DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Versorgungswerke:
Rentenanwartschaften sinken
Die Bundesregierung beab- sichtigt wieder einmal, die Sozial- versicherungen als Verschiebe- bahnhof für Finanzen zu miß- brauchen. Noch im Jahr 1991 soll der Beitrag zur Rentenversiche- rung von derzeit 18,7 Prozent des Bruttolohns auf 17,7 Prozent ge- senkt und der Beitrag zur Arbeits- losenversicherung gleichzeitig von 4,3 Prozent auf 6,8 Prozent ange- hoben werden. Man meint, daß die gut gefüllten Kassen der Ren- tenversicherungsträger diese Min- dereinnahme verkraften könnten, daß aber die Arbeitslosenversi- cherung durch die Belastungen in den fünf neuen Bundesländern ei- ne solche Zusatzeinnahme drin- gend benötige. Die Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die diese Beträ- ge je zur Hälfte abführen müssen, merkten dies kaum, da die Ge- samtbelastung nur um 1,5 Pro- zentpunkte steige.
Für die berufsständischen Versorgungseinrichtungen hat diese Entscheidung erhebliche Auswirkungen. Die Versorgungs- werke sind ausnahmslos nach Ka- pitaldeckungsgrundsätzen finan- ziert. Die Höhe der späteren Ren- te richtet sich nach den zuvor ein-
gezahlten Beiträgen. Die Renten- anwartschaften, die von den Ver- sorgungseinrichtungen den Mit- gliedern meist jährlich mitgeteilt werden, beruhen aber auf der An- nahme, daß die derzeit gezahlten Beiträge bis zum Rentenbeginn in gleicher Höhe geleistet werden.
Da die Werke ihre Beitrags- höhe oft an die Beiträge der Bun- desversicherungsanstalt für Ange- stellte angepaßt haben, werden sie nach Inkrafttreten der Regie- rungsentscheidung geringere Ein- nahmen haben, und sie werden dann ihre Rentenanwartschaften nach unten berichtigen müssen.
Für die Mitglieder des Ver- sorgungswerks zahlreicher Ärzte- kammern bedeutet dies, daß sie bei Inkrafttreten der neuen Bei- tragssätze der gesetzlichen Ren- tenversicherung mit einer geän- derten Rentenanwartschaft rech- nen müssen. Diese muß allen Mit- gliedern mitgeteilt werden. Dabei muß beachtet werden, daß die Minderung der Rentenanwart- schaft mathematisch berechnet werden muß und nicht linear der Beitragsminderung von 5,35 Pro- zent entspricht.
Dr. med. Rolf Bialas, Hamburg
Das alte Spiel, neu aufgelegt:
Sozialkassen sollen
Bundeshaushalt entlasten
Die Begrenzung der Lohnne- benkosten, insbesondere auch der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversi- cherung, zur Erhaltung der Wettbe- werbsfähigkeit der deutschen Wirt- schaft im internationalen Vergleich waren ein, wenn nicht das zentrale Argument für die staatliche Kosten- dämpfungspolitik in der Krankenver- sicherung vergangener Jahre und das Blümsche „Gesundheits-Reformge- setz" (SGB V). Ärzte und andere Gruppen der Heilberufe haben die aus dieser Politik resultierenden Er- schwernisse ihrer Arbeit, insbeson- dere zunehmende Verbürokratisie- rung, zu spüren bekommen und spü- ren sie noch. Doch mit der Festle- gung der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und F.D.P.
dürfte ein erneuter Anstieg auch der Lohnnebenkosten geradezu vorpro- grammiert werden, der die Beitrags- zahler (Arbeitgeber und Arbeitneh- mer) belastet. Gleichzeitig wird aber der durch den deutsch-deutschen Ei- nigungsprozeß zusätzlich belastete Bundesetat entlastet.
Rentenversicherung mit Finanzpolster
Wenn der Beitragssatz in der Arbeitslosenversicherung aufgrund der Koalitionsvereinbarung von jetzt 4,3 Prozent ab 1. April 1991 auf 6,8 Prozent angehoben wird, bedeutet dies gleichzeitig eine nennenswerte Entlastung des Bundeshaushaltes in Milliardenhöhe, da damit der sonst erforderliche Zuschuß des Bundes zur Arbeitslosenversicherung sinkt.
