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Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 8, 21. Februar 1997 (1) nwillentlich ist der Ver-
band Forschender Arz- neimittelhersteller, der in Bonn die Interessen großer Phar- maunternehmen vertritt, in die Schlagzeilen geraten. Anlaß ist ein Personalwechsel: Zum 1. März wird, wie bereits vermeldet, Cornelia Yzer Hauptgeschäfts- führerin; sie ist zur Zeit Parlamen- tarische Staatssekretärin im For- schungsministerium. Ihr Vorgän- ger, formaliter noch im Amt, Pro- fessor Dr. Frank Münnich, geht überraschend in den Ruhestand.
Yzer ist 35, Münnich (noch) 59. Der Verband sieht den Wechsel als normalen Vorgang. Es vollzie- he sich ein Generationswechsel.
Frau Yzer habe man unter dem Gesichtspunkt der politischen Er- fahrung gewählt. Und weil sie sich in ihrem Ministerium mit Themen beschäftigt habe, „die nah an unse- rer Branche sind“.
Münnich, um den es in letzter Zeit ein wenig still geworden war, hatte 1985 seinerseits für Überra-
schung gesorgt, als er sein Ordina- riat für Volkswirtschaftslehre in München aufgab, um in die Dien- ste der Pharmaindustrie zu treten.
Für die feine Wissenschaft war er damit abgestempelt, Verdienste er- warb er sich aber um den Ausbau der Bonner Pharmalobby. Deswe- gen wird er denn auch, wie es sich gehört, mit einem Empfang und lo- benden Worten verabschiedet. Ein kleiner Beigeschmack bleibt.
Der haftet – den Beteiligten gewiß unangenehm – auch dem Wechsel von Frau Yzer an. Diese behält ihr Bundestagsmandat bis zum Ablauf der Wahlperiode, be- kommt trotz des nahtlosen Wech- sels ein beträchtliches Übergangs- geld und einen Pensionsanspruch ab dem 55. Lebensjahr, von dem Normalbürger, die Jahrzehnte in
die Rentenkasse zahlen, nicht ein- mal träumen können.
Das alles ist legal und in Bonn keinesfalls unüblich. Die Verbin- dung von Lobbyarbeit und Bun- destagsmandat ist gang und gäbe, die Zahlungen und Ansprüche sind gesetzlich fundiert. Gäbe es nicht zur Zeit die heftige Diskus- sion über knappe Haushaltsmit- tel und Verkürzung von Renten- ansprüchen, wäre wahrscheinlich auch dieser Fall ohne Aufhebens über die Bühne gegangen. So aber verbindet sich, nur zufälligerweise am Beispiel der Pharmalobby, ein bisher „normaler“ Vorgang mit al- lerlei öffentlichen Vorbehalten ge- genüber der großzügigen Versor- gung, die sich die Parlamentarier in den letzten dreißig Jahren ver- schafft haben. Norbert Jachertz
U Pharmalobby
Ruhestandsfragen
icht nur die rund 98 Milli- arden DM Fremdlasten der Rentenversicherungs- träger sollen auf den Prüfstand, sondern auch die überwiegend fa- milien- und gesellschaftspolitisch bedingten Fremdleistungen der ge- setzlichen Krankenversicherung.
Zeitgleich mit den ohnedies komplizierten und milliarden- trächtigen Entscheidungen um die Weichenstellung zur Gesundheits- strukturreform (1. und 2. GKV- Neuordnungsgesetz) hat Bundes- gesundheitsminister Horst Seeho- fer in einem Brief an CSU-Lan- desgruppenchef Michael Glos MdB verlangt, die Krankenversi- cherung in Höhe von mindestens jenen vier Milliarden DM jährlich zu entlasten, die die versiche- rungsfremden Leistungen ver- schlingen. Dazu zählt Seehofer Leistungen zur Empfängnisverhü- tung, Sterilisation und Schwanger-
schaftsabbrüche, künstliche Be- fruchtung, Betriebs- und Haus- haltshilfen bei Krankheit, Kran- kengeld bei Erkrankung eines mit- versicherten Kindes, Sterbe- und Mutterschaftsgeld. Dies sind GKV-Fremdleistungen „im enge- ren Sinne“, die der Bundesgesetz- geber in den letzten 20 Jahren aus gesellschafts- und familienpoliti- schen Gründen den Kassen über- tragen hat (dazu auch Heft 6/1997, Seite eins).
Die Manövriermasse von vier Milliarden DM ist das mindeste, was Seehofer bei Bundesfinanzmi- nister Dr. Theo Waigel, dessen Stellvertreter in der CSU Bayerns Seehofer ist, jetzt angemeldet hat.
Seehofer hat offenbar die Gunst der Stunde genutzt, um sich in die aktuelle Mehrwertsteuerer- höhungs-Diskussion einzuschalten.
Es hat nichts mit einer Begehrlich- keit des Gesundheitsministers nach mehr Geld zugunsten der kranken Krankenkassen zu tun, wenn jetzt verstärkt Druck für eine fairere Fi- nanzierung der Fremdlasten aller Zweige der Sozialversicherung ge- macht wird. Die Ärzteschaft, an der Spitze die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundes- vereinigung, hat dies längst getan.
Nur wurde ihr dabei stets wider besseres Wissen familien- und frau- enfeindliche Interessenpolitik vor- gehalten. Dr. Harald Clade