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Archiv "Hirnkreislaufstörungen unter Einnahme gestodenhaltiger hormonaler oraler Kontrazeptiva – Kausalität oder Koinzidenz?" (19.09.1991)

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Niedrig dosierte

Ovulationshemmer und Thromboembolie-Risiko

Meinert Breckwoldt und Herbert Kuhl

chlaganfälle, tiefe Beinve- nenthrombosen und Lun- genembolien sind Erkran- kungen, die — allerdings sehr selten — auch bei jungen Frauen auftreten können. Es ist bekannt, daß orale Kontrazeptiva das Risiko dieser Erkrankungen erhöhen kön- nen, wobei in erster Linie die Dosis des Ethinylestradiols eine Rolle spie- len dürfte (1-7). Jedoch kann auch die Gestagenkomponente in Abhän- gigkeit von ihrer Wirkungsstärke das Risiko, insbesondere bei zerebros- vaskulären Erkrankungen, verstär- ken (8, 9). Man kann aber davon aus- gehen, daß weitere Faktoren an der Auslösung solcher Komplikationen mitbeteiligt sind, die jedoch nicht im- mer offensichtlich sein müssen.

Die erhöhte Zahl von Meldun- gen thromboembolischer Erkran- kungen, die dem Bundesgesund- heitsamt im ersten Jahr nach der Einführung gestodenhaltiger Ovula- tionshemmer gemeldet worden sind, veranlaßten das BGA im Februar 1989 zu dem Aufruf, alle unter der Behandlung mit gestodenhaltigen Präparaten aufgetretenen Komplika- tionen zu melden. Im März 1989 wurde ein Stufenplanverfahren ge- mäß § 63 AMG für alle ethinylestra- diolhaltigen oralen Kontrazeptiva eingeleitet. Im gleichen Monat bat auch die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft alle Kol- leginnen und Kollegen, Beobachtun- gen über thromboembolische Kom- plikationen mitzuteilen, unabhängig von der Art des verwendeten Präpa- rats. Diese Aufrufe und die in der Folgezeit eingegangene große Zahl

der

Meldungen von Schlaganfällen, tiefen Venenthrombosen und Lun- genembolien haben Unruhe und Be- sorgnis ausgelöst und zu einer allge-

meinen Verunsicherung geführt.

Auffallend ist dabei der relativ hohe Anteil der gemeldeten zerebrovasku- lären Erkrankungen.

Da das Meldeverhalten in ho- hem Maße von äußeren Einflüssen (zum Beispiel Pressemitteilungen) abhängig ist und weniger als zehn Prozent der tatsächlich aufgetrete- nen Fälle — auch bei starkem öffent- lichen Interesse (1, 4) — gemeldet werden, sind die auf Spontanmel- dungen basierenden Häufigkeitsan- gaben mit einem hohen Unsicher- heitsfaktor belastet. Aus diesem Grund ist es notwendig, in einem de- finierten und ausreichend großen Bereich der Bundesrepublik Deutschland alle seit dem Jahre 1988 aufgetretenen vaskulären Kom- plikationen lückenlos zu erfassen, um fundierte Daten über das relative Risiko möglichst aller Ovulations- hemmer zu erhalten. Aus prakti- schen Gründen (zum Beispiel Dia- gnose) sollte diese Erfassung auf ze- rebrale Insulte beschränkt werden und die Daten in allen für die klini- sche Behandlung in Frage kommen- den Kliniken erhoben werden.

Solange der Verdacht eines er- höhten Risikos gestodenhaltiger Ovulationshemmer nicht durch eine sorgfältige Bestandsaufnahme aus- geräumt ist, sollten diese Präparate, aber auch alle anderen Ovulations- hemmer nur unter strikter Beach- tung möglicher Risikofaktoren, ins- besondere durch Einbeziehung einer sorgfältig durchgeführten Familien- anamnese, und nach entsprechender Aufklärung der Anwenderinnen ver- ordnet werden. Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, daß die bisheri- ge Soll-Bestimmung zur Meldung von unerwünschten Arzneimittelwir- kungen in der Berufsordnung in eine Verpflichtung umgewandelt worden ist: „Der Arzt ist verpflichtet, ihm aus seiner Verordnungstätigkeit be- kannt werdende unerwünschte Arz-

neimittelwirkungen der Arzneimit- telkommission der deutschen Ärzte- schaft mitzuteilen" (§ 24 Absatz 7).

