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Archiv "Frostige Zeiten für Blütenträume" (25.06.1981)

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Die Information:

Bericht und Meinung NACHRICHTEN

Vilmars rhetorische Frage, ob der Beitragssatz von 12 Prozent in der gesetzlichen Krankenversiche- rung „gottgewollt" sei, ist in der Presse kritisiert worden. Die Be- merkung, gefallen auf dem Ärzte- tag in Trier, wurde vielfach als eine schlichte Aufforderung zu Bei- tragserhöhungen mißverstanden, so zuletzt noch beim Bundeskon- greß der Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokraten im Gesund- heitswesen (vom 12. bis zum 14.

Juni; dazu auch der Bericht auf Seite 1273). Vilmar ging es viel- mehr darum, bei einer anstehen- den Neuorientierung im Sozialbe- reich Prioritäten zu setzen. So- eben, bei der Eröffnung des Berli- ner Fortbildungskongresses, hat er nochmals präzisiert: Nicht die bloße Beitragsstabilität der Kas- sen, nicht allein die Kosten sollten an vorderster Stelle der Gesund- heitspolitik stehen, sondern die Bedürfnisse der Patienten.

Vilmars Ärztetag-Äußerung sprach auch Prof. Dr. Hans J. Sewering beim berufspolitischen Seminar des Grado-Kongresses an, der am 13. Juni zu Ende ging. Die Sozial- politiker müssen, so der Präsident der bayerischen Landesärztekam- mer, die Grundsatzfrage beant- worten, ob die Leistungen, zu de- nen die Medizin heute fähig sei, dem Patienten auch künftig voll zugute kommen sollen. Wenn Lei- stungen eingeschränkt werden müßten, weil sie zuviel kosten,

„dann müsse die Gesellschaft die- se Entscheidung treffen".

Unangenehme Entscheidungen dieser Art — das heißt eben Priori- täten zu setzen, heißt notfalls also die Sozialausgaben umzustruk- turieren; eine schlichte Erhöhung der Sozialausgaben, die in dreißig Jahren von 17,8 Prozent auf 33,5 Prozent gestiegen sind (Sewe- ring), stößt jedenfalls an Grenzen.

Sewering sieht die Gefahr eines Umschlagens zum Wohlfahrts- staat (im Sinne einer staatlichen Verteilung sozialer Güter), wenn die Finanzierungsprobleme des bestehenden sozialen Sicherungs- systems nicht gelöst werden. Be- zogen auf die gesetzliche Kran- kenversicherung sei ein Trend zur Einheitskrankenkasse unverkenn- bar; die vom DGB in seinem Grundsatzprogramm erneut be- kräftigte Forderung nach einem umfassenden Finanzausgleich ge- he in diese Richtung.

Der Bundesvorsitzende des Ver- bandes der niedergelassenen Ärz- te, Dr. Kaspar Roos, wies auf Be- strebungen hin, die Freizügigkeit im GKV-System einzuschränken.

Auf einem berufspolitischen Abend seines Verbandes, eben- falls in Grado, listete er eine ganze Reihe solcher Überlegungen auf:

von der Einschränkung der Fach- arzt-Wahl bis zu einem Arzneibuch für Patienten.

Besonders deutlich wurde in Gra- do der Vizepräsident der öster- reichischen Ärztekammer, Dr.

Hadmar Sacher, der sich in Öster- reich ähnlichen Kosten- und Fi- nanzierungsproblemen zu stellen hat. Gelänge es nicht, das Ge- sundheitswesen, das für wirt-

schaftlich gute Jahre eingerichtet sei, auch in schlechteren Jahren abzusichern, dann sei eine „sozia- le Krise" unausweichlich. Heute gehe es nicht mehr um den Aus- bau der Systeme, sondern um de- ren Bestand.

Auch Sacher erinnerte an das

„Auseinanderklaffen zwischen dem Leistungsvermögen der Me- dizin und den finanziellen Mög- lichkeiten der Krankenversiche- rung". Hier gebe es nur die Alter- native, entweder die Beitragsein- nahmen zu erhöhen oder einzuge- stehen, „daß das Finanzpotential der sozialen Krankenversicherung die Leistungsentwicklung und Lei- stungskapazität der modernen Medizin nicht mitmachen könne"

— ein für Patienten und Ärzte uner- freuliches Eingeständnis.

