Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 19⏐⏐8. Mai 2009 A899
S E I T E E I N S
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ondon am vergangenen Donnerstag: Bei der Eu- ropäischen Arzneimittelzulassungsbehörde EMEA treffen sich Delegierte der für die Impfstoffzulassung verantwortlichen Behörden aus den EU-Mitgliedslän- dern. Ein Vertreter des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) in Langen leitet das Treffen. Am Abend zuvor hatte die Weltgesundheitsorganisation die Stufe des Pandemie- risikos auf fünf erhöht. Bei Stufe sechs sollte weltweit rasch mit der Impfstoffproduktion begonnen werden.„Aber das ist kein Automatismus, das Vorgehen wird in- ternational koordiniert und mit den Herstellern abge- stimmt“, sagt Prof. Dr. rer. nat. Klaus Cichutek, Vizeprä- sident des PEI gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt.
„Derzeit wird der Influenzaimpfstoff für die kommende Saison produziert. Würde man jetzt schon auf den pan- demischen Impfstoff umstellen, könnte im nächsten Winter Vakzine für die saisonale Grippe fehlen“, be- fürchtet Cichutek und fügt hinzu: „Die Abwägung von Nutzen und Risiken muss hier sehr sorgfältig erfolgen.“
Dennoch läuft die Entwicklung eines Impfstoffs an den verschiedenen internationalen Einrichtungen auf Hochtouren. Beim EMEA-Treffen berieten die Experten über ein optimales Konzept zur Herstellung eines „Impf- virus“ – dem Vorläufer von „Saatviren“. Saatviren wer- den von den Firmen bei der Impfstoffproduktion ver- mehrt. Der saisonale Grippeimpfstoff enthält drei Viren- stämme, die Mischung zur Vakzine erfolgt erst gegen Ende des Herstellungsprozesses, also nach Vermehrung, Aufreinigung, Inaktivierung und Spaltung der jeweili- gen Virenstämme. Ein Pandemie-Impfstoff dagegen ent- hält nur einen Virusstamm: den pandemischen, darin die Antigene Hämagglutinin (H) 1 und Neuraminidase (N) 1.
Um mit der Pandemievakzine einen guten Schutz er- zielen zu können, würde ein Adjuvans zugesetzt.
Im Fall einer Pandemie hat die Bundesregierung mit Herstellern vereinbart, dass diese 160 Millionen Impf- dosen liefern, natürlich sukzessive. Bis die erste Charge da wäre, könnten nach Produktionsbeginn zehn bis zwölf Wochen vergehen. „Wir fühlen uns gut gerüstet“, sagt Cichutek. In Europa sind bereits Musterimpfstoffe zugelassen, die nach einem anderen Konzept entwickelt worden sind als die saisonalen und zum Teil Ganzvirus- Vakzine sind. „Bei den Musterimpfstoff-Vakzinen sind die Qualität des Herstellungsprozesses, die Sicherheit und Wirksamkeit für einen Pandemie-Impfstoff bei- spielhaft geprüft“, erläutert Cichutek.
Zwei Verfahrensprinzipien gibt es für die Vermeh- rung des Virus: Bei der konventionellen Methode wer- den sterile Hühnerembryonen im Ei mit dem Virus beimpft. Beim saisonalen Impfstoff wird ein Hühnerei pro Impfdosis benötigt, der Bedarf an Eiern steigt also rasch in die Millionen. Alternativ erfolgt die Vermeh- rung in Säuger-Kulturzellen. So wird seit 2007 in Mar- burg erstmals ein zugelassener Influenzaimpfstoff auf Basis eines Zellkulturverfahrens produziert. Die Zelllinie entstammt dem Epithel einer Hundeniere.
Zunächst werden die Kulturzellen in Fermentern ex- pandiert, die teilweise Volumina von mehr als tausend Litern fassen. Bei optimaler Wachstumsdichte der Kul- turzellen erfolgt die Beimpfung mit den Viren, die sich nun ihrerseits in den Wirtszellen vermehren und schließlich von diesen freigesetzt werden.
Bei einem Einsatz der Pandemievakzine würde das Auftreten von unerwünschten Wirkungen wie üblich genau verfolgt und bewertet. „Die klinischen Daten für die Musterimpfstoffe beziehen sich auf Erwachsene, aber es würde sicher auch für Kinder eine Empfehlung geben“, meint Cichutek. Dies wäre Aufgabe der Ständi- gen Impfkommission beim Robert-Koch-Institut in Berlin. Im Moment, betont der Vizepräsident des PEI, sei es auch nicht so weit. Die Situation sei besorgniser- regend, aber es gebe keine Pandemie, in Europa auch keine Epidemie, sondern lokale Ausbrüche mit bislang vergleichsweise wenigen Übertragungen von Mensch zu Mensch (siehe auch Medizinreport in diesem Heft).
Noch sieht Cichutek gute Chancen, dass die Produktion der Influenzaimpfstoffe weiter laufen kann wie geplant – zumindest für die kommende Saison.
Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze Medizin- und Wissenschaftsjournalistin
PANDEMIE-IMPFSTOFF
Vorbereitung läuft auf Hochtouren
Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze