/1926, Bd. 1, S. 35 f

24 SIBYLLE VOCKE: Die marokkanische Malhunpoesie. Wiesbaden 1990.

25 al-Muradl: silk ad-durar, Bd. 4, S. 166 ff, hier S. 176.

26 al-Murädl: silk ad-durar, Bd. 4, S. 217.

(8)

asbaha l-bardu Sadidan fa- 'lami II bäta Zaidun sähiran lam yanami

"Der Kälte wurde groß; so wisse: Zaid verbrachte die Nacht

wachend, konnte er doch nicht schlafen."

Und ein Zeitgenosse dichtete gar

"Ihr Menschen, Gott möge euch nicht segnen, // ihr seid wahr¬

lich die schlechtesten Menschen unter den Geschöpfen, //

durch euch wird die Welt von Gerechdgkeit und Führung

entblößt, // sodaß nur der Verderber und der Sohn eines Ver¬

derbers // übrigbleiben. (...) // Ihr habt die Menschenrechte vergewaltigt und dann // die Seiten dieses Seins mit Verderbnis angefüllt // (...) Möge euch der Blitz treffen."27

Unklar bleibt zunächst, gegen wen sich die Spötter richteten. An-Nabu-

lusi hatte noch, aufgrund seines elitären Anspruchs, seine Kritik besonders

gegen die osmanophilen Gelehrten in Damaskus ausgerichtet, die eine

Sprache sprächen, über die man nur lachen könne, so der aus der Biqä'-

Ebene stammende Dichter Ahmad b. Näsir al-Biqä 'I in seiner Autobiogra-

phie^s, und die in einem Land lebten, von dem der syrische Marktschrei¬

ber Ahmad b. Husain al-Kaiwänl, ein Spezialist für kryptische Dichtung,

sagte: 29

"Wir gingen in ein Land, in dem es // nichts als dahinquellen- den Unrat gab, der sich nicht auflöste ..."

2' Ibid. Murädl fügt an, daß solche Dichtungen mit äußerster Vorsicht zu genießen sei¬

en.

2^ Er hatte noch at-Tara2i gut gekaimt, war längere Zeit in Istanbul gewesen.

29 Gest. 1773/1760. Er gehörte der alten Kaiwäniya-Militärfrakbon an, die von dem 1033/1623/4 getöteten ehemaligen Malmluken Kaiwän b. 'Alniallah gegründet worden war. Al-Kaiwänl hatte in Kairo studiert, war mit seinem Freimd Mollä Sämi 'Ulmän nach Istanbul gegangen imd war daim nach dessen Ermordung nach Damaskus zurückge¬

kehrt, siehe ibid., Bd. 1, S. 97. Diwän, gedr. Damaskus: al-Hifniya 1301/1883. Ein Bei¬

spiel für seine kryptische Dichtimg ist: 'adalü fa-mä fulimat bi-him duwal I sa 'adü fa¬

ma zallat bi-him qadam ("Sie waren gerecht, durch sie nahm kein Staat Schaden. Sie waren erfolgreich, kein Fuß glitt ihretwegen aus.") Rückwärtsgelesen ergibt dies: duwa- lun bi-him zulimat fa-ma 'adalü I qadamun bi-him zallat fa-mä sa'adü ("Ein Fuß glitt ihretwegen aus, denn sie waren glücklos. Staaten nahmen durch sie Schaden, detm sie waren ungerecht.") Zit. hti 'Anüti: al-haraka, S. 74.

(9)

"Nur der Modeme kommt voran! " 163

At-Tarazi dagegen scheint sich auch gegen die Gelehrtenkultur über¬

haupt gewehrt zu haben. Als Sohn eines Obersten der Yirliya in Damaskus

hatte er schon früh mit seiner Familie gebrochen, als sein älterer Bruder

den umfangreichen Besitz des Vaters veräußerte, ohne von den Einkünften

etwas abzutreten. Die negative Familienkritik in at-Tarazis Dichtung deutet

darauf hin, daß er von der Familie, obwohl Arzt von Beruf, als Poet nicht

anerkannt worden war und nun seinerseits die Familie mit den Verhältnis¬

sen im Lande gleichsetzte.

Zeitkritik wurde auch von syrischen Gelehrten geäußert, die sich ihre

Stellung an den Hochschulen zunutze machten, um eine Öffendichkeit für

ihr wachsendes Selbstbewußtsein in der Gesellschaft herzustellen. Ein

promonenter Dichter war der Literaturwissenschaftler Abü n-Na|äh Ah¬

mad b. 'Ali al-Manini aus Tripolis^o, der vor allem auch als Mäzen jün¬

gerer Poeten auftrat. Zu diesen gehörte insbesondere Ahmad b. Ilyäs al-

Kurdi (um 1689-1756)31, (jej- einer der syrischen Dichter war, die um

1740 nach Kairo gegangen waren, um dort am Hof des osmanischen Walis

und Gönners Mehmed Rägib Päää zu arbeiten. In dem Briefwechsel

zwischen al-Kurdi und seinem Gönner al-Manirü wird die betrübliche Lage

der Poeten im Damaskus der vierziger Jahre deuthch. Solange im Rahmen

des osmanischen Spätbarocks der Tulpenzeit freie literarische Tätigkeit

möglich war, konnten sich Dichter wie an-Nabulusi als Kosmopoliten

darstellen, hatte dieser doch noch behaupten können:

"Ich! Durch mich geraten die Herzen in Verwirrung, // sie

kennen meinen Ursprung nicht mehr. // Denn ich bin Syrer

wie Inder, Osmane wie Sizilianer!"32

Mit dem Beginn der Restaurationszeit in Istanbul in den vierziger

Jahren aber büßten auch in Damaskus die Literaten ihre Freiheiten wieder

ein, was sie wiederum in die schon genannte satirische Grundstimung trieb,

30 (1089-1172 / 1678-1759) al-Murädl: silk ad-durar, Bd. 1, S. 133-145. Professor an der Umayyaden-Hochschule in Damaskus, soll auch ein la'rih ad-daula al-'utmäniya veri"aßt haben, so MUmMMADKURHS 'AWWÄD in: Sumer 13 (1958) , S. 48, Ms. Au¬

tograph im Museum Baghdad. Nicht in GOW Nr. 265 (dort zu seinen anderen histo¬

rischen Schriften) verzeichnet.

31 al-Murädl: silk ad-durar, Bd. 1, S. 82-96. Sein Vater war aus Sahr-i Zot nach an-

Nabak gekommen. Al-Kurdl floh aus Damaskus, nachdem man ihn wegen Schmuggels

vor Gericht stellen wollte.

32 In seinem diwän ad-dawäwin, Bd. 2. Bulaq 1270 (1853/4). S. 23-25.

(10)

aber auch zu neuem Selbstbewußtsein anregte. So dichtete Tsäm b.

' Abdalmu'tl aI-Faläqansi:33

unsifu l-mazlüma wa-ar'l haqqahü II inna nisf a n-näsi

a'dä'un li-man II waliy a l-ahkäma hadä in 'adal.

"Ich diene den Unterdrtickten und schütze sein Recht, // denn

die Hälfte des Volkes ist Feind desjenigen, // der herrscht,

selbst wenn dieser gerecht ist."

In Kairo dagegen hatte sich seit etwa 1740 eine neue Dichtungskultur

herausgebildet, die nicht mehr in der Tradition von al-HigäzIs pessimisti¬

scher Misanthropic stand. Aufgrund des Mäzenatentums vor allem der

mamlukischen Beys Ridwän al-öalfi und 'AU b. 'Abdallah konnte der

Kairiner Dichter 'Abdalläh b. 'Abdallah al-Idkäwi^^ einen neuen Dich¬

terzirkel gründen, dem sich auch syrische Dichter anschlössen. Dieser

Dichterkreis kann als Ausdruck eines überpointierten arabischen Manie¬

rismus, ja eines arabischen Rokkoko angesehen werden; das einzig gültige

Dichtungstheorem war das Spiel: al-ldkäwl war es, der die verspielte for¬

malistische Dichtung in Kairo populär machte, zum Entsetzen so macher

Dichter und Wissenschafder. Diese reagierten auf die formalistische Ten¬

denz mit heftigen Fehden, die vor allem von dem in Damaskus lebenden,

aus Ägypten stammenden Literaten und Reisenden Muhammad Sa'id b.

Muhammad as-Sammän^^ geführt wurde. Man verlangte nach neuen,

nüchtemen poetischen Formen: So sollte das Prinzip des bodl' unbedingt

eingehalten werden, doch müßte man sich dabei einer verständlichen

Sprache bedienen und sich mit klaren Aussagen begnügen. Andernfalls

bestünde die Gefahr, durch die Bindung an das Wohlwollen der Mäzene

die persönliche Freiheit zu verlieren, wie es der aus dem Sudan stammende

33 Gest. 1170/1757, al-Murädi: silk ad-durar, Bd. 2, S. 236. Möglicherweise handelt es sich hierbei um eine Anspielung auf die ar-risäla al-'ädiliya des Theoretikers Mu¬

hammad Säiiqlizädeh, gest. 1154/1741, der noch hä an-Näbulusi gehört hatte. In dieser Schrift disputiert er die Frage, ob es rechtens sei, einen Sultan übeiiiaupt "gerecht" zu nennen. Diese Schrift stammt aus dem Jahr 172 1 [AHLWART: Beriin 2155].