Die Mechanismen, über die ora- le Kontrazeptiva an der Entstehung von vaskulären Komplikationen be- teiligt sind, sind noch nicht geklärt.

Daraus den Schluß abzuleiten, daß orale Kontrazeptive harmlos sind und die Hämostase nicht beeinflus- sen, ist unzulässig und nicht vertret- bar. Es gibt Hinweise auf mögliche direkte Interaktionen zwischen Se- xualsteroiden und Gerinnungsinhibi- toren (10), deren Bedeutung jedoch nicht geklärt ist und nur durch Un- tersuchungen mit unverdünntem Plasma oder Serum überprüft wer- den kann (11-15).

Im Benehmen mit der Kommission Hor- montoxikologie der Deutschen Gesell- schaft für Endokrinologie

Literatur

1. Inman, W. H. W. et al.: Brit. Med. J. I.

(1970) 203-209

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9. Kap: Am. J. Obstet. Gynecol. 142 (1982) 762-765

10. Nagasawa et al.: Thrombos. Haemostas. 47 (1982) 157-161

11. von Kaulla & von Kaulla: Am. J. Clin. Pa- thol. 48 (1967) 69-80

12. von Kaulla et al.: Am. J. Obstet. Gynecol.

122 (1975) 688-692

13. Conard et al.: Thrombos. Haemostas. 49 (1983) 245

14. Wessler et al.: J. Am. Med. Ass. 236 (1976) 2179-2182

15. Gitel et al.: Haemostasis 7 (1978) 10-18 Anschriften der Verfasser

Prof. Dr. med. Meinert Breckwoldt Direktor der Abteilung Frauen- heilkunde und Geburtshilfe III Klinikum der Albert-Ludwigs- Universität Freiburg

Hugstetterstraße 55 W-7800 Freiburg i. Br.

Prof. Dr. phil. nat. Herbert Kuhl

Abteilung Gynäkologische

Endokrinologie der Johann Wolfgang Goethe-Universität Theodor-Stern-Kai 7

W-6000 Frankfurt am Main

Dt. Ärztebl. 88, Heft 38, 19. September 1991 (49) A-3105

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Hirnkreislaufstörungen

unter Einnahme gestodenhaltiger hormonaler oraler Kontrazeptiva

Kausalität oder Koinzidenz?

Eine kritische klinische Wertung

Hermann-Josef König

D

as Bundesgesundheits- amt veröffentlichte im Februar 1989 eine Arz- neimittel-Schnellinfor- mation, in der die Ärz- teschaft aufgefordert wurde, throm- boembolische Komplikationen unter Einnahme gestodenhaltiger oraler hormonaler Kontrazeptiva beson- ders zu beachten. Grundlage dieses Hinweises waren Befunde von H.

Kuhl et al. (1988), die nach länger dauernder Einnahme von 0,075 mg Gestoden einen Anstieg von Ethi- nylestradiol im Serum beobachtet hatten.

Hohe Östrogenspiegel werden seit längerem für das Zustandekom- men thromboembolischer Komplika- tionen verantwortlich gemacht. In der Januar-Ausgabe des „Bundesge- sundheitsblattes" 1990 wurde erneut auf die Möglichkeit schwerwiegen- der Nebenwirkungen oraler Kontra- zeptiva mit dem Inhaltsstoff Gesto- den hingewiesen.

Verschiedenen Pressemitteilun- gen war insbesondere der Hinweis auf lebensbedrohliche Gefäßschä- den im Hirnkreislauf unter Einnah- me von Femovan® (Firma Schering AG) und Minulet® (Firma Wyeth Pharma) zu entnehmen.

Unter den Bedingungen einer somit gerichteten Aufmerksamkeit kam es zu einer steigenden Zahl von Verdachtsmeldungen thromboembo- lischer Komplikationen. Im Hinblick auf vermutete unerwünschte Arznei- mittelwirkungen wurden die Ver- dachtsfälle einer klinischen Analyse unterzogen.

Material und Methode

Innerhalb von 23 Monaten (Fe- bruar 1989 bis zum 31. Dezember

1990) informierten die Erfassungs- stellen für unerwünschte Arzneimit- telwirkungen (Bundesgesundheits- amt, Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft) die Herstel- lerfirmen über 61 Verdachtsfallmel- dungen zerebrovaskulärer Störun- gen. 52 Meldungen bezogen sich auf das Präparat Femovan® und neun auf das Präparat Minulet®. Melde- protokolle und Zusatzinformationen (Arztbriefe, neuroradiologische Be- funde) wurden, soweit verfügbar, sei- tens der Herstellerfirmen anonymi- siert zur Stellungnahme vorgelegt.

Die Meldefälle entstammen al- len Altersstufen des fertilen Alters mit einem Maximum im dritten Le- bensjahrzehnt. 26 Prozent der Frau- en sind älter als 35 und 16 Prozent älter als 40 Jahre (Abbildung 1).

Die Einnahmedauer bis zum Auftreten der gemeldeten zerebro- vaskulären Störungen lag zwischen zwei Tagen und dreieinhalb Jahren (Abbildung 2). In einem Fall trat die Störung auf, nachdem das Präparat bereits zwei Monate abgesetzt war.

Pathogenetische Unterschiede anhand der Meldeunterlagen

Das Studium der Meldeproto- kolle läßt in 22 Fällen (36 Prozent) klinische Bilder erkennen, die im

Rahmen bekannter neuropathophy- siologischer Kausalketten bei Män- nern und Frauen geläufig und nicht ungewöhnlich sind. Es handelte sich hierbei viermal um Hirnvenen- und Sinusthrombosen, von denen sich zwei auf dem Boden einer chroni- schen rezidivierenden und exazer- bierten Sinusitis beziehungsweise ei- nes sinupulmonalen Syndroms ent- wickelt hatten, eine nach operativem Eingriff an der Schädelbasis (Chole- steatom-Operation) entstanden war und eine weitere sich als Folge eines embolisch bedingten Hirninfarktes bei Mitralklappenprolaps und ödem- bedingter Abflußstörung entwickelt hatte. In neun weiteren Fällen wur- den kardiale Begleiterkrankungen mitgeteilt; so zweimal ein offenes Foramen ovale, fünfmal ein Mi- tralklapp enfehler und zweimal Rhythmusstörungen. Kardiogene Thrombenbildung als Ursache einer zerebralen Embolie muß in diesen Fällen in Erwägung gezogen werden.

Ausreichend dokumentiert sind drei anämische Infarkte auf dem Bo- den anlagebedingter Gefäßmalfor- mationen. So lag einem Karotisver- schluß eine ausgeprägte Knickbil- dung (Kinking), einer Basilaris- thrombose eine ausgeprägte verte- brobasiläre Fehlbildung und einem Posteriorverschluß eine fibromusku- läre Dysplasie zugrunde. Bei zwei Fällen mit intrazerebralen Hämato- Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie (Direktor: Professor Dr. med. Wendelin Walter), Westfälische Wilhelms-Universi- tät Münster

von 61 Verdachtsfallmeldungen

(3)

Lebensalter 15-19

20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-55

Minulet

Femovan

, A A

4 6 8 10 12 14 16

1

16

14

12 10

8 6 4 2 0 2

.01

men und einem Fall mit thrombo- tisch bedingtem Hirninfarkt ließ sich den Melde- beziehungsweise Be- gleitunterlagen ein vorbestehender, medikamentös behandlungsbedürfti- ger Hypertonus entnehmen. Zwei transitorische ischämische Attacken (TIA) und ein apoplektischer Insult wurden als vermutete Kontrazeptiva- wirkung bei Frauen mit behand- lungsbedürftigen Fettstoffwechsel- störungen (Hypercholesterinämie) angegeben.

In drei Fällen wurden transitori- sche neurologische Defizite bei Frauen mit vorbestehender Migräne mitgeteilt. In zwei Fällen waren be- reits mehrere Kopfschmerzanfälle mit transitorischem neurologischem Defizit vorausgegangen (Migraine accompagn6e). Ebenso wurden drei Fälle von Hörstürzen mit transitori- scher Symptomatik in einen vermu- teten ätiologischen Zusammenhang mit der oralen Kontrazeption ge- bracht. Im Spektrum der Spontan- meldungen finden sich darüber hin- aus zwei venöse und eine arterielle Netzhautgefäß erkrankung.

