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Archiv "Erkrankungen durch enterohämorrhagische Escherichia coli (EHEC)" (08.09.2000)

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E

HEC wurden erstmals 1982 in den USA als neuer Pathotyp der Koli- bakterien erkannt; in Deutschland wurden die ersten Erkrankungen 1985 nachgewiesen. EHEC sind heute in Deutschland nach den Salmonellen und zusammen mit Campylobacter zweit- häufigste bakterielle Enteritiserreger des Menschen (2, 11). Darüber hinaus können sie extraintestinale Komplika- tionen wie das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) auslösen. Ihr Anpas- sungsvermögen an widrige Umweltbe- dingungen wie saures Milieu, Austrock- nung oder Nährstoffmangel ermögli- chen es ihnen, immer wieder neue Ni- schen zu finden und dauerhaft zu besie- deln (6). Die Vielzahl von Pathogenitäts- faktoren, die ausnahmslos durch mobile genetische Elemente kodiert sind und die dadurch in unterschiedlicher Kombi- nation vorhanden sein können, führen zu verschiedenen Krankheitsformen mit oft schicksalhaftem Verlauf.

Klinische Verlaufsformen

Nach einer Inkubationszeit von ein bis drei (bis acht Tagen) tritt ein meist wässriger Durchfall auf, der bei einem Teil der Patienten in eine blutig-wäss- rige Kolitis übergehen kann. Bauch- schmerzen, vor allem im Unterbauch, sind ein häufiges Begleitsymptom; ins- besondere bei Kindern werden auch Fieber, Übelkeit und Erbrechen beob- achtet. Meist tritt eine wässrige Enteri- tis auf (Altersgruppe unter 14 Jahren in etwa 80 Prozent der klinischen Fälle) (4). Eine blutig-wässrige Kolitis, die bei

etwa 20 Prozent der Kinder auftritt und bei Erwachsenen über 65 Jahren die möglicherweise häufigste Verlaufsform ist, gilt als Risikofaktor für intestinale und extraintestinale Komplikationen.

Bei Erwachsenen verlaufen EHEC- Infektionen oft symptomlos oder als uncharakteristische, selbstlimitierende wässrige Enteritis, die sich von Durch- fallerkrankungen anderer infektiöser Genese klinisch nicht unterscheidet.

Als intestinale Komplikation besonders der blutig-wässrigen Kolitis kann bei Säuglingen selten eine nekrotisierende Kolitis oder eine Dickdarminvagina- tion mit Ileus auftreten. Bei Erwach- senen wurden EHEC auch bei chro- nischer Kolitis nachgewiesen, die dif- ferenzialdiagnostisch von der Colitis ulcerosa unterschieden werden muss.

Als wichtigste extraintestinale Kom- plikation kann vor allem bei Kindern unter sechs Jahren, aber auch bei älte- ren Menschen, ein HUS auftreten. Bei Kleinkindern wird diese Komplikation bei etwa fünf bis zehn Prozent der kli- nisch manifest Erkrankten beobachtet.

Wenige Tage nach Beginn oder kurz nach Besserung der Durchfälle ver- schlechtert sich plötzlich der Allge- meinzustand, es kommt zu Erbrechen, Bauchschmerzen, Lethargie, Blässe, Ikterus, Petechien der Haut und schließlich akutem Nierenversagen, das in zwei bis zehn Prozent der Fälle tödlich endet oder bei Überleben in über zehn Prozent zum terminalen Nie- renversagen führt; Notwendigkeit zur Nierentransplantation oder lebenslan- ge Dialysepflicht sind die Folgen. An- stelle des kompletten HUS mit der Trias hämolytische Anämie, Thrombo- zytopenie und akutem Nierenversagen werden auch inkomplette Verlaufsfor- men, beispielsweise als isolierte hämo- lytische Anämie beobachtet; auch kann eine Pankreatitis im Gefolge eines HUS auftreten. Zentralnervöse Sym-

Erkrankungen durch enterohämorrhagische Escherichia coli (EHEC)

1Institut für Hygiene und Mikrobiologie (Direktor: Prof.

