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Archiv "Arbeits- und Organisationspsychologie: Durch die Arbeit psychisch krank" (16.10.2009)

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A 2064 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 106

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Heft 42

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16. Oktober 2009

ARBEITS- UND ORGANISATIONSPSYCHOLOGIE

Durch die Arbeit psychisch krank

Zu hohe Belastung, zu wenig Autonomie, aber auch Langweile – verschiedene Faktoren können Arbeitnehmer sehr belasten. Das „Demand-Control-

Arbeitsbelastungsmodell“ hilft, den richtigen Therapieansatz zu wählen.

Marius Poersch, Markus Schmitt

P

sychische Störungen nehmen bei deutschen Erwerbstätigen deutlich zu. Mittlerweile ist die wis- senschaftliche Datenbasis zu diesem Thema sehr belastbar. Das Erkennen von krank machenden dienstleisten- den Arbeitsplatzmodellen – und von nahe liegenden Lösungsmöglichkei- ten – ist aus der belächelten „Psy- choszene“ selbstbewusst herausge- treten und auf der Ebene der ernst zu nehmenden Daten zur Unterneh- mensführung angelangt. Nahezu alle großen gesetzlichen Krankenkassen informieren hierzu in Eigeninitiative auf aktuellem wissenschaftlichem Niveau. Zudem bieten sie unterneh- mensberaterische Dienste an. Die re- gierungsnahen Informationskampa- gnen (5–9) verstärken diese Ent- wicklung.

Eine aktuelle Befragung der Führungskräfte zeigt, dass das so- genannte Management by com- mand and control bei den Nach- wuchsmanagern bereits diskredi-

tiert ist (15). Beginnt tatsächlich ein Umdenken auch im Management- bereich? Gerade jüngere Führungs- kräfte wünschen sich mehr Hand- lungsspielraum, um Werte und Wert- schöpfung optimal zusammenbrin- gen zu können (15). In kritischen Unternehmensphasen beginnt ein Teufelskreis, wenn seitens der Un- ternehmensführung als Unsicher- heitsvermeidungsstrategie die Kon- trollen zunehmen: Die innovative Produktivität der Unternehmen nimmt ab, und „innere“ sowie tat- sächliche Kündigungen nehmen zu.

Dies ist spätestens seit Staw et al.

1981 in der Arbeits- und Organisati- onspsychologie (A-und-O-Psycholo- gie) hinlänglich bekannt (16). Durch eine Überwindung solcher Führungs- fehler sind hier auch aus therapeuti- scher Sicht „Dienstleistungsschätze“

zu heben. Gleichzeitig kann hier- durch theoretisch einer weiteren Zu- nahme an psychisch bedingten Ar- beitsunfähig(AU)-Zeiten (und vor-

zeitigen Rentenbeantragungen) syn- ergistisch entgegengewirkt werden.

Diese Tatsachen sollten sowohl bei Führungskräften als auch bei Ärzten und Therapeuten bekannter werden und beide hierzu kausale Interventi- onsstrategien – jeder in seinem Zu- ständigkeitsbereich – anwenden.

Nachfolgend werden für Ärzte und Therapeuten die vier verschiede- nen Interventions- und Behandlungs- strategien, die sich aus dem „De- mand-Control-Arbeitsbelastungsmo- dell“ (1) ableiten lassen, dargestellt.

Wenn arbeitsgestresste und ängst- lich-depressiv-psychosomatisch er- krankte Erwerbstätige vorstellig werden, sollte eine Anamnese der tatsächlichen Arbeitsplatzbelastung erfolgen. Es sollte Klarheit darüber bestehen, welcher Belastungsmodus nach dem Demand-Control-Modell (1–4) objektiv anzunehmen ist. Wei- tere arbeitsplatz- und stressbezoge- ne Fragen (Multitasking, Unterbre- chungen) können darüber hinaus sinnvoll sein. Zudem gibt es vielfäl- tige interne Probleme der Mitarbei- ter (und Führungskräfte), etwa be- rufsrelevante Fähigkeitsstörungen, die auf intrapsychische Konflikte oder Persönlichkeitsstörungen zu- rückzuführen sind.