Unter den dem Bundesgesund- heitsamt oder der Arzneimittelkom- mission der deutschen Ärzteschaft gemeldeten Verdachtsfällen finden sich elf anämische Infarkte, zwei transitorische ischämische Attacken und ein hämorrhagischer Infarkt, bei denen sich pathogenetische Zusam- menhänge aus den vorliegenden In- formationen nicht eruieren lassen.

Immerhin weisen jedoch zehn dieser Fälle bekannte thromboemboliebe- günstigende Risikofaktoren wie Ni- kotinabusus, Adipositas, Lebensalter über 35, multiple Hämangiome, flo- ride Infekte, Zustand nach Entbin- dung, Zustand nach Gestose oder Struma auf. Bei diesen Fällen ist die Beurteilung auch insofern einge- schränkt, als nur vier anämische und ein hämorrhagischer Infarkt compu- tertomographisch gesichert wurden.

In den übrigen Fällen lagen keine Mitteilungen über Art und Umfang der bildgebenden Diagnostik vor.

Sechzehn Fälle entziehen sich der Stellungnahme deshalb, weil we- der die Treffsicherheit der Diagnose aufgrund fehlender Angaben über die neuroradiologische Dokumenta- tion noch Hinweise auf thromboem-

Abbildung 1: Verdachtsmeldungen über zerebrovaskuläre Störungen unter Femo- van® und Minulet® - Altersverteilung -

e

boliebegünstigende Grunderkran- kungen mitgeteilt werden. Gemeldet wurden: vier Hemiparesen, eine sen- somotorische Armparese, ein apo- plektischer Insult, ein Thalamusin- farkt und zwei Media-Infarkte. Die- se Meldeprotokolle erfüllen nicht die an eine Verdachtsmeldungen zu stellenden Ansprüche ärztlicher Sorgfalt, da die Angaben möglicher- weise Verdachtsdiagnosen sind oder nur Symptomschilderungen entspre- chen. Noch bedauerlicher ist jedoch, daß in manchen Fällen lückenhafter Mitteilungen im Meldeprotokoll auch auf Bitten um weitere Informa- tionen nur in Ausnahmefällen eine Kooperation zustande kam. Dieser Umstand ist deshalb so unverständ- lich, als im Interesse der betroffenen Frauen alle Beteiligten an einer sachlichen Aufklärung bisher unge- klärter Zusammenhänge interessiert sein sollten. Vier Meldungen müssen in diesem Sinne nach Form und In- halt als völlig inakzeptabel abgelehnt werden. So wurden ohne Zusatzin- formationen folgende Diagnosen im Meldeprotokoll mitgeteilt: „Hirnem- bolie", „Benommenheit und Koordi- nationsstörungen", „zerebrovaskulä- re Störung", „Hirnschlag". Letztere Diagnose wurde von einem Notarzt gestellt, der zu einer 36jährigen Frau

gerufen wurde, die tot aufgefunden worden war. Eine Autopsie erfolgte nicht. Nachträglich wurde bekannt, daß die Patientin die Abklärung ei- nes seit zweieinhalb Jahren beste- henden Anfallsleidens im Sinne von Absencen abgelehnt hatte. Eine Übersicht aller gemeldeten Fälle ist in der Tabelle dargestellt.

Diskussion

Hirnvenen- und Sinusthrombo- sen im Zusammenhang mit dem Wo- chenbett waren bekannt, lange bevor orale Kontrazeptiva zur Verfügung standen. Nach deren Markteinfüh- rung lag die Annahme nahe, daß in Analogie derartige Störungen auch unter Einnahme hormonaler Kon- trazeptiva eintreten könnten. Kasui- stische Mitteilungen bereits in den 60er Jahren bestätigten diesen Ver- dacht. Wenngleich das Thromboseri- siko oraler Kontrazeptiva rasch zum allgemeinen Lehrbuchwissen wurde, blieb der Zusammenhang in Fach- kreisen umstritten. So sahen bereits Goodman und Gilman in „The phar- macological basis of therapeutics"

(2) eine Assoziation zwischen der Einnahme von Kontrazeptiva und thromboembolischen Komplikatio- nen. Aufgrund von Fall-Kontroll- und Kohortenstudien (Royal College of General Practitioners, Oxford Family Planning Association, Wal- A-3108 (52) Dt. Ärztebl. 88, Heft 38, 19. September 1991

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nut Creek, Boston Collaborative) aus Großbritannien und den USA schlossen Longstreth und Swanson (1984 [7]), daß der Gebrauch oraler Kontrazeptiva das zerebrale Insultri- siko erhöht, insbesondere dann, wenn die Frauen älter als 35 Jahre sind und noch zusätzliche Risikofak- toren vorliegen.