Dr. med. Matthias Frosch), Würzburg

2Hygiene Institut Hamburg, Abteilung Bakteriologie (Leiter: Prof. Dr. med. Jochen Bockemühl), Hamburg

3 Prof. Hess-Kinderklinik (Direktor: Prof. Dr. med.

Hans-Iko Huppertz) des Zentralkrankenhauses Sankt- Jürgen-Straße, Bremen

Zusammenfassung

In weniger als 20 Jahren haben sich entero- hämorrhagische Escherichia coli (EHEC) weltweit ungehemmt ausbreiten können und sind inzwi- schen in Deutschland der zweithäufigste bakte- rielle Enteritiserreger des Menschen geworden.

Extraintestinale Komplikationen wie hämoly- tisch-urämisches Syndrom (HUS) treten auf und haben schicksalhafte Bedeutung für die Zukunft des Patienten. Die mikrobiologische Diagnostik von EHEC-Infektionen wird durch die Vielfalt der EHEC-Bakterien erschwert und ist nur durch aufwendige Nachweisverfahren möglich. Das enteropathische HUS und die Infektion durch EHEC sind seit 1998 meldepflichtig. Eine fehlen- de spezifische Therapie oder Immunprophylaxe stellen Arzt und öffentlichen Gesundheitsdienst vor große Schwierigkeiten. So sind EHEC ein sehr weitreichendes Problem, dem nur durch ge- meinsame und interdisziplinäre Anstrengungen auf medizinischer und veterinärmedizinischer Ebene einschließlich der Tierhaltung und der Le- bensmittelproduktion begegnet werden kann.

Schlüsselwörter: EHEC, HUS, Diagnostik, Patho- genese, Prävention

Summary

Disease Caused by Enterohaemorrhagic Escherichia coli (EHEC)

In less than 20 years, EHEC have shown an un- restrained global spread. In Germany follo- wing salmonellae EHEC actually figure on the second rank among human infections with enteropathogenetic bacteria and show the sa- me incidence as Campylobacter infections.

Their pathogenic potential exceeds that of other enteropathogens by frequently causing life-threatening extraintestinal complications such as the hemolytic uraemic syndrome (HUS) or neurological disorders. The microbiological diagnosis of EHEC infections requires laborious and sophisticated methods. Since 1998, EHEC infections have become notifiable in Germany.

The lack of specific therapy and immunopro- phylaxis are a significant challenge for both clinical physicians and public health services.

Thus, EHEC constitute a serious problem which can only be faced by coordinated interdiscipli- nary efforts of both medical and veterinary ser- vices including animal husbandry, food pro- duction, and the environment.

Key words: EHEC, HUS, diagnosis, pathogene- sis, prevention

Helge Karch

1

Jochen Bockemühl

2

Hans-Iko Huppertz

3

(2)

ptome sind nicht selten: Es entwickeln sich Krämpfe, Ataxie, Paresen oder Koma, die bei perakutem Verlauf mit Hirnödem zum Tode führen. Diese Symptomatik zeigt die klinische Ver- wandtschaft des HUS zur thrombo- tisch-thrombozytopenischen Purpura (TTP), bei der die neurologischen Ma- nifestationen im Vordergrund stehen.

Die TTP tritt fast nur im Erwachsenen- alter auf und ist im Gegensatz zum HUS nur selten durch EHEC verur- sacht.

Insgesamt zeigen sich bei HUS-Pati- enten in bis zu 50 Prozent bleibende oder später auftretende Schäden; neben dem terminalen Nierenversagen können

sich Proteinurie oder arterieller Hoch- druck, neurologische Ausfälle, Glucose- Intoleranz, chronische Pankreatitis, Dia- betes mellitus und im Dickdarm Striktu- ren entwickeln. Die klinischen Verlaufs- formen der EHEC-Infektion sind in Ta- belle 1zusammengefasst.

Therapie

Obwohl EHEC gegen Antibiotika in der Regel gut empfindlich sind, gilt eine antibiotische Therapie wegen der Ge- fahr der vermehrten Toxinfreisetzung und der damit verbundenen extrain- testinalen Komplikationen zumindest

während der akuten Krankheitsphase als kontraindiziert (13, 14). Therapeuti- sche Interventionsstudien in der Ver- gangenheit zielten vor allem auf die thrombotische Mikroangiopathie der Niere, die das pathologische Korrelat der Nephropathie darstellt. Untersucht wurden beispielsweise Heparin- oder Urokinaseinfusionen, oder Acetyl- salicylsäure- und Dipyridamol-haltige Präparate. In anderen Studien wurde der Effekt von Plasmainfusionen, the- rapeutischer Plasmapherese bezie- hungsweise Plasmaaustausch oder von Glucocorticosteroidgaben untersucht.