Wenn statt einem Zuschußbedarf von ursprünglich fast 23 Milliarden DM jetzt nur noch ein solcher von 2,3 Milliarden DM erwartet wird, wird die Dimension der Entlastung
des Bundes, die freilich auch durch vorgesehene Minderausgaben und eine pauschale Einsparungsver-
pflichtung von 2,3 Milliarden DM er- reicht werden soll, deutlich.
Da gleichzeitig festgelegt wurde, daß der Beitragssatz zur Arbeitslo- senversicherung ab 1992 nur zwei Prozentpunkte über demjenigen von 1990 liegen soll, wird, jedenfalls hin- sichtlich der Erhöhung um 0,5 Pro- zentpunkte für neun Monate im Jahr
1991, die ausschließlich finanzpoliti- sche Motivation der Beitragssatzer- höhung deutlich.
Zur Entlastung der Beitragszah- ler wird ebenfalls zum 1. April 1991 der Beitrag zur Rentenversicherung um einen Prozentpunkt von jetzt 18,7 Prozent auf 17,7 Prozent gesenkt.
Diese Maßnahme wird damit begrün- det, daß die gesetzliche Rentenversi- cherung im Augenblick über ein Fi- nanzpolster von mehr als zwei Mo- natsausgaben verfüge und die Ren- tengesetze nur eine Rücklage von mindestens einer Monatsausgabe ( = 13,5 Milliarden DM) vorsähen.
In diesem Zusammenhang ver- dient in Erinnerung gerufen zu wer-
Dt. Ärztebl. 88, Heft 6, 7. Februar 1991 (19) A-363
den, daß die Rentengesetze früher eine Mindestrücklage von wenig- stens drei Monatsausgaben vorsa- hen, die vor Jahren — allerdings von einer sozialdemokratisch-liberalen Koalition — aus finanziellen Gründen auf eine Monatsausgabe gesenkt wurde. Und es muß rekapituliert werden, daß mit dem zum 1. Januar 1992 inkrafttretenden „Rentenre- formgesetz 1992" der durch die Ge- burtenentwicklung zukünftig entste- hende Beitragssatzanstieg abge- bremst werden soll, die Rentenversi- cherung also durchaus eine höhere Rücklage notwendig hätte, weil da- mit Beitragssatzanstiege in der Zu-
kunft hätten zumindest vermindert werden können. Dies um so mehr, als zum 1. Januar 1992 die Renten- versicherung-Ost in den Finanzver- bund der Rentenversicherung-West einbezogen werden soll, was auf mittlere Sicht die Rentenkassen be- lasten muß. Deshalb werden im Kreise von Rentenfachleuten auch schon Beitragssatzanhebungen in der Rentenversicherung für Ende 1992 für möglich gehalten.
Deutlich wird damit auch, daß die von Bundesarbeitsminister Dr.
Norbert Blüm als Erfolg des „Ge- sundheits-Reformgesetzes" gefeierte (einmalige) Beitragssatzsenkung von
nur 0,5 Prozentpunkten im Jahr 1990 und die damit einhergehende Absenkung der Beitragsbelastung in der Sozialversicherung durch die jetzt beschlossenen Maßnahmen be- reits wieder „verfrühstückt" werden soll.
Berücksichtigt man die Tatsa- che, daß Arbeitnehmer und Arbeit- geber als Beitragszahler durch die von der Bundesregierung angestreb- te Absicherung des allgemeinen Pflegerisikos erneut deutlich belastet werden, so löst sich eine wesentli- che Begründung für das mit Ver- ve durchgesetzte „Gesundheits-Re- formgesetz" in Luft auf. EB
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Pharma: Rabatt für die Kassen
Ab 1. April erhalten die gesetzli- chen Krankenkassen im Gebiet der ehemaligen DDR von den Apothe- ken über den herkömmlichen Kas- senrabatt von 5 Prozent hinaus einen Rechnungsabschlag von 22 Prozent.