Die nachfolgend skizzierten the- rapeutischen Interventionsmöglich- keiten müssen immer in ein Rah- menbehandlungsprogramm mit ei- nem individuell unterschiedlichen Anteil störungsspezifischer Thera- pieelemente integriert werden. In gelingenden Therapien werden die Übergänge von störungsspezifi- scher Behandlung bis zum arbeits- bezogenem Coaching erfahrungs- gemäß fließend sein. Ob bereits eine Arbeitsunfähigkeitsbescheini- gung ausgestellt wurde oder nicht,

Dr. v. Ehrenwall’sche Klinik, Fachkranken- haus für Psychiatrie,

Psychotherapie und Neurologie:

Dr. med. Poersch, Dipl.-Psych. Schmitt

Foto: vario images

T H E M E N D E R Z E I T

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A 2066 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 106

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Heft 42

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16. Oktober 2009 erscheint nach bisherigen Erfahrun-

gen nebensächlich. Die „AU-Tatsa- che“ bestimmt eher die Geschwin- digkeit und das Ausmaß in der Um- setzung der Interventionsstrategie.

Hohe Belastung – großer Handlungsspielraum

In dieser ersten Situation ist die be- triebliche Realität für Patient und Arzt/Therapeut zu akzeptieren. Des- halb ist die Interventionsstrategie zunächst der Versuch, die Situation als Herausforderung anzunehmen, rasch mobilisierbare Ressourcen einzusetzen, benötigte Fähigkeiten zu identifizieren und diese in thera- peutischen Experimenten zu erler- nen. Selbstverständlich sollte dabei die eigene Überforderungsgrenze bekannt sein, gegebenenfalls erlernt und akzeptiert werden. Die Wahr- scheinlichkeit, dass sich eine po - sitive Selbstwirksamkeitserwartung (11) und schließlich positive Be - wältigungserfahrungen einstellen, ist nach eigenen therapeutisch-coachen- den Erfahrung hoch (10). In diesem Interventionsprozess, der zwischen Coaching, kognitiv-verhaltensthe- rapeutischem Prozess und integrati- ver Berücksichtigung frühkindlicher Bindungserfahrungen grenzunscharf schwankt, hat es sich bewährt, etablierte motivationspsychologi- sche Handlungsmodelle aufzuneh- men (2–4).

Hohe Belastung – kleiner Handlungsspielraum

In dieser zweiten Situation ist un- mittelbar von einer erheblichen krankheitsfördernden Mitarbeiter- belastung auszugehen. Zynisch be- trachtet, stellt sich die Frage, wel- che Mitarbeiterreaktion sich zuerst einstellt: (a) innere Kündigung, (b) Absentismus, (c) Präsentismus oder (d) kontraproduktives Arbeitsver- halten (29). Die Mitarbeiterreaktion hängt erfahrungsgemäß nicht nur von der Belastungsintensität ab, sondern auch von Moderatorvaria- blen: zum Beispiel, ob der Mitar- beiter aus Not unbedingt den Job benötigt, dann ist chronischer Prä- sentismus wahrscheinlich. Bei ho- hem Ungerechtigkeitsempfinden ist wiederum kontraproduktives Ar- beitsverhalten nachgewiesen (12).

Die Interventionsstrategie muss daher sowohl die Arbeitsbelastung, das Führungsverhalten als auch die Moderatorvariablen einbeziehen.