Keine der veröffentlichten Studien konnte einen signifikanten Einfluss auf die Komplikationsrate oder den Schwe- regrad beziehungsweise die Krank- heitsdauer des HUS durch die thera- peutischen Maßnahmen nachweisen.

Da eine kausale Therapie von EHEC-Infektionen und vor allem des HUS nicht zur Verfügung steht, sind sup- portive Maßnahmen zur Abwendung vermeidbarer Komplikationen entschei- dend. Hierzu zählen vor allem der Ver- such der forcierten Diurese zu Beginn des HUS, die sorgfältige Flüssigkeits- und Elektrolytbilanz und der rechtzeiti- ge Einsatz der Dialyse. Sie sollte bei line- ar ansteigenden Harnstoffkonzentratio- nen im Serum spätestens am dritten Tag nach HUS-Beginn eingeleitet werden.

Die überwiegende Zahl pädiatrisch- nephrologischer Zentren bevorzugt die Peritonealdialyse als Methode der Wahl – die technischen Anforderungen sind geringer, vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern, und es gibt weniger Kreis- lauf- und Blutungskomplikationen.

Neuere therapeutische Ansätze zielen auf die Unterbindung der Translokation der Shiga-Toxine aus dem Darm. Dies wurde mit oral applizierbaren Rezeptor- analoga und Immunglobulinkonzentra- ten versucht. Das Globotriaosylzeramid- (Gb3-)enthaltende Rezeptoranalogon Synsorb wird derzeit in Studien in meh- reren Ländern geprüft. Ein aus bovinem Kolostrum hergestelltes Präparat (bei- spielsweise Lactobin) mit in vitro poten- ter Wirkung gegen Stx und EHEC-Hä- molysin (9), zeigte eine günstige Wir- kung in einer randomisierten doppelblin- den Studie mit an EHEC erkrankten Kindern (5). Verglichen mit Kontrollen fand sich eine Minderung von Stuhlfre-

´ Tabelle 1CC´

Klinische Verlaufsformen der Infektionen mit EHEC

Verlaufsform Vorkommen und Häufigkeit

Asymptomatisch Bei Erwachsenen wahrscheinlich häufig Wässriger Durchfall Etwa 80% bei Kindern

Blutig-wässriger Durchfall Etwa 20% bei Kindern

Bei alten Menschen typische Verlaufsform Risikofaktor für extraintestinale Komplikationen Intestinale Komplikationen:

Chronische Kolitis Bei Erwachsenen (Differenzialdiagnose: Colitis ulcerosa) Nekrotisierende Kolitis Selten bei Säuglingen

Dickdarminvagination Selten bei Säuglingen mit Ileus

Extraintestinale Komplikationen:

Hämolytisch-urämisches Besonders bei Kindern < 6 Jahren (circa 5–10 % der Syndrom (HUS)Erkrankungen; bei circa 2–10 % der HUS-Fälle letaler

Verlauf) und alten Menschen Inkomplettes HUS, isolierte Kinder und Erwachsene

hämolytische Anämie

ZNS-Beteiligung: Krämpfe, Nicht selten bei Kindern Ataxie, Paresen, Koma

Pankreatitis Selten

Toxischer Myokardschaden Selten

Multiorganversagen Selten bei Kindern, meist letaler Verlauf Bleibende und Spätschäden:

Definitiver Nierenschaden Insgesamt tritt bei HUS-Patienten in bis zu 50 % (Dialysepflicht, Transplanta- der Fälle einer oder mehrere der genannten tion, arterieller Hochdruck, Schäden auf

Proteinurie)

Neurologische Ausfälle Chronische Pankreatitis,

Glucose-Intoleranz, Diabetes mellitus Dickdarmstriktur HUS, hämolytisch-urämisches Syndrom

(3)

quenz und Dauer der Durchfallerkran- kung (5). Ein HUS oder andere Kompli- kationen wurden bei keinem der behan- delten Kinder beobachtet.

Damit steht die symptomatische Be- handlung mit Ersatz von Flüssigkeit und Elektrolyten im Vordergrund.