Die Apotheken wiederum bekom- men vom pharmazeutischen Groß- handel einen Abschlag von 24 Pro- zent und der Großhandel von den pharmazeutischen Unternehmern ei- nen Abschlag von 25 Prozent einge- räumt. Die Regelung gilt bis zum 31.
Dezember 1993.
Das sieht ein neuer § 311 a des Sozialgesetzbuches V vor. Der ent- sprechende Gesetzesentwurf ist vom Bundeskabinett am 29. Januar ver- abschiedet worden. Der Regierungs- entwurf geht nunmehr dem Bundes- rat und dem Bundestag zu. Mit dem Gesetz soll der zur Zeit noch gelten- de 55-Prozent-Abschlag, der im Eini- gungsvertrag vorgeschrieben wurde, abgelöst werden.
Uber die Abschlagsregelung war es zu einem heftigen Streit vor allem zwischen Bundesarbeitsministerium und Pharma-Industrie gekommen Der Streit war schließlich mit einem Kompromiß beigelegt worden. Der nunmehr vorliegende Gesetzentwurf entspricht diesem Kompromiß (des- sen Einzelheiten in Heft 3/91 geschil-
dert wurden). Nach diesem Kompro- miß tragen die Marktbeteiligten mit- tels Rabattierung für drei Jahre zum großen Teil die Defizite der gesetzli- chen Krankenversicherung in den neuen Ländern, soweit sie aus der Arzneimittelabgabe resultieren.
Da das Defizit auch nicht annä- hernd bekannt ist, dürften die im neuen § 311 a genannten Prozentsät- ze gegriffene Zahlen sein. Das Ge- setz sieht daher vor, daß der Bundes- minister für Gesundheit die Rech- nungsabschläge durch Rechtsverord- nung ändern kann, um zu erreichen, daß die Marktbeteiligten die zuge- sagte Defizitdeckung tatsächlich lei- sten. Auf die Marktbeteiligten und letzten Endes die pharmazeutische Industrie dürften damit Belastungen in Milliardenhöhe zukommen
Die PKV protestiert
Der Gesetzentwurf ist noch vom Bundesarbeitsministerium ausgear- beitet worden. Nachdem die zustän- dige Krankenversicherungsabteilung dem Bundesgesundheitsministerium zugeschlagen wurde, zeichnet nun- mehr die neue Ministerin Gerda Hasselfeldt für diese erste sozialge- berische Tat verantwortlich. In der Ursprungsfassung des Bundesar-
beitsministeriums war noch vorgese- hen, daß der Bund jene 600 Millio- nen Mark, die der Bundesfinanzmi- nister den Krankenkassen als An- schubfinanzierung zugesagt hat, auch zur Deckung der Arzneimittel- defizite verwandt werden sollten.
Dagegen hatten die Kassen prote- stiert. Mit Erfolg.
Protestiert, allerdings vorerst ohne Erfolg, hat auch der Verband der Privaten Krankenversicherung.
Er wendet sich dagegen, daß die Rechnungsabschläge ausschließlich der gesetzlichen Krankenversiche- rung zugute kommen Der Verband fordert Gleichbehandlung von Kas- senpatienten, Selbstzahlern und Pri- vatpatienten. Nach seiner Auffas- sung verstößt die Abschlagsregelung gegen das Grundgesetz.
Das Bundesgesundheitsministe- rium weist den Vorwurf in der Ge- setzesbegründung zurück. Im we- sentlichen argumentiert das Ministe- rium damit, daß der Gesetzgeber für die Solidargemeinschaft der gesetzli- chen Krankenversicherung eine be- sondere Verantwortung habe, nicht aber für die private Krankenversi- cherung, die nach dem Kostenerstat- tungsprinzip und in der Regel ge- winnorientiert arbeite. Es entspre- che im wesentlichen der individuel- len Vorsorge, daß sich der Gesetzge- ber in diesem Bereich Reglementie- rungen grundsätzlich enthalte. NJ
A-364 (20) Dt. Ärztebl. 88, Heft 6, 7. Februar 1991