In den genannten Studien wurde eine große Vielfalt sehr unterschied- licher zerebrovaskulärer Störungen ohne den heute verfügbaren Stan- dard bildgebender Dokumentation und damit diagnostischer Treffsi- cherheit erfaßt. So wurden spontane intrazerebrale Blutungen und Sub- arachnoidalblutungen in ursächli- chen Zusammenhang mit der Ein- nahme oraler Kontrazeptiva ge- bracht. Bereits im up-date der Ox- ford Family Planning Association Contraceptive Study konnten die Autoren Vessey, Lawless und Yeates 1984 (8) korrekterweise schließen, daß zwar Hochdruck und Nikotinab- usus als Risikofaktoren für intrazer- ebrale Blutungen gelten können, die Einnahme oraler Kon trazeptiva je- doch nur eine geringe Risikoassozia- tion zum Auftreten subarachnoi- daler Blutungen erkennen läßt.

Im Spektrum der jetzt vorliegen- den Meldefälle finden sich wiederum zwei spontane intrazerebrale Blutun- gen auf dem Boden einer über viele Jahre bestehenden Hypertonie.

Die Analyse der Meldeprotokol- le läßt erkennen, daß, je sorgfältiger die neuroradiologische und allgemei- ne diagnostische Abklärung im Ein- zelfall erfolgte, um so häufiger schwerwiegende thromboemboliebe- günstigende Risikofaktoren entdeckt wurden. Aus neuromedizinischer Sicht ergeben sich dabei bekannte Kausalketten und klinische Bilder, die im allgemeinen neurologischen und neurochirurgischen Krankengut bei Männern und Frauen im fertilen Alter geläufig und nicht ungewöhn- lich sind. So ist die Entwicklung von Hirnvenen- oder Sinusthrombosen auf dem Boden entzündlicher tumo- röser oder hämodynamischer Er- krankungen ebenso geläufig wie zer- ebrale Embolien bei Herzklappen- fehlern, offenem Foramen ovale oder Rhythmusstörungen. Ebenso sind auch im jungen Erwachsenenal-

Einnahmedauer vor Eintritt der zerebrovaskulären Störungen

Tage (4,9) Wochen (2,4)

Monate

~

4

5

6 7 8 ,9 10 11

12

13 14 15

16

17

18 19

,. 20 21'

22 23 24 25 26 27 28

'.\ '29

--

••

• -- •

- --

- --

-- -- - -

~Minulet Femovan

30~!!!~~~~w~wj

7 6 5 4 3 2 1 0 1 2 3 4 5 6 7

Abbildung 2: Unerwünschte Arzneimittelwir- kungen unter Femovan® (n = 47) und Minu- let® (n = 7) - Einnahmedauer -

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ter arterielle zerebrale Thrombosen auf dem Boden angeborener Gefäß- maiformationen (zum Beispiel fibro- muskuläre Dysplasie) -nicht unge- wöhnlich. Wachsende Kenntnisse über die Ursachen zerebrovaskulärer Störungen, auch in jüngeren Lebens- abschnitten, tragen zur Aufdeckung bisher wenig beachteter und bekann- ter Grunderkrankungen bei.