Hemmer der Darmmotilität sind kon- traindiziert. Besonders bei Kleinkin- dern und alten Menschen ist bei Nach- weis oder Verdacht auf EHEC-Infekti- on die Nierenfunktion zu überwachen, um rechtzeitig bei einem eventuell sich entwickelnden HUS die Patienten einer nephrologischen Behandlung zuzu- führen. Risikofaktoren sowie Indikato- ren für das Auftreten extraintestinaler Komplikationen, besonders des HUS, sind im Textkastenaufgelistet.

Pathogenese

Molekularbiologische Untersuchungen an EHEC-Stämmen haben gezeigt, dass diese Kolibakterien mehrere po- tenzielle Virulenzfaktoren produzie- ren, deren wichtigste Eigenschaften in Tabelle 2zusammengefasst sind.

Shiga-Toxine

Das bislang einzig bekannte gemeinsa- me Merkmal aller EHEC ist die Fähig- keit zur Produktion von Shiga-Toxinen.

Diese werden aufgrund ihrer zytotoxi- schen Wirkung auf Verozellen (transfor- mierte Affennierenepithelzellen) auch als „Verotoxine“ bezeichnet. Entspre-

chend ihrer biologischen Aktivität wer- den Shiga-Toxine zur Familie der Ri- bosomen-inaktivierenden Proteine ge- zählt. Shiga-Toxine sind – abhängig vom Gewebe – extrem potente Zellgifte (Ta- belle 2).Die bifunktionellen Holotoxine bestehen aus einer A-Untereinheit und fünf B-Untereinheiten. Die B-Unterein- heiten vermitteln die Lektin-ähnliche Bindung des Holotoxins an die Glyko- sphingolipid-Rezeptoren der Zielzellen, in erster Linie das Globotriaosylzera- mid (Gb3). Die Aufnahme in die Ziel- zelle erfolgt über Clathrin-vermittelte Endozytose. Die A-Untereinheit hydro- lysiert einen spezifischen Adenylrest der ribosomalen RNA; dies hat eine sterische Veränderung des Aktionszen- trums der Elongationsfaktoren und die Blockierung der Peptidbiosynthese zur

Folge. Bei den Shiga-Toxinen lassen sich serologisch zwei Hauptgruppen unter- scheiden, die als Stx1 und Stx2 bezeich- net werden. Zur Stx2-Familie zählen das klassische Stx2 sowie die als Stx2c, Stx2d, Stx2e und Stx2f bezeichneten Va- rianten. EHEC-Stämme können mehr als einen Toxintyp beherbergen. Die Strukturgene für Stx1 und Stx2 liegen im etwa 60 kb großen Genom temperenter, lambdoider Bakteriophagen.

Pathogenitätsinsel und Plasmide Ein Merkmal zahlreicher EHEC-Stäm- me ist die Bildung so genannter „Atta- ching and Effacing“ – (A/E-)Läsionen an Enterozyten. Die für die Ausbildung der charakteristischen A/E-Läsionen verantwortliche genetische Information liegt auf einer als LEE bezeichneten Pa- thogenitätsinsel im EHEC-Chromo- som. Das diagnostisch wichtigste Gen ist eae, welches für ein als Intimin bezeich- netes Protein kodiert. Der räumliche Zusammenhang der LEE-Gene erlaubt die koordinierte Expression weiterer Gene mit deren Hilfe EHEC das Darm- epithel schädigen können. Neben der Pathogenitätsinsel und den Toxinpha- gen besitzen die meisten EHEC-Stäm- me große Plasmide. Zu den Plasmid-ko- dierten Virulenzdeterminanten zählen das EHEC-Hämolysin (15) und eine den humanen Gerinnungsfaktor V spal- tende Serinprotease (3). Man vermu- tet, dass die durch die Protease bewirk- te Spaltung von Faktor V lokal zur Störung der Blutgerinnung führt und

´ Tabelle 2CC´

Potenzielle Virulenzfaktoren von EHEC und deren Wirkung

Virulenzfaktor Genlokalisation Wirkmechanismus Wirkort

Shiga-Toxine Phagen Hemmung der Proteinbiosynthese Glomeruläre und andere

mikrovaskuläre Zellen;