34 (1104-1184 / 1692-1770), aus Idkü. Raäid, studierte in Kairo. Siehe auch HEY¬

WORTH-DUNNE: op. cit. (Anm. 9), S. 683; AL-ÖABARTl: op. ««.(Anm. 9), Bd. 1. S.

352-363.

35 (1118-1183 / 1706-1769, nach AL-ÖABARTl: op. cit. (Anm. 9), Bd. 1, S. 251 gest.

1 173/1760), wirkte an der 1743 neu erbauten madrasa des Fatl^alläh ad-Daftari; Musik¬

theoretiker. Er wollte Mul^ibbls Biographenwerk fortsetzen, führte aber seine Arbeit nicht zu Ende, stellte Murädl sehr viel Material zur Verfügung; al-Muradi: silk ad-du¬

rar, Bd. 2, S. 141-149.

(11)

'Nur der Modeme kommt voran! " 165

Dichter Muhammad b. Muhammad ad-Danrankawi (gest. 1154/ 1741)

schon befürchtet hatte:^^

"Ich suchte nach einem Platz im Leben, // aber ich sah auf der

Erde keinen Aufenthaltsort; // so folgte ich meinen Genüssen,

die mich bald versklavten, // und wenn ich mich begnügt hätte,

dann wäre ich frei gewesen."

In den Aussagen ad-DanrankawIs khngt schon die neue bürgerliche

Identität ägyptischer Eliten an, die sich um die Mitte des 18. Jh.s herausbil¬

dete. Die Dichtung dieser auläd al-balad, also der Landeskinder der ad-

daula al-misriya, wie Ägypten jetzt geme genannt wurde, folgte nicht mehr

den Vorgaben des höfischen Rokkoko, sondem suchte Anschluß an die

hterarische Entwicklung in Istanbul zu halten. Der osmanische Wali Meh¬

med Rägib (III 1-1176/1699-1763), der mit seiner Antologie arabischer

und osmanischer Dichtung des 18. Jh.s safinat ar-rägib wa-dafinat at-

fälilß^ ein wichtiges Zeitdokument hinterließ, spielte hierbei sicherhch eine

wichdge Rolle. Die mamlukischen Beys hingegen, die sich mehr und mehr

als Aristokratie der ad-daula al-misriya verstanden, behielten zunächst die

Rokkoko-Kultur bei, auch wenn man, wie der Bey 'Ali b. 'Abdallah Päsä,

keine Scheu zeigte, die osmanische Staatslegitimität vehement anzugrei-

fen.38 Die entsprechende ägyptische Rokkoko-Dichtung, die auch an der

Azhar noch vertreten wurde - vor allem von dem damaligen Rektor der

Azhar, 'AbdaUäh b. Muhammad aS-Subräwi^^ wurde zwar noch weiter¬

geführt, die Poesie der neuen ägyptischen IntellektueUen (ülü al-fikar) aber

konnte seit etwa 1760 größere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die neue

Dichtungstradition fand auch in Syrien nach 1760 Anhänger. Die Salon-

Dichtung war nun nicht mehr auf das Mäzenatentum der Aristokraten

angewiesen, sondem konnte sich im Umfeld der bürgeriichen Kultur frei

entfalten.

36 Teil einer Autobiographie in AL-ÖABARTt: op. cit. (Amn. 9), Bd. 1, S. 164 ff. Er war eng mit Hasan al-öabarti verbunden, in dessen Haus er auch staib.

37 Gedrackt Bulaq 1252, 1253,1255 (1836-40). Siehe GOW Nr. 263.

38 Siehe REINHARD SCHULZE Das islamische achtzehnte Jahrhundert. Versuch ei¬

ner historiographischen Kritik In: WI 30 (1990), S. 140-159, hier S. 153, Anm. 25.