Zunächst muss die objektiv patho- gene Belastung dem Patienten aus- führlich erklärt werden. Für diesen ist es wichtig zu erfahren, dass es nicht sein Versagen ist, sondern ei- ne nachvollziehbare menschliche Belastungsreaktion. Anschließend ist wahrscheinlich ein kurzer, vor- sichtiger Stressbewältigungsversuch sinnvoll. Der sollte allerdings im Schwerpunkt darauf abzielen, die unterstützende Vernetzung des Pa- tienten zu stärken. Was denken an- dere Mitarbeiter von dem Stress, wie verhalten sie sich? Kann man sachlich mit den Vorgesetzten re- den, sind konstruktive, den Hand- lungsspielraum erweiternde Vor- schläge zu machen?

Nutzt alles konstruktive Bemü- hen nichts, können Arzt/Therapeut und Patient in therapeutischen Ex- perimenten erkunden, wie viel „in- nerer Rückzug“ betrieblicherseits unerkannt bleibt und zur Entlastung des Patienten beiträgt, wenn der Pa- tient den „inneren Rückzug“ nicht als Versagen, sondern als notwendi- ges aktives eigenes Handeln gegen die hohen Arbeitsanforderungen begreift. Möglicherweise wird es danach in zwei Richtungen weiter- gehen: (a) entweder wird eine (ge- fährliche, weil gesundheitsbelasten- de) Durchhaltestrategie abgespro- chen oder aber (b) eine Verände- rungsstrategie mit Akzeptanz der unveränderbaren Situation und Ak- zeptanz der Notwendigkeit einer er- neuten Stellensuche mit nachfol- gender Kündigung der Stressstelle.

Niedrige Belastung – großer Handlungsspielraum

Die dritte Situation klingt zunächst wie ein paradiesischer Arbeitsplatz.

Er kann aber für leistungsmotivierte Mitarbeiter zur Belastung werden.

Falls Flow (13), also das Gefühl des völligen Aufgehens in der Ar- beit, ein wesentliches arbeitsbezo- genes Annäherungsmotiv war und dies jetzt durch eine zu geringe An- forderung wegfällt (14), entsteht Langeweile, Unterforderung und gegebenenfalls Dysstress. Zusätz-

lich können Anreizmotive und Ent- wicklungschancen wegfallen. Ist die Arbeit zu monoton, führt dies je nach Mitarbeiterfähigkeiten rasch zu Dysstress. Allerdings ist der Hand- lungsspielraum hoch und damit das Führungsvertrauen, mit der Unter- forderung kreativ umzugehen. Ge- nau hier liegt die Behandlungsstra- tegie. Es gilt, die Herausforderung nach kreativer eigener Arbeitsge- staltung (mit Win-win-Konstellati- on für den Betrieb) anzunehmen, oder die Unterforderung zu akzep- tieren und sich privat zu engagieren oder sich einen neuen Job mit mehr Herausforderung zu suchen.

Geringe Belastung – kleiner Handlungsspielraum

Diese vierte Konstellation ist kom- plex. Je nach individueller Situation und Moderatorvariablen können un- terschiedliche Strategien – auch die bisher vorgestellten – sinnvoll sein.

Im Wesentlichen scheint es aber eine Führungsaufgabe zu sein: Die Belas- tung könnte je nach Mitarbeiterfähig- keiten und Interessen mehr Anreize enthalten. Die Handlungsspielräume könnten weniger hierarchisch sein.

Leider gibt es zu diesen arbeits- und motivationspsychologischen Aspekten keine Kooperationsmo- delle und Förderprogramme, ob- wohl mit einer abgestimmten Inter- ventionsstrategie wahrscheinlich so- wohl betriebliche Schätze zu heben wären als auch gleichzeitig die An- zahl psychisch erkrankter Erwerbs- tätiger zu vermindern wäre. Hierzu wären sektorenübergreifende Studi- en zur Unternehmenskultur, zum Unternehmenserfolg, Einschätzun- gen zur Arbeitsplatzbelastung, auch nach Demand-Control-Modell, Pa- rameter des Krankenstands in Kor- relation zu den sektorenübergreifen- den Interventionsstrategien denkbar.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2009; 106(42): A 2064–6