Renale Tubulus- und Epithelzellen

Apoptoseinduktion Nierenepithelzellen

Induktion von Zytokinen und Monozyten, Endothelzellen Vasokonstriktoren

Intimin Pathogenitätsinsel Adhärenz Darmepithelzellen

Typ-3-Sekretionssystem und Pathogenitätsinsel Signaltransduktion, Veränderung Darmepithelzellen

sezernierte Proteine des Zytoskeletts

Serinprotease Plasmid Störung der Blutgerinnung Faktor V

EHEC-Hämolysin Plasmid Zytolyse Erythrozyten, Leukozyten

Risikofaktoren und Indikatoren für das Auf- treten von Komplikationen, insbesondere des HUS, bei EHEC-Erkrankungen

Alter unter 6 Jahre und über 65 Jahre

Infektion mit EHEC, die Shigatoxin 2 produzieren Gabe von Motilitätshemmern des Darms Gabe von Antibiotika

Hohes Fieber Starke Darmkoliken Blutiger Durchfall Eintrübung

Proteinurie, Hämaturie

Starker Anstieg der Leukozyten im Blut Ultraschall: Vergrößerung und vermehrte Echo- genität der Niere, Verdickung der Darmwand Textkasten

(4)

bei den für die EHEC-Kolitis typischen Schleimhauthämorrhagien eine Rolle spielt. Viele Fragen zur Pathogenese der EHEC-Erkrankungen, beispielsweise die prominente Beteiligung der Nieren oder die Ursache der dramatischen Hä- molyse sind jedoch noch ungeklärt.

Epidemiologie

Seit den ersten sporadischen Nachweisen von EHEC-Erkrankungen bei Patienten in Deutschland Mitte der 80er-Jahre hat auch hier die Zahl nachgewiesener In- fektionen dramatisch zugenommen. In Übereinstimmung mit anderen Ländern Europas und Nordamerikas sind Aus- brüche praktisch stets mit Stämmen der

Gruppe O157 assoziiert (6). Eine zahlen- mäßig größere Bedeutung kommt den sporadisch auftretenden EHEC-Infek- tionen zu. Während sich die Zahl der nachgewiesenen, EHEC-bedingten HUS-Fälle seit 1994 mit jährlich 100 bis 150 mikrobiologisch gesicherten Fällen weitgehend konstant gehalten hat, wer- den heute bei ambulanten und hospitali- sierten Enteritispatienten schon in zwei bis drei Prozent der Fälle EHEC nachge- wiesen (2, 11). EHEC sind damit nach den Salmonellen und mit gleicher Häu- figkeit wie Campylobacter zweithäufig- ste bakterielle Enteritiserreger in Deutschland. Besondere Beachtung ver- dient das in Mitteleuropa vorherrschen- de Erregerspektrum. Während in den

USA und Großbritannien O157:H7- Stämme eine unangefochtene Vormacht- stellung innehaben und dort geradezu als Synonym für EHEC angesehen werden, hat die Bedeutung von EHEC O157:H7 in Deutschland abgenommen. Seit 1994 werden andere Serotypen wie O26:H-/ H11, O103:H-/H2/H28, O111:H-/H2, O145:H28 zunehmend nachgewiesen.

Als weitere Besonderheit kommt bisher nur in Deutschland (und vereinzelt in Tschechien) ein besonderer Klon von EHEC O157:H- vor, der in Labortests Sorbit vergärt (7). Jährlich werden jetzt mindestens 20 verschiedene Serotypen bei HUS und enteralen Erkrankungen des Menschen nachgewiesen. Detaillier- te Informationen zu der Bakteriologie der EHEC-Infektionen in Deutschland

finden sich in den Jahresberichten der Autoren (1, 2).

Rinder sind weltweit am häufigsten und regelmäßigsten als symptomlose Ausscheider von EHEC sowohl der Gruppe O157:H7 als auch anderer Serotypen identifiziert worden; weitere wichtige Reservoire sind Ziegen und Schafe. Drei Übertragungswege von EHEC auf den Menschen gelten heute als gesichert:

❃❃ Übertragung durch kontaminierte Lebensmittel und Trinkwasser sowie Baden in kontaminiertem Ober- flächenwasser,

❃❃ Kontaktinfektionen von Mensch zu Mensch und

❃❃ Tierkontakt.