Der wissenschaftliche Leiter die- ses Grado-Kongresses, Prof. Dr.

Rudolf Höfer (Wien), fragte zwar selbstkritisch: „Sind wir berech- tigt so viel Geld für Krankheit und Gesundheit auszugeben?" Er wies aber auch auf den „weiten Weg vom therapeutischen Nihilismus bis zur Maximierung der Thera- pie" hin, der in den letzten Jahren zurückgelegt wurde. Welcher Arzt

— aber auch welcher Patient — wä- re ernstlich bereit, diesen Weg wieder zurückzugehen?

Negativ-Beispiel Italien:

Übergang zum

staatlichen Gesundheitswesen Welche gesundheitspolitischen Konsequenzen die Nicht-mehr-Fi- nanzierbarkeit eines sozialen Sy- stems haben kann, zeigt sich in diesen Monaten in Italien. Am 1. Juli soll dort ein neues Gesund- heitswesen etabliert sein, in dem die ambulante ärztliche Versor- gung grundsätzlich in Ambulato- rien erfolgen soll. Diese werden von lokalen Gesundheitseinheiten betrieben.

Das System ähnelt dem Modell des regionalisierten Gesundheits- wesens, das in Deutschland der

Frostige Zeiten für Blütenträume

Berufspolitik beim Frühjahrskongreß in Grado

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 26 vom 25. Juni 1981 1283

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Die Information:

Bericht und Meinung Fortbildungskongreß Grado

DGB favorisiert. In Italien handele es sich, so bewertete es der Präsi- dent der Kurverwaltung von Gra- do, Dr. Giovanni Gregori, um ei- ne „Quasi-Verstaatlichung des Gesundheitswesens". Ausgenom- men sind privat betriebene Kran- kenhäuser. Hier dürfte der Einfluß der Kirche, die eine Vielzahl sol- cher Einrichtungen betreibt, ge- wirkt haben (und außerdem auch eine italienische Eigenart: Wer ei- ne individuelle Betreuung im Krankenhaus wünscht, zieht schon seit je den Aufenthalt in Pri- vatkliniken und die Konsultation privater Ärzte vor, auch wenn er dazu kräftig aus der eigenen Ta- sche bezahlen muß. Und diesen Fluchtweg in den rein privaten Sektor wird sich in Italien jeder, der es sich leisten kann, auch of- fenhalten wollen).

Verantwortung auch der Ärzte für die Stabilität des Systems Zweifellos tragen auch die Ärzte eine hohe Verantwortung für die Sicherung des Systems. Sewering führte das am Beispiel der Arbeits- unfähigkeits-Bescheinigungen nä- her aus (dazu unsere Vorab-Mel- dung in Heft 25/1981). Alle Bemü- hungen um Kostendämpfung zie- len letztlich darauf ab, das System der Krankenversicherung zu stabi- lisieren. Die Devise „so viel ambu- lant wie möglich, so viel stationär wie nötig" zählt dazu. An der Be- rechtigung dieses Grundsatzes — so ist auch der Eindruck aus den berufspolitischen Diskussionen in Grado, an denen etwa 250 Ärzte aus Krankenhaus und Praxis teil- nahmen — wird von niemandem gezweifelt.

Wenige Tage vor dem berufspoliti- schen Seminar waren die letzten Ergebnisse des „Bayern-Vertra- ges", der diesen Grundsatz in die Tat umzusetzen sucht, bekannt geworden. Sewering bekräftigte, daß mehr Ausgaben für die ambu-

lante ärztliche Versorgung, die aus dem Vertrag notwendigerwei- se resultieren, durch Einsparun- gen im Krankenhaus mehr als aus-

geglichen werden — obwohl (aus der mikroökonomischen Sicht des einzelnen Krankenhauses erklär- lich) im stationären Bereich Be- mühungen unverkennbar sind, den Konsequenzen des „Bayern- Vertrages" entgegenzuwirken; die Selbsteinweisungsquote der Kran- kenhäuser etwa hat in Bayern ei- nen Anteil von über 11 Prozent an den Krankenhauseinweisungen erreicht.

