Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 25⏐⏐20. Juni 2008 A1399
T E C H N I K
Nach zwölf Jahren Entwicklungsar- beit haben deutsche Netzhautchirur- gen und Ingenieure die weltweit erste vollständig in das menschliche Auge implantierbare Sehprothese erfolg- reich bei sechs blinden Patienten ein- gesetzt. Das Bundesforschungsmi- nisterium hat die Entwicklung von Sehprothesen seit 1995 mit insge- samt 17,5 Millionen Euro gefördert.
Ungefähr drei Millionen Men- schen, darunter 10 000 in Deutsch- land, leiden unter Retinitis pigmen- tosa. Bei dieser Augenerkrankung schwindet die Sehfähigkeit auf-
grund des Absterbens von Netzhaut- zellen stetig bis zur Erblindung. Al- lerdings bleibt in der Regel ein Teil der Nervenzellen intakt. Hier kön- nen Sehprothesen ansetzen. Ingeni- eure der RWTH Aachen und des Duisburger Fraunhofer-Instituts für Mikroelektronische Schaltungen und Systeme haben unter der Lei- tung von Professor Wilfried Mokwa für diese Krankheit „Epiret III“ ent- wickelt. Die Besonderheit dieser Sehprothese: Sie arbeitet weltweit als einziges System drahtlos, das heißt, sie wird vollständig in das Auge implantiert und muss nicht mit Kabelverbindungen von außen versorgt werden wie andere Retina- Implantate. Dies verkürzt die Ope- rationszeit, vereinfacht die Handha- bung und senkt die Belastungen für die Patienten.
Die Sehprothese wurde den seit mehreren Jahren erblindeten Patien- ten der Universitätsaugenkliniken in Aachen und Essen eingesetzt.
Während einer vierwöchigen Test- phase untersuchten Spezialisten der Neurophysikgruppe der Universität Marburg die Netzhaut der Patienten mit verschiedenen elektrischen Testreizen. Bei allen Patienten wur- den Seheindrücke ausgelöst, und sie konnten optische Muster unter- scheiden. Der nächste Schritt besteht jetzt darin, die Implantationsdauer zu verlängern und die Operations- technik weiter zu verbessern. Damit sich die Patienten mit der Prothese in ihrer Umwelt zurechtfinden kön- nen, muss das System künftig noch mit einer Kamera gekoppelt wer- den, die per Funk Signale an das Im- plantat sendet.
Nachdem sich diese Methode bei den ersten Patienten als wirksam und sicher erwiesen hat, haben mehrere Medizintechnikfirmen eine Firma gegründet, um ein marktfähiges Re- tina-Implantat zu entwickeln. Dann könnte die Prothese in einigen Jahren mehr Patienten verfügbar gemacht und auch zur Behandlung der fortge- schrittenen altersbedingten Makula- degeneration eingesetzt werden, die etwa die Hälfte der Fälle von Alters- blindheit verursacht. EB
SEHPROTHESE
Fortschritte bei Netzhautimplantaten
Noch immer werden rund die Hälfte aller Schlaganfallpatienten nicht auf Schlaganfallspezialstationen, den Stroke-Units, behandelt. Technische Fortschritte machen es möglich, dass Neurologen Schlaganfallpatienten per Videokonferenz auch in entfern- teren Kliniken untersuchen können.
Nicht alle telemedizinischen Anwen- dungen haben die gleichen Qualitäts- standards wie Stroke-Units. Qualität und Zeitpunkt der Erstbehandlung eines Schlaganfalls sind jedoch ent- scheidend für das weitere Schicksal eines Betroffenen. Um eine best- mögliche Versorgung der Patienten zu gewährleisten, hat die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft jetzt Stan- dards für Telemedizin bei Schlagan- fall festgelegt (Download unter www.dsg-info.de). Die Fachgesell-
schaft sieht einen sinnvollen Einsatz nur dann gegeben, wenn eine Be- handlung nach dem Stroke-Unit- Konzept erfolgt. „Ohne Mindest- kriterien gefährdet sie überdies den Patienten“, warnte Prof. Dr. med.
Martin Grond, Vorstand der Deut- schen Schlaganfall-Gesellschaft. Die beratenden Zentren müssen als über- regionale Stroke-Units zertifiziert sein und über ein breites Spektrum an Diagnostik- und Therapieverfahren verfügen. Zusätzlich fordert die Fachgesellschaft einen regionalen Bezug der Zentren zu ihren angebun- denen lokalen Kliniken, weil dies ei- ne zeitnahe Verlegung von Patienten aus diesen Häusern in ein Zentrum des Netzwerks ermöglicht.
Ausschlaggebend sei eine ganz- heitliche Qualitätsoffensive mit Ver-
besserung der personellen und struk- turellen Ressourcen, Schulung und Weiterbildung der Mitarbeiter in den peripheren Kliniken sowie deren eng- maschige Supervision, so die Fach- gesellschaft. Auch an den beratenden Experten werden Anforderungen ge- stellt: Er muss Facharzt für Neurolo- gie sein und mindestens ein Jahr auf einer Stroke-Unit gearbeitet haben.EB
SCHLAGANFALLVERSORGUNG
Mindestkriterien für Telemedizin
Foto:dpa
Telemedizin kann die hochwertige Behandlung in Stroke-Units nicht ersetzen.
Drahtlose Sehprothese Epiret III
Foto:RWTH Aachen