Infektionen durch kontaminierte Le- bensmittel stellen den häufigsten Über- tragungsweg dar (6). Während die großen Ausbrüche in Nordamerika und Großbritannien überwiegend durch un- zureichend erhitztes Rindfleisch verur- sacht worden waren, ist dieses Lebens- mittel in Deutschland bisher nicht auf- fällig in Erscheinung getreten. Dafür sind hier Infektionen durch rohe und nicht pasteurisierte Kuhmilch belegt so- wie – in anderen europäischen Ländern – durch rohe Ziegenmilch, Rohmilchkä- se und Schwimmen in Oberflächenge- wässern. Auch die Übertragung durch Rohwurst (Mettwurst, Salami) ist denk- bar. Neben diesen klassischen Lebens- mitteln tierischer Herkunft sind weltweit in den vergangenen Jahren auch pflanz- liche Lebensmittel wie Salat, Kartoffeln, Rettich- und Alfalfasprossen, Krautge- würze (Petersilie), Früchte (Melonen) und frischer, nicht pasteurisierter Apfel- saft als Infektionsursache identifiziert worden. Hier erfolgte die Kontaminati- on durch tierischen Kot, Wasser oder Bearbeitungsfehler bei der Herstellung.

Die hochgradige Säuretoleranz man- cher EHEC-Stämme, besonders der Gruppe O157, und die damit verbunde- ne niedrige Infektionsdosis von oft we- niger als 100 Keimen ermöglicht die Di- rektübertragung der Erreger von Mensch zu Mensch. Dieser Übertra- gungsweg wurde inzwischen in Kran- kenhäusern (8), Pflegeheimen, Kinder- tagesstätten (12) und Familien (10) nachgewiesen.

Tierkontakte zu Wiederkäuern kön- nen berufsbedingt in der Landwirt- schaft sowie in Schlachthöfen und fleischverarbeitender Industrie zu In- fektionen führen. Bisher ungeklärt ist die Bedeutung von so genannten Strei- chelzoos, die von Kindern besucht und häufig von Schafen und Ziegen bevöl- kert sind, die als wichtige EHEC-Re- servoire bekannt sind.

Prophylaxe

Im Hinblick auf die häufige und nicht zu verhindernde Durchseuchung der Rinderbestände mit EHEC ist ein- dringlich vor dem Genuss rohen oder unzureichend gegarten Rindfleischs so- wie vor allem von roher, also nicht hit-

´ Tabelle 3CC´

Indikationen zur mikrobiologischen Untersuchung auf EHEC

Behandelnder Arzt Untersuchungsmaterial

Erkrankung an HUS und TTP Serum und Stuhl

Mit Enteritis hospitalisierte Kinder bis zu 6 Jahren Stuhl

Enteritis mit blutig-wässrigen Stühlen Stuhl

Nekrotisierende Enteritis oder endoskopisch nachgewiesene Stuhl und Biopsie-

hämorrhagische Kolitis material

Durchfall in Anamnese (Woche vorher) und Auftreten einer Serum und Stuhl hämolytischen Anämie oder eines akuten Nierenversagens

Amtsarzt

Ausbruch in Gemeinschaftseinrichtung und Wohngemeinschaft Stuhl und Lebensmittel oder bei Gemeinschaftsverpflegung

Kontaktpersonen bei HUS und nachgewiesener EHEC-Infektion Stuhl HUS, hämolytisch-urämisches Syndrom; TTP, thrombotisch-thrombozytopenische Purpura

(5)

zebehandelter Milch zu warnen. Das Verbot, unpasteurisierte Milch (ein- schließlich Vorzugsmilch) zum Verzehr in Gemeinschaftseinrichtungen abzu- geben, ist inzwischen durch Änderung der Milchverordnung vom 3. Dezember 1997 gesetzlich geregelt. Darüber hin- aus gelten für infektionsgefährdete Pa- tienten die üblichen Einschränkungen bei rohen Speisen auch zum Schutz vor EHEC-Infektionen.

Verdacht und Erkrankung an entero- pathischem HUS (unabhängig vom Er- regernachweis) sowie die nachgewiese- ne Ausscheidung von EHEC bei er- krankten oder symptomlos infizierten Personen sind nach § 3 Bundes-Seu- chengesetz (Änderung vom 9. Novem- ber 1998) dem zuständigen Gesund- heitsamt zu melden.

