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Archiv "Russland: Tuberkulose-Epidemie breitet sich aus" (08.10.2004)

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T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 418. Oktober 2004 AA2739

diese dem Patienten sachgerecht zu ver- mitteln.

Neben dem qualifizierten Arzt benötigt diese Art der Krankenbehand- lung ein Standardteam, mit dem die we- sentlichen Therapieformen unter einem Dach abgedeckt werden können. Die Teamarbeit muss nachvollziehbar do- kumentiert werden, und die Kommuni- kation über ein EDV-gesteuertes Kom- munikationssystem sichergestellt sein.

Die Organisationsform richtet sich nach den gesetzlichen Möglichkeiten.

Hier bieten sich – neben einem Zusam- menschluss von schon praktizierenden Leistungserbringern – beispielsweise Verträge zur Integrierten Versorgung nach § 140b Absatz 1 Nr. 1 des SGB V oder die Gestaltung über die Gründung einer Partnerschaftsgesellschaft nach dem Gesetz über Partnerschaftsgesell- schaften Angehöriger Freier Berufe (PartGG) an.

Vergütung

Die Vergütung der „rehabilitativen Krankenbehandlung“ richtet sich nach der Organisationsform. In jedem Fall benötigt sie eine besondere finanzielle Ausstattung und entsprechend ange- passte Budgets, Regelleistungsvolumi- na und Richtgrößen, weil die beschrie- benen ärztlichen Therapiegestaltungs-, Schulungs- und Steuerungsfunktionen einschließlich der hiermit einhergehen- den Verordnung von Leistungen in der Regel kontinuierlich und über einen längeren Zeitraum erfolgen und damit andere ökonomische Dimensionen er- reichen als bei kurzfristigeren konsi- liarischen Mitbehandlungen. Denkbare Vergütungsformen bestehen entweder in Form von Einzelabrechnungen der beteiligten Berufsgruppen oder Pau- schalvergütungen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2004; 101: A 2736–2739 [Heft 41]

Das Literaturverzeichnis ist beim Verfasser erhältlich.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Hans-Martin Beyer Kaiser-Maximilian-Platz 3 87629 Füssen

E-Mail: H.M.S.Beyer@t-online.de

D

ie jüngsten Meldungen über Virus- erkrankungen wie SARS oder die Vogelgrippe haben die öffent- liche Aufmerksamkeit abgelenkt von der weiterhin weltweit am häufigsten vorkommenden Infektionskrankheit:

Tuberkulose. Der Weltgesundheitsor- ganisation zufolge sind jährlich neun Millionen Neuerkrankungen und zwei Millionen Tote zu verzeichnen (1). Die meisten stammen aus den von der Aids- Epidemie betroffenen Ländern vor allem im südlichen Afrika, aber seit 1991 auch aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, in denen sich eine Tuberkulose-Epidemie immer schneller ausbreitet.

Besonders dramatisch ist die Zunah- me der Tuberkulose in der russischen Exklave Kaliningrad (früher Königs- berger Gebiet) – einem Gebiet, das nur 600 Kilometer östlich von Berlin liegt und seit Mai dieses Jahres umgeben ist von den neuen EU-Mitgliedern Polen und Litauen. In Kaliningrad liegt die Zahl der Neuerkrankungen an Tuber-

kulose deutlich über dem Durchschnitt der Russischen Föderation (2). Beson- ders betroffen sind Kinder (Inzidenz 61,3), die viermal häufiger als im russi- schen Durchschnitt und zwanzigmal häufiger als in Deutschland erkranken.

Der Hauptgrund liegt darin, dass die Region nach der Auflösung der Sowjet- union nicht nur geographisch, sondern vor allem wirtschaftlich ausgegrenzt wurde. Das hat zu einer Verarmung großer Teile der Bevölkerung und einem massiven sozialen Verfall geführt.

Parallel dazu brach das öffentliche Ge- sundheitswesen gänzlich zusammen.

Neben Aids, das den Tuberkulose- Bakterien den Weg für Ko-Infektionen ebnet, ist es vor allem die zunehmende Unwirksamkeit der verwendeten Anti- biotika, die die Verbreitung der lebens- bedrohlichen Bakterien vorantreibt.

Immer mehr Erregerstämme ent- wickeln Resistenzen. Die wesentlichen Ursachen für diese Entwicklung liegen in der fehlerhaften beziehungsweise lückenhaften und unkontrollierten An-

Russland

Tuberkulose-Epidemie breitet sich aus

Ein Hilfsprojekt des Agitas-Circle versucht, mit Informations- kampagnen und der Fortbildung russischer Ärzte und Pfleger zur Eindämmung der Seuche beizutragen.

Vertreter des Agitas-Circle besichtigen eine Kinderabteilung: In Kaliningrad erkranken Kinder viermal häufiger an Tuberkulose als im Durchschnitt der russischen Föderation.

Fotos:Agitas-Circle

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wendung der Medikamente sowie in der schlechten Qualität der eingesetz- ten Antibiotika. Dies hat in der Region Kaliningrad dazu geführt, dass inzwi- schen 56 Prozent der neu entdeckten Tuberkulosefälle Resistenzen aufwei- sen (primäre Resistenz). Bei Patienten, die bereits behandelt wurden oder be- handelt werden, werden in 81 Prozent der Fälle Resistenzen nachgewiesen (sekundäre oder erworbene Resistenz).

Diese Kranken können nur noch geheilt werden, wenn sie langfristig so genannte zweitrangige Antibiotika ein- nehmen. Dies ist jedoch ein ökonomi- sches Problem.Während sich die Thera- piekosten für eine unkompliziert ver- laufende Tuberkulose in den Industrie- nationen auf rund 2 000 US-Dollar belaufen, können die Kosten bei einer multiresistenten Tuberkulose auf das mehr als 100fache steigen (3). Da nicht genügend Geld vorhanden ist, wird nicht effizient behandelt mit der Folge, dass weitere Menschen angesteckt werden und sich vor allem die Problem- fälle kontinuierlich vermehren.