In diesem Zusammenhang sei angesichts von fünf Verdachtsfall- meldungen das Mitralklappenpro- lapssyndrom besonders erwähnt. Auf seine Vergesellschaftung mit supra- ventrikulärer Tachykardie wies be- reits Elam (1986 [1]) hin. Nach Wer- dan und Müller (9) ist der Mitral- klappenprolaps bei 6 bis 18 Prozent der unter 40 Jahre alten'Frauen und bei 0,5 Prozent der Männer sonogra- phisch nachweisbar. Bei 20 Prozent aller unter 45jährigen, die transitori- sche ischämische Attacken, Insulte

(5)

Tabelle: Ätiologische Klassifikation zerebrovaskulärer Störungen un- ter oraler Kontrazeption

gemeldete Fälle

Sinusthrombosen auf dem Boden entzündlicher, neoplasti- scher oder hämodynamischer Erkrankungen

zerebrale Embolien kardialen Ursprungs

arterielle Thrombosen auf dem Boden zerebraler Gefäßmal- formationen

hypertoniebedingte zerebrovaskuläre Störungen anämische Infarkte bei Fettstoffwechselstörungen Migraine accompagnee

4

9

3 3 3

Hörsturz 3

thromboembolische Störungen retinaler Gefäße 3

anämische Infarkte unklarer Genese 11

hämorrhagische Infarkte unklarer Genese 1

TIA unklarer Genese 2

Meldung lückenhaft — nicht beurteilbar 12 Meldung nach Form und Inhalt inakzeptabel 4

gesamt 61

oder eine Amaurosis fugax erleiden, ist ein Mitralklappenprolaps nach- weisbar. Andererseits entwickeln 3,5 Prozent der Patienten mit Mitral- klappenprolaps fokale zerebrale Durchblutungsstörungen. Dieser Anteil liegt viermal höher als in der gesunden Kontrollpopulation.

Eine gewisse Sonderstellung nehmen Migränefälle und Hörstürze ein, nosologische Entitäten, die nach gegenwärtigem Kenntnisstand nicht als zerebrale Thromboembolien ka- tegorisiert werden können. Bei der Migräne ist unter anderem eine va- sospastische Komponente mit der Gefahr eines kompletten Gefäßver- schlusses und eines vollendeten In- farktes als Migraine accompagnee bekannt In zwei von drei Fällen hat- te jedoch der Migräne-Kopfschmerz mit neurologischen Defiziten bereits vor Einnahme eines gestodenhalti- gen Kontrazeptivums bestanden.

Inwieweit entzündliche, throm- boembolische, funktionell vasospa- stische oder neuronale Störungen dem klinischen Bild des Hörsturzes zugrunde liegen, ist bis heute nicht endgültig geklärt. Hörstürze mit ih- rer überwiegend transitorischen Symptomatik sind bei jungen Er- wachsenen zu beobachten.

Die neuerlich unter Einnahme oraler Kontrazeptiva beobachteten zerebrovaskulären Störungen unter- scheiden sich nicht von den auch frü- her schon bei anderen Kontrazeptiva mit niedriger und hoher Östrogendo- sis beobachteten. Die Meldefälle re- präsentieren eine große Vielfalt pa- thogenetisch und pathomorpholo- gisch unterschiedlicher zerebrovas- kulärer Störungen, für die ein ge- meinsamer pathophysiologischer Entstehungsmechanismus nicht an- genommen werden kann. In den Fäl- len, in denen zerebrale Thromboem- bolien zweifelsfrei dokumentiert sind, finden sich auch überwiegend klinisch relevante thromboembolie- begünstigende Grunderkrankungen.

Die Rolle oraler Kontrazeptiva im allgemeinen oder gestodenhaltiger Kontrazeptiva im besonderen ist bis- her wissenschaftlich nicht überzeu- gend geklärt. Mit Hilfe bildgebender Verfahren verbessert sich die Trans- parenz zerebrovaskulärer Krank- heitsbilder zugunsten einer ätiologi-

schen Zusammenhangsbeurteilung mehr und mehr. Die ätiologische Klassifikation zerebrovaskulärer Stö- rungen wird ihrerseits ihren Beitrag zur Aufklärung des zerebrovaskulä- ren Thromboembolierisikos der ora- len Kontrazeption leisten. Dem Schutz und der Sicherheit von Frau- en unter oraler Kontrazeption wird der beste Dienst erwiesen, indem man das Individualrisiko durch sorg- fältige Fahndung nach thromboem- boliebegünstigenden Grunderkran- kungen begrenzt.

Literatur

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Anschrift des Verfassers:

Privatdozent

Dr. med. Hermann-Josef König Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie der Universität Albert-Schweitzer-Straße 33 W-4400 Münster

A-3112 (56) Dt. Ärztebl. 88, Heft 38, 19. September 1991

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