Anschrift für die Verfasser

Dr. med. Marius Poersch, Dr. v. Ehrenwall’sche Kli- nik, Fachkrankenhaus für Psychiatrie, Psychothe- rapie und Neurologie, Walporzheimerstraße 2, 53474 Ahrweiler, E-Mail: Marius.Poersch@

ehrenwall.de

@

Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit4209

T H E M E N D E R Z E I T

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LITERATURVERZEICHNIS HEFT 42/2009, ZU:

ARBEITS- UND ORGANISATIONSPSYCHOLOGIE

Durch die Arbeit psychisch krank

Zu hohe Belastung, zu wenig Autonomie, aber auch Langweile – verschiedene Faktoren können Arbeitnehmer sehr belasten. Das „Demand Control

Arbeitsbelastungsmodell“ soll Ärzten und Psychotherapeuten helfen, den richtigen Therapieansatz zu wählen.

M. Poersch, M. Schmitt

LITERATUR

1. Kasarek RA, Theorell T: Healthy Work. New York: Basic Books 1990.

2. Heckhausen H: Motivation und Handeln.

Berlin: Springer 1989: 212.

3. Heckhausen H, Rheinberg F: Lernmotivati- on im Unterricht, erneut betrachtet. Unter- richtswissenschaft 1980; 8: 7–47.

4. Kuhl J: Motivational and functionai help- lessness: The moderating effect of state versus action orientation. Journal of Per- sanality and Social Psychology 1981, 40:

155–70.

5. Rückert J, Bone A: Hilfe gegen das Mob- bing am Arbeitsplatz. So beenden Sie das Mobbing jetzt. Bundesanstalt für Arbeits- schutz und Arbeitsmedizin; www.baua.de (Aufruf 10.3.2009)

6. Informationsdienst: Psychische Arbeitsbe- lastungen; www.baua.de, 1/2009 (Aufruf 2.2.2009)

7. DNBGF: Deutsches Netzwerk für Betriebli- che Gesundheitsförderung. Geschäftsstel- le c/o Bundesverband der Betriebskran- kenkassen; www.dnbgf.de (Aufruf 14.2.2009).

8. Eggerdinger CH, Giesert M: Unterweisung, Führen, Beteiligen, Erkennen und Vermin- dern von psychischen Belastungen. i.A.

INQA – Initiative Neue Qualität der Arbeit (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Ar- beitsmedizin). www.inqa.de. Dortmund:

Wirtschaftsverlag NW, 3. Auflage 2006.

9. Holm M, Geray M: Integration der psy- chischen Belastungen in die Gefährdungs- beurteilung. www.inqa.de oder www.

baua.de (Aufruf 24.3.2009).

10. Poersch M: Wiedereingliederungstherapie in das Erwerbsleben für depressiv/psy- chosomatisch kranke Erwerbstätige mit initial stabiler Erwerbsbiografie. Arbeits- medizin. Sozialmedizin.Umweltmedizin 2007; 42: 228–35.

11. Bandura A, Locke EA: Negativ self-efficia- cy and goal effects revisited. Journal of Applied Psychology 2003; 88: 87–99.

12. Greenberg J: Employee theft as a reaction to underpayment inequity: The hidden cost of pay cuts. Journal of Applied Psycholo- gy, 1990; 75: 561–8.

13. Rheinberg F: Motivation. Kohlhammer Ur- ban; Taschenbuch 2006: 153 ff.

14. Kirchler E (Hrsg.): Arbeits- und Organisati- onspsychologie. Wien: Facultas/UTB 2008; 2. Auflage: 323–4.

15. Bucksteeg M, Hattendorf K: Führungskräf- tebefragung 2009. Eine Studie in Zusam- menarbeit mit dem Deutschen Manager- verband. www wertekommission.de (Auf- ruf 30.4.2009).

16. Staw BM, Sandelands LE, Dutton JE:

Thread Rigidity Effects in Organizational Behavior: A Multilevel Analysis. Adminis- trative Science Quarterly, 1981; 26(4):

501–24.

Referenzen

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