39 (1091-1171 / 1680-1757), seit 1724 Rektor des Azhar. ein ausgesprochener Tradi¬

tionalist, schrieb neben seinem diwän einen Fürstenspiegel und zahllose historisch-reli¬

giöse Schriften; selbst Muhammad b. Isma'il Sihäb ad-Din kam nicht daran vorbei, ihn in seiner Antologie safinat al-mulk wa-nafisat al-fulk (gedr. u.a. Steindrack Kairo 9.2.1281 [14.7.1864]) zu ziüeren; siehe al-Murädi: silk ad-durar, Bd.3, S. 107; AL-ÖA-

BARTi: op. cit. (Anm. 9), Bd. 1, S. 208; HEYWORTH-DUNNE op. cit. (Anm. 9), S.

681.

(12)

Damit war der Zeitbruch und die Öffnung neuer Zeithorizonte gegeben.

Die Wertigkeit der Zeit, des Zeitgenössischen, lag nicht mehr in der idea¬

lisierten Vergangenheit, sondem in Gegenwart und Zukunft Als Ausdmck

der Selbstvergewissemng wurde nun auch der Begriff taqaddum philoso¬

phisch neu interpredert:*^ taqaddum bedeutete nun die Hinwendung zu

Zukünfdgem bei gleichzeidger Achtung des Zeiddeals. "Nur der Modeme

kommt voran": Dies sollte auch die Idendtät der ägyptischen und syri¬

schen Intellektuellen nach 1750 sein.

40 So zum Beispiel Alimad as-Si|ä'I (gest. 1190/1777, siehe AL-ÖABARTi: op. cit.

(Anm. 9), Bd. 2, S. 3) in seinen maqülät, gedruckt mit einem Kommentar von Hasan al- 'Attär. Kairo 1321 (1903/4).

(13)

Ein Bild vom anderen: Berlin in arabischen

Reisebeschreibungen des 19. Jahrhunderts

Von Gerhard HÖPP, Berlin

Die Wahl diese Themas geht nicht auf Lokalpatriotismus, sondern auf

drei sachliche Gesichtspunkte zurück:

Erstens auf die weiter hinausgreifende Vermutung, daß die konflik¬

treichen Beziehungen zwischen Okzident und Orient, zwischen Nord und

Süd, entwickelten und unterentwickelten Gesellschaften und Ländem un¬

ter anderem durch das Fehlen eines hinreichend zuverlässigen Bildes vom

anderen gekennzeichnet sind. Das betrifft gewiß beide Seiten, wenngleich

in unterschiedlichem Ausmaß, mit abweichenden Gründen und unglei¬

chem Effekt und schließt einen besonderen, sehr wenig beachteten Aspekt

ein: die weitgehende Unkenntnis dessen nämlich, was der andere vom

anderen weiß, denkt und hält. Durch diese aufklärerische Attitüde soll das

überaus komplexe Beziehungsgeflecht zwischen beiden Seiten keineswegs

versimpelt werden. Doch gerade jüngste Erfahrungen scheinen mit

Nachdmck auf dieses zwiefache Manko zu verweisen.

Zweiten s auf die von vielen geteilte Beobachtung, daß Reiseliteratur

zwar längst auch als historische Quelle des Wissens vom anderen erkannt

und genutzt wird, daß dessen Vermittlung allerdings fast ausschließlich

auf Einbahnstraßen verläuft: Was den Norden betrifft, so dominiert sicht¬

bar sowohl auf dem Buchmarkt als auch in der auswertenden Forschung

die eigene, europäische Sicht auf den Orient, die durch ihre unvermeid¬

liche Subjektivität zu jener "Selbstdefinition des modernen Okzidents"

beitrug und wohl noch beiträgt, von der REINHARD SCHULZE sprach.'

Orientalische Beschreibungen Europas - gleichsam Ersatz für eine (noch)

fehlende oder Element für eine sich entwickelnde "Okzidentalistik" des

Südens^ - werden indessen kaum gesichtet oder erwähnt. Zu den wenigen

gehören die des Inders MIRZA Abu Taleb^, des Ägypters RIFÄ'A AT-

' Vgl. R. SCHULZE: Weil sie ganz anders sind. Alte Klischees verstellen uns den Blick auf einen Orient im Aufbruch. In: Die Zeit. Hamburg, 1. März 1991.

2 Zu diesem Bestreben vgl. H. HANAFI: Muqaddimaß'ilm al-istigräb. Kairo 1991.

3 M. ABU TALEB: Reisen in Asien, Afrika urui Europa. Leipzig 1987.

Cornelia Wunsch (Hrsg.): XXV. Deutscher Orientalistentag, Vorträge, München 8.-13.4.1991

(ZDMG-Suppl. 10). - © 1994 Franz Steiner Vedag Stuttgart

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