Die erschreckend hohe Zahl der an Tuberkulose erkrankten Kinder und die bedrohliche Resistenzentwicklung bei den Tuberkulose-Bakterien sind Indi- katoren dafür, dass die soziale und medizinische Infrastruktur in einem desolaten Zustand und die Erkrankung besonders in der Region Kaliningrad außer Kontrolle geraten ist. Da an- gesichts dieser Lage medizinische und humanitäre Einzelmaßnahmen nicht aus- reichend effizient sein können, hat der medizinisch-humanitäre Verein Agitas- Circle ein mit den Entscheidungsträgern in Kaliningrad und Vertretern der Welt- gesundheitsorganisation abgestimmtes 5-Stufen-Projekt entwickelt.

In einem ersten Schritt startete im November 2003 eine Informationskam- pagne über Tuberkulose, auch in Ver- bindung mit Aids. Mit Plakaten und Flyern, Sendungen in Rundfunk und

Fernsehen, Zeitungsartikeln, Semina- ren und Informationen im Schulunter- richt wurde die Kampagne im Kreis Gussew umgesetzt. Schüler der ersten bis zehnten Klasse an 15 Schulen konn- ten dort im Rahmen eines Preisaus- schreibens ihr Wissen über Tuberkulose unter Beweis stellen – mit erstaunlich guten Ergebnissen. Die ermutigenden Resultate haben die Kaliningrader Behörden dazu bewogen, die Kampagne auf die gesamte Region auszuweiten.

Parallel dazu wurden die Projektmit- arbeiter fortgebildet: Ärztinnen, beson-

ders qualifizierte Krankenschwestern, die in den medizinischen Einrichtungen der Dörfer selbstständig Erstberatung und Versorgung vornehmen, Kranken- schwestern aus den Kliniken, Sozial- arbeiter und Pädagogen. Nach einem für das Projekt entwickelten Lehrplan wurden die Teilnehmer bis zur Ab- schlussprüfung im April 2004 einmal pro Woche ganztägig im Gemeinde- zentrum der Evangelischen Kirche in Gussew unterrichtet. „Die vermittelten Inhalte waren fast völlig neu für uns und sind uns bei unserer beruflichen Tätigkeit eine große Hilfe“, lautete die einhellige Meinung der Teilnehmer.

Weitere Treffen zum Erfahrungsaus- tausch und Nachschulungen sind vorge- sehen. Außerdem werden Schulungen für Patienten und deren Angehörige sowie Hospitationen für Kaliningrader Ärzte in Deutschland vorbereitet

Die beiden ersten Stufen des Pro- jekts konnten durch Spenden der Wal- ter-Gastreich- und der Robert-Bosch-

Stiftung finanziert werden. Doch um eine Tuberkuloseambulanz in Gussev und die Gesundheitsstationen auf den Dörfern mit medizinischem „Hand- werkszeug“ auszustatten, bedarf es wei- terer finanzieller Unterstützung. Ange- schafft werden müssen zum Beispiel Fahrräder, da die Mitarbeiter alle Wege zu Fuß zurücklegen müssen – zum Teil bis zu fünf Kilometer für eine Strecke.

Öffentliche Verkehrsmittel gibt es auf dem Land kaum, eigene Autos sind ein Traum. Die von der Weltgesundheitsor- ganisation geforderte und inzwischen auch von Russland ak- zeptierte DOTS-The- rapiestrategie (Directly Observed Treatment Short-course Chemo- therapy) ist nur durch- führbar, wenn die Pa- tienten ihre Medika- mente täglich unter Kontrolle einnehmen.

Doch wie soll dies über Monate hinweg in der Stabilisierungs- phase der Tuberkulose- Therapie außerhalb der Klinik umgesetzt wer- den, wenn schon ver- kehrstechnische Grün- de dagegensprechen?

Diese und andere Probleme will der Agitas-Circle lösen, um die Volks- seuche Tuberkulose effizient bekämp- fen zu können. Konsens besteht auch darin, dass die Behandlung der Tuber- kulose vor Ort unterstützt werden muss, auch um eine verstärkte Ausbreitung der Krankheit in Westeuropa zu ver- hindern. Eine Studie des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK) von 2001 belegt bereits, dass bei in Deutschland le- benden Tuberkulosekranken aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion die multiresistenten Bakterienstämme 35-mal häufiger nachweisbar sind als bei Deutschen (4). Dr. med. Dietrich Rohde

Literatur

1. Bericht zur Situation der Tuberkulose-Bekämpfung, WHO-Report 16. 3. 2004.

2. Staatlicher Sanitätsdienst des Oblast Kaliningrad.

3. Konietzko N, Loddenkemper R (Hrsg.): Tuberkulose, 2000.

4. DZK-Studie zur Epidemiologie der Tuberkulose in Deutschland, Berlin 2001.

T H E M E N D E R Z E I T

A

A2740 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 418. Oktober 2004

Spenden

Der Agitas-Circle ist für seine Arbeit auf Spenden angewiesen: Bankhaus Lampe Düsseldorf, BLZ: 480 201 51, Konto:

1 33 33 13, Stichwort: Kaliningrad, Kontakt:

Dr. med. Dietrich Rohde, Heini-Dittmar- Straße 11, 45470 Mülheim.

Gemeindezentrum der Evangelischen Kirche in Gussev: Ganz- tägiger Fortbildungsunterricht für das einheimische Personal

Referenzen

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