Die geringe Infektionsdosis und die damit verbundene hohe Infektiosität der EHEC erfordern die Absonderung des ausscheidenden Patienten bei In- fektionen im Krankenhaus. Strikte Hy- gienemaßnahmen entsprechend dem Kapitel „Shigellosis“ in der Anlage 5.1 der Richtlinie für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention des RKI sind einzuhalten.

Der Besuch von Kindertagesstätten oder anderen Gemeinschaftseinrich- tungen ist bis zum Vorliegen von drei negativen Stuhlproben auszusetzen, das gleiche gilt für Personen, die im Be- trieb mit Herstellung und Inverkehr- bringen bestimmter Lebensmittel oder in einer Gemeinschaftsküche beschäf- tigt sind (§ 17 Bundes-Seuchengesetz).

Im Privathaushalt ist ausscheidenden Personen, wie auch bei Infektion mit anderen Enteritiserregern zu empfeh- len, nach dem Toilettengang bezie- hungsweise vor der Herstellung von Speisen die Hände mit einem alkoholi- schen Händedesinfektionsmittel zu desinfizieren; es kann auch die Toilet- tenbrille, nicht aber das Toiletten- becken, mit demselben Präparat abge- wischt werden. Händedesinfektion oder zumindest eine gründliche Hand- wäsche mit Seife unter warmem Wasser ist ferner nach Streicheln oder Spielen mit Tieren, vor allem Rindern, Schafen und Ziegen, dringend zu empfehlen.

Kinder sollten Bauernhöfe und Strei- chelzoos nur in Begleitung informierter Erwachsener besuchen.

Mit einer effizienten EHEC-Schutz- impfung ist in naher Zukunft nicht zu rechnen.

Einer Empfehlung des Robert Koch- Instituts (RKI) zufolge (13, 14) wird dem Arzt die mikrobiologische Labor- untersuchung beim Patienten bei Vor- liegen der in Tabelle 3aufgelisteten Ge- gebenheiten empfohlen.

Labordiagnostik

Eine grundsätzliche Problematik bei der Isolierung pathogener E. coli aus dem Darm liegt darin, dass die apathogenen E. coli, das heißt die der normalen Darmflora, stets in größerer Zahl und mit breitem Typenspektrum gleichzeitig vorhanden sind. Es gilt also, die „Nadel im Heuhaufen zu suchen“, also unter vielen ähnlichen Keimen der gleichen Bakterienart die oft nur in kleiner Zahl vorhandenen Krankheitserreger zu fin- den. Gemeinsames Merkmal aller EHEC ist die Bildung der Stx, für deren Nachweis heute immunologische (En- zymimmunoassays) und molekularbio- logische Methoden (PCR, Kolonieblot- Hybridisierung) zur Verfügung stehen.

Der Toxinnachweis darf als Verdacht ge- wertet werden, bedarf aber zur Bestäti- gung stets der anschließenden Isolierung und Charakterisierung des Isolats mit er- neutem Nachweis seiner Toxinbildung (13). Bei HUS-Patienten wird zusätzlich die Untersuchung einer Serumprobe des Patienten auf LPS-Antikörper empfoh- len, da der Nachweis von EHEC-Bakte- rien in Stuhlproben der HUS-Patienten in etwa 30 Prozent der Fälle nicht mehr gelingt (13, 14). Zur Beratung stehen den klinisch tätigen Ärzten die Labora- torien der Autoren sowie die nationalen Referenzzentren in Hamburg und Wer- nigerode sowie die Konsiliarlaboratori- en des RKI in Hamburg und Freiburg zur Verfügung. Adressen und Ansprech- partner dieser Laboratorien sind aus ei- ner beim RKI erhältlichen Broschüre

„Nationale Referenzzentren und Konsi- liarlaboratorien“ ersichtlich.

Danksagung: Die Arbeiten der Autoren wurden durch Mittel des BMBF-Forschungsnetzwerks „Lebensmittel- bedingte Infektionen in Deutschland“ gefördert.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2000; 97: A 2314–2318 [Heft 36]

Literatur

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2.Bockemühl J, Karch H, Tschäpe H: Zur Situation der Infektionen des Menschen durch enterohämorrhagi- sche Escherichia coli (EHEC) in Deutschland 1997.

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Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. rer. nat. Helge Karch Institut für Hygiene und Mikrobiologie der Universität Würzburg

Josef-Schneider-Straße 2, 97080 Würzburg

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