Der angestrebte Erfolg werde letz- ten Endes nur dann eintreten, wenn die Verringerung stationärer Leistungen mit einem wirksamen

— auch und gerade kostenwirksa- men — Bettenabbau einhergehe, erklärte Bayerns Kammerpräsi- dent Sewering. Hier ist noch eini- ges zu tun.

Zu tun ist auch noch einiges auf dem Problemfeld Doppeluntersu- chungen. Deren Umfang wird möglicherweise — darauf wies Dr.

Josef Schmitz-Formes in Grado hin — zwar überschätzt, aber es gibt sie — und es gibt unverkenn- bar unterschiedliche Auffassun- gen zwischen niedergelassenen Ärzten und Krankenhausärzten.

Sie kamen in Grado zum Ausdruck etwa in der Bitte eines Chefarztes an seine niedergelassenen Kolle- gen, bei solchen Patienten, deren Krankenhauseinweisung sicher sei, auf weitere Diagnostik zu ver- zichten und diese dem Kranken- haus zu überlassen. Eine ähnliche Auffassung hatte bei einer Veran- staltung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in Trier auch der Kliniker Prof. Dr. Rudolf Gross vertreten — nicht ohne dabei aus dem Kreis der niedergelassenen Ärzte Widerspruch zu ernten. Sol- cher Widerspruch kam auch in Grado auf. Zwischen Arzt im Kran- kenhaus und Praxis wird sich of- fensichtlich noch einiges einspie- len müssen.

Besorgt äußerte sich Prof. Sewe- ring über die stetige Verschlechte- rung der Relation Fachärzte zu All- gemeinärzten/praktischen Ärzten.

Zwar seien im Durchschnitt noch 45 Prozent der niedergelassenen

Ärzte allgemeinmedizinisch tätig, doch dieser Durchschnitt werde von den über 60jährigen getra- gen.

Bei den 39/40jährigen Ärzten be- laufe sich der Anteil der Allge- meinärzte/praktischen Ärzte auf nur noch ein Drittel. Sewering ver- wies in diesem Zusammenhang auch auf die Beschlüsse des Ärz- tetages in Trier, mit denen die All- gemeinmedizin gefördert werden soll.

Drei Jahre Qualifizierung nach dem Studium?

Die von manchen Allgemeinmedi- zinern vertretene sogenannte Pflichtweiterbildung sei, erklärte Sewering, in unserer Rechtsord- nung nicht zu realisieren. Anderer- seits befähige die Universitätsaus- bildung junge Ärzte nicht, sich gleich im Anschluß an das Stu- dium in eigener Praxis niederzu- lassen. Angesichts der zu erwar- tenden Studienabgängerzahlen (Sewering rechnet mit 10 000 bis 11 000 approbierten Ärzten pro Jahr) werde es schon in den näch- sten Jahren große Probleme mit der Weiterbildung geben, da für die jungen Ärzte in den Kranken- häusern einfach nicht genügend Stellen bereitstünden. Niemand wisse heute, wie man mit diesem Problem fertig werden soll. „Der Wille zur Qualität darf jedoch nicht in Zweifel gezogen werden", mahnte Sewering.

Was die Allgemeinmedizin betrifft, so sieht Sewering eine Lösung, um ein notwendiges Minimum an praktischer Erfahrung vor der Nie- derlassung zu gewährleisten: eine dreijährige Phase der Qualifizie- rung im Anschluß an das (theoreti- sche) Studium, daran anschlie- ßend die Approbation. Von den drei Jahren könne ein Jahr in die Verantwortung der Universitäten fallen. Der Nachwuchs müsse sich allerdings darüber im klaren sein,

„das Blütenträume von hohen Vergütungen nicht mehr reifen können". Norbert Jachertz

1284 Heft 26 vom 25. Juni 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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